Sebastian Kienle: Es gibt noch viel zu tun

Harald Eggebrecht für tri2b.com | 19.04.2017 um 17:58
Am vergangenen Wochenende ist Sebastian Kienle im französischen Cannes in die Wettkampfsaison 2017 gestartet. Dem 32-jährigen aus Mühlacker gelang dort beim Rennen über die leicht abgewandelte Mitteldistanz ein perfekter Saisonstart, mit einem überlegenen Sieg und einer top Radperformance. Am Rande des Rennens an der Côte d´Azur hat uns der Ironman Hawaii-Sieger von 2014 ein Interview gegeben und dabei über die Vorbereitung und die weitere Saisonplanung 2017, dem Duell mit Jan Frodeno und der deutschen Erwartungshaltung auf der Langdistanz gesprochen. Außerdem erzählte uns Sebastian Kienle, welche Ironman-Rennen in Zukunft noch auf seiner "To-do-Liste" stehen könnten.

tri2b.com: Du hast zuletzt von der besten Wintervorbereitung der letzten Jahre gesprochen. Was lief konkret besser als in den Vorjahren?

Sebastian Kienle (S.K.): Man kann erst einmal sagen, dass weniger schief gelaufen ist. Ich hatte einfach bessere Möglichkeiten im Training, weil ich weniger Probleme hatte in der Vorbereitung. Speziell was orthopädische Probleme angeht. Wir waren sehr lange in Tucson in Arizona. Meine Frau Christine war mit dabei, knapp zweieinhalb Monate. Ich habe dort viel mit Ben Hoffman trainiert. Ich bin einfach sehr zufrieden mit mir. Grundsätzlich kann ich mich zu dieser Zeit in der Saison nur immer mit mir selbst vergleichen. Und hier glaube ich, dass ich auf einem sehr guten Weg bin. 

tri2b.com: Gab es im Training Veränderungen im Vergleich zu früheren Vorbereitungen?
S.K.: Eine Sache kann ich klar sagen: Mehr Umfang im Laufen. Weil ich überhaupt wieder mehr Umfang machen konnte. Das ist sicherlich die Sache, die deutlich anders ist als in den Vorjahren.

tri2b.com: Als nächstes Rennen steht bei dir dann der Ironman 70.3 in St. George/Arizona Anfang Mai auf dem Programm. Du warst zuletzt dort eigentlich jedes Jahr am Start, musstest einmal leider vor Ort krankheitsbedingt kurzfristig passen. Ist der Wettkampf im Wilden Westen für dich eine Art Lieblingsrennen?
S.K.:  Absolut, absolut. Ich kann es wirklich ganz klar so sagen, St. George ist ein Lieblingsrennen für mich. Der Aufwand ist jetzt auch nicht so wahnsinnig gering, um dort hin zu kommen. Es gibt zwar einen schönen Direktflug von Frankfurt nach Las Vegas, was die Anreise etwas erleichtert. Aber ich nehme das gerne auf mich, weil St. George wirklich ein Lieblingsrennen von  mir ist. Leider hab ich es noch nicht geschafft dort zu gewinnen und auch diesmal wird es wieder richtig schwer werden. Es ist ein geiles Rennen und eine starke Konkurrenz. Leider bin ich so früh in der Saison noch nicht in der Form, dass ich mich dort als Topfavorit sehe. Aber ich hab einfach richtig Bock auf das Rennen dort. 

tri2b.com: In der Startliste von St. George taucht auch Olympiasieger Alistair Brownlee auf. Wie groß ist die Motivation es den "Kurzdistanz-Onkels" - um es in den Worten eines früheren Faris Al-Sultan-Interviews zu sagen - mal richtig zu zeigen?
S.K.:  Ich find´s geil, wenn sich die Jungs aufgrund des Olympia-Zyklus nun mal an die längeren Strecken  rantasten. Dass ist auch für unseren Sport toll und es ist eine gute Möglichkeit sich da mal zu messen. Gerade für das Publikum ist es eine klasse Sache, weil so ein Vergleich nicht ständig stattfindet und viele gerne wissen möchten, wie die Kräfteverhältnisse auf der Mittelstrecke, zwischen Kurz- und Langdistanz, ausschauen. Da freu ich mich selbst natürlich auch drauf. Wobei man auch sagen muss, Alistair Brownlee steht mal auf der Entry-List. Es heißt ja noch nicht, dass er dann auch wirklich startet. Wir werden es dann sehen. 

tri2b.com: Anfang Juni wirst du bei der Challenge Championship im slowakischen Šamorin antreten. Der Kurs  ist dort superflach. Es wurde eigens die Windschattenregel verändert, die Box vergrößert. Eigentlich sind so flache Radstrecken nicht unbedingt das Terrain, auf dem du dich super wohlfühlst. Ist der Start gerade deshalb ein interessanter Test?
S.K.: Ich würde jetzt gar nicht mal so sagen, dass ich mich auf flachen Strecken nicht wohlfühle. Ich hatte auch schon sehr gute Rennen auf komplett flachen Radstrecken und ich glaube ich bin da ein guter Allrounder. Ich denke auch, dass das Rennen durch die 20 Meter-Windschattenregel sehr fair wird. Ich hab dies auch schon 2014 bei der ersten Challenge-Austragung in Bahrain gesehen. Da freue ich mich richtig drauf und da ist dann außerdem - in Anführungszeichen der nächste Kurzdistanz-Onkel -  Richard Murray mit dabei. Das gibt einen tollen Fight. 

tri2b.com: Über den Ironman 70.3 Kraichgau geht es dann zum Ironman nach Frankfurt, zum sechsten Mal in Folge. Zweimal hast du dort gewonnen. Würdest du Frankfurt als dein Wohnzimmer bezeichnen?
S.K.:  (lacht). Dafür wäre mir in meinem Wohnzimmer ein bisschen zu viel Hektik. Ich mag das Rennen in Frankfurt unheimlich, wobei ich dann dort immer merke, dass ich eigentlich das Kleinstadtleben genieße. Fürs Wohnzimmer ist Frankfurt zu laut und hat zu viel Verkehr. Aber rein sportlich fühle ich mich dort natürlich sehr wohl. Es macht vieles einfacher, wenn man weiß wie die Sachen ablaufen und keine Überraschungsmomente mehr auf dich lauern. Diesmal freu ich mich natürlich auf das Duell oder besser Kampf, weil es wohl mehr wie nur ein Duell geben wird, mit Patrick Lange. Er kann in Frankfurt als Hesse vielleicht auch wirklich von seinem Wohnzimmer sprechen.  

tri2b.com: Welchen anderen Ironman würdest Du gerne einmal machen?
S.K.: Verdammt viele. Ich würde sehr viele Rennen noch unheimlich gerne machen. Ich würde sicher gerne Lanzarote machen, weil zu dem Zeitpunkt als ich mit Triathlon angefangen habe, da war Lanzarote nach Hawaii so das Rennen schlechthin. Lanzarote hat leider sehr an Wertigkeit verloren. Wobei das mehr in den Medien und in der Außenwahrnehmung so ist, während das Rennen bei mir jetzt nicht an Wertigkeit verloren hat. Sicher reizen würde mich auch der Ironman Neuseeland und auch Nizza. Es gibt noch viel zu tun. Ich werde sicher irgendwann meinen Rennplan ein bisschen umstellen, aber im Moment passt dieses Konzept, mit dem Ironman Frankfurt im Sommer und dann zum Ironman nach Hawaii, für mich sehr gut. Letztendlich ist für mich eben Frankfurt nach Hawaii auch das größte Rennen, mit der besten Medienaufmerksamkeit. Was auch gut für die Sponsoren ist.   

tri2b.com: Faris Al-Sultan hat immer wieder von seinen drei magischen Jahren (2004-2006) gesprochen. Danach machte sich bei ihm der Kräfteverschleiß immer deutlicher bemerkbar.Für dich steht nun das achte Langdistanzjahr an. Verspürst du schon einen gewissen Verschleiß, physisch wie psychisch?
S.K.: Es wäre gelogen zu sagen, dass nicht irgendwo ein Verschleiß stattfindet. Wobei es eben so eine Schnittlinie gibt zwischen Erfahrung und Verschleiß und im Moment habe ich noch das Gefühl, dass es immer noch stetig bergauf geht. Im Gegenteil. Ich hatte, wie schon erwähnt, eine sehr sehr gute Wintervorbereitung und fühle mich frisch und wirklich motiviert. Von daher denke ich schon, dass da noch ein paar gute Jahre vor mir sind. Ich muss auch sagen, Kontinuität war für mich immer das höchste Gut und so bin ich bisher auch mit meinen Kräften immer sparsam umgegangen. 

tri2b.com: Das von allen Fans erwartete Duell zwischen dir und Jan Frodeno wird es heuer erst auf Hawaii geben. Wäre es nicht besser gewesen schon mal davor die Säbel zu kreuzen, um etwas die Brisanz aus dem Duell heraus zu nehmen. Oder ist das gerade der Reiz?
S.K.:  Darin liegt definitiv ein gewisser Reiz. Hawaii ist der Höhepunkt und es ist auch schön, dort nochmal was draufzusetzen. Auch was die Besetzung der Startliste angeht. Es ist ja jetzt nicht so, dass wir uns jetzt bewusst aus dem Weg gehen würden. Es sind individuelle Entscheidungen, es gibt keine Abstimmungen darüber, wer wo genau startet und wir uns nicht gegenseitig das Leben schwer machen wollen. Ich finde es gut, dass Hawaii nicht nur vom Rennen her der Höhepunkt des Triathlonjahres ist, sondern auch - wie jedes Jahr - die besten Athleten der Welt dort am Start sind. 

tri2b.com: Fünf Deutsche waren 2016 in der Kona Top Ten. Es war der dritte deutsche Sieg in Serie. Die Dominanz erinnert an den ersten deutschen Dreifachsieg 1997 und auch an die deutsche Siegesserie von  2004-2006.  Damals erwarteten viele, dass auch in Zukunft Deutsch die Sprache auf dem Ironman Hawaii-Siegerpodest bleibt. Es kam dann allerdings doch etwas anders. Siehst du aktuell die Gefahr einer zu hohen Erwartungshaltung, sowohl der Fans als auch der Athleten selbst?
S.K.:  (überlegt kurz) Im Moment muss man sagen, dass das Alter der deutschen Spitzenathleten ganz gut gestaffelt ist. Der Jan, der aktuell die Rennen gewinnt, ist ein bisschen älter noch wie ich. Nach mir kommen aber auch noch ein paar jüngere Athleten. Man kann auch nicht erwarten, dass es immer so läuft. Ich glaube dies tut auch wirklich niemand. Niemand erwartet jetzt, dass wir über Jahre den deutschen Clean-Sweep auf dem Hawaii-Podium machen. Es wäre auch fast ein bisschen schade, finde ich. Wir sind in Deutschland aktuell schon sehr gut auf der Langdistanz aufgestellt, nicht nur was die absolute Spitze angeht. Da sind auch noch mehrere Athleten hinten dran. Es gibt da schon noch ein paar Optionen und da das Alter jetzt  auch einigermaßen gestaffelt ist, wird es jetzt keine Cliff geben, wo wir alle runterfallen und danach kommt nichts mehr. 

(aufgezeichnet von Michael Rauschendorfer)