Ironman Germany 2002: Die Leder Show

von Steffen Gerth für tri2b.com | 18.08.2002 um 21:49
Lothar Leders Erfolg bei der Premiere des Ironman Frankfurt ist ein Sieg auf Bestellung. Der Olympiabotschafter für Frankfurt war der richtige Mann am richtigen Ort...

Wenn möglich, macht Lothar Leder keine großen Umstände. Mögen sich andere der Kleidung entledigen, wenn sie einen Whirlpool besteigen, wählt er die schnelle Variante: einfach rein. Verschwitze Mütze, Klamotten, Schuhe – egal. Keiner der Umstehenden wollte da etwas dagegen sagen, dem Souverän gestattete man diesen Mangel an Hygiene. Da saß er dann in diesem blubbernden Wasser, kühlte seinen Körper, fand langsam zur Besinnung, um dann zu sagen: „Ja, ich denke, dass ich diesem Jahr in der Form meines Lebens bin.“ Wer wollte ihm da widersprechen? Sein Rennen beim neuen Ironman Germany in Frankfurt war eine Demonstration der Stärke, der Extraklasse. Als ob er nicht die Rennen von Malysia, Brasilien und Roth in den Beinen gehabt hätte, wo er Dritter, Zweiter und Erster geworden war. Als ob er nicht die diversen Kurzstrecken mitgenommen hätte wie vor zwei Wochen in Heidelberg, als ihm Normann Stadler auf dem Rad fünf Minuten abgenommen hatte. „Aber das war ein Bluff“, hat er gesagt. Die Konkurrenz wollte er verschaukeln, in Sicherheit wiegen.

Sibbersen zuerst – wie immer
Als Lothar Leder dann am Sonntag kurz nach 15 Uhr und nach 8:21,31 Stunden auf den Frankfurter Römerberg gelaufen kam, da schien sich eine ganze Stadt vor ihm zu verneigen. Die ohnehin immer hysterischer werdenden Streckensprecher schienen sich bald zu überschlagen, das Publikum klatschte und johlte. Mit Leder hatte die Premiere des Ironman Frankfurt den richtigen Sieger zur richtigen Zeit. Wenn man es nicht ganz so genau nimmt mit der Entfernung, dann war das ein schöner Heimsieg: Leder wohnt in Darmstadt, aber noch viel wichtiger ist, dass er als Olympiabotschafter Frankfurts die Bemühungen der Stadt unterstützt, den Zuschlag für die Spiele 2012 zu bekommen.

Wo ist Stadler?
Begonnen hat dieses Rennen so wie immer wenn Jan Sibbersen mitmacht. Der derzeit vielleicht weltbeste Schwimmer kam nach 44:54 Minuten aus dem 23 Grad warmen Waldsee in Langen, erst nach vier Minuten nahm Leder dessen Verfolgung auf. Dahinter Stadler, dann der überraschend stark schwimmende Jürgen Zäck. Der Dreikampf konnte beginnen. Etwas 80 Kilometer lang durfte sich Sibbersen als Erster auf dem Rad austoben, dann machten Leder und Zäck Ernst – schwupps hatten sie zweieinhalb Minuten Rückstand in drei Minuten Vorsprung umgewandelt. Alles klar – nur einer fehlte. Stadler. Stadler kam nicht mehr. Als Zäck und Leder gemeinsam führend zum zweiten Mal den Anstieg in Bergen-Enkheim hinauffuhren, „The Beast“ wurde dieser Buckel von den Organisatoren genannt, da reckten sich alle die Hälse: Stadler, wo ist Stadler? Irgendwann sickerten dann die Nachrichten durch, defekter Schnellspanner am vorderen Laufrad.

Wespenstiche und andere Pannen
Später folgte die Aufklärung von ihm: Auf dem Kopfsteinpflasterstück in Maintal-Hochstadt (bei Kilometer 121,5) habe sich der Schnellspanner gelöst, beim Zusammenschrauben sei eine Schraube abhanden gekommen, ein Zuschauer habe ihm dann mit Material ausgeholfen, das wiederum habe ein Kampfrichter gar nicht nett gefunden: Disqualifikation. Wieder mal kein Tag für den „Norminator“, wie er in Australien auch gerufen wird. Zwei Wespenstiche habe es ja auch noch gegeben – Stadler hat die Reihe seiner Pannen bei deutschen Großerereignissen um eine Episode erweitert. „Aber im Oktober, in Hawaii, da werde ich es allen zeigen.“

Ein „Hasenkasten“ für Zäcks Rad

Stadlers Pech ist auch das des Veranstalters. Kurt Denk hat den Pforzheimer für zwei Jahre an sich gebunden – Jahr eins war dann für einen der wenigen Stars im Frankfurter Männerfeld eher nichts. Als Stadler sein persönliches Desaster beschrieb, da grub sich in Leders Gesicht ein leichtes Lächeln ein. Materialpannen, Wespenstiche – so etwas hört er nicht so gerne. Sie haben in der Szene auch etwas Geschmäcklerisches, seit Jürgen Zäcks im Nachhinein groß aufgeblasenen Theaters um die angeblich von einem Unbekannten gelöste Sattelschraube beim Ironman Roth 2000, als ihm nach fünf Radkilometern der Sattel nach unten rutschte – und zur Aufgabe zwang. Sabotage, wurde damals geschrien – aber das sollte dem großen Blonden im Jahr 2002 nicht passieren. Sein Rad schloss Zäck über Nacht in einem wohl eigens angefertigen Holzkoffer ein, „Hasenkasten“ titulierte Lothar Leder diese Kiste. Da schwang ein bisschen Spott mit. Wie gut, dass man immer etwas hat, mit dem man den Erzfeind ärgern kann.

„Zäck ist lächerlich Rad gefahren
Und dieser Erzfeind bekam dann noch einen mit, „lächerlich“ sei Zäck Rad gefahren, sagt Leder, völlig unmotivierte Attacken habe dieser gefahren, „wie ein Radprofi bei Sprintwertungen“. Vielleicht haben diese Antritte dann den Altmeister ein bisschen müde gemacht, Leder machte gar keine großen Anstalten, auf dem Rad mehr zu tun als nötig. Zäck zeigte sich dann auch angetan, von der Radleistung des Darmstädters. Weit vor allen anderen und begleitet von einem gewaltigen Publikum rollte das Duo in die letzte Wechselzone nach rund viereinhalb Stunden Kräfte zehrender Fahrt durch die wellige Wetterau. Zäck zuerst. Schnell ging es danach. Leder leistete sich den Luxus und zog sich sogar noch Socken über – um nach einem rasanten Wechsel wie ein Mittelstreckenläufer zum Marathonlauf anzusetzen. Zäck sah schon auf den ersten Kilometern müde aus, bemerkenswert waren indes seine bunten Laufschuhe, gestaltet wie ein Leopardenfell. Zwei Minuten, drei, vier, fünf – im Ziel lag Leder dann 8:36,1 Minuten vor Zäck – das ist eine andere Liga.

Leder als Einziger unter drei Stunden
Mit 2:57 Stunden rannte Leder als einziger unter drei Stunden, Zäck klagte später, dass ihm die brütende Hitze am Mainufer zugesetzt habe, Eiswürfel hätte er gebraucht, zur Kühlung. Leder leistete sich sogar noch den Luxus einer Pause zum Wasser lassen, als er nach 15 Kilometern abermals ein breites Grinsen aufsetzte war klar, was nicht mehr zu vermeiden war: Leder hatte an diesem Sonntag keinen Gegner. Trotzdem darf man Zäck bescheinigen, ein großes Rennen geliefert zu haben. Sein Radsplit sei gut gewesen, meinte er, aber richtig glücklich wirkte er dann doch nicht. Nach einer Mineralinfusion kam er wieder auf die Beine, man hatte ihn zuvor ins medizinische Zelt tragen müssen.

Uwe Widmanns große Stunde
So wie auch Uwe Widmann, der die Gunst der Stunde für einen großen Augenblick in seiner Karriere nutzen konnte: Dritter in 8:51,15 Stunden – 3500 Dollar Preisgeld und für ein paar Minuten ein Star waren der Lohn. Vielleicht wäre der Abstand nach vorne etwas geringer ausgefallen, hätte der Schwabe keinen Plattfuß auf der Radstrecke gehabt (es ging dann das Gerücht herum, auf der Strecke hätten Saboteure Reißzwecken ausgelegt). Natürlich war das Männerrennen ein Langweiler, zu groß waren die Leistungsunterschiede, zu wenig Klasseleute im Feld. Der Wettkampf geriet dann eigentlich zu einer einzigen Leder-Show. Leer im Kopf sei er jetzt, gestand er am späten Abend. Dass er eigentlich nicht mehr in der Lage sein wird, in Hawaii ein gutes Rennen abzuliefern, weiß er auch. „Dort kann ich mir das ganze Jahr kaputt machen. Wahrscheinlich fahre ich erst gar nicht hin.“ Und hier konnte sich dann Jürgen Zäck ein Grinsen nicht verkneifen.