Eine weitere, zwar sehr seltene, aber dennoch nicht zu unterschätzende Ursache von belastungsabhängigen Muskelschmerzen ist die iliakale Endofibrose, welche das erste Mal im Jahre 1985 bei einem Tour-de-France Radrennfahrer beschrieben wurde. Das charakteristische an diesem Krankheitsbild sind Engstellen im Bereich der Beckenschlagadern (iliakal = im Becken befindlich). Die resultierenden Muskelschmerzen sind hierbei allerdings nicht auf Verletzungen des Gewebes zurückzuführen, sondern durch eine Minderversorgung der Muskulatur mit nährstoff- und sauerstoffhaltigem Blut. Diese Gewebeminderdurchblutung (sogenannte Ischämie) ist äußerst schmerzhaft und tritt bei der iliakalen Endofibrose typischerweise nur bei extremer Belastung auf. Unter Ruhebedingungen oder nach Beendigung der Belastung verschwinden die Schmerzen meist schlagartig, was damit zu erklären ist, dass die Engstellen im Bereich der Beckenschlagader nur gering- bis mittelgradig sind und die Durchblutung der Muskulatur im Ruhezustand völlig ausreichend ist.
Eine extreme Aeroposition kann die Entstehung der iliakalen Endofibrose begünstigen
Warum entstehen diese Engstellen?
Im Gegensatz zur Volkskrankheit Atherosklerose sind diese Engstellen nicht durch Verkalkungen und Fettablagerung verursacht. Die iliakale Endofibrose tritt nahezu ausschließlich bei ambitionierten Ausdauersportlern ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren (z.B. hohem Blutdruck, Übergewicht, erhöhten Blutfettwerte oder Nikotinabusus) auf.
Für die Entstehung der iliakalen Endofibrose werden andersartige Ursachen vermutet, insbesondere und hauptsächlich die mechanische Scherbelastung der Gefäßwand durch die sich ständig wiederholende Beugung und Streckung des Hüftgelenks in aerodynamischer Sitzposition. Man vermutet, dass durch den ständigen Druck auf das Gefäß kleinere Verletzungen entstehen können, die dann narbenartig ausheilen und zu einer Verdickung der Gefäßinnenschicht führen. Die Folge dieser narbigen Veränderungen sind Engstellen der Schlagader und die fehlende Möglichkeit, sich bei Belastung reaktiv weiterzustellen (zu dilatieren).
Die Vielzahl an den oben genannten wahrscheinlicheren Ursachen belastungsabhängiger Beinschmerzen wie Verletzungen der Muskulatur oder auch Stressfrakturen von Hüft- oder Oberschenkelknochen führen nicht selten zu einer jahrelangen „Ärzteodyssee“, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Zudem muss aus diesem Grund von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.
Wie kann die richtige Diagnose gestellt werden?
Das Wichtigste ist, dass an das Erkrankungsbild der iliakalen Endofibrose gedacht wird. Aus diesem Grund ist es notwendig, vermehrt Aufmerksamkeit auf dieses Erkrankungsbild zu lenken. Die Herausforderung für behandelnde Ärzte besteht darin, dass der Untersuchungsbefund unter Ruhebedingungen in aller Regel völlig unauffällig ist und dem Normalbefund entspricht. Bei Verdacht auf eine Durchblutungsstörung werden normalerweise zunächst die Pulse am Fuß getastet; diese sind selbst bei betroffenen Athleten unter Ruhebedingungen regelhaft kräftig tastbar. Zudem ist die Blutdruckmessung am Fuß ebenfalls im Normbereich.
Diese unauffälligen Untersuchungsbefunde schließen die iliakale Endofibrose allerdings nicht aus, denn erst nach maximaler Belastung des betroffenen Beines (z.B. auf dem Ergometer bis zur wattgesteuerten schmerzauslösenden Belastung) kommt es zu einem Abfall des Blutdruckes am Fuß.
Deshalb sollte sich unbedingt eine Blutdruckmessung am Fuß nach maximaler Belastung anschließen. Der Blutdruck am Fuß ist beim Gesunden gleich dem am Arm und liegt bei etwa 100-120mmHg. Der Quotient aus Blutdruck am Fuß (Zähler) und am Arm (Nenner) ist normalerweise 1 und wird Knöchel-Arm-Dopplerindex genannt. Ab einem Wert von 0,66 oder weniger ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer iliakalen Endofibrose sehr groß.
Um die Diagnose zu sichern, empfiehlt sich dann noch die Durchführung einer Kernspinangiographie, in der die Engstellen dargestellt werden können.
Welche Therapieoptionen gibt es?
Es gibt letztlich drei Therapiepfeiler: die konservative (Verzicht auf den Sport oder Reduktion der Trainingsintensität), die interventionelle (mit Kathetern) oder die operative Therapie (chirurgisch).
Ein konservativer Therapieversuch sollte jedem Athleten empfohlen werden. Insbesondere ist es wichtig, dass betroffene Sportler ausführlich über mögliche Komplikationen jeder operativen oder katheterbasierten Therapie aufgeklärt sind. Im Extremfall kann es zu einem Verlust der Extremität oder zu einem tödlichen Ausgang kommen.
Grafik 1: Engstelle in der äußeren Beckenschlagader (links); Beste Therapieform: Ausschälung (Endofibrosektomie) der Beckenschlagader
Bei der Kathetertherapie wird die Engstelle mit Ballons aufgedehnt und gegebenenfalls ein Metallgitter (sogenannter Stent) eingesetzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer erneuten Engstelle kommt oder der Stent durch die ständige Belastung bricht, ist allerdings sehr groß. Somit besteht das Risiko, dass die Problematik anschließend schlechter als vorher ist.
Die besten Langzeitergebnisse weist die operative Therapie auf. Hierbei wird das betroffene Gefäß ausgeschält (Endofibrosektomie) und entweder mit einem zwischengeschalteten Venenanteil (sogenanntes Interponat) ersetzt oder mit einem Venenstreifen (Patchplastik) übernäht.
Grafik 2: Zwischengeschalteter Venenanteil (Interponat/links); Venenstreifen (Patchplastik/rechts)
Die Autorin PD Dr. med. Susanne Regus hat in Erlangen Medizin studiert und arbeitete anschließend mit den Stationen Bamberg, Erlangen und Dresden in der Chirurgie, mit ihrem Spezialgebiet Gefäßchirurgie. 2017 habilitierte sie im Fach Chirurgie. Zu ihren wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen u.a. Ausdauersport assoziierte Gefäßerkrankungen.
Seit Anfang 2020 leitet sie die Sektion für Endovaskuläre Chirurgie und Traumatische Gefäßerkrankungen am Klinikum Ansbach. Ein Behandlungsschwerpunkt ist dort u.a. die iliakale Endofibrose. In ihrer Freizeit ist die Gefäßspezialistin auch selbst aktiv im Triathlon unterwegs.