Sam Long und das Rother Triathlon-Wohnzimmer der Germans

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 01.07.2022 um 22:38
Schaut man in die Ergebnislisten des Challenge Roth und in die des Vorgängerrennens, den Ironman Europe, dann sucht man bei den Männern vergeblich nach einem US-amerikanischen Sieger. Selbst die Triathlon-Ikone Mark Allen scheiterte 1994 als damals fünfmaliger Hawaii-Sieger am Bollwerk der Deutschen. Mit Sam Long ist am Sonntag wieder ein aussichtsreicher US-Boy am Start, der durchaus Chancen hat dies endlich zu ändern. Der 26-Jährige aus Boulder in Colorado, in der Szene durch seinen offensiven Yo Yo Yo-Slogan und sein meist auf Pink getrimmtes Outfit bekannt, ist spätestens seit seinem zweiten Platz bei der Ironman 70.3 WM 2021 eine der „Young Guns, der zuzutrauen ist, die arrivierten Athleten auch bald vom Langdistanzthron zu stoßen.

Denn obwohl Sam Long erst 26 Jahre alt ist, hat er schon reichlich Erfahrung auf der Ironman-Distanz gesammelt. Bereits 17-mal finishte er über die klassischen 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km Laufen, anfangs noch als Amateur. „Wenn wir jungen Athleten eine Langdistanz machen, dann sind wir nach zwei Wochen wieder belastbar, ältere Athleten gehen da schnell mal am Stock und können sich mit einem All-Out-Rennen die ganze Saison ruinieren,“ sagt Long.

Diesen Umstand könnte er sich am Sonntag im Fight gegen Jan Frodeno und Patrick Lange zu Nutze machen, wohlwissend dass beide auch in Richtung Hawaii schielen. Bis zum dortigen Schlagabtausch sind es nur noch gut drei Monate. Long selbst will den Triathlon-Mythos auf Big Island erst einmal hintenanstellen. 2015 war er dort bereits als Agegrouper dabei (Rang 226 in 9:50:30 Stunden). Jan Frodeno feierte damals den ersten seiner bisher drei Hawaii-Siege und war über eineinhalb Stunden schneller unterwegs. Diesmal soll nach Roth in Absprache mit Longs Coach Ryan Bolton der Fokus auf die Ende Oktober angesetzte Ironman 70.3 WM liegen, die wieder in St. George stattfindet.

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Ready for Roth: “Die Werte stimmen”

Deshalb will sich Long, der 2022 bereits beim Clash Miami und der Challenge Puerto Varas gewann, in Roth mit Frodeno und Co auf Augenhöhe messen. „Für Roth stimmen die Werte“, sagt einer, der sein Leistungsvermögen gerne auch beim KOM-Jagen überprüft. Sicherheit gab dabei auch der Testlauf bei der Challenge Kaiserwinkl-Walchsee am vergangenen Sonntag, wo Long Zweiter wurde und trotz einer Zeitstrafe (Überfahren der Abstiegslinie in T2) mit Laufbestzeit fast noch zum Sieger Frederic Funk auflief.

Allerdings blieb auch der US-Amerikaner in dieser Saison nicht von Rückschlägen verschont. Im direkten Vorfeld der Ironman WM in St. George wurde er Ende April von einem Auto angefahren. Schnell gab es Entwarnung. Long konnte starten, blieb aber als 15. hinter den Erwartungen vieler Experten zurück. Im Nachgang ließ die neue US-Langdistanzhoffnung dann doch in sich hineinblicken. Der Crash hatte neben den körperlichen Blessuren auch an der Psyche gezehrt.

Ein echtes Auswärtsspiel im deutschen Triathlon-Haus Roth

In Roth zeigt sich Long wieder locker wie eh und je. Ein Selfie mit einem Fan, der ihn auf der Straße erkannt hat – Yo Yo Yo - kein Problem. Ist das Miene zum bösen Spiel, weil er in Deutschlands Triathlon-Wohnzimmer als US-Amerikaner wenig zu melden hat, wenn es nach dem Gusto der Frodeno und Lange-Fans geht. „Es ist eine echte Herausforderung hier in ihrem Haus gegen die Germans anzutreten. Auf der Pressekonferenz habe ich vielleicht 15 Sekunden gesprochen und Patrick und Jan 15 Minuten. Das ist für mich kein Problem, aber es zeigt, dass Roth das Rennen der Germans ist.“ Vielmehr freut er sich jetzt richtig auf die Battle. Zusätzlicher Ansporn dürfte für ihn der Challenge Family World Bonus-Pool sein, wo er aktuell klar in Führung liegt.

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Jagen was das Zeug hält: „fast and furious“

Wobei die Battle wohl eher eine Jagd wird. Long, der erst im Alter von 18 Jahren richtig mit dem Triathlonsport begann und auch deshalb im Schwimmen nicht mit den Besten mithalten kann, ist das Hinterherjagen gewohnt. Früher wäre Long auch von dem zu erwartenden Wetsuit-Verbot im Main-Donau-Kanal für die Pros wenig begeistert gewesen. Mittlerweile sieht er es gelassener, da er zuletzt viel an der Wasserlage und dem Wassergefühl gearbeitet hat. „2 oder 3 Minuten Rückstand sind nichts“, sagt der 1,93 m Hüne, der knapp 80 kg auf die Waage bringt. Diese Körpermaße haben ihm auch den Spitznamen „Big Unit“ eingebracht. „Fast und furious“ wird es dann wohl auf den ersten 50 Kilometern der Radstrecke zur Sache gehen. Long, der als exzellenter Radfahrer gilt, hat nach der Streckenbesichtigung aber durchaus etwas Respekt.

Long ist sich bewusst, dass Langdistanz-Rennen im Marathon gewonnen werden. So wie vor einem Jahr beim Ironman Coeur d´Alene, als er zusammen mit Lionel Sanders vom Rad stieg. Während der Kanadier regelrecht „hochging“ ließ er bei brütender Hitze einen 2:51er Marathon folgen und holte sich überlegen den Sieg mit neuem Streckenrekord. „Ich habe viel an meiner Laufperformance gearbeitet,“ sagt der Modellathlet aus Colorado, der eine Langdistanz-Bestzeit von 7:55:33 Stunden (Ironman Florida 2020) vorweisen kann.Aber es ist in jedem Rennen von neuem eine Entscheidung, ob du mehr beim Radfahren investiert oder dir doch etwas fürs Laufen aufhebst. Das ist immer eine Gratwanderung hier die optimale Balance zu finden.“

Deshalb will er sich am Sonntag vor allem auch auf sich selbst konzentrieren. „In der Vergangenheit habe ich teilweise zu viel auf die anderen geschaut“. Wenn er auf seine bisherigen Rennen auf der Langdistanz zurückblickt, dann habe er wohl noch nie das volle Potential abrufen können, erzählt Long „Es ist noch Luft nach oben“.

Nach Roth geht´s in den Windkanal

Deshalb wird Sam Long seinen Europa-Trip im Anschluss an Roth auch mit einem Windkanalbesuch in Immenstaad am Bodensee fortsetzen. Seit dem Jahresbeginn ist DT Swiss sein Laufradausrüster. Gemeinsam mit den Schweizern soll dann das bestmögliche Material- und Positionssetup gefunden werden. Mit seinem Gardemaß von 1,93 m hat Long viel Power (Durchschnittsleistung im Ironman bei 304 Watt) in den Beinen, aber eben auch nicht die windschnittigsten Körpermaße.

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Die Hintertür für Kona ist noch offen

Für den Race-Day in Roth spielt das keine Rolle mehr, hier steht das Setup. Aber wer weiß, ein kleines Hintertürchen für den Start auf Hawaii lässt sich Long doch noch offen, der sich bei der WM in St. George als 15. den letzten der 8 vergebenen Slots gesichert hatte. In den Mumuku-Winden von Big Island könnte am Ende jedes eingesparte Watt beim Marathon-Fight zwischen Alii Drive und Energy Lab den Ausschlag geben. In Kona warten die US-Amerikaner seit nunmehr 20 Jahren auf einen Erfolg. „Wahrscheinlich ist es sogar leichter als US-Amerikaner auf Hawaii zu gewinnen als in Roth“, sagt Sam Long und verabschiedet sich lächelnd mit einem Yo Yo Yo.