Der Inferno-Triathlon oder die erste große Liebe

von Sven Weidner für tri2b.com | 23.08.2017 um 11:59
Vorab ist es vielleicht gut zu wissen, dass ich schon 10 oder 15 Versuche gestartet habe, um diesen Bericht für euch zu schreiben. Das zeigt schon einmal wie schwer es ist, dieses Erlebnis in Worte zu packen. Aber versuchen wir es ... Gerade in diesem Moment denke ich, dass man den Inferno am besten mit der ersten oder vielleicht auch einzigen großen Liebe vergleichen kann.

Du als Leser hast wahrscheinlich schon den einen oder anderen Triathlon gemacht und denkst, du hast dein Lieblingsrennen.  So ging es mir mit Klagenfurt ganz sicher auch. Aber dann ist es so wie im wahren Leben. Du triffst/siehst die eine, ohne es darauf angelegt zu haben und denkst dir so: Woooooooooooow, die muss ich haben und lasse sie nie wieder gehen...

Genauso verhält es sich mit dem Inferno. Du kommst am Thuner See, vor diesem grandiosen Alpenpanorama an, und die Kinnlade knallt dir bei diesem Anblick das erste Mal auf den Boden: 

Wechselzone 1 in Oberhofen am Thuner See

Da stört es mich ausnahmsweise auch gar nicht, dass ich tatsächlich zwischen 2 und 3 Stunden für das Packen der Wechselbeutel gebraucht habe. Brauche ich die dicke Regenjacke auf dem Rad? Was ziehe ich an, falls es Schnee auf dem Schilthorn gibt? Wieso muss das Wetter in den Alpen auch so wechselhaft sein? Alles Fragen die mich den gesamten Freitagmittag beschäftigt haben. 

Doch das ist nur die Ouvertüre, denn kaum hat man den Wechselbeutel in der T1 in Oberhofen (oberes Bild) abgegeben. Fährt man nach Grindelwald in die zweite Wechselzone. Den Bergsteigern unter euch wird jetzt klar sein, was unweigerlich folgt:

Der Eiger thront über Grindelwald

 

Der Eiger mit seiner legendären Nordwand...Spätestens jetzt ist bei jedem Norddeutschen die Kinnlade das zweite Mal runter geklappt. Zum Glück sind im Wettkampf alle elektronischen Geräte verboten. Bei dem ganzen Staunen und Fotos machen, wäre es dann wirklich ganz schön knapp bis 17 Uhr in der dritten Wechselzone anzukommen J.  Doch schon auf dem Weg dorthin gab es das nächste Highlight. Denn das Lauterbrunnental ist das Mekka der Skydiver. Das sind die Verrückten, die in ihren Eichhörnchen-Anzügen von Klippen springen (und da sag noch einmal jemand Triathleten seien verrückt, wenn sie eine Langdistanz machen). Nach einer Panorama-Seilbahnfahrt folgte zum Abschluss eines aufregenden Tages die Wettkampfbesprechung in Mürren.

 

Im Autopiloten über den Thuner See

 

Jetzt habe ich schon ewig viel geschwafelt und noch nichts ist triathlonmäßig passiert...Also kommen wir zum Samstag, dem eigentlichen Grund dieses Berichts. Morgens um halb 5 Uhr klingelt der Wecker...Raceday, jetzt gilt es. Endlich ist dieses Kribbeln vor dem Start da. Wie sehr habe ich das vermisst! Nach einem schnellem Frühstück ging es auf zum Strandbad nach Thun. Hier hieß es dann Neo an, Bekleidungsbeutel für das Ziel abgeben und dann ab in den Startbereich. Dieser ist so geräumig eingerichtet, dass man seine Arme auch nochmals kreisen lassen kann, ohne gleich eine Handvoll Konkurrenten ins Krankenhaus zu schicken. Dann hieß es noch 3 Minuten bis zum Start. Mein Zeichen in den See zu gehen. Die 19 Grad haben sich dabei durchaus wärmer als das durchschnittliche Bielefelder Freibad angefühlt. Zu meinem Glück war der Wasserstand in diesem Jahr relativ tief, sodass ich als Schwimmer mit Eigenschaften von Taucherblei noch ca. 300 m neben meinen Mitstreitern nebenher waten konnte ohne Zeit zu verlieren. Aber auch für mich hieß es irgendwann gezwungenermaßen Kopf runter und kraulend vorwärts. Nach dem Öffnen der Augen dann die große Frage: Bin ich wirklich unter Wasser? Trotz der Morgendämmerung war die Sicht durch meine Zoggs Predator Flex im See so gut, dass man alles im Umkreis von mehreren Metern sehen konnte. Also musste man sich nur ein paar hübsche Beine suchen und konnte entspannt den Autopiloten anwerfen. Auf diese Weise hätte ich auch kein Problem gehabt, die 3,8 km für eine Langdistanz auch noch voll zu machen. Hätte ich im typischen Gedränge an der ersten Boje nicht meine favorisierten Beine verloren, wäre ich vielleicht auch noch etwas schneller aus dem See gekommen. Aber ganz im Ernst, mit meinem diesjährigen Schwimmtraining möchte ich mich nicht weiter beschweren J

 

 

Die Kleiderfrage vor dem Radstart?

 

Angekommen in T1 hieß es dann: Was ziehe ich jetzt an? Wechselbeutel ausgekippt (oder den halben Kleiderschrank), Blick in den Himmel gerichtet, Blick auf den Wäscheberg...Okay vertrauen wir auf Harald. Das Wetter sieht gut aus. Also das zu unserem 2XU-Anzug passende Bioracer Radtrikot über den Anzug, die Windjacke und ein paar Xenofit Ananas-Karotte-Riegel rein und auf ging das Abenteuer. Hier kam dann leider gleich das böse erwachen...Ich bin als einer von vielleicht 5-10 Athleten mit dem Triathlonrad angereist und leider ist die Organisation beim Inferno so gut, dass auch das Höhenprofil der Strecken passt. Bei manchen Triathlons hat das Profil mehr mit einem van Gogh oder Kandinsky gemein als mit der Wirklichkeit. Beim Inferno konnte ich ganze 500 m in Aeroposition fahren, bis ich links in die erste Rampe abbiegen musste. Ab jetzt kam das typische auf und ab einer Beziehung. Grandiose Aussicht gefolgt von nasser Abfahrt, darauf kamen wirklich faire und tolle Zuschauer an der Strecke wiederum gefolgt von der Feststellung, dass die Kletterei weitergeht. Nach 28 km auf dem Rad begann dann der flache Abschnitt der Radstrecke von Interlaken entlang des Brienzer Sees bis nach Meiringen. Hier konnte ich dann die Vorteile des Triathlonrades voll ausspielen und wie ein Staubsauger Minigruppe um Minigruppe aufsaugen. Auf der wirklich sehr gut asphaltierten Straße entlang des Brienzersees war aufgrund des Panoramas wieder jegliche Anstrengung vergessen, sodass der Anstieg zur Großen Scheidegg überraschend schnell gekommen war.

 

Im Sauerstoffzelt an der Großen Scheidegg

 

Ab hier war dann Tour-Feeling angesagt. Spätestens ab diesem Punkt ist für die meisten Athleten nicht mehr der Kampf gegen die Uhr oder die Konkurrenten angesagt, sondern viel mehr gegen sich selbst. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt jemanden gesehen habe, der nicht auf dem kleinen Blatt und dem kleinsten Ritzel unterwegs war. Nach geschätzt 14-15 km war es dann soweit. Es kam die von Harald angekündigte 18 % Rampe hinter der Schwarzwaldalp,  mit nicht gerade dem am besten rollenden Asphalt. Hier mussten dann die ersten Athleten die Segel streichen und den Berg kurzzeitig per Pedes weiter erstürmen. Für mich war es Augen zu und durch. Trotz mächtig brennender Oberschenkel und dem tiefen Verlangen nach einem Sauerstoffzelt,  konnte ich den Abschnitt einigermaßen schnell hinter mich bringen. Die restlichen Kilometer Richtung Passhöhe verliefen danach relativ entspannt auch wenn es leicht zu regnen begonnen hatte. Oben auf der Passhöhe der Großen Scheidegg habe ich dann kurz gestoppt und die Regenjacke übergezogen und mich nochmal ordentlich verpflegt. Dann ging es in die waghalsige Abfahrt in Richtung Grindelwald. Glücklicherweise war die Straße fast komplett trocken. Allerdings war ich im Feld wohl eher Polo statt Porsche. Schon verrückt wie sich manche Triathleten in der Abfahrt den Berg runter stürzen. Gut mit Rennrad hätte ich wohl auch mehr in den Abfahrten riskiert, aber auch so hätte ich wohl 5 Minuten auf die Leute um mich herum verloren. Da gibt es definitiv noch Nachholbedarf bei mir. Auf dem Weg runter habe ich dann den nicht sonderlich glücklich aussehenden Michi Göhner gesehen, aber zum Glück sah er mehr nach Defekt als nach Sturz aus. In Grindelwald war dann erstmal Dixistop und Brillenwechsel angesagt. Letzteres stellte sich später als großer Fehler heraus.

 

Die Ausfahrt aus T2 erfolgte noch bestens gelaunt, aber kaum 1 km aus der Wechselzone haben sich die Beine im steilen Anstieg zur Kleinen Scheidegg angefühlt,  als ob jemand den Stecker gezogen hätte und zusätzlich noch einen Anhänger mit 50 kg Zusatzgewicht an mein MTB gebunden hätte. Zum Glück kam dann mit Thomas mein tri2b.com A|N-Teamkollege von hinten aufgerollt und wir haben uns ganz gut unterhalten auf dem Weg nach oben, sodass man von den Schmerzen ganz gut abgelenkt war. Leider ist mir währenddessen meine Brille in zwei Teile gebrochen als ich sie in den Helm stecken wollte. Ganz großes Kino...darüber hinaus musste ich im oberen Teil Thomas ziehen lassen. Da bin ich wohl mal ganz klassisch gegen die metaphorische Wand gefahren. Und da war ich dann wieder alleine am kämpfen mit mir selbst. Aber gut man konnte die Bergstation an der Kleinen Scheidegg schon beinahe greifen und die Strecke wurde im Vergleich zu den Vorjahren so geändert, dass man das letzte Stück deutlich angenehmer fahren konnte.

 

Abgeworfen auf dem MTB-Downhill

 

Oben angekommen war dann wieder das gleiche Spiel wie auf der Großen Scheidegg angesagt. Jacke an, Riegel in den Mund und auf ging es in die Abfahrt in Richtung Stechelberg. Diese war die wohl mit Abstand größte Charakterprobe in meiner gesamten sportlichen Karriere. Die ersten ca. 50% der Abfahrt sind quasi auf einer Waldautobahn und somit konnte ich zumindest so halbwegs schnell runterfahren. Beflügelt von den ersten Athleten, die sogar ich auf dem MTB überholen konnte, wurde ich dann leider etwas übermütig. So kam dann der technisch schon anspruchsvollere Wurzelabschnitt, den ich leider erst wirklich wahrgenommen habe, als ich mittendrin schon auf dem Weg über meinen Lenker war. Im „Schiffe versenken“ hieße es jetzt wohl: Treffer, Schlachtschiff versenkt...So hart bin ich glaube ich selten zu Boden gegangen. Als ich dann wieder auf den Beinen am Seitenrand stand, wurde erstmal geguckt, ob wirklich noch alles dran war. Glücklicherweise nichts gebrochen aber die Schmerzen aus der Hölle im rechten Oberschenkel...In dem Moment gehen einem dann so einige Sachen durch den Kopf wie:

Hätte ich mal vorher nicht so eine große Klappe gehabt und gesagt, dass ich auf das Schilthorn laufe auch wenn ich mir den Arm oder das Schlüsselbein breche. Dann natürlich noch das Versprechen an Harald, dass ich das Ding hier durchziehe. Schließlich gibt es auch noch das Supportteam...Sollen die jetzt 800  km mitgereist sein, damit ich hier jetzt wie eine Memme am Berg sitzen bleibe und rumheule? 

Letztlich habe ich mir dann gedacht, dass ich ja sowieso irgendwie von hier weg muss. Also wieder rauf auf das MTB. Wie es dann so ist, wenn man verängstigt abfährt, geht man natürlich noch ein zweites Mal unfreiwillig vom Rad...Toll Tapete ab am linken Knie und rechten Unterarm plus höllische Schmerzen im rechten Oberschenkel. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Bei jedem Sanitäter den ich schiebend oder extrem langsam rollend passiert habe, wollte ich eigentlich stehen bleiben und das Handtuch werfen. An dieser Stelle wieder Lob an die Organisation! Ich habe auf 5 km MTB-Abfahrt mehr Sanitäter und Hilfskräfte gesehen als in den letzten  5 Jahren Triathlon zusammen. Aber naja weiter ging es und irgendwie habe ich Lauterbrunnen (lebend) erreicht. Ich glaube viel langsamer konnte man diesen Streckenabschnitt nicht zurücklegen. Nach all dem habe ich gefühlt ewig im Wechselzelt gesessen und mir überlegt, ob ich noch die Laufschuhe anziehe.

 

Weitermachen oder aufgeben?  Weitermachen ... 

 

 

Ich weiß nicht wie und warum die Schuhe letztlich an meinen Füßen gelandet sind, aber wenn man schon einmal drinnen ist kann man ja zumindest mal versuchen bis Mürren zu laufen. Die ersten 4,5 km waren dann eine völlige Katastrophe. Jetzt mag sich der erfahrene Inferno-Teilnehmer denken: Ist der Junge vielleicht doch auch ziemlich hart auf dem Kopf gelandet? Aber ich wollte definitiv deutlich schneller Anlaufen als 4:20 min/km. Aber irgendwie wollte dieses verfluchte rechte Bein nicht so wie ich wollte. In der Ebene tat es weh, bei Gefälle wollte ich lieber heulen als laufen aber wenigstens ging es so halbwegs schmerzfrei bergauf. Zu meinem Glück konnte ich die ersten Kilometer einige Teilnehmer wieder einsammeln, sodass auch mal wieder das eine oder andere positive Gefühl aufgekommen ist. Das mit dem Gefühl des Sonnenscheins auf der Haut hat mich dann auch im Handumdrehen bis nach Mürren getragen. Diesen Ort könnte man getrost auch das kleine Roth nennen. Maurice Clavel wäre erstaunt, dass auch im Vergleich zu Roth so wenig Leute auch in der Lage sind das Schilthorn zum Beben zu bringen. Irgendwie überwältigt von der Stimmung habe ich mich dann erwischt, wie meine Hände über meinem Kopf dem Publikum dankbar zurück applaudiert hat. Das war wirklich Gänsehaut pur. Leider wurde mir nach dem Kleidungswechsel am Ortsausgang bewusst, dass zwar schon Zweidrittel der Laufstrecke geschafft waren, aber jetzt der eigentlich harte Teil noch bevorstand. Gut  8 Kilometer Reststrecke, knapp 1.300 Höhenmeter, etwa 9:30 Stunden Rennzeit vorüber und nochmal ca. 1:40 Stunden Laufzeit vor mir.

 Thomas nimmt die Laufstrecke in Angriff

 

Die letzten Meter - gefühlt auf den Mount Everest

 

Diese letzten 8 km sind wahrscheinlich schon genug um 90 % aller Menschen zur Verzweiflung zu treiben. Aber nach der Vorbelastung/-geschichte werde ich wohl noch in 10 Jahren nachts schweißgebadet aufwachen, wenn ich von diesem Schlussaufstieg träume. Während ich das erste Mal angefangen habe zu hiken, musste ich beim Blick den Hang hinauf wieder an Maurice Clavel denken. Er hat nach seinem Rennen in Roth gesagt: „Ich meine wenn du stehst...einfach ja...Geschwindigkeit gleich null, ist immer schlecht...“. Mit einem Schmunzeln habe ich festgestellt, dass dieser Satz nur solange gilt, wie nicht alle Leute im Rennen Geschwindigkeit gleich null haben :D. Es ist extrem spannend, wenn man in einem Art Schneckenrennen wie in Zeitlupe an anderen Leuten vorbei zieht. Das hätte ich nur zu gerne auf Video gesehen. Das wirklich gemeine am Inferno ist aber, dass Kilometer 16 bis 24 wirklich hart sind. Der letzte Kilometer ist aber wirklich frustrierend. Gefühlt bin ich 800 m auf allen Vieren gekrabbelt und habe noch einmal den Mount Everest in diesem kurzen Abschnitt besteigen müssen. In der Vorbereitung bin ich einmal knapp 4 Stunden dieselbe Treppe nur hoch und runter gelaufen. Aber diese 1000 m waren mental so hart wie 40 Stunden Treppenlauf sein müssen.

 

Im Ziel angekommen bleibt folgendes festzuhalten:

 

 

  • Ich war noch nie so stolz auf eine Leistung von mir
  • Inferno-Triathlon ist eine einmalige Mischung aus traumhaften Panorama, tollen Zuschauern und einer fantastischen Organisation
  • Vielen Dank an Harald, Mathias und Thomas, dass sie das Team auf die Beine gestellt haben
  • Ebenfalls vielen Dank an die Teampartner, die einem das Leben deutlich einfacher gemacht haben
  • Danke an die Familie und Freunde, die die Launen nach einem stressigen Trainingstag aushalten müssen und trotzdem mitreisen und tatkräftig supporten

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Inferno - irgendwann sehen wir uns wieder, denn ich habe mich verliebt ;)