Der Weg zum Ironman Weltmeister: So machte Triathlon-Coach Roy Hinnen seinen Athleten Christian Störzer für Kona fit

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 12.12.2022 um 14:54
Nach 8:31:25 Stunden war Christian Störzer beim Ironman Hawaii 2022 im Ziel am Alii Drive. Der 41-Jährige gewann damit die Agegroup 40-44 und war auch der schnellste Overall-Agegrouper. Bereits im Mai 2022 holte sich der gebürtige Franke in St. George bei der verlegten Ironman-WM den Titel in der AK 40 und zum Overall-Agegroup-Sieg fehlten dort nur wenige Sekunden. Auf dem Weg zu den beiden Ironman WM-Titeln wurde Störzer über drei Jahre von Roy Hinnen gecoacht. Im Gespräch wollten wir vom Schweizer Erfolgscoach erfahren, wie man einen Athleten zum Ironman-Weltmeister formt, und Christian Störzer blickt aus seiner Sicht auf das Projekt „Ironman Agegroup WM-Sieg“ zurück.

Roy Hinnen erinnert sich an die Anfänge der Zusammenarbeit. „Christian ist als Pilot von seinem Mindset sehr technisch ausgerichtet. Für alles gibt es im Cockpit einen Hebel oder Knopf, an dem man ziehen oder auf den man drücken kann, wenn Situation A, B oder C eintritt. Meine Philosophie ist aber eine andere. Bei mir gibt es zum Beispiel keinen fixen Jahresplan, der exakt in fein aufgeteilte Grundlagen- und Build-Phasen unterteilt ist. Bei mir steht von Anfang an der Raceday am Tag X im Fokus – und so wird auch trainiert.“

 

Vom ersten Trainingsplan schockiert

 

Es wurde dann mit Plänen gearbeitet, die im 6 bis 8 Wochen-Abstand weiterentwickelt wurden. In diesen Blöcken stand dann immer das exakt gleiche Programm auf dem Plan, solange bis Christian mit den Trainingsaufgaben „gesättigt“ war. „Auf diese Art der Planung musste sich Christian erst einlassen.“ Auch darauf, dass er die Pläne altmodisch per Excel-File bekam und nicht in einer der vielen verfügbaren technisch ausgerichteten Trainings-Apps. Christian Störzer kann sich an die erste Annäherung ebenfalls noch gut erinnern: „Zunächst war ich von meinem ersten Plan tatsächlich schockiert, da ich erst verstehen musste, dass der Plan erst am Ende dieses Trainingsblockes vollständig erfüllt werden musste. Roy hatte sich aber sehr viel Zeit genommen, um mit mir darüber zu sprechen, so dass ich sein Konzept nach und nach verstanden habe.“

Der Schlüsselmoment: 7:56 in Podersdorf

Circa ein Dreivierteljahr, mit einigen Sinnkrisen, dauerte es, bis Athlet und Coach sich hier richtig angenähert hatten. Erschwerend kam hinzu, dass durch die Corona-Pandemie eine Formüberprüfung unter echten Wettkampfbedingungen lange Zeit nicht möglich war. Somit fehlte der Schlüsselmoment, ab dem klar war, dass der eingeschlagene Weg für Christian der richtige ist. „Man merkt natürlich als erfahrener Athlet, wenn man leistungsfähiger wird und Fortschritte macht. Zu einer solchen Entwicklung gehören immer auch etwas Zweifel, allerdings ist am Ende das Vertrauen unabdingbar für den gemeinsamen Erfolg. Erst die Langdistanz beim Austria Triathlon 2020 in Podersdorf mit der 7:56er Endzeit zeigte mir, dass wir auf dem richtigen Weg waren.“

Nicht immer gibt es hier ein Happy End zwischen Athlet und Trainer. Manche Zusammenarbeiten scheiterten auch in dieser Phase, gibt der Schweizer, der seit 20 Jahren als Triathlon-Coach tätig ist, unumwunden zu. Die Motivation für diese Art des Trainings und der Veränderung muss vom Athleten kommen, erklärt Roy. „Ich bin kein Coach der motiviert, sondern inspiriert.“

 

Wieviel trainiert ein Ironman Weltmeister?

 

An der Umfangschraube wurde nicht wirklich gedreht, da es an sich schon eine riesengroße Herausforderung war, das Training mit dem Job als Flugkapitän zu verbinden. „Im Schnitt kam Christian auf 16 Stunden Training in der Woche, im gesamten Trainingsjahr auf ca. 770 Stunden.“ Ein Pensum, das er auch schon davor in etwa absolvierte. Um die 1000 Stunden Training im Jahr stellt die Obergrenze im Profibereich dar, die vom Körper sinnvoll verarbeitet werden kann.

„Es ist einfach sehr wichtig, dass alle Räder ineinandergreifen. Die Trainingsplanung generell, die Abstimmung mit dem Trainer und natürlich die Familie, die mich dabei unterstützte und Verständnis zeigte, wenn ich wieder einmal stundenlang auf dem Rad saß. Die Koordination mit den Flug-Dienstzeiten, Schichtdienst und auch unregelmäßiger Schlaf machten die Trainingsplanung nicht leichter. Roy und ich haben hier einen perfekten Weg gefunden, wie ich seinen vorgegeben Trainingsinhalt in meinen Alltag integrieren konnte,“ erinnert sich der Ironman Agegroup-Weltmeister zurück.

Das Traumziel erreicht: Christian Störzer wird Ironman Agegroup-Weltmeister am Alii Drive - © Christian Störzer

 

Triathlon ist ein ständiges Gewinn- und Verlust-Spiel


Entscheidender für den Erfolg ist vielmehr immer wieder neue Akzente im Training zu setzen. Akzente setzen heißt aber auch bewusst in bestimmten Trainingsphasen eine der Triathlon-Disziplinen zu vernachlässigen. „Triathlon ist ein ständiges Gewinn- und Verlust-Spiel. Ein Großteil der Triathleten versteht das aber nicht, sie wollen immer alles trainieren. Das funktioniert aber nicht,“ erklärt Roy. So sah Christians Trainingsplan in Wochen mit hohen Radumfängen im Laufen nur kurze All-Out Koppelläufe über 1,5 km vor. In Wochen mit Lauffokus wurden dafür z.B. an einem Tag 3x 10 km gelaufen, mit 1-3 Stunden Pause dazwischen.

Außerdem kommt es auf die Qualität der Umsetzung an. „Da ich in meinem Job in Blöcken arbeite, haben wir die stets sehr wichtigen und insbesondere sehr umfangreichen Einheiten auf meine freien Tage gelegt. Der Rest wurde dann entweder vor einer Spätschicht oder nach einem Frühdienst absolviert. So kam es schon regelmäßig vor, dass der Wecker um 3:30 Uhr klingelte und ich nach einem Kanaren Flug dann am frühen Abend noch das Training durchgezogen habe.“

 

Warum brechen so viele auf der Langdistanz ein?


Christian lief auf Hawaii nach einem sehr starken Radfahren noch einen Sub-3 Marathon. Ein starker Radsplit, egal auf welchem Leistungsniveau, gelingt sehr vielen Athletinnen und Athleten. Im Laufen bleiben viele dann sehr deutlich unter ihren Möglichkeiten. Wo liegen die Ursachen?
Roy hat eine Erklärung dafür: „Viele Athletinnen und Athleten wollen in der finalen Vorbereitung einfach noch mehr. Die Form kommt und es läuft. Jetzt rauszunehmen und mal eine Woche fast nix zu tun und nur ohne Druck auf dem Pedal durch die Gegend zu rollen fällt vielen sehr schwer. Sie sind einfach gierig nach der täglichen Bestätigung“ – oft in Form von Kudos und Likes der Follower und Fans für neue Trainingsbestzeiten. „Der Körper wird so aber Schritt für Schritt ausgebeutet. Die Athleten sind dann leer und schlicht übertrainiert, wenn der Raceday kommt.“ Ein prominentes Beispiel in der Profiszene ist hier der Kanadier Lionel Sanders.


© Rico Schneller Photografie

Das ist Roy Hinnen:

Der Schweizer (Jahrgang 1966) gehört zu den Triathleten der ersten Stunde. Bereits 1984 war er beim Zürich Triathlon dabei. Anschließend zog er in die USA und trainierte dort u.a. mit Dave Scott und Mark Allen. Seine persönliche Langdistanz-Bestzeit liegt bei 8:35 Stunden (Roth 1991).

Nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn gründete er die tridome GmbH, über die er seine eigene Neoprenmarke und TriBikes verkaufte, sowie die FlussPool GmbH, die den ersten Schwimmkanals der Schweiz betreibt. Seit dem Jahr 2002 coacht er Athletinnen und Athleten aller Leistungsklassen und gibt sein Wissen auch in seinen Büchern ( TRIATHLON TOTAL: Dein Weg zur neuen Bestzeit sowie 100 % Triathlon  weiter.
 
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Durch diese Art des Trainings wird zu oft ins Laktat gegangen, mit dem Ergebnis, dass die Energiebereitstellung im rein aeroben Bereich nicht optimal angepasst ist. Roy fügt zudem an, dass zu oft nur die ersten fünf, sechs Stunden einer Langdistanz trainiert werden. Die finalen 2-3 Stunden aber so gut wie nie. Klassischerweise werden die langen Ausdauereinheiten mit vollen Speichern durchgeführt. Er empfiehlt deshalb bewusst auch einmal eine Mangelsituation zu schaffen. „Bereits Low Carb am Abend davor und nichts zum Frühstück.“ So wird energetisch die entscheidende Phase einer Langdistanz vom Start weg trainiert. Wichtig: Selbstverständlich gehört Zucker in die Trikottasche, um sich nicht total in den Hungerast zu fahren und um auch noch heimzukommen. „Außerdem ist für solche Einheiten eine bereits gut ausgebildete Grundlage erforderlich“, gibt Roy zu bedenken.

Spezielle Trainingsbeispiele im Plan von Christian Störzer

Hitzeanpassung beim Radfahren: 10 mal 5 min bei Sommerhitze mit Regenjacke, anschließend direkt 15 min in die richtig heiße Badewanne legen, gefolgt von einem Nachmittagsschlaf zur totalen Entspannung.

Sweetspot Training beim Laufen: 800 m mit 20 bis 30 Sekunden Pause, 20 bis 30 Wiederholungen

Training der maximalen Energieaufnahme: Radtraining über 4 bis 5 Stunden mit jeweils 100 g Kohlenhydraten pro Stunde

 

Richtige Regeneration kommt aus dem Geist

 

Einer der Hauptunterschiede zwischen Triathlon als Profi und Amateur ist die verfügbare Zeit für regenerative Maßnahmen. Die vielen angepriesen Regenerationshilfen sieht Roy dabei durchaus kritisch. „Triathleten müssen immer etwas tun, auch 20 min über die BlackRoll zu rollen ist ebenfalls Aktion. Die richtige Regeneration kommt aber aus dem Geist und der wirklichen Ruhe.“

Viele Triathletinnen und Triathleten verlieren in der Vorbereitung schnell die Zuversicht, wenn sie durch Krankheiten und Verletzungen zurückgeworfen werden und das eigentlich geplante Training nicht absolviert werden kann. Wir wollen von Roy noch wissen, ob denn im Training bei Christians Ironman-Vorbereitung alles glatt ging? „Verletzungen und Rückschläge gehören einfach dazu, dass lässt sich nie ganz vermeiden. Das war auch bei Christian so“, erinnert sich Roy an die schwierigen Phasen zurück. „Aber ein echtes Topresultat braucht immer auch ein Tal, das zuvor durchschritten werden muss.“

 

Voll und ganz auf den eignen Weg vertrauen

 

Mit dem WM-Titel am Alii Drive endete auch die dreijährige Zusammenarbeit der beiden, aus der Christian viel mitgenommen hat. „Ich bin auf Roy aufmerksam geworden, weil er aus meiner Sicht nicht nur die reine Trainingswissenschaft sieht, sondern mich damals schon sein vielschichtiger Ansatz beeindruckt hat. Nach unserem ersten Kennenlernen merkte ich gleich, dass die Chemie stimmte. Roy hat es geschafft mir klarzumachen, dass Zweifel am eingeschlagenen Weg, egal wie dieser aussieht, dich hindern deine Leistungsfähigkeit voll zu entfalten. Er hat mir gelernt nicht auf das zu hören was andere sagen oder zu schauen wie andere trainieren, sondern auf den eigenen Weg zu vertrauen. Und er hat mir vermittelt, dass es im Leben nicht immer einen Plan A, B, C usw. gibt, wie in meinem Cockpit. Roy hat mich definitiv nicht nur sportlich weiterentwickelt, sondern ich habe auch so wirklich viel mitgenommen. Ich möchte hier auch nochmals betonen, was für ein ehrlicher Mensch er ist.“

 

Einmal als Profi starten: Für 2023 wird Christian Störzer eine Profilizenz lösen - © Christian Störzer

 

Und wie geht´s bei Christian Störzer weiter?

 

Direkt nach dem Ironman Hawaii blieb die Frage nach Christians Triathlon-Zukunft noch offen. Als Agegrouper hat er alles erreicht, so dass die Frage nach einem späten Wechsel ins Profilager im Raum stand. Kurz vor dem Jahreswechsel steht der Plan für 2023: „Nach intensiver Rücksprache mit meiner Frau werde ich mich 2023 noch als Profi versuchen,“ verrät der 41-jährige  Ironman Agegroup-Doppelweltmeister.