Tapering im Triathlon: Die Kunst der richtigen Dosis

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 13.06.2015 um 00:00
Die Kunst des Triathlontrainings besteht darin, das richtige Verhältnis von Be- und Entlastung in drei Disziplinen zu treffen. Eine Kunst, die viel Erfahrung und viel Wissen benötig, sowohl beim Athleten als auch beim Trainer. Gerade wenn es in die letzten Tapering-Wochen vor einer Triathlon-Langdistanz geht, stellen sich oft zwei Konstellationen ein. Es läuft gut im Training und in den Vorbereitungsrennen und die Athleten wollen mit noch weiteren Reizen ein noch höheres Niveau erreichen. Oder die Form ist noch nicht da, man wird nervös und versucht, mit zusätzlichen langen und ermüdenden Einheiten diese endlich zu erlangen. Beides kann im schlimmsten Fall den mehrmonatigen Trainingsaufbau zu Nichte machen. Die entscheidende Frage ist: Wie findet man heraus, dass man an der individuellen Belastungsgrenze angekommen ist.

Ein Fragestellung mit der auch die Trainer von bekannten und erfolgreichen Triathlonprofis täglich konfrontiert sind. Erfolgstrainer Lubos Bilek, der u.a. Ironman Hawaii-Sieger Sebastian Kienle, Andi Böcherer, Svenja Bazlen aber auch Amateurtriathleten betreut, setzt vor allem auf die Signale der Körpersprache seiner Athleten. Bilek wirft z.B. beim Laufen gerne ein Auge auf die Schrittlänge und die Arm-, sowie die Kopfhaltung. Auch objektive Messwerte wie Zeiten oder Wattwerte fließen in die Betrachtung mit ein. "Am liebsten verlasse mich aber auf mein Auge und die Rückmeldung vom Athleten". Bei Hobbyathleten, die den eigenen Körper noch nicht so gut kennen, wie ein Profi nach 15 Jahren Sport, ist die Herzfrequenz ein wichtiger Anhaltspunkt. Oder z.B. beim Bahntraining die Zeit, wenn ein Athlet 5x 1 km in 3:45 min. laufen soll, und schon beim ersten 1.000.er ist er bei 4:00 min. und völlig kaputt und schneller geht es nicht. Hier ist es meistens am besten die Einheit abzubrechen." Besteht direkter Kontakt, dann kann im Gespräch herausgefunden werden, ob wirklich eine körperliche Grenzbelastung vorliegt, oder ob der Athlet psychisch dazu nicht in der Lage ist, sprich der innere "Schweinehund" das Problem ist, so der Kirchzartener. DTU-Trainer Ralf Ebli betrachtet in solchen persönlichen Gesprächen dann auch das Stimmungsverhalten des Athleten. "Wenn ein eigentlich liebenswerter Athlet plötzlich ungewohnt fahrig und ruppig wird," dann kann das auch ein Indiz für eine drohende Überlastung sein."

Irrglaube: Das Training muss so hart sein

 

Die Scheu eine Einheit auch mal abzubrechen, scheint laut Peter Sauerland, der seit 30 Jahren als Triathlon-Trainer tätig ist, bei Hobbyathleten größer zu sein als bei Profis. "Altersklassen-Athleten denken oft, das Training muss so hart sein und sagen nicht, dass sie einfach nicht mehr können. Profis sagen da eher die Wahrheit", weiß der Solinger zu berichten. Sauerland betont dabei auch, Amateurathleten gestehen sich oft nicht ein, dass der normale Alltag mit Beruf und Familie oftmals ein großer Stressfaktor ist. "Ein Profi legt sich nach dem Training einfach mal ins Bett". Der Coach von Ironman Switzerland-Sieger Boris Stein erklärt, dass es bei vielen Athleten Usus ist, sich für die Zeit der höchsten Trainingsbelastung Urlaub zu nehmen. Im Hinblick auf eine optimale Verarbeitung der Trainingsreize wäre es aber auch sinnvoll für die Phase der Regeneration, wenn möglich, ein paar freie Tage einzuplanen.

Sauerlands Patentrezept für die zehn Tage vor einem Ironman: "Es gilt in allen drei Disziplinen mit kurzen und schnellen Belastungen nochmals Spitzen zu setzen." Dies ist aber bei vielen Athleten noch nicht angekommen. Es wird, so Sauerland, auch in dieser sensiblen Taperingphase zu viel und zu lange im mittleren Bereich trainiert, mit dem Ergebnis, dass die Athleten müder statt frischer werden.

 

 

Qualitativ gute Schlüsseleinheiten, statt Kilometer sammmeln

 

Die im Triathlonlager bekannte Mentalität, "viel Training hilft viel", kennt auch Ralf Ebli. Grad Hobbyathleten sind hier gefährdet, da sie normalerweise nicht auf medizinische Messwerte wie Harnstoffwerte oder CK-NAC zurückgreifen können und Symptome wie Herpesbläßchen, Halskratzen, Schlafstörungen oder eine gedämpfte Herzfrequenz-Variabilität werden falsch interpretiert bzw. ignoriert. Mit dem Ergebnis, eine gute Form wird mit weiteren Trainingsreizen wieder zunichte gemacht und schon überlastete Athleten trainieren sich noch weiter in den Keller. Deshalb hat Ebli für Hobbytriathleten eine ganz wichtige Empfehlung. "Wenn die Form 3-4 Wochen vor einem Ironman gut ist, dann sollten keine Experimente mehr gemacht werden. Der Fokus liegt dann auf qualitativ hochwertigen Schlüsseleinheiten." Der Erfolgstrainer weiß, es gehört viel Mut dazu in einer Trainingsgruppe die anderen einfach fahren zu lassen und sich zu sagen, "ich fahren heute mal absolut ohne Druck auf dem Pedal".

Solche Fehler in der Trainingsdosierung selbst zu erkennen und dann auch entsprechend richtig darauf zu reagieren, ist wahnsinnig schwer. Daniel Kezele, der mit seiner Triathlonschule auf Lanzarote viele AK-Athleten für die Saison fit macht, empfiehlt deshalb ambitionierten Hobbytriathleten auf jeden Fall einen Trainer. "Hauptfehler vieler AK-Athleten ist, dass sie sich selbst Trainingspläne schreiben oder irgendwo raussuchen und stur danach trainieren," so Kezele, der bei seinen Athleten immer auch die Gesamtbelastung aus Training, Job und Familie im Auge behält. "Bei AK-Athleten muss ein Trainer die Gesamtbelastung erkennen und entsprechend die Saison und das Training anpassen. Bei wöchentlicher Rückmeldung des Athleten können so auch auftretende Überlastungen im Training schnell erkannt werden." Die externe Instanz, die den Trainingsverlauf begutachtet, sieht auch Sauerland als Schlüssel zum Erfolg. "Trotz meiner langjährigen Erfahrung wäre ich nicht in der Lage mich selbst gut zu trainieren."

 

Fazit:

 

Der Formaufbau für eine Triathlon-Langdistanz in individueller Topform ist ein Prozess der normalerweise über Jahre erfolgt. In dieser langfristigen Betrachtung sind die zurückgelegten Trainingskilometer und -stunden ein wichtiges Erfolgskriterium. Geht es um die letzten Tapering-Wochen vor dem Tag X, dann ist weniger oft mehr. Trainingsqualität und der Mut, einmal nichts zu tun, sind hier die Erfolgsgaranten. Nur wer physisch und psychisch vollkommen erholt in einen Langdistanztriathlon geht, wird die Möglichkeit haben im Rennen die eigenen Leistungsgrenzen wirklich vollkommen auszuschöpfen und vielleicht sogar auf ein neues, nicht für möglich gehaltenes, Level zu schieben.

Vielen Dank an Ralf Ebli, Peter Sauerland, Lubos Bilek und Daniel Kezele für die Einblicke in dieses sensible Thema