Bahrain Blog: Der Weg Zusammenhänge zu begreifen verläuft meist nicht geradlinig oder the crow not always flies straight

von Susann Kräftner für tri2b.com | 31.12.2015 um 17:17
Einen kleinen Blogbeitrag über unseren Aufenthalt in Bahrain zu schreiben ist nicht so einfach, denn es scheint mir fast unmöglich hierbei die widersprüchlichen Meinungen rund um diese kleine Insel im Arabischen Golf außer Acht zu lassen. Ich wählte den Titel für diesen Artikel deshalb, weil ich mich nicht dazu berufen fühle, Urteile zu fällen über eine Lage, die keine einfachen monokausalen Schlüsse zulässt. Wir wollten einfach dort sein, unvoreingenommen mit offenen Augen, Menschen treffen, Menschen sprechen, ihnen zu hören. Wir wurden mit grosser Offenheit und Freundlichkeit, wie es Tradition in der arabischen Kultur ist, empfangen.

Wir konnten Spuren des Umbruchs sehen, ohne dabei wirklich den Hintergrund verstehen zu können. Es ist wahrscheinlich zu einfach, die Konflikte im Land auf die Diskrepanzen zwischen Sunniten und Shiiten* zu reduzieren oder eine regierende Klasse, die an der Macht bleiben will. Keine einfachen Antworten: wie der Titel schon sagt: manchmal führen nur verschlungene Pfade auf den Weg des Begreifens.

 

Sport der einheimischen Bevölkerung nahebringen, um die schwerwiegenden Gesundheitsprobleme zu mindern

 

Wohlstand macht unser Leben einerseits leichter, andererseits stellt er uns vor grosse Probleme. Wir haben eines traurig erkennen müssen, Wohlstand macht uns nicht zwingend gesünder. Dies gilt auch und in besonderem Maße für den Mittleren Osten. So haben zum Beispiel die für den Lebensstil der Westlichen Welt so typischen Fertiggerichte auch die damit verbundenen Gesundheitsproblemen in den Mittleren Osten gebracht. Man sieht fast mehr motorisierte Pizzakuriere als Autos in den Straßen, was den Eindruck vermittelt, als würden sich die Bahrainis fast ausschließlich von Pizzen ernähren.

Die Jugend Bahrains leidet unter Fettleibigkeit, Diabetes, Bluthochdruck und metabolischen Syndrom, um hier nur einige wenige Erkrankungen zu nennen. Der Sohn von König Hamad al Khalifa Nasser ist sich dessen sehr bewusst, und auch, dass eine Maßnahme gegen dieses Problem Bewegung und gesunde Ernährung ist. Die Initiative, das Endurance Team Bahrain ins Leben zu rufen, ist ein Schritt auf dem Weg zu mehr Gesundheit. Aber es soll nur der Anfang sein und den Vorreiter bilden.

Seit Nasser bin Hamad al Khalifa im vergangen Jahr das Bahrain Endurance Team gegründet hat, ist die kleine Insel Bahrain direkt in den Mittelpunkt des Triathlon-Sports gerückt und damit einhergehend auch die Fragen rund um das politische Regime und die Unruhen in 2011.


Seine Königliche Hoheit Nasser bin Hamas al Khalifa bei seinem Rennen in Bahrain

Die Einstellungen bei uns gegenüber Bahrain sind widersprüchlich. Die gewaltsam unterdrückten Aufstände aus 2011 sind schwer zu ignorieren.

Wenn man heute nach Bahrain kommt, spürt man als Tourist keinerlei Unterdrückung. Jedoch sind die polizeilichen Kontrollpunkte dicht gesät und flächendeckend verbreitet. Die Stacheldrahtzäune und die starke militärische Präsenz sind unterschwellig zu spüren. Läuft man durch die schiitischen Stadtteile von Manama, kann man die Spuren der Unruhen sehen, wenngleich wir ihre Zeichen nicht verstehen.


Über die Jahre wurden die Zeichen der Unruhen zur Straßenkunst


An dieser Wand wurden aus Parolen durch Übermalen Delphine

Spricht man mit den Bewohnern der Schiitischen Viertel, die so unerwartet offen und gastfreundlich auf uns zu gehen, dann werden sie leise erwähnen, wie gerne sie in einer Demokratie wie der unseren leben würden, wenngleich ihnen nicht bewusst ist, wie zerbrechlich die Fundamente unserer Demokratien sind und wie viele Kriege wir benötigten, um dorthin zu gelangen.


Die Malereien in Manama Town erzählen die Geschichte der Karbala

Meine Sicht mag nicht unvoreingenommen sein. Ich habe zu viel Zeit im Mittleren Osten verbracht, um einfache Schlussfolgerungen aus dem zu ziehen, was ich höre und lese. Der Shiiten-Sunniten Konflikt hat in der Arabischen Welt eine lange Geschichte und findet seine klarste und radikalste Verkörperung im Iran und der Isis. Es ist unmöglich, an diesen Punkt über die Gründe hierfür zu diskutieren und zu beschreiben, weshalb der Westen zu dieser Situation massiv beigetragen hat. Es sollte uns in jedem Fall bewusst sein, dass wir schon immer und immer noch einen maßgeblichen Anteil an diesem Konflikt haben.

 

Einige - extrem vereinfachte - kurze Fakten, aus denen Sie Ihre eigenen Schlüsse ziehen können

 

Im Iran sind die Shiiten an der Macht, im Irak ebenfalls. In Saudi Arabien sind es die Sunniten, wie auch in Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Oman. Syrien wiederum wird von den Alawiten regiert, die dem schiitischen Zweig des Islam zuzuordnen sind. Pakistan ist gespalten, jedoch leicht dominiert von schiitischen Moslems. Die Taliban sind Sunnitische Moslems. In Jemen kämpfen Sunniten gegen die „Shia Rebellen“. ISIS sind Sunnitische Moslems.

Die Vergangenheit dieser Länder, die vormals Kolonien waren und dann ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft und Glaubens willkürlich aufgeteilt wurden, wirft ihre Schatten bis in die heutige Gegenwart.

Die natürlichen Ressourcen des Mittleren Ostens sind ein Grund, weshalb die militärische Präsenz und das Machtspiel der Supermächte dort zum Alltag geworden sind. Rund um den Arabischen Golf und die Straße von Hormuz sind große amerikanische Militärbasen angelegt, die über die Ressourcen und die „Ideologie“ des Westens wachen. Andere würden es die Verteidigung unserer Kultur  und dessen Kern, die Menschenrechte, nennen. Bahrain ist nur eine von vielen Basen.

 

Das Spiel der Mächte ist omnipräsent - je nachdem, auf welcher Seite du dich befindest, ist dein Leben gut oder schlecht.

 

Sebastian Kienle und Jan Frodeno wurden von Menschenrechtsorganisationen darauf angesprochen und mussten ihre Gründe darlegen, weshalb sie Teil eines solchen Teams sind. Man könnte einfach sagen, es läge am Geld. Die Mehrheit der Menschen aus der Westlichen Welt sind wegen des Geldes im Mittleren Osten, und ebenso ist Geld der Grund für die Kriege, die der Westen im Mittleren Osten führt. Diese Menschen erleben nur selten, dass wir uns für sie und ihre Anliegen interessieren. Wir verurteilen und versuchen nicht einmal, zu ihnen und ihrer Kultur eine verbindende Kommunikation herzustellen.


Es gibt Verständnis, zumindest auf einer persönlichen Ebene

Wir sollten als Individuen Standpunkte vertreten, es aber vermeiden, uns als Richter und Moralisten über andere zu erheben. Besonders zum jetzigen Zeitpunkt sollten wir Zurückhaltung üben, da die Fremdenfeindlichkeit Europas gegenüber Flüchtlingen aus kriegsgeschüttelten Ländern wie Syrien und Afghanistan seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr so ausgeprägt war. Wir sollten vorsichtig sein, wenn wir unsere Stimme erheben und aufpassen, dass wir nicht auf die Propaganda gegen den Islam hereinfallen.

 

Die Moderne mischt sich mit der langjährigen Geschichte des Landes - Beobachtungen zweier Reisender

 

Wenn man von Dubai nach Bahrain fliegt, fühlt man sich in eine andere Welt und Zeit versetzt, wie von 200.000 Volt auf 10.000 herunter gebremst. Der Flughafen ist noch immer klein. Auf meinem Weg nach Dubai im Jahr 1986 verbrachte ich einmal eine Nacht in der Transithalle von Bahrain. Alles scheint noch unverändert. Das Einwanderungsprozedere ist vergleichsweise entspannt. Das Erste, was man fühlt, wenn man aus dem Flughafengebäude tritt, ist die warme Dezembersonne und der sanfte Wind. Die Straßen sind breit und nur zeitweise vom Verkehr überlastet. Im Vergleich zu Dubai ist alles sehr entspannt und keineswegs stressig. Die Mopeds mit ihren Fast-Food-Lieferungen schlängeln sich durch jede noch so kleine Lücke im Verkehr.


Die Skyline von Manama aus der Perspektive des kleinen Fischeranlegeplatzes

 

Die Skyline steht in grossem Kontrast zum Suq

 

Die Skyline von Manama ist eindrucksvoll aber übersichtlich. Die Einkaufsstraßen sind vergleichsweise riesig im Vergleich zur Fläche (765 qm) und Bevölkerung (1,34 Mio.) Bahrains. Für Europäer sind die Preise hoch, denn Kunden sind zahlungskräftige Saudis. Die Bauaktivitäten scheinen auf Höchstgeschwindigkeit zu laufen. Man will definitiv zu den grossen Nachbarn aufschließen.

Die 4- und 5-stöckigen Gebäude am Rande der Wolkenkratzer verleihen dem Stadtbild eine gemütliche überschaubare Note. Dort gibt es sie immer noch, die kleinen Läden mit bunten Textilien und die Werkstätten, die alles nur Denkbare reparieren, alle hauptsächlich von Asiaten betrieben (die meisten sind Pakistani und Bangladeshi). Und alle meist Junggesellen, denn Familie und Verwandtschaft mitzubringen, können sich die Wenigsten leisten. Die Vororte erscheinen so in lebendigen Farben, es malt sich ein buntes Bild. Die Einheimischen beschweren sich zwar, sie fühlen sich von den Asiaten überrannt. Aber wo auf der Welt gibt es diese Spannungsfelder nicht! Der Suq erscheint in ähnlichem Bild. Als wir das Ende des Suqs erreicht hatten, entdeckten wir das schiitische Viertel. Es stellte sich heraus, dass wir noch immer den Monat des Muharram zählten, den ersten Monat im Islamischen Kalender.

 

Während des Muharram sind die schiitischen Stadtteile prunkvoll dekoriert

Es ist der Monat, in dem des Märtyrertodes des Imam Hussain gedacht wird. Deshalb sahen wir überall die schwarzen und grünen Flaggen, wie auch die Malereien der Karbala, die die Geschichte des Opferganges des Imams erzählt, der die Menschheit vor dem Untergang bewahrt.

Themen aus der Karbala, die die Geschichte vom Zusammenstoß des Guten mit dem Bösen erzählt

Ein wenig zögerlich zu Beginn akzeptierten wir dennoch die Einladung einer Gruppe von Männern zu Kaffee und Tee. Sie waren es, die uns den Muharram näherbrachten. Es sind diese Erfahrungen, die uns helfen, unsere Vorurteile und Angst voreinander zu abzubauen. Es war ein sehr schönes Erlebnis.

 

Der Baum des Lebens

 

Wir fuhren durch Wüstengebiete, die fast flächendeckend von Ölleitungen durchzogen werden. Die Landschaft wirkt zerschnitten und zerstört. Es gibt keinen Platz mehr für Kamele sich frei zu bewegen. Die Zeltlager der Raffinerie-Arbeiter liegen für uns irgendwo im Nirgendwo, ducken sich in den Sand, es gibt kein Grün, keinen Schutz, es ist ein karge, staubige Gegend.

Die Arbeiter der Öl-Raffinerien leben in Zelten mitten in der Wüste

Aber dann  wird am Horizont zwischen Staub und grellem Licht der berühmte Baum sichtbar.


Der Baum des Lebens überlebte bis Heute alle Widrigkeiten menschlichen Tuns

Seit mehr als 300 Jahren widersteht dieser Baum den Extremen der Natur und des Menschen, während die Siedlungen um ihn herum schon lange nicht mehr existieren und im Sand versunken sind. Diese Zerstörungen verliefen ebensowenig friedlich. Die Zeiten haben sich diesbezüglich nicht geändert.

 

Wettkampftag - 70.3 IRONMAN Bahrain

 

Das Schwimmen wurde abgesagt, zu starker Wind, zu starke Strömung, was wir erst im Nachhinein erfuhren. Unser Gewissen war damit beruhigt. Wir genoßen den schönen Morgen. Wir waren am Vorabend viel zu lange aufgeblieben und hatten daher entschieden, nicht zum Schwimmstart zu gehen. Gerade rechtzeitig trafen wir an einer Kreuzung in Manama auf die Radstrecke, mit einem exzellenten Blick auf die Radfahrer und somit eine hervorragenden Stelle, um Filmmaterial zu sammeln.

Triathleten auf ihren Rädern erscheinen in Bahrain immer noch ein wenig wie Außerirdische

Als Nächstes eilten wir zum Formel-1-Kurs, wo sich Laufstrecke und Ziellinie befinden - ein Stück wunderschöner Moderne. Die Bilder erzählen an diesem Punkt mehr als alle Worte.

Wenn man nicht in der Spitzengruppe ist, kann das Laufen zu einem einsamen Stück Arbeit werden

 

Alte Fischerbarracken umrahmen die Skyline von Manama - eine tiefe Harmonie liegt im in die Abendsonne Kontrast 

 

Auf dem Rückweg zum Hotel gegen Ende des Tages blieben wir noch beim Anlegeplatz der Fischer und ihren Hütten stehen. Die Sonne stand schon tief, nicht mehr lange bis sie ganz untergegangen sein würde. Wundervolles Licht zum Filmen. Die Hütten waren aus verschiedensten Resten, die bei uns auf dem Müll landen würden, zusammengebaut, ganz erstaunliche Bauwerke. Die Skyline von Manama gab diesem ruhigen friedlichen Platz einen ausserordentlich faszinierenden Hintergrund. Und wieder waren die Menschen so ungeheuer freundlich zu uns. Sie luden uns ein, ihre Landungsstege zu betreten, um eine bessere Sicht auf die Skyline zu haben. Sie konnten einfach nicht glauben, dass wir vielmehr an ihrem Ort interessiert waren.

Über die Anlegestelle der Fischer zu spazieren hätte nach diesem Rennen kein größerer Kontrast sein können

Zusammengefasst ein Ort friedlicher Koexistenz: Menschen unterschiedlicher ethnischer Gruppierungen und Glaubensrichtungen. Katzen, Gänse und Enten, die ihre Mahlzeiten teilen, Männer, die in der sanften Abendsonne Volleyball spielen… wir selbst haben uns so entspannt und ruhig gefühlt, es war einfach fantastisch!

Als wir diesen Ort verließen, haben wir dank der Gastfreundlichkeit der Menschen viele wundervolle Erinnerungen mitgenommen

Am nächsten Tag verließen wir Bahrain, ein weiteres Abenteuer lag vor uns. Natürlich wäre da noch viel mehr zu erzählen, aber vielleicht können die folgenden Videos ausgleichen, was in diesem Text noch nicht gesagt wurde.

Die Krähe fliegt nicht immer geradeaus ...!

Krähen pausieren in der Morgensonne

*Der Streit zwischen der Sunnitischen und Schiitischen Glaubensrichtung des Islams dreht sich hauptsächlich darum, wer der wahre Nachfolger des Propheten Muhammed ist. Für die Sunniten ist der erste Kalif des Propheten Muhammeds sein Schwiegervater Abu Bakr. Er ist folglich der wahre Nachfahre des Propheten. Für die Shiiten ist Ali, der Cousin und Schwiegersohn Muhammeds der gerechte Anführer des Islamischen Staates.