Sebastian Kienle: Im Triathlon ändern sich die Bedingungen ständig

von tri2b.com | 18.09.2014 um 00:00
Der Triathlonprofi Sebastian Kienle steht wie kein anderer seiner Zunft für den starken Radfahrer, der mit seinen Solofahrten den Mythos des für sich allein kämpfenden Triathleten auf höchstem Niveau am Leben erhält. Einmal mehr für Aufsehen sorgte in der Sommersaison sein neues Bike-Setup mit dem neu entwickelten Scott Plasma 5. Wir haben mit "Sebi" über die Sisyphos-Arbeit der Wattschinderei, seine Einflussnahme auf die Entwicklung und die Leistungsgrenzen auf dem Rad gesprochen.

tri2b.com: Im Kraichgau hast Du im Juni mit einer Soloflucht gewonnen, beim Ironman Frankfurt im Juli den Radrekord pulverisiert und bist wieder allen davon gefahren. Wie viel Anteil hat das Material und wie viel Sebastian Kienle?
Sebastian Kienle (S.K.): Inzwischen hoffe ich wirklich, dass ich auch selbst noch einen gewissen Anteil an der Leistung habe. (schmunzelt) Die Tests auf der Bahn haben aber ganz klar gezeigt: das Rad ist schon wirklich verdammt schnell. Am Ende spielt natürlich alles zusammen. Es pusht dich natürlich, wenn du merkst, dein Material ist schnell, dann kannst du auch körperlich nochmal ein bisschen mobilisieren. Im Gegensatz ist es halt auch so, wenn beim Material mal was überhaupt nicht passt, dann hast du das Gefühl, du kämpfst gegen Windmühlen, dann magst du überhaupt nicht mehr kämpfen. Es muss alles immer zusammen passen, dann sind solche Rekordfahren möglich.

tri2b.com: Kannst Du sagen, wie viel Zeit- beziehungsweise Leistungsgewinn gutes und optimal angepasstes Radmaterial auf Profiniveau ausmacht?
S.K.: Es ist hier schwierig eine klare Antwort geben zu können, da wir nie ein komplettes Setup gegen ein anderes Setup verglichen haben. Wir haben immer nur eine Variable, zum Beispiel nur den Anzug, nur die Reifen oder nur die Handposition, verändert. Es ist halt dann nicht so einfach, diese Effekte aufzuaddieren. Das funktioniert so nicht. Aber im Vergleich zum alten Rad war ich im Windkanal bei 45 km/h mit allen Änderungen 12 Watt schneller und bei den Bahntests haben wir vielleicht auch nochmal acht, neun Watt gefunden.

tri2b.com: Was kann dies real in Zeit über 180 Kilometer bedeuten, zum Beispiel beim Ironman in Frankfurt?
S.K.: Ich schätze mal so dreieinhalb Minuten, was sehr ordentlich wäre. Aber man muss natürlich beachten: Es gibt Ortsdurchfahrten, wo du bremsen und lenken musst, den Lenker umgreifst. Die Berechnungen beziehen sich auf 180 Kilometer auf der Autobahn geradeaus, was natürlich in einem Ironman so nie der Fall ist. Deshalb sind die Änderungen am Schluss sicher nicht ganz so viel wert, wie das in der Theorie der Fall ist. Bei den Bahntests haben wir absolut konstante Bedingungen, im Rennen ändern sich die Bedingungen ständig. Dementsprechend ist es relativ schwierig, die Effekte handfest in Zeit zu übersetzen.

tri2b.com: Wo ist Deiner Meinung nach die Zeitgrenze auf den 180 Kilometern, unter der Berücksichtigung, im Anschluss auch einen Marathon mit Topniveau laufen zu können?
S.K.: Es hat natürlich viel mit der jeweiligen Strecke zu tun. Auf einer Strecke wie in Frankfurt hätte ich wahrscheinlich schon noch einmal zwei Minuten schneller fahren können, ohne dann beim Laufen vollkommen zu explodieren. Aber das macht den Sport ja aus, ich kann auch nicht sagen, wo genau die Grenze ist. Ich glaub, ich hab die Grenze schon ein paar Mal ausgetestet und auch schon überschritten. Beim Ironman in Arizona bin ich mal völlig explodiert, wobei es einer meiner Stärken ist, dann immer noch unter drei Stunden zu laufen. Aber mein Ziel ist es natürlich auch, mit genug Körnern auf die Laufstrecke zu gehen, um stabil unter 2:50 Stunden laufen zu können. Und das nächste Ziel ist natürlich, eine 2:45 zu laufen. Es ist einfach so, dass es eine sinnvolle Schwelle gibt auf dem Rad. Auf dem Rad steigt der Luftwiderstand in dritter Potenz, dass heißt, du musst am Schluss für minimal bessere Zeiten überproportional mehr investieren. Da stellt sich die Sinnfrage, denn beim Laufen ist der Energieverbrauch einfach linear proportional zu deiner Zeit. Deshalb macht es Sinn, nicht unbedingt schneller zu fahren, sondern die gleiche Zeit mit weniger Energieaufwand zu fahren und dann dafür schneller zu laufen.

tri2b.com: Fährst Du eine Spezialanpassung oder ist es ein Rad, wie es demnächst auch in den Handel kommt?
S.K.: Der Rahmen und der Lenker werden genau so auch in den Verkauf gehen. Einzelne Besonderheiten gibt es nur bei der Ausstattung, wie Reifen oder Lager. Ansonsten ist es alles Serienmaterial, dass es dann ganz normal zu kaufen geben wird.

tri2b.com: Warst Du, beziehungsweise Athleten aus dem Triathlon, in die Entwicklung mit einbezogen, schließlich ist es ja ein Unterschied, ob ein Timetrail-Rad von reinen Radfahrern oder Langdistanz-Triathleten gefahren wird?
S.K.: Wir haben als Triathleten andere Ansprüche als reine Zeitfahrer im Radsport. Wir müssen zum Beispiel mehr Material für uns selbst mitnehmen. Die Box auf dem Oberrohr und das Trinksystem war eigentlich schon ein Wunsch von mir, weil es die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit viel mehr beeinflusst als viele andere Sachen. Ich kann in Aeroposition trinken, ich kann in Aeroposition was zum Essen aus dieser Box nehmen. Zuvor hab ich mit Klebeband Riegelstückchen an meinen Lenker oder ans Oberrohr geklebt. Dies ist einfach nicht effektiv. Man verliert dadurch sehr viel Zeit durch Bewegungen, die nicht mit der reinen Tretarbeit zu tun haben. Man greift irgendwo hin, man muss zum Beispiel das Riegelpapier in die Trikottasche stecken, wenn man keine Strafe wegen "Littering" (im Triathlon können Zeitstrafen vergeben werden, wenn Abfall außerhalb der Verpflegungsstellen weggeworfen wird) bekommen möchte. In der Box auf dem neuen Plasma ist jetzt dafür eine Art Abfalleimer integriert.

Wichtig war mir aber auch, die Fahrbarkeit weiter zu verbessern - die Steifigkeit, die Bremswirkung, Minimierung des Gewichts. Vor allem bei der Steifigkeit hat sich richtig was zum Vorgängermodell getan. Es gibt selten ein Rad, wo dieser Unterschied so deutlich spürbar ist. Bei den Bremsen ist die Bremsleistung und die Dosierbarkeit spürbar verbessert. Auf einer Strecke wie Frankfurt machen diese Verbesserungen wahrscheinlich mehr aus als die zehn Watt Ersparnis beim Luftwiderstand, weil du immer zehn Meter später bremsen kannst. Das geht mit vielen anderen Zeitfahrrädern, die heute auf dem Markt sind, nicht so gut. Ich will da keine Namen nennen, aber das meiste ist da großer Mist. Es war schon beim Plasma 3 eine gute Sache, dass dort Standardbremsen zum Einsatz kamen. Jetzt funktioniert es noch besser bei gleichzeitig besserer Systemintegration.

tri2b.com: Die Zeitfahrräder werden heute immer integrierter. Bremsen sind versteckt, die Laufräder passen teilweise nur noch mit bestimmten Reifenmaßen in den Rahmen. Defekte können dann im Rennen nur noch schwer ohne fremde Hilfe behoben werden. Ist das nicht ein Zwiespalt zwischen der technischen Entwicklung und den realen Begebenheiten im Triathlon?
S.K.: Da wage ich mal zu widersprechen. Ich hatte bisher in meiner gesamten Triathlonlaufbahn im Rennen nur Reifendefekte und die kann man selber ohne Probleme beheben, wenn das entsprechende Ersatzmaterial mitgeführt wird. Es ist natürlich so, dass eine fortschreitende Systemintegration immer auch zu einer komplizierteren Wartung führt. Aber das ist eben der Unterschied zwischen einem Wettkampf- und Trainingsrad. Es gibt ja nachwievor genug Auswahl von Rädern, die sehr leicht zu warten sind. Aber gerade das neue Plasma ist so entwickelt worden, dass es wesentlich leichter für den Transport zu demontieren ist, als das Plasma 3. Da war es gerade mit einer Shimano DI2-Ausstattung sehr schwer, das selbst unterwegs entsprechend zu präparieren.

tri2b.com: Was glaubst Du war das bisher meistgeklickte Bild auf tri2b in der Saison 2014?
S.K.: Wenn Du mich so fragst, dann schätze ich mal, es war die Bilderserie mit dem neuen Rad bei der Challenge Kraichgau.

tri2b.com: Richtig getippt. Dieses Bild hier ist das bisher meist aufgerufene im Jahr 2014.
S.K.: Es überrascht mit persönlich nicht, früher hätte ich wohl genauso geklickt. Triathleten sind per se schon sehr materialaffin und es war halt so, dass ich dort das erste Mal mit dem neuen Plasma aufgetaucht bin. Für uns Triathleten, beziehungsweise für mich, war es schon eine Ehre, noch vor den Radprofis mit dem Rad unterwegs sein zu dürfen. Das ist auch ein klares Statement von Scott, in welche Richtung das Plasma von Anfang an entwickelt wurde. Es ist kein Zeitfahrrad, welches dann in irgendeiner Form an den Triathleten angepasst werden muss, sondern es ist ein Triathlonrad, was in der Triathlonabstimmung schneller ist als das Zeitfahrrad als UCI-Version.

tri2b.com: Wie siehst Du diese Technikbesessenheit mit Blick auf den Hobbytriathleten?
S.K.: Ich kenne viele Leute, die fragen: "Ist es das wert?". Natürlich jagt von denen niemand die letzte Sekunde auf einer Langdistanz. Aber wenn man daran seinen Spaß hat, dann finde ich das völlig legitim. Wie viele Leute fahren einen Porsche, der mindestens das zehnfache kostet wie so ein Toprad. Die fahren aber in den seltensten Fällen mit ihrem 911er Rennen, obwohl das Auto dafür mit entwickelt wurde. Die Leute fahren damit aber zum Einkaufen und so muss man das auch Hightech-Rad beim sehen. Ich finde es nicht sonderbar, wenn sich jemand dafür begeistern kann, noch ein paar besonders leichte Aluschrauben an sein Rad zu machen, weil ich hier genau gleich bin.

tri2b.com: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg in der Vorbereitung für Kona.