Kurzmeldung


Blutarmut: Eisenarme Eisenmänner

von Jens Richter für tri2b.com | 20.03.2004 um 22:08
Die Monate März bis Mai sind für Triathleten eine heikle Zeit. In keiner anderen Phase des Jahres werden über drei zusammenhängende Monate solche Trainingsumfänge erreicht. Flüssigkeitsumsätze bemessen sich in Hektolitern, die Verluste an Mineralien und Spurenelementen lassen sich kaum ausgleichen. Wenn vielversprechenden Trainingslagern kraftlose Wettkämpfe folgen, kann oft erst eine Blutuntersuchung die häufige Ursache entlarven: Blutarmut, Anämie.

Ein Beitrag aus dem tri2b.com-Magazin "Sportmedizin" 

Rote Blutkörperchen, die Erythrozyten, führen ein strapaziöses Leben. Mindestens dreimal pro Minute rasen die acht Millionstel Meter kleinen, tellerförmigen Zellen durch die rechte Herzkammer und quetschen sich anschließend durch engste Lungenkapillaren. Blitzschnell mit Sauerstoff beladen und mit dem Druck des linken Herzmuskels im Rücken führt der Weg dann an den hartknorpeligen Herzklappen vorbei zum Endverbraucher – zu Muskeln, Hirn, Bindegewebe, Knochen, Haut oder inneren Organen. 

Nachwuchssorgen 
Dort dauert die Übergabe des Sauerstoff und die Beladung mit Kohlendioxid wiederum weniger als eine halbe Sekunde. In den knapp vier Monaten kommen so Hunderte von Kilometern und ein hunderttausendfacher Gasaustausch zusammen. Erythrozyten, die diesem aufreibenden Job nicht mehr gewachsen sind, werden von Milz oder Leber vorzeitig ausgemustert und zerlegt. Um ausreichenden Nachwuchs kümmert sich das Knochenmark – hoffentlich. 

Ohne EPO geht es nicht 
Schon im Normalbetrieb entstehen rund 2,4 Millionen neue Erythrozyten pro Sekunde, grob gerechnet 500 Billionen oder etwa 500 Kilogramm in einem Menschenleben. Die Neubildung kann in Zeiten erhöhten Bedarfs bis auf das Zehnfache steigen. Kurzfristig, denn der wichtigste Bestandteil der roten Blutzellen, das Hämoglobin kann nicht beliebig schnell zusammengesetzt werden. 

Hämoglobin besteht in erster Linie aus Eiweiß und Eisen. Seine starke Neigung zur Oxidation (wie beim „Rosten“) macht es zum idealen Sauerstofftransporter. Sein Gehalt im Erythrozyten und die Gesamtzahl derselben sind so leistungsbestimmende Faktoren. 

Die Blutkörperchen-Neubildung wird maßgeblich durch ein natürliches Hormon gesteuert, das Erythropoetin (EPO). Es wird fast ausschließlich in den Nieren gebildet, abhängig vom Sauerstoffgehalt des Blutes. Sinkt der, steigt der natürliche EPO-Spiegel an und das Knochenmark beschleunigt die Blutbildung. Das Höhentraining macht sich diesen feinabgestimmten, natürlichen Regulationskreis zu Nutze, künstliches EPO-Doping überspringt ihn in gefährlicher Weise. 

Zu geringe Zufuhr und steigende Verluste 
Doch alle Stimulation des Knochenmarks kann nicht zum Erfolg – der Erhöhung der Blutzellzahl – führen, wenn die Bausubstanzen der Blutbildung fehlen oder die neugebildeten Zellen irgendwo verschwinden. Durch vegetarische Ernährung oder forcierte Gewichtsreduktionsdiät kann ein Eisenmangel entstehen. 

Eisenverluste sind vor allem verursacht durch die Menstruation bei Sportlerinnen, durch vermehrtes Schwitzen, durch mechanische Blutzellzerstörung in den Fußsohlen beim Laufen und durch stress- oder medikamentenbedingte (z. B. Aspirin, Diclofenac, Ibuprofen) Mikroblutungen im Magen-Darmtrakt. Folsäure- und Vitamin B12-Mangel sind Ursachen für die bei Sportlern seltene Synthesestörung des Hämoglobins. Schwere Virusinfekte senken die Zahl der roten Blutkörperchen oft erheblich. 

Verdünntes Blut führt in die Irre 
Wenn bei Ausdauersportlern dagegen allein anhand des Blutbilds eine Anämie festgestellt wird, ist das sehr oft eine Fehldiagnose. Es kann sich um den „Verdünnungseffekt“ handeln. Bei langen Ausdauerbelastungen ohne vollwertigen Flüssigkeitsersatz dickt das Blut nämlich zunächst ein. In der Erholungsphase kompensiert der Körper dies dann durch ein gesteigertes Durstgefühl und eine oftmals etwas überschießende Trinkmenge. 

Die Folge ist ein vorübergehend "verdünntes Blut". Diese Plasmavermehrung kann bis zu fünf Tage lang anhalten – bis zu 25 Prozent mehr an Blutplasma können in den Blutgefäßen dann zirkulieren. Die Zahl der Blutzellen jedoch bleibt konstant. In der Feindiagnostik untersuchen erfahrene Sportärzte deshalb immer mehrere Messgrößen, die neben den Zeichen des so genannten kleinen Blutbilds auf Transport und Speicherung des Eisens Rückschlüsse erlauben. 

Behalten, was man hat 
Eine fleischhaltige, ausgewogene Ernährung reicht in der Regel vollkommen aus, die Eisenmangelanämie zu verhindern. Mehr als 1,5 Milligramm Eisen am Tag kann der Darm sowieso nur kurzfristig und in Ausnahmesituationen aufnehmen. Vegetarier und junge Sportler im Wachstum sollten ihr Blut aber häufiger untersuchen lassen, um einen Mangel frühzeitig zu erkennen. Sollte sich die "Diagnose Anämie" bei einer Kontrolle bestätigen, so würde nach ärztlichem Rat eine zeitlich begrenzte, künstliche Eisensubstitution durchgeführt. 

Ambitionierte, aber chronisch geldklamme Ausdauersportler berichten gelegentlich, wie nachhaltig sie eine Blutspende ins Keuchen bringt. Zehn Prozent weniger zirkulierende rote Blutkörperchen – so viel zweigt eine Spende ab – bedeuten auch rund zehn Prozent weniger Sauerstoffbindungskapazität oder, übersetzt in Körperfunktionen, die Notwendigkeit einer entsprechend höheren Herzschlagfrequenz. 

Die verbliebenen Erythrozyten müssen nämlich entsprechend schneller durch den Rundkurs jagen – die Leistungsgrenze sinkt entsprechend. So betrachtet, sind magere 25 Euro „Verdienst“ aus den Händen der Rotkreuz-Schwester dann vielleicht eine etwas magere Entschädigung für gescheiterte sportliche Pläne.