Kurzmeldung


Sportmedizin: EPO, HGH und Kortison (Doping - Teil 3)

von tri2b.com | 07.11.2004 um 22:02
Kein Zweifel: Der noch junge Triathlonsport holt in der Doping-Disziplin auf. Bei einem Kurzstreckenrennen in Belgien wurde dem Hawaii-Fünften Rutger Beke Anfang September der Missbrauch des Hormons EPO nachgewiesen, seit gestern sorgt der Dopingfall der Hawaii-Siegerin Nina Kraft für den größten Skandal in der Geschichte der Sportart. Ein Grund mehr, den dritten Artikel des tri2b.com-Themenschwerpunkts den in ihrer Gefährlichkeit oft eklatant unterschätzten Peptidhormonen zu widmen.

PEPTIDHORMONE (EPO und HGH) 
Das Hormon Erythropoietin, kurz EPO genannt, hat in den letzten fünf Jahren in allen Sportarten mit Ausdauercharakter traurige Berühmtheit erlangt. Die Flut an Weltrekorden im Schwimmen, in der Leichtathletik, sowie auch die sprunghaften Steigerungen der Durchschnittsgeschwindigkeit bei allen Klassikerrennen und großen Rundfahrten im Profi- und Amateurradsport während der 90er Jahre müssen wohl entsprechend interpretiert werden. Bis vor drei Jahren existierte noch kein von der WADA (Welt-Anti-Doping-Organisation) anerkanntes Nachweisverfahren für dieses Hormon. 

Natürliche Balance 
EPO wird vom menschlichen Körper natürlicherweise gebildet. Es stimuliert die Zellen des Knochenmarks zur vermehrten Bildung roter Blutkörperchen, die für den Sauerstofftransport von der Lunge zu den „endverbrauchenden“ Zellen in den Organen und der Muskulatur verantwortlich sind. Der Anteil dieser Blutzellen am Gesamtvolumen des Blutes (so genannter Hämatokrit-Wert) ist beim Gesunden fein austariert und stellt den optimalen Kompromiss zwischen der Sauerstofftransport-Kapazität und den Fließeigenschaften des Blutes dar. Mit einer zusätzlichen Zufuhr des Hormons steigern Sportler ihren Hämatokrit über den natürlichen Wert und erhöhen ihre Ausdauerleistungsfähigkeit damit erheblich. Das Hormon, normalerweise von speziellen Zellen der Niere gebildet, wird inzwischen künstlich hergestellt. 

Seit der Einführung eines Bluttests auf synthetisches EPO kam es in den vermehrt getesteten Ausdauerdisziplinen vorübergehend zu einem signifikanten Leistungsabfall. Nachdem jedoch in diesem Jahr die Leistungen bei der Tour de France auch in der Breite das frühere Spitzenniveau erreicht haben, muss man annehmen, dass die Fahrer entweder Wege gefunden haben, positive Tests zu umgehen oder auf alternative Möglichkeiten des Dopings umgestiegen sind – in den vergangenen Monaten häufen sich Meldungen positiver Nachweise von Blutdoping (s.u.). 

Die Evolution war klüger 
Für sportliche Belastungen zwischen einer Minute (wie beim 400m-Lauf) und mehreren Stunden (wie beim Langdistanztriathlon oder bei Radrennen) ist mittlerweile hinreichend belegt, dass EPO ein erhebliches Missbrauchspotential aufweist. In diesem Zusammenhang stellt sich zwangsläufig folgende Frage: Wenn ein Sportler mit mehr EPO und daraus resultierend höherem Hämatokrit so viel leistungsfähiger als ein ungedopter Sportler ist, warum haben sich während der Evolution nicht automatisch die Menschen mit höherem Hämatokrit gegenüber denen mit dem heute natürlicherweise vorkommendem Hämatokrit von 42-46 durchgesetzt, denn erstere waren doch zweifellos sowohl auf der Jagd als auch in der Flucht erfolgreicher. 

Der Autor Dr. med. Harald Funk,
Stationsarzt in einer orthopädischen 
Fachklinik am Chiemsee, ist seit mehr
als 10 Jahren mit Ehefrau Heike im
Triathlonsport aktiv und konnte sich
dabei wiederholt bei gut besetzten
Rennen auf vorderen Rängen
platzieren (u. a. IM Lanzarote 1996
Rang 4, QCR 2003 Rang 9).

Der Grund dürfte in den Nebenwirkungen von EPO zu suchen sein. Ein höherer Hämatokritwert als der von der Natur vorgesehene bedeutet zwangsläufig eine Verschlechterung der Fließfähigkeit des Blutes und damit eine erhöhte Belastung des Herzens als „Umwälzpumpe“ des Blutes. Gleichzeitig steigt das Risiko für Gefäßverschlüsse und Thrombosen. Mögliche Folgen sind z.B. Herzinfarkt und Schlaganfall. Etliche rätselhafte Todesfälle v. a. unter belgischen und holländischen Radprofis in den 90er Jahren könnten darauf zurückzuführen sein. 

Daneben ist aus epidemiologischen Untersuchungen bekannt, dass die Bewohner der chilenischen Anden, die ihr ganzes Leben sozusagen im Hämatokrit-steigernden Höhentraining verbringen und oft Werte jenseits der 50 aufweisen, eine gut 20 Jahre kürzere Lebenserwartung haben als ihre genetisch gleich ausgestatteten Landsleute in tiefer gelegener Regionen. 

Wachstumshormon 
Zur Gruppe der Peptidhormone zählen auch die Wachstumshormone. Somatotropes Hormon (kurz STH) oder Human Growth Hormon (kurz HGH) genannt, ist ein körpereigenes Hormon aus der Hirnanhangdrüse (Hypophyse), das bei Kindern das Längenwachstum steuert. Es hat auch ausgeprägte Wirkungen auf den Eiweiß- und Zuckerstoffwechsel. Bei bestimmten Formen von Kleinwüchsigkeit ist bei Kindern die Wachstumshormonsynthese gestört und kann bei rechtzeitiger Diagnosestellung durch eine künstliche Zufuhr von synthetischem oder aus den Hirnanhangdrüsen von Leichen gewonnenem Wachstumshormon ausgeglichen werden. Bei Erwachsenen hat Wachstumshormon ähnliche Wirkungen wie die klassischen Anabolika. 

Kiefer, Nase und Füße wachsen 
Seine Bedeutung in der Dopingszene verdankt HGH vor allem der Tatsache, dass bis vor drei Jahren kein anerkannter Test zum Nachweis dafür existierte. Wer über entsprechende Verbindungen und das notwendige Kleingeld verfügte, konnte ohne Angst vor Entdeckung mit HGH dopen. Auch der bei den Olympischen Spielen im August verwandte Test auf HGH reicht angeblich nur etwa 36 Stunden zurück, einen Zeitraum, in dem Doping mit dieser Substanz ohnehin keine Leistungssteigerin bewirkt. In Athen wurde kein Sportler positiv auf HGH getestet. 

Typische Nebenwirkungen des Missbrauchs von Wachstumshormonen ist das wieder einsetzende Wachstum bestimmter Knochen (insbesondere der Nase, der Kiefer und Kinnpartie, der Füße und Hände), daneben treten aber auch verschiedene Krebserkrankungen und Herzschäden vermehrt auf. Es gibt Berichte über dreißigjährige Profi-Sportler in der Leichtathletikszene, die sich jedes Jahr eine größere Schuhe bei ihrem Ausrüster bestellen mussten, bzw. deren Maßleisten von Jahr zu Jahr „nachgearbeitet“ werden mussten. 

GLUCOKORTICOIDE (=Kortison und verwandte Substanzen) 
Kortison, ein enger Verwandter des körpereigenen Cortisols, ist neben dem kurzwirksamen Adrenalin das Stresshormon schlechthin. In Belastungssituationen wird es von der Nebennierenrinde in großer Menge ins Blut ausgeschüttet und dient dort zur Mobilisation vorhandener Energiereserven, beispielsweise zur Beibehaltung eines ausreichenden Blutzuckerspiegels durch Freisetzung aus Glykogen und Verstoffwechslung von Eiweißen. Dafür werden dann auch die Proteine der Immunzellen oder der Muskulatur herangezogen. Im Ausdauerbereich spielt Kortisondoping vor allem bei überlangen Belastungen wie im Radsport eine Rolle, um geschützte Reserven (siehe Teile 1 und 2 dieser Serie) freizusetzen. 

VERBOTENE METHODEN 
Hierzu zählt das durch den Fall Tyler Hamilton erst vor wenigen Wochen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückte Blutdoping, bei dem sich ein Athlet kurz vor dem Wettkampf Transfusionen mit Wochen zuvor abgenommenem Eigenblut oder mit blutgruppengleichem Fremdblut zuführen lässt um auf diese Weise die Anzahl an roten Blutkörperchen zu erhöhen. Der gleiche Effekt wie jener eines Höhentrainings oder des EPO-Dopings wird damit erreicht. Im zitierten „Fall Hamilton“ wurden in den beanstandeten Blutproben fremde rote Blutkörperchen gefunden. Die Methode birgt das Risiko lebensgefährlichen Transfusionsreaktionen direkt während oder kurz nach der Blutübertragung – durch Unverträglichkeit mit dem Blut des Spenders oder, wie zum Beispiel bei der Tour de France vor einigen Jahren, durch fehlerhafte Lagerung der verabreichten Blutkonserven. Damals waren fast alle Fahrer eines Teams zeitgleich „erkrankt“. 

Fremder Urin in der Blase 
Neben dem Blutdoping zählen auch Maßnahmen zur Verschleierung einer positiven Probe zu den verbotenen Methoden. Dazu gehört wie z. B. die Katheterisierung der eigenen Blase und Auffüllen derselben mit „sauberem“ Fremdurin, der dann bei einer anschließenden Kontrolle als der eigene aus- und abgegeben wird. Das klingt abschreckend, ist aber leider in vielen Sportarten (v.a. Radsport und Leichtathletik, im Triathlon hoffentlich noch nicht) eine durchaus gängige Praxis. Die so mögliche Abgabe von Urin des Trainers oder des Masseurs ist auch der Hauptgrund, weshalb eine Vorwarnzeit von nur fünf Minuten bereits aus einer potentiell positiven Probe eine negative machen kann. 

Aus diesem Grund gehen erfahrene Dopingfahnder bei Trainigskontrollen mittlerweile nur noch mit „Überfalltaktik“ vor. So wurde der Schweizer Oscar Camenzind (wie der Zeitfahrolympiasieger Hamilton vom Team Phonak) kurz vor den Olympischen Spielen auf einer Trainingstour überraschend von einem Auto überholt und an den Straßenrand gewunken, was er aus gutem Grund nicht zu tun gedachte, bis es den Fahndern nach etlichen Kilometern gelang, ihn anzuhalten und zur Probe zu bitten. Dass diese dann positiv ausfiel, war wohl keine Überraschung mehr. Unzählige angekündigte Dopingproben des ehemaligen Weltmeisters waren in den Jahren zuvor negativ geblieben. 

Prohormone auch verboten 
Noch ein Wort zu den sogenannten Nahrungsergänzungsmitteln.Trotz zahlreicher Studien zum Thema Supplementation gibt es bisher keinen wissenschaftlichen Beweis, dass die zusätzliche Einnahme von Vitaminen oder Mineralstoffen für Sportler einen großen Nutzen bringt. Demgegenüber gibt es eine Untersuchung der NADA, die nachweist, dass rund 20 Prozent der angebotenen Nahrungsergänzungsmittel Dopingsubstanzen enthalten. Zum Teil sind diese deklariert, wie bei vielen so genannten Prohormonen, zum Teil aber auch nicht genannt. Da der Hinweis auf kontaminierte Nahrungsergänzungsmittel neben dem auf Fremdmanipulation zu den beliebtesten Ausreden positiv getester Sportler gehört, darf an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, dass das mit der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln verbundene Risiko allein zu Lasten des Sportlers geht. 

Wer glaubt, nicht ohne Nahrungsergänzungsmittel auszukommen, sollte auf Präparate zurückgreifen, deren Hersteller regelmäßig die eigenen Produkte von unabhängigen Labors kontrollieren lassen. Die in der Bodybuildingszene, aber auch regelmäßig in amerikanischen Triathlonzeitschriften angebotenen und als "Doping-free" beworbenen sog. Prohormone (z. B. Dehydroepiandrosteron, besser bekannt unter dem Kürzel DHEA) sind übrigens entgegen allgemeiner Kenntnis für Leistungssportler genauso verboten wie die echten Hormone und sonstigen Anabolika. Die Liste verbotener Substanzen erfasst explizit auch Vorläufersubstanzen und "chemisch oder von der erzielten Wirkung her ähnliche Substanzen". Daneben führen auch die genannten Prohormone nach ihrer Verstoffwechselung im Körper zu positiven Befunden, da es sich, wie der Name schon vermuten lässt, um Vorstufen der klassischen (und verbotenen) Hormone handelt. Die im Urin nachgewiesenen Abbauprodukte sind oft dieselben wie bei den oben genannten Anabolika. 


Teil 4 des tri2b.com-Themenschwerpunkts „Doping im Triathlon“ am kommenden Sonntag: Wie steht es um das Doping im deutschen Triathlonsport?