Kurzmeldung


Sportmedizin: Von Stimulanzien bis Anabolika (Doping - Teil 2)

von Dr. med. Harald Funk für tri2b.com | 31.10.2004 um 22:04
Nach einem Ausflug zu unseren Ahnen im ersten Artikel dieser Serie geht es nun zurück in die Niederungen der Dopingproblematik im Triathlon, dem eigentlichen Thema dieses tri2b.com-Themenschwerpunkts. Welche Dopingmittel sind überhaupt geeignet, die Leistung im Dreikampf aus Schwimmen, Radfahren und Laufen zu verbessern?

Weil das Anforderungsprofil des Triathleten komplex ist und neben Ausdauer auch Kraft, Motorik und Schnelligkeit verlangt, darf man im Prinzip davon ausgehen, dass jede Substanz, die eine der genannten Einzelfähigkeiten beeinflusst, auch Auswirkungen auf die Gesamtleistung hat. Es ist also nur logisch, dass die Dopingliste im Triathlon sich nicht grundlegend von der in anderen Sportarten unterscheidet. Gemäß der oben zitierten Dopingdefinition ist es auch unerheblich, ob eine Substanz, die bei einem Sportler zu einem positiven Befund geführt hat, tatsächlich „Wirksamkeit entfaltet“. Eine der häufigsten Ausreden erwischter Sportler („Die bei mir gefundene Substanz bringt bei der betriebenen Sportart / in der gefundenen Konzentration / in der aktuellen Phase des Jahreszyklus ohnehin nichts…“) verliert in diesem Zusammenhang an Gewicht. 

Nachfolgend ein Überblick über die einzelnen Substanzengruppen, typische Stoffe, ihre Wirkung und natürlich die oft schwerwiegenden Nebenwirkungen: 

STIMULANZIEN (=Aufputschmittel) 
Sie dienen dazu, die Ermüdungsschwelle bei körperlicher Belastung nach hinten zu verschieben und erreichen dies durch Ausschöpfen der normalerweise nicht zugänglichen, so genannten Autonomen Reserve, der Kraft- und Energiereserve, die wie bereits ausgeführt, entwicklungsgeschichtlich für den unmittelbaren Überlebenskampf vorgesehen ist. Sie darf nicht vorzeitig und in weniger brenzligen Situationen verpulvert werden. Die klassichen Vertreter von Aufputschmitteln sind Amphetamin und Ephedrin sowie deren Abkömmlinge. Die zu erwartenden Nebenwirkungen der Stimulanzien liegen in erheblichen Blutdruck- und Herzfrequenzanstiegen, einem erhöhten Risiko für Hitzschlag und im Extremfall im tödlich endenden Herz-Kreislaufversagen durch die ungezügelte Überforderung Der oft zitierte Fall des Radrennfahrers Tom Simpson, der bei der Tour de France 1967 unter (nachgewisener) Amphetamin-Einnahme beim Anstieg auf den Mont Ventoux plötzlich tot vom Rad kippte, ist ein dramatisches Beispiel.

NARKOTIKA (=Nicht erlaubte Schmerzmittel) 
Hierunter sind vorwiegend die sogenannte Betäubungsmittel (also Morphiumpräparate) sowie klassische Drogen wie Cannabis und verwandte Substanzen subsummiert, deren Verschreibung durch einen Arzt strengen Auflagen unterliegt – weniger aufgrund ihrer Verwendung als Dopingmittel, als vielmehr wegen ihres Suchtpotentials. Im Triathlon dürften sie, allein der schwierigen Beschaffung wegen, keine große Rolle spielen. Allerdings gab es bei der diesjährigen Tour de France einen Dopingfall aufgrund eines positiven Tests auf Methadon, so dass bei den vielfältigen Berührungspunkten zwischen Radsport und Triathlon nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Einsatz von Morphiumpräpapraten auch im Triathlon nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. 

Der Autor Dr. med. Harald Funk,
Stationsarzt in einer orthopädischen 
Fachklinik am Chiemsee, ist seit mehr
als 10 Jahren mit Ehefrau Heike im
Triathlonsport aktiv und konnte sich
dabei wiederholt bei gut besetzten
Rennen auf vorderen Rängen
platzieren (u. a. IM Lanzarote 1996
Rang 4, QCR 2003 Rang 9).

Neben den verbotenen gibt es auch eine ganze Reihe von erlaubten Schmerzmitteln wie das Morphin ähnliche Tramadol, das Diclofenac (enthalten in Voltaren u.a.), Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin). Dass diese unter Dopinggesichtspunkten erlaubt sind, bedeutet nicht, dass deren Einnahme unter Wettkampf und Trainingsbedingungen medizinisch unbedenklich ist. Sie können unter anderem zu Magen- und Darmblutungen bis hin zu Darmdurchbrüchen führen, was in der Vergangenheit bereits wiederholt auch bei Top-Profis und unter anderem auf Hawaii passiert ist. Solche Fälle landen, wenn sie Glück haben, unmittelbar auf dem Operationstisch! 

ANABOLIKA (=Muskelaufbauende Präparate) 
Hierzu zählen Substanzen wie das männliche Geschlechtshormon Testosteron und chemisch eng verwandte Abkömmlinge, wie Stanozolol (bekannt geworden durch Ben Johnson), Nandrolon (bekannt durch den Fall Dieter Baumann), Dianabol (dasStandardpräparat im Dopingsystem der ehemaligen DDR). 

Anabolika verstärken die Proteinsynthese, was sowohl beim Krafttraining als auch bei der Regeneration nach hohen Trainingsbelastungen von leistungsfördernder Bedeutung sein kann. Zudem erhöhen sie die Syntheserate des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin (wichtig für den Sauerstofftransport) und der roten Blutkörperchen. Sie verringern den relativen Anteil des Körperfetts am Gesamtgewicht. Frauen, die von Natur aus nur über eine sehr geringe körpereigene Testosteronproduktion verfügen, „profitieren“ vom Doping mit Anabolika in weitaus stärkerem Maße als Männer, die ja zur bestmöglichen Bewältigung ihrer entwicklungsgeschichtlich angestammten Alltagsanforderungen (Jagd und Kampf) bereits mit dem biologischen Optimum (unter dem Aspekt von Wirkung undNebenwirkung) ausgestattet sind. 

Typische Nebenwirkungen des Missbrauchs von Anabolika sind bei Frauen die Vermännlichung (Bartwuchs, Haarwuchs an den bei Männern typischen Stellen wie z.B. unterhalb des Bauchnabels, tiefe Stimme) Störungen des weiblichen Zyklus bis hin zu bleibender Unfruchtbarkeit (Grund mehrerer noch laufender Prozesse ehemaliger DDR-Sportlerinnen gegen ihre damaligen Trainer) und Wesensveränderungen mit Betonung aggressiver Verhaltensmerkmale. Bei Männern kommt es z.B. zur Gynäkomastie (der Ausbildung einer weiblichen Brustform) – ein Problem von dem ein Großteil der Bodybuilder nach langjährigem Anabolika-Missbrauch irgendwann betroffen ist. 

Paradebeispiel Griffith-Joyner 
Daneben gibt es aber auch noch weniger offensichtliche Nebenwirkungen wie eine Steigerung des Krebsrisikos für hormonabhängige Tumoren (Hodenkrebs, Eierstock- und Gebärmutterkrebs und Brustkrebs) sowie die aus medizinischer Sicht katastrophalen Verschiebungen im so genannten Lipid-Profil, also der Konzentration von Cholesterin und Triglyzeriden. Das kann zu Arteriosklerose und damit einem stark erhöhten Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle führen. Wenn man diese Nebenwirkungen kennt, erscheinen einem manche Sportlerschicksale automatisch in einem anderen Licht. So gilt der Tod der 100 Meter-Läuferin Florence Griffith-Joyner (Inhaberin des noch gültigen Weltrekord), die im ungewöhnlichen Alter von 38 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb, in Medizinerkreisen als wenig überraschende Spätfolge exzessiven, über Jahre hinweg betriebenen Hormondopings. 

Von ihrer Wirkung her wären die Anabolika eigentlich prädestiniert, in der medizinischen Rehabilitation (nicht bei Sportlern, wo sie ja verboten sind) zum Beispiel nach Hüft- oder Knieoperationen zur schnellen Kräftigung eingesetzt zu werden. Tatsächlich wurden die Präparate auch primär zu diesem Zweck entwickelt und in den 70er Jahren auch dort eingesetzt. Wegen ihrer gravierenden Nebenwirkungen spielen Anabolika aber in der täglichen medizinischen Praxis fast keine Rolle mehr und werden fast ausschließlich zur Substitutionstherapie bei Unterfunktionen der Hormon produzierenden Drüsen eingesetzt. 

Dass Anabolika trotzdem, wie auch die jüngsten Dopingfälle im Triathlon und bei den Olympischen Spielen in Athen unterstreichen, zu den am häufigsten missbrauchten Dopingsubstanzen zählen, liegt auch an ihrem geringen Preis und ihrer in vielen Ländern (USA, Länder des ehemaligen Ostblocks, Türkei) rezeptfreien Verfügbarkeit. 

Im nächsten Teil der Serie (am kommenden Mittwoch): EPO, Wachtumshormon und Kortison