Verletzungsgründe: Fast immer wird falsch trainiert

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 20.04.2012 um 12:45
Triathlontraining bedeutet oft Höchstbelastung für den menschlichen Körper. Verletzungen, meist in Form von Überlastungen bleiben da nicht aus. Wir sind auf Ursachenforschung gegangen und haben dazu den Münchner Orthopäden Uli Nieper befragt. Entscheidenden Einfluss auf die Verletzungsanfälligkeit hat seiner Meinung nach vor allem eine unangepasste Trainingssteuerung, das steigende Durchschnittsalter der Triathleten und der Trend, sich immer schneller auf die langen Wettkampfdistanzen, wie Ironman, zu wagen.

tri2b.com: Welchen Tipp kannst Du geben, wenn es wenige Tage vor einem wichtigen Rennen, auf das der Athlet vielleicht fast ein Jahr hin trainiert hat, zum Zwicken im Knie oder der Achillessehne anfängt? Neben Deiner Tätigkeit als Arzt bist Du ja auch selbst langjähriger aktiver Triathlet und kannst Dich gut in die Sportler hinein versetzen!
Uli Nieper (U.N.): Da muss wirklich alles getan werden, damit der Sportler starten kann. Es darf natürlich für ihn nicht gesundheitsschädlich sein, aber wenn es kleine Verletzungen sind, wie zum Beispiel Sehnenentzündungen oder eine Gelenkblockade, dann sollte der Doktor versuchen, den Sportler in der Woche irgendwie wieder fit zu bekommen. Als Therapie gibt es zum Beispiel Physiotherapie, Medikamente oder eventuell auch mal eine Spritze. Schließlich kann man dem verletzten Athleten nach einem Jahr harten Training schlecht sagen, Junge das war´s, Du kannst Dich für nächstes Jahr wieder anmelden. So etwas akzeptiert kein Sportler. Anders schaut es natürlich aus, wenn beispielsweise ein Ermüdungsbruch vorliegt. Hier gibt es innerhalb einer Woche keine Aussicht auf Heilung, deshalb da ein klares Nein.

tri2b.com: Kannst Du Unterschiede in den Beschwerdebilder zwischen Profitriathleten und Hobbytriathleten feststellen?
U.N.: Das ist schwierig zu beantworten. Ambitionierte Athleten haben meist ein besseres Körpergefühl als die Hobbytriathleten. Auf der anderen Seite sind die sehr ambitionierten Triathleten eher uneinsichtig, wenn der Arzt eine Sportpause anordnet. Der Hobbytriathlet, der zwei, drei Sprinttriathlons im Jahr macht, akzeptiert es eher mal, auf drei Wochen Laufen verletzungsbedingt zu verzichten, als der ambitionierte Athlet, der zum Beispiel im Mai beim Ironman Lanzarote starten will und sich im April ein Tractus-Syndrom zuzieht. Dieser bekommt bei zwei oder drei Wochen Laufpause die Krise. In so einem Fall muss man mit dem Athleten reden und ihm klar machen, dass er die Verletzung ausheilen muss, sonst kann die ganze Saison kaputt sein.

tri2b.com: Welchen Einfluss hat das Alter der Athleten?
U.N.: 10 bis 15 Stunden Sport in der Woche ist kein Hobby- oder Ausgleichsport mehr. Dieses ist aber die untere zeitliche Grenze, wenn es um eine Ironman-Teilnahme geht. Wenn man diese Trainingsbelastung mit Sportarten wie Fußball, Basketball oder Volleyball vergleicht, ist man schnell auf Regionalliganiveau. Hierzu kommt jetzt das gestiegene Durchschnittsalter der Triathleten ins Spiel. Viele Anfänger sind nicht mehr 20, sondern eher schon Mitte 30 und teilweise auch schon deutlich über 40. Der Körper hat aber in diesem Alter eine deutlich verlängerte Regenerationszeit, als Athleten mit 20 oder 25 Jahren. Aus diesem Grund steigt auch die Verletzungsanfälligkeit mit dem Alter.

tri2b.com: Heißt, vor 15 Jahren waren die Beschwerdebilder anders?
U.N.: Auf jeden Fall. Klar, die Triathleten haben sich damals auch verletzt, aber die Verletzungen sind schneller ausgeheilt. Heute sind die Athleten 15 oder 20 Jahre älter und trainieren zudem meist noch für einen Ironman. Das hat zur Folge, dass sie Zwei-Stundenläufe machen müssen und bis zu sechs Stunden auf dem Rad sitzen. Bei solchen extremen Belastungen kommt es schnell zu Verletzungen der Sehnen und Muskeln. Leider fehlt aber dann oft das Verständnis und die Geduld, die Verletzung vernünftig auszuheilen. Der Ironman steht auf der `to do List`, der muss dieses Jahr gemacht werden, sonst killt einen die Familie (schmunzelt). Erfahrungswerte zeigen, dass ein Ironman-Training mit 10 bis 15 Stunden Sport in der Woche über einen längeren Zeitraum, erst nach 5 bis 7 Jahren Trainingsaufbau körperlich kompensiert werden kann. Meist wird so viel Zeit ins Radfahren und Laufen gesteckt, dass Basics wie allgemeine Athletik, Beweglichkeit oder auch die Regeneration komplett vernachlässigt werden, weil es zeitlich gar nicht mehr geht.


Uli Nieper ist Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin und praktiziert als niedergelassener Arzt in München und Erding. In früheren Jahren war der heute 46-Jährige auch als Mannschaftarzt im Profifußball tätig. Selbst hat er sich sportlich aber voll dem Triathlon – seit 1988 - verschrieben und bringt es bis heute auf insgesamt zehn erfolgreiche Teilnahmen beim Ironman Hawaii. Im Jahr 2001 gewann er dort die Altersklasse 35.
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tri2b.com: Triathleten in der vierten Lebensdekade bringen zudem meist so allerlei Altlasten mit, beispielsweise Verletzungen aus früheren Zeiten, teilweise ist Gelenkarthrose ein Thema. Ist ein Ironman aus orthopädischer Sicht vertretbar, wenn die Diagnose Arthrose vorliegt?
U.N.: Wenn jemand einen Vorschaden in Form einer Hüfte- oder Kniearthrose hat, ist der Triathlonsport mit Vorsicht anzugehen. Arthrose ist kein kleiner Knorpelschaden mehr, Arthrose ist der Endzustand eines Gelenks. Beim Knorpelschaden gibt es Grad 1 bis 4, der nächste und letzte Grad ist die Arthrose. Schwimmen und Radfahren wird normalerweise unproblematisch sein. Durch das Lauftraining kann aber die Schädigung so fortschreiten, dass, erstens: Der Sport irgendwann gar nicht mehr ausgeübt werden kann, und zweitens: Es auch zu Einschränkungen beim normalen Gehen kommen kann, bis hin zum Verlust der vollen Arbeitsfähigkeit. Wenn ein Athlet mit Arthrose unbedingt Triathlon machen will, dann sollte er seinen Schwerpunkt auf Schwimmen und Radfahren setzen und begleitend nur wenig Laufen. Schmerztabletten oder Schmerzspritzen ins Knie würde so ein Athlet von mir aber definitiv nicht erhalten. Der Athlet muss ganz klar die möglichen Folgen eines Triathlontrainings selbst verantworten. Ich würde es nicht empfehlen, mit Arthrose für einen Ironman zu trainieren.

tri2b.com: Thema Geschlecht. Sind Frauen, denen man ja ein schwächeres Bindegewebe nachsagt, anfälliger für die typischen Überlastungserscheinungen im Ausdauersport/Triathlon?
U.N.: Frauen sind definitiv anfälliger für Ermüdungsbrüche, durch ihren Hormonstatus. Die Knochen sind nicht ganz so fest wie bei Männern und daher auch nicht so extrem belastbar. Bei den übrigen Verletzungsmustern sehe ich keinen großen Unterschied, die sind eigentlich gleich verteilt.

tri2b.com: Welche Therapieansätze sind am sinnvollsten? Gibt es Unterschiede zwischen Profisport und Hobbytriathlon?
U.N.: Als Faustformel empfehle ich: bei akuten Schmerzen aktuelles Training abbrechen, 3 bis 4 Tage in der Problemdisziplin pausieren, es dann nochmal versuchen und wenn die Beschwerden dann wieder auftreten, unbedingt den Arzt oder und/oder Physiotherapeuten aufsuchen. 80 Prozent aller Verletzungen haben ihre Ursache in einem zu hohen Belastungsumfang in Kombination mit zu hoher Intensität. Eher seltene Gründe für Überlastungsschäden sind orthopädische Fehlstellung, wie beispielsweise Senk-/Spreizfüße, Beinlängendifferenz oder ein Beckenschiefstand. In den meisten Fällen wird der Körper bis ans Limit, besser gesagt bis ans individuelle Limit gebracht. Sicher gibt es Athleten, die 250 Kilometer in der Woche laufen können, der Durchschnitt bekommt aber schon bei 60 Laufkilometer überlastungsbedingte Probleme.

Unterschiede zwischen Profi und Amateur bestehen auch in der akuten Behandlung von Verletzungen. Ein Profi wird normalerweise sofort nach einem Training, in dem leichte Beschwerden auftreten, seinen Physiotherapeuten aufsuchen und sich behandeln lassen. Einen längeren Trainingsausfall kann sich ein Profi nicht leisten. Ein Amateur muss sich meistens erst ein Arzt und ein Physio-Termin organisieren und dies bedeutet Aufwand, der oft gescheut wird und so die Verletzungen nicht im Ansatz schon auskuriert werden.

tri2b.com: Am besten ist es ja, sich gar nicht erst zu verletzen. Was kann man zur Vorbeugung machen?
U.N.: Zunächst ist ein sinnvoller Trainingsaufbau zu empfehlen, das heißt: Trainingsumfang und Intensität kontinuierlich über die Jahre steigern. Ausgleichsport und Regenerationszeiten müssen beachtet werden. Auch dürfen die Wettkampfdistanzen nicht zu schnell gesteigert werden. Zusätzlich empfehle ich eine ausgewogene Ernährung, die in Zeiten von Belastungsspitzen, wie zum Beispiel in einem Trainingslager, mit der Substitution von Nahrungsergänzungsmitteln unterstützt werden kann. Auch kann man mit der Gabe von Enzymen Verletzungen vermeiden. Entzündungsstoffe und freie Radikale werden hierbei besser abgefangen. Zusätzliches Krafttraining ist natürlich zu empfehlen, damit es nicht zu muskulären Dysbalancen kommt. Gerade durch das Radfahren ist die vordere Oberschenkelmuskulatur im Vergleich zur hinteren oft deutlich kräftiger, was wiederum zu Verletzungen führen kann.

tri2b.com: Wie schaut es mit traumatischen Verletzungen aus? Wann gehört man auf das Sofa oder darf noch in den Rennsattel?
U.N.: Nach einer Sturzverletzung ist in der Akutphase auf jeden Fall immer Kühlung zu empfehlen und das verletzte Körperteil ruhig zu stellen. Sportpause ist angesagt, damit es schneller abschwellen kann; zusätzlich abschwellende Maßnahmen, wie Lymphdrainage, leichte Massage und Enzyme. Mehr kann zunächst nicht gemacht werden. Wenn kein Bruch vorliegt, ist eine Wettkampfteilnahme grundsätzlich möglich. Offene Wunden können aber ein Problem sein. Mit einer Schnittwunde, die genäht wurde, kann man nicht ins Wasser. Bei einer Schürfwunde schaut es anders aus. Da kommt es auf die Größe der Verletzung an. Bei kleineren Schürfwunden sollte eine Rennteilnahme möglich sein, wobei sich der Heilungsverlauf natürlich verlängern kann. Im Endeffekt kommt es auf die Leidensfähigkeit des Athleten an.