Oliver Schmidtlein: Die Wirkung des Koordinationstrainings wird oft unterschätzt

tri2b.com | 04.09.2016 um 14:22
Als Gründer und Inhaber der seit 2008 bestehenden Praxis OSPHYSIO® Training & Therapie praktiziert Physiotherapeut Oliver Schmidtlein in München. Zwischen 1999 und 2001 verlegte er seinen Wohnsitz in die USA, um dort zu leben, zu arbeiten und sich weiterzubilden. Therapeutische Schwerpunkte sind die Manuelle Therapie, Sportphysiotherapie und alle Formen des medizinischen und funktionellen Trainings. Unter anderem war er bei der deutschen Fußballnationalmannschaft, dem FC Bayern München und dem TSV 1860 München als Physiotherapeut und Athletiktrainer tätig. Für TST Trend Sport Trading hat er die brandneue MFT Challenge Disc® 2.0 getestet.

tri2b.com: Herr Schmidtlein, Sie haben die neue MFT Challenge Disc® 2.0 in Ihrer Praxis getestet – wie ist Ihr erster Eindruck?
Oliver Schmidtlein (O.S.): Der neue Trainingsansatz, das einfache Handling des Geräts und die Reaktionen unserer Patienten darauf, haben mich positiv überrascht. Die klassischen Wackelbretter sind jedem bekannt. Bei der Challenge Disc 2.0 überzeugt die direkte Feedbackfunktion und das Trainingsprogramm per App. Sie bietet etwas völlig Neues im Bereich des koordinativen Trainings – sowohl für Athleten als auch für Trainer.  

tri2b.com: Bei der MFT Challenge Disc® 2.0 handelt es sich vorwiegend um ein Trainingsgerät für die Koordination. Warum ist diese Fähigkeit für einen Athleten besonders wichtig?
O.S.: Beim Koordinationstraining geht es darum, gekoppelte Bewegungen zu entkoppeln. Gekoppelt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass beim Ausführen eines bestimmten Bewegungsablaufs eine Bewegung erfolgt, die dafür nicht zwingend notwendig ist – beispielsweise bei hoher Beschleunigung, positiv wie negativ, oder beim Ausweichen. Durch Koordinationsübungen können Bewegungsmuster gezielt verbessert werden. Dabei ist stets die Bewegungskontrolle das oberste Ziel. Jede Bewegung soll planmäßig, effizient und nicht zufällig ausgeführt werden – selektives Bewegen sozusagen.  

tri2b.com: Selektives Bewegen – können Sie ein Beispiel dafür geben?
O.S.: Auf die MFT Challenge Disc 2.0 bezogen, bedeutet selektiv Folgendes: Ich erkenne visuell über das Tablet, dass der Punkt nach links geht. Schaffe ich es, dem Punkt in der vorgegeben Geschwindigkeit zu folgen, kann ich meinen Muskelapparat selektiv ansteuern. In dieser Form war Koordinationstraining bisher nur mit einem Coach möglich. Dieser hat einen Reiz vorgegeben und die Übung überwacht. Dabei hat der Athlet eine verbale Anweisung erhalten, die er in eine Bewegung umsetzen musste. Der Unterschied bei der Challenge Disc 2.0 besteht darin, dass es sich nun um einen visuellen Reiz handelt, der in eine kontrollierte Bewegung umgesetzt werden muss. Das Novum ist, dass das Gerät über denselben Weg direkt Feedback gibt. Es ersetzt damit die verbale Anweisung des Coaches. 

tri2b.com: Ist es unproblematisch, die Übungen ohne Trainer auszuführen?
O.S.: So ist es. Die Patienten trainieren selbstständig. Sie sind motiviert, ohne dass ein Trainer daneben stehen und Anweisungen geben muss. Das ist mir besonders positiv aufgefallen. Zudem werden sensomotorische Übungen häufig an eine vorgegebene Zeit gebunden, um zu überprüfen, wie gut ein Patient sie ausführt oder eben nicht. Ist der Trainer in dieser Zeit nicht dauerhaft beim Athleten, kann er nicht überprüfen, ob dieser die Übungen in der vorhergesehenen Dauer ausgeführt hat oder nicht. Die Challenge Disc 2.0 übernimmt dank passender App diese Aufgabe des Coachings und ermöglicht ein gezieltes Koordinationstraining für die untere Extremität, Rücken und Rumpf. 

tri2b.com: Es gibt verschiedene koordinative Fähigkeiten. Welche werden beim Training mit der MFT Challenge Disc® 2.0 besonders gefordert?
O.S: In erster Linie das Gleichgewicht und die Balancefähigkeit. Dabei geht es bei den Übungen nicht um einen einfachen Bewegungsauftrag wie beispielsweise den Einbeinstand oder eine waagerechte zweibeinige Standposition wie man es auf einem gewöhnlichen Kreisel macht, sondern um eine kontrollierte und aktive Bewegungsausführung. Nicht nur das gerade Stehen kann erlernt werden, was bei den meisten Athleten relativ schnell gelingt, sondern das gezielte Aus-dem-Gleichgewicht-bewegen-und-zurückführen in eine bestimmte geforderte Position wird ebenfalls geschult. Man verharrt in der unteren Extremität und in der Wirbelsäule also nicht in einer fixen Position, stattdessen verändert man diese permanent, um die Bewegung anhaltend zu kontrollieren.

tri2b.com: Wie bewerten Sie den Trainingsansatz der MFT Challenge Disc® 2.0?
O.S.: Bei den Geräten, die ich kenne, ist es bislang so, dass Fuß, Knie und Hüfte normalerweise in einer neutralen Position verbleiben und versucht wird, sich im Gleichgewicht zu halten. Das Trainingsprogramm von MFT geht einen komplett anderen Weg. Bei diesen Übungen muss man sich gezielt aus der Balance bewegen und wieder zurück ins Gleichgewicht bringen. Gezielt deshalb, weil die App einen klaren Bewegungsauftrag erteilt, in Form einer Übung oder eines Spiels. Man lernt dabei, die Position zu kontrollieren. Das finde ich das Interessante daran und insofern hebt sich das Gerät über seinen Trainingsansatz ganz klar von den bisherigen Produkten ab. Es ist etwas anderes, es ist eine andere Art Training. Speziell für das Sprunglenk empfinde ich es als absoluten Gewinn für das Training wie auch für die Behandlung am Patient. 

 

tri2b.com: Bezogen auf die Leistungsfähigkeit – hat ein Athlet Vorteile davon, wenn er seine Bewegungsabläufe durch Koordinationstraining optimiert?
O.S.: Natürlich. Über ein Koordinationstraining können sogenannte Kompensationen – also gekoppelte Bewegungen, die ungünstig oder überflüssig für den eigentlichen Bewegungsauftrag sind – abgestellt werden. Der Bewegungsablauf wird dadurch optimiert und ökonomischer ausgeführt. Das bedeutet beispielsweise für das Laufen: Wenn das Bein nicht mehr ausweicht, weil die Sensomotorik und die Mechanorezeptoren an der unteren Extremität besser funktionieren, benötigen wir weniger Energie bei jedem Schritt. Eine bessere Koordination führt bei gleichen Stoffwechselbedingungen dazu, dass länger schnell gelaufen werden kann. Das entspricht einer Steigerung der Leistungsfähigkeit. Insofern ist es möglich, einen Transfer zwischen der effektiveren Funktionsweise des Bewegungsapparats und einer verbesserten sportlichen Leistung herzustellen.  

tri2b.com: Viele Sportarten unterscheiden sich in ihren Bewegungsabläufen besonders im Hinblick auf die Komplexität. Für wen empfiehlt sich ein koordinatives Training in besonderem Maße? 
O.S.: Umso komplexer die Sportart, desto höher ist der Stellenwert des Koordinationstrainings einerseits. Andererseits sind auch die koordinativen Inhalte, die trainiert werden müssen komplexer. Der Läufer und Triathlet, der nur geradeaus läuft – zwar mit hohem Anspruch, aber trotzdem nur geradeaus – führt normalerweise wesentlich weniger komplexe Koordinationsübungen aus, als ein Spielsportler, der sich dreidimensional bewegt. Abstopp-, Dreh- oder Reaktionsbewegungen auf Gegner und Sportgeräte stellen koordinativ höhere Herausforderungen an die Motorik.  

tri2b.com: Bezogen auf die Komplexität der koordinativen Inhalte, für welche Sportarten eignet sich ein Training mit der MFT Challenge Disc® 2.0?
O.S.: Koordinative Inhalte können sowohl statisch als auch dynamisch ausgeführt werden, wobei Letztere vom Schwierigkeitsgrad deutlich anspruchsvoller sind. Das Trainingsprogramm der Challenge Disc 2.0 orientiert sich an statischen Übungen auf einem leichten bis moderaten Level. Deswegen eignet es sich auch für nahezu alle Sportarten. Die Übungen bilden die Basis für komplexere und dynamische Inhalte wie beispielsweise Sprünge. Die Grundlagen sollten von jedem Sportler ausgeführt und beherrscht werden können. 

tri2b.com: Wie viel Zeit sollte das Koordinationstraining vom Trainingsumfang einnehmen?
O.S.: Bei einer Trainingseinheit von 60 Minuten sollte der Anteil koordinativer Übungen zehn bis 15 Prozent nicht überschreiten – also ca. zehn Minuten. Ob in einem Block oder in Summe über die Stunde verteilt, ist unerheblich. Nach meiner Erfahrung schätzen die wenigsten Athleten richtig ein, welchen positiven Einfluss das Koordinationstraining auf ihren Sport hat und setzen daher leider zu wenige Schwerpunkte im Training.    

tri2b.com: Wann sollte das Koordinationstraining im Rahmen der Trainingsplanung bzw. einer Trainingseinheit erfolgen?
O.S.: Im Prinzip können entsprechende Inhalte bei jedem Training eingebaut werden. Das Koordinationstraining ist im Gegensatz zum Krafttraining oder der Plyometrie nicht den physiologischen Prinzipen der Periodisierung unterworfen. Ich finde, es passt zum Beispiel sehr gut ins Aufwärmprogramm. Wichtig ist, dass die Athleten körperlich fit und frisch sind, um die Übungen korrekt auszuführen. Es empfiehlt sich daher, koordinative Inhalte möglichst in der ersten Hälfte des Trainings zu absolvieren. Unter bestimmten trainingsspezifischen Aspekten wäre die Ausführung auch am Trainingsende, sprich nach Ermüdung, möglich. Das stellt koordinativ aber deutlich höhere Ansprüche an den Athleten und sollte erst ausgeführt werden, wenn die Übungen im körperlich fitten Zustand perfekt beherrscht werden