Kurzmeldung


Quelle Challenge Roth 2003: Der Zweikampf

von Steffen Gerth für tri2b.com | 06.07.2003 um 20:43
Gerne würde man wissen, was in solchen Momenten in zwei Männern vorgeht, die einen achtstündigen Kampf hinter sich haben, fast die ganze Zeit Seite an Seite, um dann auf den letzten Metern ihren geschundenen Körpern einen wohl kaum noch messbaren Rest an Energie abzuverlangen. Die Zuschauer kreischen, der Streckensprecher überschlägt sich, das Ziel ist nahe. Und die Männer rennen.

 

Zweites Wimpernschlagfinale der Geschichte

Hinter ihren Sonnenbrillen kann man ihre Augen nicht erkennen, aber sie werden geschlossen sein. Sie beißen auf die Zähne, vielleicht kreischt eine innere Stimme in ihnen: „Weiter, weiter.“ Noch dreihundert Meter, zweihundert, hundert, das Ziel ist nahe, die Menge tobt, als die beiden schließlich durch dieses Zielgeviert stürmen, muss man Angst haben, dass beide in den engen Kurven stürzen.

Aber dann ist dieser eine Mann diesen winzigen Tick schneller, drei Sekunden – pah, eigentlich eine Frechheit, nach einem Achtstundentag im Wasser, auf dem Rad und über endlos lange 42,195 Kilometer. 8:11:50 zu 8:11:53 Stunden hieß dann das amtliche Endergebnis, nur noch sehr gut Informierte erinnern sich, dass es im Triathlon erst einmal so ein Wimpernschlagfinale gegeben hatte: 1989 in Neuseeland, zwischen Ken Glah und Pauli Kiuru.

Leders geheimer Traum

Es ist dieser winzige Tick mehr an Entschlossenheit, vielleicht an Energiereserven, bestimmt aber auch Cleverness, die Lothar Leder zu einem Sieg tragen, der für Triathlonverhältnisse denkwürdig ist. Insgeheim hat Leder immer von so einem Rennen Mann gegen Mann geträumt, und am diesem 6. Juli hätte diese ursprünglichste Variante des Sports kaum intensiver ausfallen können. Sie brechen dann im Ziel beide zusammen, Leder, und der soeben um Haaresbreite geschlagene Chris McCormack, für ein paar Minuten versagen die Körper ihre Dienste. McCormack wurde sogar von Helfern weggetragen, aber die kommen nicht weit. Der Mann aus Australien rappelt sich auf und wackelt auf seinen müden Beinen zu dem, der ihn soeben in diesem unglaublichen Finish niedergerungen hat. Fast scheint es, als wolle McCormack Leder nicht nur gratulieren, sondern als habe er sich auch bei ihm zu bedanken für dieses Rennen. „Ich habe in meinem Leben 200 Triathlonwettbewerbe bestritten, aber so etwas wie heute, habe ich noch nicht erlebt“, wird McCormack später sagen. Lothar Leder beschreibt seine letzten Meter als reine Willensangelegenheit, nur noch der Kopf habe über den Körper regiert, die Psyche hat die Physis besiegt.

Antritt überraschte Macca

Lothar Leder muss noch ziemlich wach im Kopf gewesen sein, denn dank seiner Rother Ortskenntnisse hatte er gewusst, wann der Moment zum Antritt gekommen war: Vielleicht einen Kilometer vor dem Zieloval, wenn die Ausgangsstraße Richtung Hilpoltstein leicht ansteigt. Dort habe er seine körperliche Kraft eingesetzt, sagt er, und ab dann hatte McCormack Schwierigkeiten, zu folgen, auch wenn es nur sechs, sieben Meter waren, die Leder davongelaufen war. Kaputt waren sie beide, draußen, beim Laufen am Kanal hatte jeder seine schlimmen Hänger. McCormack vielleicht noch etwas mehr, denn seit er mit Leder Seite an Seite gelaufen war, hatte der Australier den Darmstädter regelrecht angefleht, ihn bis ins Ziel zu begleiten.

Bilderbuchdramaturgie entschädigt für „langweilige Radstrecke“

Herbert Walchshöfer, der Organisationsschef des Quelle Challenge bezeichnete den Rennverlauf als „Bilderbuchdramaturgie“, es wirkte, als wolle er sich auch bei den beiden Protagonisten dafür bedanken. Dass Lothar Leder an diesem 6. Juli seinen fünften Sieg in Roth errungen hat und Chris McCormack bei seinem Debüt als Zweiter im Fränkischen so stark war, wie selten zuvor ein Athlet aus Übersee, ist das eine. Das andere ist, dass die Intensität dieses Zweikampfes, der ja schon nach wenigen Radkilometern begonnen hatte, über einen Rennverlauf hinwegtröstete, der so langweilig war, dass man ihn kaum erwähnen sollte.

Chabaud oder Rhodes hätten alles ändern können

Auf den ersten Blick schien es, als ob Leder/McCormack eine Klasse für sich waren. Aber wer weiß, was passiert wäre, hätte Francois Chabaud, später immerhin noch Dritter, beim Radfahren nicht einen Plattfuß gehabt, und danach 120 Kilometer mutterseelenallein über die Straßen Frankens zu kämpfen. Wer weiß was passiert wäre, wenn Bryan Rhodes nicht ebenfalls mit Raddefekt gar aufgegeben hätte? Das Rennen wäre ein anderes gewesen.

So hatte es ab Platz drei etwas Beliebiges, ja, Ödes. Der Zweikampf Chabaud vs. Tom Söderdahl (Vierter) war zwar nicht ohne, aber eben nicht richtig prickelnd. Und dahinter wühlte sich ein verzweifelter Alexander Taubert über die Strecke, um nach einem für ihn enttäuschenden Rennen zu konstatieren, dass er einen miserablen Tag hatte. Es war zu kalt, auf dem Rad fand er nie in Tritt, und wenn der Lauf noch zwei Kilometer länger gedauert hätte, wäre es ganz furchtbar geworden für den Mannheimer, der Hawaii 2002 als grandioser Fünfter beendete hatte, und für den deswegen dieselbe Platzierung in Roth 2003 eine bittere Enttäuschung war.

Dann trottet Taubert langsam zum Verpflegungsbereich, blickt nochmal zurück zum Ziel, wo Lothar Leder schon längst wieder erholt Kusshändchen verteilt, für die Fotografen posiert und das obligatorische gewaltige Weizenbierglas seines Sponsors wie einen Pokal vor sich herträgt. Leder hat Roth zum fünften Mal gewonnen, und damit zu Jürgen Zäck aufgeschlossen. Die Menge tobt, der Sprecher überschlägt sich – auch in diesem Moment hätte man gerne gewusst, was in dem Mann vorgeht.