tri2b.com: Du bist seit ein paar Tagen vor Ort auf Big Island, wie sind die ersten Eindrücke von den Bedingungen und vom Flair?
Leonie Konczalla (L.K.): Für mich ist Big Island bis jetzt so ein bisschen eine Mischung aus Kanaren und Neuseeland. Die Kanaren, was die Landschaft betrifft. Neuseeland, weil die echten Hawaiianer mich an die neuseeländischen Maori erinnern. Von daher habe ich das Gefühl an einen Ort gekommen zu sein, den ich schon kenne. Kailua-Kona selbst finde ich ganz schön laut und es ist eine Woche vor dem Rennen richtig viel los, was ich so nicht erwartet hatte. Trotzdem ist es superschön und die Insel hat wirklich ihr ganz besonderes Flair, den man so nicht greifen kann, sondern man einfach erleben muss. Deshalb ist es richtig cool jetzt hier zu sein.
tri2b.com: Du hattest eine Woche vor dem Abflug einen unverschuldeten Radunfall. Was ist genau passiert und wie geht es dir jetzt?
L.K.: Ich bin im Training geradeaus am Deich entlanggefahren, als auf der Gegenfahrbahn ein älterer Rentner ohne zu kucken abgebogen ist und hat mich einfach komplett abgeräumt. Ich hatte da super viel Glück und bin mit Prellungen, Abschürfungen und ein paar blauen Flecken davongekommen. Aber mein geliebtes Specialized Shiv TT-Bike ist bei dem Crash in drei Stücke zerbrochen, was mich am Anfang emotional wirklich sehr mitgenommen hat. Dieses Bike hatte mich seit meinem ersten Profistart im Jahr 2019 begleitet und ich bin darauf sehr gerne gefahren. Außerdem war mir bekannt, dass Specialized dieses Modell so nicht mehr baut und wenn es kaputt geht, ist es eben nicht einfach mal so zu ersetzen. Da hat mir echt das Herz geblutet und das war fast schlimmer als meine körperlichen Blessuren, die verheilen werden.
tri2b.com: Wieviel Stress war es anschließend innerhalb von nur einer Woche ein WM-taugliches Triathlonrad zu bekommen, das für dich passend ist?
L.K.: Das war in der Tat stressig. Ich hatte viele nette Angebote von Trainingspartnern, Bekannten und sogar unbekannten Privatleuten aus Hamburg und Umgebung, die mir ihr Fahrrad leihen wollten. Allerdings war meine Scheu relativ groß, nachdem ich mein eigenes Rad kaputt in Stücken vor mir liegen sah, so ein Angebot anzunehmen, damit einmal auf die andere Seite der Erdkugel zu fliegen und sogar noch einen Wettkampf zu machen. Wenn so ein geliehenes Bike dann ebenfalls kaputt geht, dann kann man das natürlich mit Geld ersetzen, den individuellen Wert aber nicht. Deshalb war erst mal der Specialized Concept-Store in Hamburg meine Anlaufstelle, wo man wirklich alles getan hat, um irgendwie noch ein Ersatzrad herzubekommen. Aufgrund von Lieferengpässen leider erfolglos. Über drei Ecken und viel Zutun von anderen Partnern hat jetzt netterweise Canyon ein Rad für den Ironman Hawaii zur Verfügung gestellt. Ich bin dafür super dankbar, da dies absolut nicht selbstverständlich ist. Diese Zusage hat mir nach vier Tagen bibbern endlich die Erleichterung gebracht doch noch mit komplettem Equipment die Reise nach Kona antreten zu können.
Anfang September gewann Leonie Konczalla den Ironman 70.3 im polnischen Posen – © Paul Higgins
tri2b.com: Wie sah zuletzt deine Arbeit als Ärztin aus und wie ließ sich dies mit einer vernünftigen Kona-Vorbereitung vereinbaren?
L.K.: Dazu muss ich vorweg anmerken, dass ich meine bisherige Arbeit aus freien Stücken im Frühsommer niedergelegt habe. Ich war an der Uniklinik in Hamburg als Chirurgin angestellt. Die Arbeitsbelastung ist dort ausgehend von der Coronazeit immer weiter angewachsen. Anfang des Jahres war es dann so, dass ich sehr viele Nachtdienste hatte und so auf eine extrem hohe Arbeitsbelastung gekommen bin, wo parallel nicht mehr an ein vernünftiges Triathlon-Training zu denken war. Diese Doppelbelastung hat mich über die vergangenen Jahre auch ein stückweit zerschlissen. Ende Mai habe ich noch meinen Facharzt gemacht und anschließend kam für mich der Cut. Ich hatte was abgeschlossen und wollte dieser Mühle einfach entfliehen. Meine Stelle an der Uniklinik hatte ich gekündigt und so vor Kona jetzt über zwei Monate frei, ganz offiziell als Arbeitslose. In dieser Zeit habe ich nur an meinen Forschungsarbeiten weiter gemacht und auch meine Ehrenämter weiter betrieben. Aber eben nur Sachen, die ich selbst gut planen und einteilen konnte. So sind es jetzt fast drei Monate geworden, in denen ich mich auf mein Training konzentrieren konnte. Mit dieser bisher nicht gekannten Fokussierung hat das Training richtig viel Spaß gemacht. Außerdem konnte ich die Einheiten viel qualitativer gestalten. Von daher war das eine glückliche Fügung, dass der Hawaiistart da genau reingepasst hat. Meinen neuen Job als Ärztin fange ich dann erst im November an.
tri2b.com: Deine Stärke ist das Radfahren. Bei deinem Qualirennen in Frankfurt bist du fast sieben Minuten schneller als die Siegerin Sarah True gefahren, die beim Ironman Hawaii als Top Ten-Anwärterin gilt. Kannst du hier in Kona auch so schnell wie Ryf, Haug und Co fahren, bzw. gibt es einen Raceplan, den du uns verrätst?
L.K.: Ich bin zwar gerne ein Tagträumerin. So schnell wie Daniela Ryf zu fahren, die mit ihren vier Siegen die Queen of Kona ist, gibt es vielleicht in meinen kühnsten Träumen, aber nicht am nächsten Samstag. Ich habe auch noch keinen wirklichen Race-Plan. Ein etwas größerer Schwimmrückstand ist jetzt nichts, was mich überraschen wird. Dann allein mit dem Rad unterwegs zu sein finde ich ehrlicherweise nicht schlimm, weil ich dann für mich sagen kann, ich mache ein faires Rennen und was am Ende als Zeit dasteht habe ich mir auch komplett selbst erarbeitet. So kann ich am Ende des Tages sagen die sieben Minuten schneller als Athletin XY ist meine eigene ehrliche Leistung. Hinzu kommt, dass ich mit meinem neuen Rad noch nicht so vertraut bin. Deshalb muss ich da erstmal kleine Brötchen backen. Ich bin Hawaii-Rookie und es ist überhaupt erst meine dritte Langdistanz. Deshalb steht für mich selbst vor allem ein konstantes Rennen an erster Stelle, ohne energetische Einbrüche oder einem totalen Hitzeeinbruch, in dem ich möglichst viele Erfahrungen und Eindrücke mitnehmen kann, um dann noch einmal besser hierher zurückzukommen.
tri2b.com: War es für dich unabhängig der aktuellen Diskussion um die Ausrichtung der Ironman WM mit zwei Orten und der Trennung zwischen Frauen- und Männerrennen von vorherein klar, dass du eine Quali für Kona auch annehmen wirst?
L.K.: Ich bin in Frankfurt nicht mit der Erwartung ins Rennen gegangen, dass ich einen Kona-Slot erreichen kann. Es war schließlich eine Europameisterschaft, die gut besetzt war. Allerdings war auch klar, dass ich einen Slot dann auch auf jeden Fall annehme, da ja nicht sicher ist wann sich so eine Chance wieder ergibt und Kona aktuell nur alle zwei Jahr möglich ist.
tri2b.com: Erfüllt sich mit der Hawaii-Teilnahme für dich ein sportlicher Lebenstraum?
L.K.: Ein sportlicher Lebenstraum erfüllt sich mit dem Kona-Start für mich nicht. Das soll nicht anmaßend klingen, da ich weiß, dass dies bei vielen Athletinnen und Athleten so ist. Ich habe deshalb nicht mit dem Triathlonsport angefangen, sondern das hat sich eher so Stück für Stück ergeben. Ich bin zunächst lange in der Liga auf den kurzen Distanzen gestartet und war auch auf der Mitteldistanz unterwegs, aber Langdistanz war lange Zeit kein Thema für mich.
tri2b.com: Ist für dich eine Teilnahme bei der Ironman WM in Nizza im Herbst 2024 das nächste große Ziel?
L.K.: Momentan schließe ich die Ironman-WM Nizza nicht aus, nur weil es Nizza ist und nicht Kona. Ich kann aber noch gar nicht sagen, ob ich für die kommende Saison auf eine Ironman WM-Quali hinarbeiten werde. Das muss ich mir noch in Ruhe überlegen und hängt auch davon ab, wie es ab November in meinem neuen Job anläuft.
tri2b.com: Noch einmal kurz zurück in die Gegenwart. Ist Kona für dich ein rein sportliches Abenteuer oder ist im Anschluss auch noch Sightseeing mit einem Hang Loose-Urlaub angesagt?
L.K.: Ich bin wohl die schlimmste Hawaii-Reisende überhaupt. Ich werde gleich am Sonntagabend wieder abreisen. Da blutet mir ehrlich gesagt auch etwas das Herz, da man sich vor dem Rennen voll auf die finalen Trainingseinheiten konzentriert und für die Schönheit der Insel nicht so die richtige Wahrnehmung hat. Eigentlich wäre so eine Reise für mich damit verbunden, dass man z.B. Bikepacken geht, das Zelt und die Wanderschuhe auspackt. Der Grund für die sofortige Rückreise ist eine sportmedizinische Fortbildung, die bereits am Mittwoch beginnt und für die ich lange vor der Kona-Quali schon zugesagt hatte. Ich will mich aber nicht beschweren, da ich mich auch auf die Fortbildung freue. Für den Hawaii-Urlaub muss ich dann wohl noch einmal wiederkommen.
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Vor einem guten Monat stand Leonie Konczalla plötzlich in der Triathlon-Öffentlichkeit. Die 32-jährige gebürtige Osnabrückerin gewann im polnischen Posen erstmals ein Ironman 70.3-Rennen und feierte zugleich den ersten Profisieg ihrer Karriere. Die Hawaii-Quali hatte Konczalla bei der Ironman EM in Frankfurt Anfang Juli perfekt gemacht, als sie mit einer starken Rad-Lauf-Kombi einige höher eingeschätzte Athletinnen hinter sich ließ und auf Rang sieben am Römerberg einlief. Eine Woche vor dem Showdown in Kona haben wir ausführlich mit Hawaii-Rookie Leonie Konczalla gesprochen.
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