tri2b.com: Michael, von unserer Seite herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des WM-Titels, wie waren die letzten Tage für dich?
Michael Raelert (M.R.): Viele haben angerufen, SMS geschrieben, E-Mails geschrieben und sich sehr für mich gefreut, das ist ein unwahrscheinlich schönes Gefühl, wenn man so einen Erfolg mit vielen teilen kann. Richtig gefeiert haben wir noch gar nicht, dazu war die vergangenen Tage nicht Zeit – aber das werden wir nachholen. Schön wäre es natürlich, diese Begeisterung, die ich in Amerika für die 70.3-Distanz erlebt habe, auch nach Deutschland zu bringen. Mein Titel ist in Deutschland von den großen Medien nicht ganz so aufgenommen worden, das Interesse ist bei uns einfach noch nicht so groß. Aber 70.3 ist neben dem Ironman ein sehr interessantes Rennformat, und was noch nicht ist, kann ja noch werden.
tri2b.com: Im Vorfeld warst du für viele schwer einzuschätzen, es war ja auch erst dein zweites 70.3-Rennen. Im Ziel hast du gesagt, dein Ziel wären die Top 10 gewesen, ab wann hast du gemerkt dass doch mehr drin sein könnte?
M.R.: In Wiesbaden habe ich noch relativ viele Anfängerfehler gemacht – ich habe mich zuwenig mit der Radstrecke auseinandergesetzt und habe mich zu schlecht während des Rennens ernährt. Ich wusste, dass ich, wenn ich diese Fehler ausmerze, in Clearwater auch vorne mit dabei sein kann. Viel Zuversicht hat mir auch mein Bruder gegeben, der immer an mich geglaubt hat. Bei Kilometer 10 des Halbmarathons habe ich dann erstmals gedacht: wow, vielleicht ist sogar eine Medaille drin. Bei Kilometer 15 wusste ich, dass es für ganz vorne reichen kann.
tri2b.com: Es war ja bereits auf dem Rad ein enorm schnelles Rennen, waren die Bedingungen so gut oder spielte die große Gruppe, die sich auf der Radstrecke bildete eine Rolle?
M.R.:: Es war beides, die Strecke ist ja sehr, sehr schnell, ist kurvenarm und relativ starken Gegenwind gab es erst zum Schluß. Zum anderen war es die Dynamik, die durch die ganz schnellen Leute, der "Radmaschinen", wie Terenzo Bozzone und Andrew Starykowicz enstanden ist. Das war deren Taktik, das Rennen schon auf dem Rad schnell zu machen, die wollten dadurch den schnellen Läufern den Zahn ziehen. Wir sind vorne alle fair gefahren, aber man versucht natürlich, dranzubleiben an den anderen, auch wenn man 10 – 15 Meter Abstand hält. Ich musste einige Male selbst auf dem Unterlenker richtig beissen und dachte – das wird mir zu schnell, aber zum Glück gab es Phasen, wie zum Beispiel an den Verpflegungsstationen, an denen das Tempo wieder herunter ging.
tri2b.com: Dein Bruder Andreas hat im vergangenen Jahr den Vizetitel in Clearwater erringen können – was war sein wichtigster Tipp im Vorfeld?
M.R.: Der entscheidenen Tipp von Andreas war, dass ich auf den letzten 10 Kilometern auf dem Fahrad aufpassen muss, da ginge noch einmal richtig die Post ab, genau da hat er letztes Jahr auch die Chance auf den Sieg verloren, weil er den Anschluß verpasste. Da musste ich noch einmal richtig die Ohren anlegen und hatte zu kämpfen – aber ich blieb dran.
tri2b.com: Er trainiert dich ja auch, kann man sich das als das klassische Trainer-Athleten-Verhältnis vorstellen, sprich, er gibt Dein Training vor – du setzt es um oder entsteht das mehr in der Diskussion zwischen euch?
M.R.: Er gibt es schon vor, aber ich habe auch meine Ideen, die ich einbringe. Das Wichtigste, was mir Andreas beigebracht hat, ist der Mut zur Pause – dass man sagt, OK, jetzt haben wir drei, vier Tage sehr viel trainiert, jetzt braucht es einen Tag Ruhe. Andreas ist aber nicht nur mein Trainer sondern auch mein wichtigster Trainingspartner, was mir sehr viel bringt.
tri2b.com: Du hast schon einmal für eine große Überraschung gesorgt, 2005 konntest du als erster Mensch den schweren Alpentriathlon unter zwei Stunden finishen, eine Karriere im Weltcup schien vorgezeichnet…
M.R.: 2005 war – so dachte ich – der Durchbruch, ich war sehr, sehr motiviert. Ich habe geglaubt, wenn ich noch mehr trainiere, werde ich vielleicht noch besser, aber dann kamen die ersten Negativerscheinungen: Ermüdungsbruch und Übertraining. Kaum war der erste Ermüdungsbruch weg habe ich da weitergemacht wo ich aufgehört habe, viel Training mit wenig Pause und so hat sich das aneinandergereiht. Das hat mich auch vom Kopf her sehr belastet, ja schon fast verzweifeln lassen.
tri2b.com: 2008 konntest du deinen Erfolg am Schliersee wiederholen und warst in diesem Jahr noch ausschließlich auf der Kurzdistanz oder Sprintdistanz unterwegs, ab wann hast Du Dein Training auf die längere 70.3.-Distanz umgestellt?
M.R.: Die Entscheidung, es auf der 70.3-Distanz zu versuchen, fiel schon im vergangenen Jahr – ich war wahnsinnig fasziniert, wie Andreas eingeschlagen hat, erst in Monaco, dann Clearwater und dann natürlich auch beim Ironman Arizona. Gezielt vorbereitet habe ich mich seit heuer, die Akzentuierung liegt jetzt etwas anders, die Tempoläufe etwas langsamer und etwas länger, aber so viel musste ich im Training gar nicht umstellen.
tri2b.com: Für deinen Bruder waren die 70.3-Rennen eine Durchgangsstation zum Ironman – wann sieht man dich bei deiner ersten Langdistanz?
M.R.: Mein Traum ist es, als Rookie meinen allerersten Ironman gleich auf Hawaii zu machen. Im Moment überlege ich mit Andreas, ob ich bereits kommendes Jahr in Kona starte. Ich würde das gerne machen aber natürlich habe ich großen Respekt vor dem Rennen. Ich könnte meinen Hawaii-Slot, den ich jetzt in Clearwater bekommen habe, auch erst 2011 in Anspruch nehmen, das hat mir die WTC zugesichert und das lasse ich noch offen. Denn wenn ich dort starte, will ich nicht nur finishen, ich will auch vorne mitmischen können und für ein wenig Furore sorgen. Aber warum nicht gleich den ersten Ironman auf Hawaii? Es kann gutgehen, das hat man bei Mirinda Carfrae gesehen, die heuer dort auf Anhieb Zweite geworden ist. Natürlich kann es auch nach hinten losgehen – aber wenn man Geschichte schreiben will, muss man auch etwas wagen und sich etwas zutrauen.