tri2b.com

Radfahren und Orthopädie: Was tun, wenn es zwickt?

Beliebteste Artikel

Mit dem nahenden Ende des Winters heißt es für uns Triathleten nun wieder den Einstieg in das Radtraining zu finden. Welche orthopädischen Probleme dabei auftreten können und was man dagegen tun kann bzw. wie man am besten vorbeugt, darüber haben wir mit Orthopäde Dr. med. Jörg Buhs und Physiotherapeut Andreas Németh gesprochen.

tri2b.com Was sind die typischen medizinischen „Triathleten“ Probleme? 
Dr. Buhs: Das sind in der Regel orthopädische Probleme: Schulterprobleme beim Schwimmen, Achillessehnenprobleme beim Laufen, Sehnenansatzprobleme im Knie und der Hüfte. 

tri2b.com Wo liegen aus orthopädischer Sicht die stärksten Belastungen beim Radfahren? 
Dr. Buhs: Vor allen Dingen im Bereich der Oberschenkelmuskulatur und der Hüftbeuger. Besonders in der Zeitfahrposition wird im Gegensatz zu der normalen Rennradposition durch das nach vorne rutschen über das Tretlager hinaus der Oberschenkel ganz anders belastet. Hier können Kniegelenksprobleme durch den verstärkten Zug der Muskulatur an der Kniescheibe auftreten. 
tri2b.com Was sind die typischen radfahrspezifischen orthopädischen Triathleten Probleme? 
Dr. Buhs: Hier sind zunächst Nackenprobleme zu nennen, besonders jetzt nach dem Winter, wenn man noch nicht wieder so an das Radfahren gewöhnt ist. Dies hängt mit der Haltung des sehr weit nach vorn gebeugten Oberkörpers zusammen. Der Kopf wird durchs nach Vorne schauen überstreckt, Kopfgelenke und Nackenbereich, sowie die Haltemuskulatur besonders stark belastet. Besonders bei Älteren können außerdem zusätzlich Probleme durch natürliche Abnutzungserscheinungen der Facettengelenke entstehen. 

Besonders wenn man sich wieder an dieAeroposition gewönnen will, hat oft mit wer Schmerzen zu kämpfen. Die Muskulatur verkürzt und verspannt sich. Der untere Rückenbereich und die langen Rückenstreckmuskeln werden überdehnt. Dadurch kann es zu Zugbelastungen am unteren Beckenrand, an den Ligamenten also den Bändern kommen. Dadurch hat man dann oft den bekannten steifen Rücken, und muskuläre Probleme, wenn man nach einer langen Tour vom Rad steigt. 

Was man auch nie vergessen darf sind Beinlängendifferenzen. Natürlich ist hier immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Aber wenn dadurch z.B. kein ruhiger Sitz gewährleistet ist, man also man auf dem Sattel hin und her rutscht, kann das zu starken Beschwerden führen. So ab ca. 1-2 cm Beinlängendifferenz ist das relevant. 
A. Nehmet: Dies deckt sich mit meinen Erfahrungen. Ich beobachte hier eine sehr breite Palette. Das reicht von „einschlafenden“ Füßen und gelegentlichen Achillessehnenproblemen, z.B. durch Kälte, bis hin zum Patellaspitzensyndrom oder Meniskusbeschwerden. Ursächlich ist hier auch oft eine fehlerhafte Sitzposition und/ oder eine falsche Trittfrequenz. 

tri2b.com Kann man das noch mehr eingrenzen? 
A. Nehmet: Wenn man dann genauer hinschaut treten die Probleme im Beckenbereich auf. Das betrifft dann das Hüftgelenk, das Becken selbst, das Steißbein, das ISG-Gelenk und die tiefe Lendenwirbelsäule. 

Man muß wissen: je aerodynamischer die Sitzposition desto verkürzter die hüftbeugende Muskulatur. Die brauche ich aber in verlängerter Position beim Laufen, um mich aufzurichten und einen schönen langen Schritt hinzubekommen. Gelingt das nicht habe ich Kraftdefizite, Geschwindigkeitsverluste und ermüde schneller. Es wurde zwar schon oft betont, aber es muß im Triathlon aufgrund dieser Problematik zwingend auf eine Art „Zwischending“ von Aerodynamik und Rücksicht auf die angesprochene Muskulatur geachtet werden. 

Darüber hinaus ist wichtig, daß das Zwerchfell gut arbeiten kann und eine tiefe Atmung in der Aero-Position gewährleistet ist. Ansonsten kommt es zu einem deutlichen Leistungsverlust. Besonders bei Langdistanzathleten beobachte ich zudem eine Überreizung der Zwischenschultermuskulatur und dem Nackenbereich. Im Prinzip reicht die Kette der möglichen Probleme bis ins Handgelenk. Komme ich zum Beispiel mit meinem Bar-End nicht zurecht, können zum Beispiel Probleme durch abgeklappte Handgelenke entstehen. Diese können sich dann bis in den Schulterbereich ziehen und somit Ursache für Fehlstellungen sein. 

tri2b.com Wie kann man dem entgegenwirken? 
Dr. Buhs: Es mag banal klingen, aber zunächst muß man schon mal Training die angestrebte Wettkampfdistanz auf dem Zeitfahrfahrrad fahren und damit die angestrebte Position trainieren. Dabei bemerkt man dann auch seine individuellen Schwachstellen. 

Und: Regelmäßiges Dehnen und ein Stabilisationsprogramm. Dies gab es früher so nicht, ist aber als sehr wertvoll einzuschätzen. Entweder man dehnt täglich, oder aber mindestens 2mal pro Woche. Als Faustregel sollte darauf 10% der Trainingszeit verwendet werden. Also bei 10 Stunden Wochenumfang zum Beispiel 2mal 30 Minuten. 

tri2b.com Was ist sonst noch wissenswert zu dieser Thematik? 
Dr. Buhs: Generell kann man sagen das Radfahren nicht so viele Probleme verursacht. Wenn dann meist an dritter Stelle nach dem Schwimmen und Laufen. Prinzipiell ist immer schwer zu sagen: was ist konstitutionell oder durch die sportliche Belastung verursacht? Bei Problemen sollte man deshalb frühzeitig durch den Arzt einen Check durchführen lassen. 
Wenn Beschwerden bestehen die sich im Laufe des Trainings nicht bessern oder nach dem Training über einige Tage fortbestehen sollte man in jedem Fall den Arzt aufsuchen 

A. Nehmet: Dem kann ich voll zustimmen. Es gibt relativ wenig Probleme, die durchs Radfahren entstehen. So richtig starke Probleme beobachte ich beim Laufen. Wobei hier da die Frage ist, saß ich beim Radfahren evtl. schon falsch? Mein persönliches Credo: immer mal wieder „sportartfremde“ Bewegung mit einfließen lassen, um dem Körper zu ermöglichen nach dem Radfahren direkt loslaufen zu können. Geschmeidig bleiben bzw. werden – Rumpfgymnastik, etc. gehören zu einem ordentlichen Triathlon-Training einfach dazu. Lieber mal 20km weniger fahren und die gewonnene Zeit für Dehnen nutzen! 

WICHTIGER WARNHINWEIS: Die Übungen und Einschätzungen stammen aus dem beruflichen Alltag und den umfangreichen Erfahrungen der beiden Interviewpartner. Sie können lediglich Hinweise sein und eine detaillierte individuelle ärztliche Untersuchung des Lesers nicht ersetzen.

Beliebteste Artikel