Gehörlos, aber voller Emotionen: Claudia Platzek und Volker Marks on the road to Hawaii

Bernd-Uwe Gutknecht für tri2b.com | 26.09.2022 um 11:46
Den Jubel am Streckenrand rund um Kona werden Claudia Platzek und Volker Marks vor allem optisch und emotional wahrnehmen, aber nur bedingt akustisch. Denn die beiden sind hochgradig schwerhörig. Im August haben sie beim Ironman Kalmar in Schweden Startplätze für den Ironman Hawaii ergattert. Dort werden sie als erste Gehörlosen-Athleten aus Deutschland an den Start gehen. tri2b.com-Autor Bernd-Uwe Gutknecht hat sich mit den beiden kurz vor dem Abflug unterhalten.

So lief Claudia Platzeks Rennen:

Gesamtzeit: 13:12:48 - Rang 102 AG 50-54

Swim: 1:17:32
Bike: 6:46:18
Run: 4:52:14


So lief Volker Marks Rennen:

Gesamtzeit: 13:48:59 - Rang 120 AG 60-64

Swim: 1:08:09
Bike: 7:04:10
Run: 5:13:33

 

tri2b.com: Wenige Tage vor dem Aufbruch zum vielleicht größten sportlichen Abenteuer eures Lebens: wie geht es euch?
Claudia: Boah....habt ihr so viel Platz für meine Antwort.? Grins.....Seit Kalmar laufe ich mit einem fetten Grinsen durch die Gegend und bin stolz und selbstbewusst wie nie. Kalmar war schon ein „once in a lifetime“, aber Hawaii wird alles übertreffen, hoffe ich.
Volker: Oh ja, das wird definitiv das größte sportliche Abenteuer werden! Mir geht‘s supergut, nur kann ich mich momentan noch nicht ganz so freuen, dass ich tatsächlich nach Hawaii fliege, denn das Training ging gleich wieder voll los. Dann musste auch gleich alles organisiert werden: Flüge, Auto, Unterkunft und so viele andere Sachen. Zwischen Kalmar und dem Abflug nach Hawaii waren es nur fünf Wochen und deshalb musste alles sehr schnell geplant und gebucht werden.

Die Kona Slot-Vergabe: "der da vorne ruft Deinen Namen"

tri2b.com: Ihr seid mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und auch Zielen zum Ironman Kalmar gefahren. Claudia wollte nach einigen verletzungsbedingten Rückschlägen vor allem finishen, Volker hatte nach einer schon einmal knapp verpassten Quali den Startplatz für Hawaii fest im Blick. Was ging in euch vor, als ihr wusstet: es reicht für Kona?
Claudia: Ohne Volker wäre ich wohl gar nicht zur Ceremony bzw. Slotvergabe hingegangen. In meiner AK gab es zwei Plätze und normalerweise reicht der (für mich tolle) neunte Platz nicht aus, um von Hawaii zu träumen. Mein Herzerl hat ganz schön Purzelbäume geschlagen, als alle um mich herum gesagt haben: „der da vorne ruft Deinen Namen!“
Volker: Das war das Emotionalste, was ich je erlebt habe. Ich bin als 12. ins Ziel gekommen und war somit „leider“ nicht direkt qualifiziert. Sieben Slots gab es in meiner AK und ich musste hoffen, dass jemand den Startplatz nicht annimmt. Diese Warterei, die Ungewissheit war so brutal! Aber als ich meinen Namen gehört habe, da habe ich mich so laut gefreut. Ich glaube, ich war der Lauteste in dem Saal. Vor sechs Jahren habe ich angefangen, für den Traum Hawaii zu trainieren. In dieser Zeit ist so viel passiert, trotzdem habe ich nie aufgegeben. Es ist einfach in dem Moment alles rausgekommen, es war alles sehr emotional.

tri2b.com: Claudia: war es für dich vielleicht sogar hilfreich, dass du dir keinen Druck gemacht hast?
Claudia: Mit Sicherheit. Aber irgendwann habe auch ich angefangen, darüber nachzudenken und ich wurde des Öfteren darauf angesprochen, ob ich mir die Quali wünsche. Beim Laufen hatte ich solche Schmerzen und Krämpfe, dass ich mir geschworen habe: nie wieder eine Langdistanz! Hawaii wird mein letztes Mal...na ja, schau ma moi.

tri2b.com: Volker: du hattest Freunde dabei, die dich ständig über den Rennverlauf in deiner AK informiert haben. Wie wichtig war dieser support?
Volker: Total wichtig, und ich bin so dankbar, dass Tina und Gerrit als Supporter dabei waren. 2019 in Frankfurt habe ich den Slot um einen Platz verpasst. Da hatte ich überhaupt keine Info auf der Strecke bekommen. Das Gefühl, so knapp vorbeizuschrammen, wollte ich nicht nochmal erleben und deswegen war es mir total wichtig, dass ich in Kalmar die nötigen Informationen bekomme. Zu wissen, wo ich stehe, hat mich auch ständig motiviert, da haben Sie definitiv viel dazu beigetragen.


©  B.U. Gutknecht

 

Das ist Claudia Platzek:

 

Alter: 50

Wohnort: Eichstätt

Beruf: Mechatronikerin

Triathlon seit: 2010

Anzahl Langdistanzen: drei

Größter Erfolg: meine erste Langdistanz in Roth

Quali-Zeit für Hawaii: 11:53

Besondere Stärke: ich komme durchs Leben

Kleine Schwäche: ich versuche, es jedem Recht zu machen

Liebste Belohnung: ein Bierchen

 

Die Triathleten sind sehr tolerant

 

tri2b.com: Viele Triathleten haben euch und andere Gehörlose schon bei Wettkämpfen in Deutschland gesehen. Ihr tragt ja auch eure eigenen Meisterschaften aus, z.B. war beim Trebgast Triathlon dieses Jahr eure Deutsche Meisterschaft, wo ihr beide gewonnen habt. Die Moderatoren animieren dabei die Zuschauer, als Applaus für euch die Arme hoch zu strecken und die Hände zu drehen. Das ist euer spezielles Jubel-Symbol. Fühlt ihr euch im Rahmen der Triathlons gut aufgehoben oder habt ihr Anregungen und Wünsche?
Claudia: Generell habe ich bisher immer gute Erfahrungen bezüglich Inklusion gemacht. Aber bei der Wettkampfbesprechung sollte immer ein Dolmetscher vor Ort sein. Das ist nicht immer so einfach, weil keiner die Kosten übernehmen will. Aber grundsätzlich geht es sehr locker zu und jeder nimmt Rücksicht und bemüht sich.
Volker: Wir haben schon sechs Deutsche Meisterschaften in ganz Deutschland ausgetragen und die Inklusion hat immer supergut funktioniert. Ich denke, Sportler, egal ob mit oder ohne Behinderung, sind tolerant, nehmen Rücksicht und spornen sich auf der Strecke gegenseitig an. Es ist für mich immer ein tolles Gefühl, wenn Sportler uns mit Jubel-Symbol beklatschen und sich alle im Ziel beglückwünschen. Da wir schon so viel Erfahrung haben, helfen wir den Veranstaltern bei der Planung und Organisation.

 

 

© Volker Marks

 

Das ist Volker Marks:

 

Alter: 54

Wohnort: Unterschleißheim bei München

Beruf: Programmierer

Triathlon seit: 15 Jahren

Anzahl Langdistanzen: fünf

Größter Erfolg: am 12. Januar 2021 hatte ich einen Oberschenkelhalsbruch nach einem Unfall und acht Monate später eine Langdistanz in Podersdorf gefinished und dabei noch SUB 10 geschafft.

Quali-Zeit für Hawaii: 9:54

Besondere Stärke: Ehrgeiz

Kleine Schwäche: meine miese Laune, wenn was nicht klappt

Liebste Belohnung: Schokolade

 

 

Sehen statt hören: Beim Überholen zwei, drei oder viermal umschauen ...

 

tri2b.com: Wie muss man sich das Erlebnis Triathlon generell vorstellen, wenn man nichts hört? Seid ihr dadurch noch mehr „im Tunnel“ als Triathleten eh schon sind?
Volker: Ich glaube nicht, dass es bei uns anders ist als bei den hörenden Triathleten. Beim Schwimmen braucht man das Hören nicht, die Radstrecke ist meistens voll abgesperrt und an gefährlichen Stellen stehen die Streckenposten mit Ihren Fahnen. Man fährt immer ganz rechts und wenn man jemanden überholen will, schaut man nach hinten, ob jemand kommt. Und beim Laufen blickt man auch ab und zu nach hinten, ob schnellere Athleten kommen. Ich höre ohne Hörgerät fast nichts und bin deshalb vorausschauend unterwegs. Ich bin schon über zehn Jahre beim Triathlon dabei und habe nie Probleme gehabt.
Claudia: Ich fühle mich nie im Tunnel, das hab ich ehrlich gesagt noch nie geschafft. Ich genieße jeden Augenblick und feuere auch meine Mitstreiter an. Im Training und meistens auch im Wettkampf trage ich beidseitig spezielle Cochlea-Implantate von Med-El, mit einem Wasserschutz funktionieren die auch beim Schwimmen. Ohne die bin ich stocktaub. Was die Sicherheit angeht, schaue ich lieber zwei, drei, vier Mal, bevor ich auf dem Rad überhole. Wenn man nichts oder wenig hört, passt man grundsätzlich besser auf. Ein Ohr-Symbol auf der Startnummer ist hilfreich, da uns andere Athleten besser erkennen.

tri2b.com: Letztlich zählt auch bei euch die Leistung, wenn es um Siege, Titel oder eben die Qualifikation für Hawaii geht. Habt ihr den Eindruck, dass ihr aufgrund eurer Herausforderungen im Alltag auch in Training und Wettkampf besonders widerstandsfähig seid?
Claudia: ich denke ja. Eine Hörbehinderung ist nicht einfach: hat mich mein Gegenüber verstanden? Versteht er mich nicht, will er mich nicht verstehen? Missverständnisse gibt es zuhauf, sie begleiten unser Leben. Mit Handicap hat man natürlich seine Sorgen und der Sport ist sicher auch ein sogenanntes Ventil, um Kummer abzureagieren.
Volker: Definitiv!! Wir haben ja eine unsichtbare Behinderung, man sieht nicht, dass wir nichts hören können. Und es gibt noch immer Vorurteile, dass wir nicht selbständig sein können und deshalb Mitleid haben wollen. Daher müssen wir immer etwas mehr tun und beweisen, dass wir genauso sind wie die Anderen. Und das macht sehr widerstandsfähig in allen Lebensbereichen, natürlich auch im Sport.

tri2b.com: Um möglichen Hawaii-Aspiranten unter den tri2b-Lesern eine Idee zu geben: mit welchem Trainingsumfang habt ihr euch für die Ironman-WM auf Big Island qualifiziert?
Claudia: So acht bis 15 Stunden pro Woche sollten schon drin sein .Die wichtigste Zeit des Trainierens ist für mich der Winter und eben das kontinuierliche „Dranbleiben“. Im Sommer baue ich natürlich auf die langen Schlüssel-Einheiten, die mir mein Trainer plant: zum Beispiel sechs Stunden auf dem Rad und eine halbe Stunde Koppellauf. Richtig cool finde ich Wechseltrainings, also Radfahren und Laufen drei, vier Mal hintereinander im Wechsel. Das ist aber so hart, dass ich immer versuche, Teamkolleginnen meines Vereins SV Marienstein zu überreden mitzumachen. Spaß an der Sache ist eine Grundvoraussetzung und auch die Familie sollte bedingungslos dahinter stehen. Die freuen sich ja jetzt auch auf ein paar schöne Tage auf Big Island.
Volker: Naja, ich bin schon sportlich, aber ich muss mehr machen als manch Anderer. Ich kenne einige Triathleten, die mit weniger Trainingspensum genauso gute Leistung bringen wie ich mit mehr Trainingsstunden. Unter zehn Stunden in der Woche im Winter geht es bei mir nicht, und je näher der Wettkampf kommt, desto intensiver wird das Training. Im Frühling und Sommer sind es bis zu 17 Trainingsstunden in der Woche.

 

"Ich rechne mit rund 8000 EUR Ausgaben - das sind halt drei Urlaube in Einem"

 

tri2b.com: Nun also erfüllt ihr euch einen Traum, der allerdings sehr kostspielig ist. Alleine der Startplatz kostet über 1000 Euro, dazu kommen Flugtickets, Transportkosten vor Ort, überteuerte Hotelzimmer etc. Kritiker sagen, der IM Hawaii ist nur noch für Reiche zu stemmen. Haben euch die Kosten nicht abgeschreckt?
Claudia: Wir haben uns im Vorfeld natürlich auch darüber unterhalten und keiner von uns findet die Preisentwicklung gut. Aber wenn du dann bei der Slotvergabe bist und plötzlich wird dein Name gerufen, dann hast du sofort diese Bilder aus Hawaii vor Augen und dann willst du dieses Nonplusultra unbedingt erleben. Da ich meine Familie mitnehme, rechne ich mit rund 8000 Euro Ausgaben. Das sind halt drei Urlaube in Einem. Aber ich bin mir sicher, das wird ein Trip, den wir nie vergessen werden.
Volker: Wer sich für Hawaii qualifizieren wollte, musste schon immer viel dafür bezahlen. Wie sie die Preise zuletzt hochgetrieben haben, ist aber schon extrem! Bei einer Weltmeisterschaft sollte die sportliche Leistung im Vordergrund stehen und nicht der Kontostand. Wenn man nicht sehr gut verdient, kann man auch als Superathlet nicht hin und das ist sehr schade für den Sport. Ich persönlich bin in der glücklichen Lage, dass ich mir das jetzt mal leisten kann. Sechs Jahre habe ich dafür in Training und Wettkämpfe investiert, als Belohung erfülle ich mir jetzt diesen Traum. Ich habe schon Einiges vorausbezahlt, wie teuer es insgesamt wird, will ich noch gar nicht wissen!

 

"Am Alii Drive der glücklichste Mensch des Universums"

 

tri2b.com: Dann lasst uns bitte mal den perfekten Renntag für euch malen: wovon träumt ihr für das Schwimmen im Pazifik, das Radfahren durch die Lavawüste und das Laufen rund um Kona bei oftmals weit über 30 Grad und manchmal starkem Wind?
Claudia: Ich freue mich aufs Schwimmen, das fällt mir am leichtesten. Aber hoffentlich sind die Wellen nicht zu hoch! Alles andere lass ich auf mich zukommen. Ich will einfach nur genießen und finishen. Zwischen Kalmar und Kona ging es bei mir vor allem darum, zu regenerieren, da ich dort viele Krämpfe hatte. Für Kona habe ich mich mit Salztabletten eingedeckt und einen Trink-Plan gemacht. Und mein Trainer hat mir empfohlen, welche Körperstellen ich besonders kühlen soll, die verrate ich aber nicht! Wir fliegen früh genug hin, um uns auf das Klima einzustellen. Und wenn ich dann den Alii Drive erreiche, bin ich der glücklichste Mensch des Universums!
Volker: Der Wettkampf verlangt sicher Einiges ab, wegen der Hitze, der Luftfeuchtigkeit und dem Wind. Es wird eine total neue Erfahrung für mich sein. Ich habe so hart in letzten Jahren dafür trainiert und wer mich kennt, weiß, dass ich auch dort mein Bestes geben werde, um mit einer guten Leistung ins Ziel zu kommen. Normalerweise fühle ich mich bei Hitze sehr wohl, hoffentlich auch auf Hawaii!

tri2b.com: Vielen Dank Claudia und Volker! Wir wünschen euch, dass ihr entspannt und fit an die Startlinie kommt und dann einen wunderbaren Raceday!
Claudia: Mahalo!
Volker: Danke und danke für das Interview!