Ironman Hawaii: Auf dem Papier ist alles klar, in den Lavafeldern alles ungewiss

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 07.10.2016 um 21:00
Wer macht´s am Samstag? Eine Frage, die man sich hier in Kona allerorten anhören muss. Die weltbesten Langdistanztriathleten sitzen seit gut einer Woche auf ein paar Kilometern Küste der sonnenverwöhnten Kona Coast zusammen und bereiten sich auf ihr Rennen des Jahres vor. Die Favoritenrollen sind auf dem Papier mehr als klar verteilt, zu dominant sind Jan Frodeno und Daniela Ryf bei ihren wenigen Renneinsätzen in dieser Saison aufgetreten.

Die Titelverteidigung wäre die absolute Krönung eines Superjahres für Jan Frodeno. Im Januar Vater geworden, im Juli in Roth die Weltbestzeit auf 7:35:39 Stunden gedrückt: Der zweite Sieg am Alii Drive wäre die logische Konsequenz, vielleicht sogar bei richtig guten Bedingungen unter dem bestehenden Streckenrekord von Craig Alexander (8:03:56 Stunden) aus dem Jahr 2011 zu bleiben. Frodeno selbst wiegelt ab. "Die Form ist besser als im letzten Jahr, aber eine Zeit unter acht Stunden wäre schon sehr sportlich."  Fast schon zu gut verlief beim Olympiasieger von 2008 die finale Vorbereitung auf Hawaii, was dem Vorjahressieger selbst sogar etwa Angst macht. Fühlte er sich doch in den beiden Vorjahren vor dem Rennen teils schlapp und müde und legte anschließend eine Topperformance auf den heißen hawaiianischen Asphalt. Die Rennsaison von Jan Frodeno war aufgrund der Verletzung im Frühjahr kurz, allerdings hat er  mit Lanzarote und Roth zwei Langdistanzen in den Beinen. In der Vergangenheit oft ein Ausschlusskriterium, um am Alii Drive als Erster anzukommen.

 

Kienle: Fit sein bedeutet in Kona gar nix

 

Erstgenannter Konkurrent im Kampf um den Ironman-Thron ist ganz klar Sebastian Kienle. Der Champion von 2014 wirkte hier in Kona deutlich entspannter als in den beiden Vorjahren. "Ich bin fit, aber das bedeutet hier in Kona gar nix", sagte Kienle und macht damit deutlich, dass die unberechenbaren Bedingungen auf Big Island Vorhersagen eigentlich unmöglich machen.  Vor allem seine Laufform scheint auf Topniveau zu liegen, auch wenn er vor fünf Wochen bei der Ironman-70.3-WM in Mooloolaba im Schlussspurt ganz knapp den Kürzeren gegen Tim Reed zog.  Kienle sieht wiederum Andi Böcherer, der ihm schon im Juli in Frankfurt an die absolute Leistungsgrenze trieb, als heißen Podiumskandidaten. Der Freiburger hat unter anderem durch eine Ernährungsumstellung an Gewicht verloren, aber nichts an Kraft eingebüßt, mit dem Ergebnis den Marathon zehn Minuten schneller laufen zu können. Gelingt Böcherer dies auch in Kona, dann dürfte eine Topplatzierung sicher sein. 

Für die weiteren acht Deutschen dürfte das Podium wohl noch zu weit entfernt sein. Die Top Ten allerdings nicht. Boris Stein, der selbst Rang fünf als Ziel ausgegeben hat,  gehört dazu. Ebenso Patrick Lange, der seinem Hawaii-Debüt richtiggehend entgegen fiebert.  An seine Kona-Glanzzeiten möchte auch gerne Timo Bracht anknüpfen. Der mittlerweile 41-jährige Eberbacher ist guter Dinge, noch einmal mit einer Topleistung am Alii Drive zu finishen.  Ein Fragezeichen steht hingegen hinter Andreas Raelert. Der Vorjahreszweite konnte auch die finale Vorbereitung nicht optimal bewältigen. Ein Radsturz und eine Erkältung schränkte den Rostocker auch hier noch etwas ein. Trotzdem gab sich der Routinier zuletzt kämpferisch.

Und international? "Hier ist die Konkurrenz so groß, dass wir den ganzen Abend darüber sprechen könnten," so Kienle im tri2b-Interview anfangs der Raceweek. Ganz besonders auf der Rechnung müssen die Germans ganz sicher die US-Boys um Tim O´Donnell haben. Achter, Fünfter, Dritter, so lesen sich die Ergebnisse des Carfrae-Ehemanns. Zumal man im Ausrichterland seit 2002 auf einen Hawaii-Sieg wartet. 

 

Podiumsanwärterinnen Nr. 1: Ryf, Carfrae, Hauschildt

 

Bei den Frauen ist Daniela Ryf auch nach ihrer Niederlage bei der Ironman-70.3-WM in Mooloolaba immer noch die Favoritin Nummer Eins auf den Sieg. Nach dem sehr aufregenden Jahr 2015 sei es in den letzten Monaten ruhiger geworden und der Fokus konnte wieder mehr aufs Training gelegt werden. "Die Rennen in Roth und Zürich waren phänomenal", verriet Ryf. Aus Mooloolaba nahm die Schweizerin mit, dass sie durchaus auch im Laufen noch ein Rennen drehen kann. In Australien hat es aber nicht mehr ganz geklappt.

Ob das allerdings gegen eine fitte Mirinda Carfrae klappen könnte, ist fraglich. Die zierliche Australiern rennt in Kona meist sogar fast allen Männern davon. Im Sommer bei ihrem Sieg in Klagenfurt lief sie wieder unter 2:50 Stunden. Diese Pace will sie jetzt am Samstag auch in Konas Mittagshitze zeigen und ihr sehr unbefriedigendes DNF aus dem Vorjahr vergessen lassen. Die dritte Kandidatin, die viele Experten auf dem Podium sehen, ist Melissa Hauschildt. Die Australierin gewann im Sommer in Frankfurt und in Wiesbaden und verpasste in Mooloolaba Anfang September nur ganz knapp den WM-Sieg über die halbe Ironman-Distanz.  Allerdings fehlt Hauschildt in Kona noch die nötige Erfahrung.

 

Viele Girls in Lauerstellung - heißer Tanz um die Top Ten erwartet

 

Ganz anders Yvonne van Vlerken, die an der Kona Coast schon alles erlebt hat. 2008, bei ihrem ersten Start war sie gleich auf Rang zwei. Danach gab es eine Achterbahnfahrt und zuletzt sogar ein Kona-Sabbatjahr. "Wenn vorne eine von den Mädels einen Fehler macht, dann bin ich da", wittert die Niederländerin ihre Podiumschance. In die gleiche Richtung dürfen aber auch Athletinnen wie die Finnin Kaisa Lehtonen, die britische Vorjahressechste Susi Cheetham und deren Landsfrau Jodie Swallow schielen.

Zu diesem Kreis zählt sicher auf Julia Gajer, die im Training zuletzt auf ein ähnliches Programm vertraut hat wie bei ihrem sechsten Platz vor zwei Jahren. Gajer selbst erwartet ein ganz enges Rennen um die Top Ten.  Dort ebenfalls mit einzugreifen, ist auch Anja Beranek zuzutrauen. Allerdings kam die Fränkin bei ihren bisherigen zwei Kona-Starts nicht ins Ziel. Deutlich mehr Hawaii-Erfahrung hat da Kristin Möller, die 2013 mit Rang 16 ihre bisher beste Hawaii-Platzierung erzielte und diese am Samstag möglichst toppen will. 


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