Agegrouper-Story Michael Schwarz: Der Joy-Ride

von Michael Schwarz für tri2b.com | 14.05.2014 um 21:59
Das Radfahren: Der "Joy-Ride" beginnt Jetzt beginnt ein richtiger „Joy Ride“. Den immer noch anhaltenden Regen spüre ich nicht. Obwohl ich mich bewusst zurückhalte, zeigt mein neu erstandener Leistungsmesser konstant 260-280 Watt Tret-leistung an. Ich fliege an meinen Mitstreitern vorbei. Wie geplant ziehe ich mich richtig in meine Argon Race-Machine rein, selbst an Anstiegen bleibe ich tief unten in der Aero-Position. Bei der Anfahrt zur El Golfo-Runde kommt mir Faris (Al Sultan, erster Münchner Gesamtsieger auf Hawaii im Jahr 2005) entgegen. Er hat sich schon von seinen Verfolgern abgesetzt (und auf mich schlappe 20 km Vorsprung herausgefahren J).

Der Regen lässt nach, dafür scheint der Wind an Stärke zuzunehmen. Aber er kann mir nichts anhaben, ich bin unglaublich gut drauf. Mein Bruder Jochen hatte mir vor dem Start noch gewünscht, ich solle „mächtig, erhaben und geduldig wie ein Adler meine Bahnen ziehen“. Momentan komme ich meinem ornithologischen Vorbild sehr nahe. Ich bin völlig ruhig, fokussiert, gleichzeitig gelassen und hochkonzentriert, absolut im Hier und Jetzt. Ich kann mich nicht entsinnen, solch ein Gefühl über so lange Zeit schon einmal erlebt zu haben. Ist dies der berühmte „Flow“, von dem Sportler manchmal berichten, der „Zen“-Zustand? Es fühlt sich jedenfalls unglaublich gut an...

Auch die gefürchteten Cross-Wind-Passagen bergab, die ich bei meinen Trainingsfahrten noch wackelig und etwas ängstlich im Oberlenker runtergeeiert war, bügele ich nun ohne große Probleme weg. Wie beim Skifahren mache ich hierbei die Erfahrung, dass das Fahrgefühl stabiler wird, sobald man auf Angriff fährt anstatt defensiv in eine Blockage-Haltung zu verfallen. Schon habe ich die Feuerberge hinter mir gelassen, in Mancha Blanca treffe ich wie abgesprochen auf meine Lieben. Weiter geht’s runter nach La Santa, dann kurz hoch nach Soo und wieder runter zum Surfer-Nest Famara, wo die Straße von leichten Sandverwehungen überzogen ist.

Ab hier geht es nun großteils bergauf, zuerst nach Teguise, wo Lukas mit einer erbeuteten Powerbar-Flasche am Streckenrand steht und mich fragt, ob ich Durst habe. Nach wie vor ist bei mir alles unter Kontrolle, ich ernähre mich gut, halte den Rhythmus, erlebe nur kurze Schwächephasen. Ich habe stets das Gefühl, noch genügend Reserven für die harten Anstiege auf die Miradores de Haria und del Rio zu haben. Missgeschicke bleiben mir erspart. Man glaubt nämlich gar nicht, mit welch dummen Dingen man sich da mitunter auseinandersetzen muss. In Roth letztes Jahr wurde mir z.B. einmal eine derart klebrige Trinkflasche gereicht, dass ich diese, nachdem sie eine Weile in der Halterung trocknen konnte, fast nicht mehr rausbekam. Ebenso in Roth flog mir eine kleine Fliege ins Ohr – was ziemlich dämlich ist, wenn man sich aufgrund der Ohrklappen des Aero-Helms nicht in den Gehörgang greifen kann. Nach drei Minuten Gesurre schaffte es die Mücke zum Glück selbst, sich zu befreien.

Hier auf Lanzarote läuft das Rad super, auch die rasante Abfahrt runter nach Haria macht trotz Windböen irre Spass. Vor dem finalen, spektakulären Anstieg auf den Mirador del Rio gibt es noch einen kurzen sehr steilen Stich, der richtig weh tut. Einige Athleten müssen hier von Straßenrand zu Straßenrand Kurven fahren, um hochzukommen. Weiter hinten im Feld wird es welche geben, die hier schieben werden. Auf den letzten Metern dieses Anstiegs, wo die Straße eigentlich schon flacher wird, bläst der Wind so brutal, dass ich mit 700 Watt treten muss, um über die Kuppe zu kommen.

Auf dem Mirador del Rio ist dann der „Wendepunkt“, wo man aus dem Wind rausfährt, um sich die letzten 50 Kilometer großteils mit Rückenwind nach Puerto del Carmen zurückblasen zu lassen. Auf der Abfahrt runter nach Arrieta überholt der Adler bei Tempo 75 die 4.- und 5.-plazierten Triathletinnen, wenig später beim hässlichen Anstieg nach Nazareth auch noch Saleta Castro, die auf Platz 3 der Damenwertung liegt. Die grobe Querstraße weg von Nazareth ist noch fürchterlicher als in Erinnerung. Die Erschütterungen sind so stark, dass ich gegen Ende gar nicht mehr sicher bin, ob ich überhaupt Rad fahre, mich auf einem defekten Cross-Trainer befinde – oder auf einem rotierenden Müll-Sortierband gelandet bin.

Doch Ross und Reiter überstehen auch diese Passage, die letzten ansteigenden Kilometer bis nach Conil ziehen sich etwas, dann geht es endlich die finale und technisch anspruchsvolle Schlussabfahrt über Tias nach Puerto del Carmen runter. Auf den letzten Kilometern entlang der Uferpromenade kommen mir bereits Läufer entgegen. Ich erkenne die auf Platz 1 liegende Kristin Möller, die geradezu durch‘s Feld fliegt (wie ich später erfahre, rennt sie die ersten 6 Kilometer in einer Pace von 3:46 Min/km). Ich nehme Druck raus, erhöhe die Trittfrequenz und schlüpfe aus meinen Schuhen, um regelkonform ab Wechsellinie meinen Boliden in T2 schieben zu können.