Heike Priess: Durchgehalten

von Heike Priess für tri2b.com | 14.10.2008 um 17:37
04:10 Uhr. Der Wecker klingelt. 04:15 Uhr. Das Telefon klingelt. WakeUp Call from Germany (16.15 dort!). Also raus aus den Federn. Kaffee machen, Frühstücken, Radflaschen befüllen, um 04.50 Uhr wurde ich von den Vermietern meiner Unterkunft abgeholt.

Um 05.10 Uhr war ich am Pier. Der Weg in die Wechselzone führte hinten herum ums King Kamehamela Hotel erstmal zum Bodymarking. Von dort aus über die Chipkontrolle hinein in die Wechselzone. So langsam wurde es hell. Der Himmel war klar, die Luft war frisch, nicht so schwül wie in manchen Nächten zuvor. Sogar den Berg hinter Kona konnte ich heute zum ersten mal sehen. Ich habe in Ruhe alle meine Sachen gerichtet, habe meinen PreSwim-Beutel abgegeben und bin dann in Richtung Start gegangen. Es war 06.38. Die Profis hatten sich bereits vorne an der Startlinie eingefunden. Surfbretter fuhren wie wild hin und her, um die Masse im Zaum zu halten. Dann hab ich erstmal meinen Blick den Pier entlang schweifen lassen und die Masse an Leute gesehen, die dort auf der Kaimauer saßen. In diesem Moment wurde ich dann von der Atmosphäre überwältigt. Es war genau so, wie man es von den vielen Bildern und Filmen her kennt, nur dass ich nun selbst mitten drin stand! Ein überwältigender Augenblick. 06.45 Die Nationalhymne wurde gesungen und mit den letzten Klängen fiel der Startschuss für die Profis. Ich war nicht aufgeregt, sondern grenzenlos beeindruckt.

Mit dem Startschuss der Pros durften wir Agegrouper ins Wasser. Ich bin also ganz links nach vorne geschwommen, und hab mich an einem Kanu festgehalten. Und schon nach ungefähr einer Minute wurde es dort so eng, dass ich nicht mal mehr Wassertreten konnte! Deshalb habe ich die Flucht nach vorne zur großen schwarzen Boje angetreten. Und bin auch von hier aus gestartet. Das war sozusagen die erste Reihe! So weit nach vorne wollte ich nicht. Deshalb waren die ersten paar Schwimmmeter ziemlich eng, aber kurz drauf war ich schon richtig platziert und konnte den Rest des Schwimmens richtig gut durchziehen. Fische, Schildkröten oder ähnliches hab ich nicht gesehen. Das einzige was ich zu Gesicht bekam waren Luftblasen!

Für das Schwimmen hab ich 1:07 Stunden gebraucht und für den ersten Wechsel 2:19 Minuten. Genial! Die ersten Radkilometer hab ich mit schweren Beinen gekämpft, aber aus Kona raus wurden sie lockerer und ich bin losgestampft. Damit konnte ich dann sofort eine Frau nach der anderen überholen. Aber schon bald darauf haben sich alle meine Träume in Luft aufgelöst. Ich habe Schmerzen in der rechten Leiste bekommen. Die konnte ich erst noch erfolgreich ignorieren, aber bei Kilometer 66 hab ich mir gedacht, dass es jetzt wohl besser wäre, den Fuß mal auszuschütteln und zu dehnen. Und sofort hab ich im gesamten Bein Krämpfe bekommen und musste dann auch runter vom Rad. Bei Kilometer 66! Ich war ja aufgrund meines Bandscheibenvorfalles im Prinzip auf alles irgendwie eingestellt, aber dass es nun schon so früh ist und dann in der Leiste anstatt im ISG wie bisher – naja. Nach einigen Minuten bin ich mit dem kleinsten Gang ganz vorsichtig weitergefahren. Jeder Tritt ein Schmerz, jede falsche Bewegung ein stechender Schmerz, aber an Schmerzen hab ich mich die letzten Woche eigentlich gewöhnt. So bin ich dann mit ungefähr 20 Stundenkilometern bis nach Hawi rauf gefahren. Dort wurde es schon besser. Inzwischen hatte ich jede Gefühlsregung dieser Welt durchgemacht. In einem Augenblick war es mir egal, denn ich hab ja bis 24 Uhr Zeit, kullerten mir wieder die Tränen über die Wangen, weil ich mir doch so sehr gewünscht hatte, dass ich es vernünftig durchziehen hätte können. Aufgeben stand nie zur Debatte. Nie. Ich hab damit gerechnet, dass so etwas passiert. Trotzdem hab ich mich für den Start entschieden, weil man (ich) Hawaii nicht einfach absagen kann. Also komme was wolle, ich ziehe das hier durch, nur deshalb bin ich da!

Aber wie gesagt, wurde es Hawi rauf schon besser und nach der Abfahrt von Hawi konnte ich fast wieder normal treten. Deshalb habe ich wieder angefangen, zu tun was ich gut kann: Radfahren. Es war zwar ziemlich windig und es wehten sehr starke Böen von den Hängen herab. Radfahren in Schräglage. Extrem, aber nicht schlimmer, als auf Lanzarote. Mir hat mal jemand erzählt, dass er beim Radfahren auf Hawaii um einen ganzen Meter nach rechts versetzt wurde, so stark wehte der Wind. Und ich kenne noch andere Horrorstorys vom Radfahren. Ich war darauf eingestellt. Ich dachte nur immer, dass das für die gesamten 90 Kilometer hin bzw. zurück zutrifft. Das ist aber keines Wegs so! Der Wind bläßt recht unterschiedlich, je nachdem auf welchem Teilstück man sich befindet.

Ab Kilometer 137 bin ich wieder normal Rad gefahren und hab mir ausgerechnet, wann ich ungefähr die Wechselzone erreichen werde. Und nach Adam Riese würde das um 14.15 Uhr sein. Damit blieben noch 3:45 – 4:00 Stunden für den Marathon um bei Tageslicht anzukommen! Und das war mein Plan B, der nun erreichbar schien. Also ab! Nach über sechs Stunden bin ich vom Rad gestiegen – sogar auf Lanzarote war ich schneller – habe schnell gewechselt (2:19) und bin losgelaufen.

Laufen ging erstmal super! Es war nicht so heiß wie befürchtet und ich hatte den Eindruck, dass immer ein frisches Lüftchen weht. Ich hab mir auch den Ratschlag zu Herzen genommen, von Anfang an zu kühlen. Ab der ersten Verpflegungsstelle hab ich mir Eiswürfel ins Trikot geschüttet und unter die Mütze getan. Dazu eiskalte Schwämme und alle Getränke werden hier ebenfalls eisgekühlt gereicht. Das ist für mich ein enormer Vorteil, denn nichts hilft mir mehr als eine eiskalte, wirklich eiskalte Coca Cola und ein kühles PowerGel! Da dreht es manchen den Magen um, meiner freut sich und fängt an zu verdauen :-) So hab ich dann den Lauf ganz gut hinter mich gebracht. Die erste Hälfte war wesentlich besser als die Zweite und insgesamt habe ich stolze 4:01 Stunden für den Marathon gebraucht. Da macht sich dann doch der Trainingsrückstand der letzten acht Wochen bemerkbar!

Nach 11:23:23 Stunden bin ich über die Ziellinie. Je nachdem wie man Daylight-Finisher definiert, bin ich einer oder auch nicht. Der offizielle Sonnenuntergang war 20 Minuten vorher, aber es war noch Tageslicht am Himmel und ich bin ohne Lightstick ins Ziel. Ich war nur bei einem einzigen Ironman um eine Minute langsamer – bei meinem aller ersten. Zufrieden bin ich nicht, wahre Freude konnte auch keine aufkommen, aber ich habe es durchgezogen. Noch beim Welcome Banquet wurde der Spirit des Ironman in höchsten Ehren gehalten: Ankommen ist alles, denn ‚Anything is possible’. Das hab ich geschafft. Ich bin am heutigen Tag durch höchste Höhen und durch tiefste Tiefen gegangen, aber ich habe einfach immer weitergemacht. Insofern muss ich mir wohl eingestehen: „You are an IRONMAN“.