Ironman Blog #6: Triathlon ist keine Mathematik - mit eisernem Willen zum Finish

von Stefan Drexl für tri2b.com | 07.09.2015 um 20:34
Nach neun Stunden, fünfundfünfzig Minuten und dreißig Sekunden ist meine erste Langdistanz erfolgreich ins Ziel gebracht und der Ironman Vichy 2015 Geschichte. Mit Temperaturen über 36 Grad und starkem Südwind habe ich am 30. August 2015 nach 25 Jahren im Triathlon meine Premiere über 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km Laufen gefeiert. Entgegen viel Rechnerei hat sich wieder einmal gezeigt, dass Triathlon keine Mathematik ist und es meistens anders kommt als man denkt. Zum Glück! Denn als Rookie in der Königsdisziplin konnte ich somit viel Erfahrung und neue Erkenntnisse sammeln. Trotz großer Hitze und unerwarteter Probleme habe ich keinen Moment an einem Finish gezweifelt und jede Minute meiner ersten Langdistanz voll und ganz genossen. Über Höhen und Tiefen, Freude und eisernen Willen …

 

Der Vollmond erleuchtet hell die Nacht als wir uns um fünf Uhr morgens auf den Weg zum Wettkampfgelände des Ironman Vichy am Lac d’Allier machen. Es ist windstill und der Himmel sternenklar. Um vier Uhr hat schon der Wecker geläutet, um ausreichend Zeit vor dem Start und für die letzten Vorbereitungen zu haben und in Ruhe frühstücken zu können: Haferflocken mit Rosinen und Honig in warmer Sojamilch – darauf freue ich mich vor jedem Rennen, das hat sich bewährt. Morgenstund hat Gold im Mund!

 

Nur wenige Triathleten stehen schon am Palais du Lac und warten auf die Öffnung der Wechselzone. Es herrscht eine angenehm entspannt Atmosphäre im Parc Omnisport als wir ankommen. Es ist 5:30 Uhr, pünktlich öffnen die Tore und es bleiben noch 90 Minuten bis zu meinem Schwimmstart. Ich gehe vorbei an Christian Brader und Michael Ruenz, zwei deutschen Profis, sowie Natascha Badmann, der sechsmaligen IRONMAN Hawaii-Gewinnerin. Ich sage, Aloha! Mein CANYON Speedmax durfte ich bereits am Vorabend einchecken, es steht fast am Ende des zweiten Radständers. Meine Startnummer (446) und den Helm lege ich sicher auf dem Aerolenker ab, reine Routine. Flaschen rein, Radschuhe in die Pedale und Reifen aufpumpen. Ich habe mich zudem für die MAVIC CX80 mit Schlauchreifen entschieden, die sind komfortabler auf den französischen Straßen, und dafür vorsorglich bei Holger von SPEED COMPANY München noch ein paar Reifen im Schnelldurchgang abgezogen und wieder aufgeklebt. Übung macht schließlich den Meister!

 

ÜBER ANSPANNUNG, FREUDE UND CHAOS AM SCHWIMMSTART

 

Ich gehe noch einmal alle Laufwege der Wechselzone ab und schließlich zurück zu meiner Familie, um mich dann zu erwärmen und einzulaufen. In der Zwischenzeit erfahre ich die gemessene Wassertemperatur: 23,6 Grad und das bedeutet, Schwimmen findet mit Neopren statt – gerade noch. Aber ich habe vorgesorgt, denn ich habe einen dünneren Sailfish G-Range Neoprenanzug zum Testen bekommen, der eine gute Wasserlage ermöglicht, nicht zu warm und schnell ist. Es bleiben noch zehn Minuten bis zu meinem Start, am Horizont dämmert es leuchtend orange! Ein kurzer Abschied und es geht rein in den Lac d’Allier zusammen mit 400 weiteren Triathleten der ersten Startwelle. Nach 200 Tagen Vorbereitung geht’s endlich los, noch einmal Schwimmen, Radfahren und Laufen, ein Highlight, ich freue mich und bin gespannt. Das Einschwimmen habe ich mit 5 Minuten Thera Band ersetzt, zu dreckig und voll ist mir das Wasser des gestauten Flusses. Jetzt steigen die Anspannung und das Adrenalin, in der ersten Reihe auch die Nervosität und der Kampf um die besten Startpositionen – als würde schon hier der Ironman entschieden.

 

 

Ein lautes Horn ertönt, das Wasser kocht und ab geht’s. Pünktlich um sieben Uhr erfolgt der Start, die Hektik und das Chaos habe ich aber dennoch bei keinem Triathlon bisher erlebt. Noch nach 500 Metern bekomme ich im Kampf um den besten Wasserschatten einige Hände auf den Kopf und manch einer schwimmt sogar noch oben drüber. Mit der ersten Wende nach 900 Metern habe ich mich freigeschwommen und befinde mich wenige Meter hinter einer kleinen Führungsgruppe. Das Wasser ist sehr unruhig, die Orientierung aufgrund der Wendestrecke und den nahen Uferpromenaden aber relativ übersichtlich. Ich überhole die ersten Profi-Frauen, welche acht Minuten vor mir gestartet sind, bevor es nach der ersten Runde zum Landgang geht. Die Menge tobt, das französische Publikum ist sensationell, das spornt an und ich fühle mich nach der Hälfte der Schwimmstrecke durchaus locker. Mit einem kräftigen Absprung geht’s von der Pier wieder in’s Wasser und durch den Schwung kann ich eine fünf Meter Lücke zu drei Schwimmern schließen. Dann geht die Sonne auf und mit jedem Atemzug nach links scheint sie mir immer stärker ins Gesicht – einfach wunderbar. Während der zweiten Runde frischt der Wind aus Süden auf und treibt Wellen und Gischt entgegen. Nach anstrengenden 600 Metern kommt endlich die Boje und es geht zurück, vorbei an immer mehr Frauen und sogar männlichen Profis, die einen Vorsprung von zehn Minuten hatten. Auf den letzten 800 Metern erhöhe ich meine Zugfrequenz und bin selbst überrascht, wie flott ich ein nach dem anderen Schwimmer überhole. Ich kommen nach 3,8 km als Schnellster meiner Altersklasse mit 54 Minuten aus dem Lac d’Allier zu und freue mich als ich vorbei an meinem Sohn und meiner Frau Richtung Wechselzone laufe.

 

SOLORITT DURCH DIE AUVERGNE MIT PAPARAZZI UND EINER HAWAII-LEGENDE

 

Nach nur 2:46 Minuten sitze ich auf dem Rad und es liegen 180 km durch die zauberhafte Landschaft der beiden Departements d’Allier und Puy de Dôme bei strahlend blauem Himmel vor mir. Durch den Parc Omnisport und mit vielen Kurven und kurzen Steigungen in Vichy geht’s Richtung Süden auf die Radstrecke, zwei Runden à 90 km mit 1194 Höhenmetern sind zurückzulegen. Ich finde schnell meinen Tretrhythmus, jedoch bin ich alleine unterwegs über die Felder und durch die verschlafenen Dörfer. Auf einer der langen Geraden sehe ich nach 10 km in weiter Ferne einen Triathleten vor mir, endlich ein Orientierungspunkt. Ich versuche ein konstantes Tempo zu fahren und dabei nicht zu viel Druck zu machen. Zeit mit der Verpflegung zu beginnen: Ich nehme in regelmäßigen Abständen abwechselnd je einen Schluck konzentrierter Isomaltulose von INNOSNACK und aus einer anderen Flasche Wasser.

 

 

Die Landschaft und Stimmung im Morgenlicht ist herrlich und es liegt ein leichter Dunst über den Wäldern. Nur wenige Leute stehen um diese Uhrzeit am Straßenrand, aber in jedem Dorf, riecht es nach frischem Baguette. Bei Kilometer 20 überhole ich meinen Vordermann und nur wenige Minuten später die bisher führende Frau, Nicole Woysch. Schließlich kommt eine Gruppe Profis zügig vorbei und kurz darauf höre ich viele Motorräder hinter mir. Es ist Natascha Badmann, eine Legende im Triathlon, die auf ihrem außergewöhnlichen Cheetah Custom Bike an mir vorbei gleitet, umringt von einer Scharr Paparazzi und Race Marshalls. Es kehrt wieder Ruhe ein, nur die Carbon-Laufräder auf dem groben Asphalt dröhnen monoton. Einem beinahen Soloritt über das Hochplateau und durch die welligen Wälder oberhalb von Vichy folgt die lange steile Abfahrt wieder hinunter ins Tal des Allier.

 

HEISSE SCHWÄCHEPHASE IN DER ZWEITEN RADRUNDE DES IRONMAN VICHY 2015

 

Die zweiten 90 km werden weniger einsam, der Wind aus Süden wird jetzt deutliche stärker und ich werde von mehreren kleinen Radgruppen überholt. Während die Temperaturen die 30 Grad übersteigen, ist mein Tempo jetzt langsamer als in der ersten Runde. Es scheint wohl an einer ersten Schwächephase zu liegen, dass ich den Eindruck habe, die Triathleten würden trotz Windschattenverbots Rad an Rad dicht aneinander kleben – vielleicht sehe ich aber bereits doppelt aufgrund der Hitze unter meinem Aerohelm. Ein Race Marshall ward längst nicht mehr gesehen. Anders als in Erlangen ist es mir nicht möglich das Tempo und die Dynamik der Passierenden mitzufahren. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich ausreichend Flüssigkeit und Kohlenhydrate getrunken und ebenso Riegel gegessen. Jedoch vermag mein Magen das längst nicht so schnell zu verdauen, wie ich unterwegs sein wollte. Na ja, das Rennen ist ja noch lang, denke ich bei Kilometer 140, da kommt es auf zehn Minuten hin oder her nicht an: Besser etwas moderater rollen und dann fitter vom Rad. Doch der Südwind zehrt deutlich mehr an den Kräften als mir lieb war und der Magen muckt.

 

Die Abfahrt nach Vichy nutzte ich, um die Beine etwas zu lockern und den Rücken zu entspannen. Der meckert wegen der langen Haltung in der Aeroposition mit dem hohen Druck und der fehlenden Abwechslung. Die letzten Kilometer über den Zubringer zurück zur Wechselzone rolle ich locker mit hoher Frequenz. Endlich und vor allem pannenfrei darf ich nach 5:10 Stunden von meinem Rad steigen – zwar 15 Minuten später als geplant, dennoch bin ich überrascht wie schnell die zweite Disziplin vorbei ging.

 

WENN’S NICHT LÄUFT TUT’S RICHTIG WEH

 

Alles im grünen Bereich und auf Kurs, denn mit dem Marathon sollte es so richtig los gehen. Nach einem moderaten zweiten Wechsel starte ich die erste Laufrunde. Es fühlt sich anfangs etwas unrund an, aber ich war mir sicher, allmählich meinen Laufrhythmus zu finden. Schließlich steckten bereits 3,8 km Schwimmen 180 km Radfahren in meinen Beinen, da kann es das durchaus etwas dauern. Nach 5 km die erste Verpflegung mit etwas Wasser und Energy Drink, vor allem aber einer Dusche, um der Mittagshitze zu trotzen – ich laufe weiter und passiere Kilometer 7. Plötzlich spüre ich ein starkes Stechen in meinem Bauch, kurz danach habe ich das Gefühl der komplette Magen zieht sich zusammen, aus laufen wird gehen. Ok, denke ich, das kann vorkommen und möchte nach 500 Metern Fußmarsch wieder anlaufen.

 

Doch keine Chance. Ich gehe weiter und erreiche die nächste Verpflegungsstelle: Ein paar Schluck Wasser, etwas Energy Drink, eine leichte Dusche. „Keep on walking, never Stop“, hat mir einmal Chris McCormack in einem Interview nach seinem zweiten Sieg des Ironman Hawaii 2010 gesagt. Aber ich möchte laufen, doch jeder Versuch zu beschleunigen schmerzt. Ok, ganz egal, auch wenn ich 42 km gehen muss, was zählt ist das Finish, sage ich mir. Ich bekomme Zuspruch von überholenden Triathleten und nach 15 Kilometern begleitet mich meine Frau am Streckenrand. „Lauf, denk an den langen Weg bis hier her, die vielen Einheiten und Kilometer, lauf,“ schreit sie mich an. Und immer lächeln, denke ich mir. Einige Freunde rufen an und lassen ihren Zuspruch ausrichten, vor allem eine Freundin, die schwer erkrankt ist und mehr als nur einen Ironman zu meistern hat.

 

FINISH MIT EISERNEM WILLEN UND GLÜCKSGEFÜHLEN BEIM IRONMAN VICHY 2015

 

Es war der zündende Funke: Mein Kopf übernimmt wieder die Regie, ganz egal, ob der Körper rebelliert, ich ignoriere den Schmerz und beginne wieder zu laufen – erst langsam und dann immer schneller. Es ist Halbzeit, zwei Runden von vier sind geschafft und ich erreiche mit Wettkampftempo zum zweiten Mal das Stadion. Ich habe viel Zeit verloren, aber ich laufe. Das ist Triathlon und keine Mathematik, immerhin ist das mein Debüt auf der Langdistanz und das lass ich mir nicht verderben. Meine Taktik behalte ich bei und gehe durch jede Verpflegung, nehme von allem einen Schluck, jetzt auch Cola. Eine Zeit um die 9 Stunden, einen Platz auf dem Podium oder ein Slot für Hawaii: längst abgehakt!

 

Ich erreiche die 35,5 km Marke und merke, wie sich Leichtigkeit und ein Glücksgefühl in mir ausbreiten. Es geht zurück, die letzten 7 km und ich spüre, wie die Euphorie in mir aufsteigt, die Schritte immer lockerer werden und sich ein Lachen in meinem Gesicht ausbreitet. Ich erreiche das Stadion, die letzten 200 Meter und kann es nicht fassen als ich die Uhr sehe. Während die Ränge voll gepackt sind, feiert das Publikum trotz der großen Hitze, angeheizt von zwei sensationellen Moderatoren. Ich werde langsamer, richte den Blick zum Himmel und kann es kaum begreifen. Dieser Moment ist nicht greifbar, ich bin einfach überwältigt: Nach neun Stunden, fünfundfünfzig Minuten und dreißig Sekunden bleibt die Uhr für mich an diesem Sonntagnachmittag stehen und meine erste Langdistanz, der Ironman Vichy 2015 ist damit Geschichte.

 

Das erste Mal ist immer am schönsten, wenn es jedoch einmal nicht mehr läuft, dann tut es richtig weh. Mein Körper, der in der Saison 2015, an anderen Tagen, in anderen Rennen und unter anderen Umständen stets zuverlässig funktioniert hat, ist an diesem Sonntag kurzzeitig etwas ins stottern gekommen, scheinbar leicht irritiert von der ungewohnten und langen Belastung. Trotz der enormen Hitze und der Probleme war mein Kopf stets konzentriert, fokussiert und ich habe nie gezweifelt. Ich habe meine erste Langdistanz mit jeder Sekunde genossen, denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Danke Nicola!

 

DANKE

 

Ich danke meiner Frau und meinen Kindern für Ihre Geduld und die Kraft, die sie mir während der gesamten Vorbereitung in den letzten 200 Tagen gegeben haben. Ich danke auch meinen Freunden, die mich stets motiviert und bei den ein oder anderen Trainingseinheiten begleitet haben – dann, wenn’s darauf ankommt! Mein Dank gilt außerdem zwei besonderen Menschen, die mir in den letzten, den härtesten und intensivsten Wochen vor meiner ersten Langdistanz tatkräftig zu Seite gestanden und mich aufgebaut haben. Danke Anderl und Christoph! Ohne Eurer Unterstützung hätte ich es vielleicht nicht einmal bis zur Startlinie geschafft.

 

Website von Stefan Drexl: www.stefandrexl.de