Kurzmeldung


Von der Krebsstation zurück zum Triathlon

von Dr. Lucia Kühner für tri2b.com | 25.05.2007 um 17:31
Die Diagnose KREBS kam für Stephan Birnmeyer (38) aus Neustadt in Holstein aus heiterem Himmel. Von einem Tag auf den anderen wurde der gerade in der Trainingsvorbereitung für einen großen Wettkampf stehende Triathlet mit dieser Schocknachricht konfrontiert.

An einem Mittwoch im Juli 2004 verabreden Stephan und ich uns zu einer spaßigen Trainingseinheit in Stephan´s Garten vor dem Fernseher: Wir verfolgen die Alp D´Huez Etappe der Tour auf der Rolle – selbstverständlich mit anschließendem Koppellauf. Schließlich bereiten wir uns als IRONMAN-erfahrene Trainingspartner auf den Ostseeman in unter zehn Stunden vor. Stephan kenne ich seit 2 Jahren als extrem disziplinierten, knallharten Triathleten aus dem Nachbarort; Marinesoldat, Schwimmtaucher und immer hochmotiviert – manchmal ohne Rücksicht auf Verluste zieht er sein Training von nicht selten 30h/Woche 100% nach Plan durch.

Am nächsten Morgen sagt er das gemeinsame Schwimmtraining wegen nächtlichen Reizhustens ab – kein Risiko mehr vor dem Wettkampf in 2 Wochen. Abends die Nachricht, dass er am nächsten Tag zum CT in die Klinik müsse. Etwas genervt „macht er dann eben morgen Ruhetag“! Freitagabend die Diagnose: unklare Raumforderung hinterm Brustbein vom 10cm Durchmesser. Es stellt sich als großer bösartiger Tumor heraus - Krebs! Als Ärztin betreue ich gerade den Triple-Ironman-Wettkampf, als mich Stephan mit der Nachricht anruft. Schock! Unfassbar für mich als Ärztin, für Stephan und seine Ehefrau Karin mit dem 5jährigen Sohn Moritz, für Triathlon-Kollegen am Wettkampfort. Ich versuche, ihn mit Informationen zu versorgen, für ihn und seine Familie auch als Medizinerin zur Seite zu stehen.


Eine Woche nach dem Training - Chemotherapie
Gerade eine Woche nach der letzten gemeinsamen Fünf-Stunden-Trainingseinheit, steht der Termin für seine erste Chemotherapie. Ein langer harter Weg liegt vor Stephan – härter als jedes Training, jeder Wettkampf, jede Einheit an Bord. Es folgen vier Chemos je 5 Tage. Stephan leidet extrem und kann sich bald kaum noch länger als 10min. auf den Beinen halten. Er nimmt 10 kg ab und es erinnert kaum noch etwas an den austrainierten, muskulösen Vorzeigeathleten. Während des Ostseeman-Rennens denke ich oft an meinen Trainingsfreund und beiße die Zähne doppelt hart zusammen! Doch die Chemotherapie ist umsonst – der Tumormarker will und will nicht sinken. Im November 2004 folgt die nächste Serie, die noch härter, noch schlimmer für den Körper ist. Ich besuche Stephan des Öfteren auf der Krebsstation der Uniklinik Lübeck und bin trotz meiner Berufserfahrung erschrocken, wie schlecht es ihm geht. Übelkeit, ständiges Erbrechen, Haarausfall, totale Erschöpfung, das Immunsystem praktisch nicht mehr vorhanden, seelische und körperliche Schmerzen…der Sportler kann nicht mehr im Stehen duschen und manchmal nur mit Mühe telefonieren. Und trotzdem erträgt er es so gut es geht; wie immer hart im Nehmen, hart zu sich selbst. Dennoch: der Tumormarker…

Die behandelnden Ärzte beraten und beraten. Die operative Entfernung des Tumors ist extrem gefährlich, da er um die Aorta gewachsen scheint und eine Verletzung der Hauptschlagader nicht mit dem Leben vereinbar wäre. Eine Hochdosischemotherapie wird geplant. Stephan bereitet sich auf drei Wochen Isolation vor – mehr weiß er nicht. Doch was dann kommt, kann niemand nachvollziehen. Diese Therapie zerstört Alles: die Schleimhäute lösen sich auf, im Mund ein Brei aus abgestorbenen Zellen, das letzte Härchen fällt aus, die Seele leidet ähnlich. Einziger Halt ist der Gedanke: „hoffentlich greift diese verdammte Chemo die Tumorzellen genauso hart an“. Dann die niederschmetternde Nachricht: das Kontroll-CT zeigt weiterhin Tumorgewebe.

Die OP ist nicht zu vermeiden
Die lebensbedrohliche und gleichzeitig lebensnotwendige Operation findet im April 2005 statt. Ein Tag voller Angst für Karin und Moritz, Freunde und Verwandte. Aber Sie gelingt und ich bin so erleichtert, als ich die Nachricht von Karin erhalte! Jetzt geht es los: Die 20cm lange Narbe auf der Brust verheilt, nach 6 Wochen das erste Training. Dann geht´s zur Reha, psychologische Betreuung nimmt Stephan zum Glück dankbar an. Tumormarker- und CT-Kontrollen werden zu den Tagen X und die Werte zu mit Spannung, Angst und Hoffnung erwarteten Zahlen, die „Alles“ bedeuten. Der Marker fällt in den Normbereich und scheint sich zu stabilisieren. Am 26.06.2005 der erste Sprint-Triathlon im neuen Leben, beim Ostseeman in der Staffel als Schwimmer, Crossläufe und 2006 sogar die Veddernsee-Rundfahrt (320km) nimmt er in Angriff – und finished selbstverständlich alles mit Bravour. Weiterhin kauft sich Familie Birnmeyer ein gemütliches eigenes Häuschen, Stephan hackt Holz für den neuen Kamin und bewirtschaftet die 1700m² Garten. Einerseits freue ich mich unbeschreiblich über seine Genesung, seine Lebensfreude und seine Leistungsbereitschaft; andererseits sehe ich als Ärztin das große Risiko. Der Körper kann einem Triathlon-Training nach der extrem harten Belastung der letzten neun Monate unmöglich standhalten. Dazu der mittlerweile wieder Vollzeitjob als Ausbilder für Schiffssicherung im Fachbereich Sanität in der Kaserne und auf See etc.. Zweifel oder Belehrungen sind für Stephan aber keine Option.

Der Sportler ist zurück
Jetzt kommt schon wieder der Sportler und Kämpfer in ihm durch: „Ich bestimme, wann ich den letzten Ironman mache und nicht der verdammte Krebs“ sagt sich Stephan und beginnt, wieder nach Plan zu trainieren – für den Ostseeman 2007. Doch ich sollte recht behalten: eine Erkältung jagt die nächste, Antibiotika werden zum monatlichen Lebensmittelzusatz – es bedarf vieler langer Gespräche, nicht selten bei lockeren Rad- oder Laufeinheiten, bis er sich beugte. Seit zwei Monaten trainiert er jetzt nach „ärztlichen Trainingsplänen für Krebserkrankte“ unter Aufsicht seiner „Bewährungshelfer“, wie er mit einem Schmunzeln bemerkt. Es geht ihm gut. Nach einigen Rückschlägen ist er jetzt auch wieder in psychologischer Behandlung. Diese vielen kleinen Bausteine, die bedingungslose Unterstützung seiner Familie, sein Glaube an sich selbst, seine Disziplin und nicht zuletzt die außerordentlich gute körperliche Verfassung VOR der Erkrankung lassen ihn leben! Ein Leben, für das sich der Kampf gelohnt hat!

Stephan Birnmeyer´s Schicksal soll erkrankten Athleten Zuversicht und Hoffnung geben – und möge dem „gesunden Athleten“ den Blick auf´s Wesentliche ein wenig öffnen.