Felix Gottwald: Einfach dein Bestes geben

Harald Eggebrecht für tri2b.com | 16.01.2018 um 14:27
Seine in unzähligen Trainingsstunden erarbeitete Form am Tag X auch abrufen zu können. Viele Triathleten scheitern immer wieder an dieser Zielsetzung, wenn der Startschuss zum Saison-Highlight fällt. Und dass obwohl die Leistungswerte stimmen, das Material top ist und auch im Umfeld alles auf diesen Tag X ausgerichtet wurde. Die Psyche hat einem wieder einmal einen Streich gespielt. Einer, der davon unzählige Geschichten erzählen kann, ist Felix Gottwald. Der Österreicher aus Zell am See hat in seiner Karriere als Nordisch Kombinierer insgesamt 18 Medaillen bei internationalen Großereignissen gewonnen und damit Sportgeschichte geschrieben. Schon während seiner Karriere hat sich der heute 42-Jährige stark mit dem Thema "Mentaltraining" befasst und gibt mittlerweile sein Wissen in Coachings und Seminaren u.a. an Sportler und Mitarbeiter von Unternehmen weiter. Wir haben mit Felix Gottwald über das von ihm angebotene TAKE THE LEAD Mindset-Training gesprochen und insbesondere zu den "mentalen" Besonderheiten bei Triathleten und Ausdauersportlern nachgefragt.

tri2b.com: Laut Angebot richtet sich das von dir und Anna Demel entwickelte Mindset-Training an Profiathleten und ambitionierte Hobbysportler. Ab wann macht diese Art des "Mentaltrainings“ Sinn? Wie ambitioniert muss / sollte man sein?
Felix Gottwald (F.G.): Das ist eine sehr wichtige Frage. Denn ganz prinzipiell ist mentale Fitness nicht nur Sportlern vorbehalten, sondern generell für uns alle heute eine Schlüsselkompetenz. Unser Mindset-Training für Profis und ambitionierte Hobbyathleten ist auf deren spezifische Bedürfnisse hin optimiert. Wie ambitioniert sollten Teilnehmer sein? Sie sollten ambitionierte, eigene, sportliche Ziele haben, wir knüpfen das ganz bewusst nicht an Limits. In unserem Training herzlich willkommen ist, wer…

… es satt hat, in Wettkämpfen immer an Versagensangst, Nervosität, Blackouts, etc. zu scheitern, die ihm im Training keine Probleme bereiten,

… sich endlich mit Freunde und Leichtigkeit an eine bestimmte sportliche Challenge heranwagen möchte, nachdem er über das Heranwagen lang genug nachgedacht und geredet (aber nie gehandelt!) hat,

… für sich erkannt hat, dass Investitionen in Trainingspläne, Ausrüstung und Material alleine noch lange nicht dazu geeignet sind das gesamte persönliche Leistungspotential zu aktivieren und im Moment X abzurufen, dass es also „mehr geben muss“, das die Erfolgreichen von weniger Erfolgreichen unterscheidet.

Diese typischen Phänomene können auf jedem Leistungsniveau einer Sportkarriere auftreten, dementsprechend sind unsere vier Kern-Disziplinen PRÄSENZ, EIGENVERANTWORTUNG, FOKUS UND STATE auch auf jedem Level der Erfolgscode für den nächsthöheren.

 

tri2b.com: Wie unterscheiden sich psychische Blockaden bei Sportlern, insbesondere die Unterschiede zwischen Ausdauersportlern und Spielsportlern?
F.G.: Ausdauersportler haben ja oft die Illusion, als „Einzelkämpfer“ alleine für ihre Leistung verantwortlich zu sein. Die Wahrheit ist: Selbst, wenn du alleine läufst, schwimmst oder am Rad Kilometer abspulst - du bist immer viele! Mal der Zuversichtliche, mal der, der den Kopf einzieht, mal unterstützt und bestärkst du dich, mal hinderst und sabotierst du dich auf deinem Weg. Also: Das Team in dir spielt mal besser und mal schlechter zusammen, abhängig von vielen Faktoren. Die Kunst besteht jetzt als Athlet darin, dich unabhängig von äußeren Faktoren zu machen! Also, dass du beispielsweise gut mit dir in Kontakt bleibst auch wenn im Außen gerade alles gegen dich zu sein scheint! Das klingt zugegebenermaßen einfach. Und ist es auch, für alle, die zu einem Paradigmenwechsel bereit sind: Ambitionierte Athletinnen und Athleten sehen nicht nur das Training als Training, sondern erklären ihren gesamten Alltag dazu. Denn erst dort, außerhalb des planmäßigen Trainings und Wettkampfs, entsteht erst die Wiederholungsfrequenz, die auch Veränderung bewirkt. Bei Spielsportlern ist wohl das Entscheidendste, dass sie den Bedeutungszusammenhang „Spiel“ nicht aus dem Sinn und aus dem Herzen verlieren. Denn das ist fast immer der Hintergrund, wenn über „Formkrisen“ gerätselt wird: Dass Spieler aus ihrer ursprünglich Begeisterung für ihr Spiel herausrutschen. Damit geht in Teams dann auch oft die Idee von „miteinander füreinander“ verloren und das schlägt sofort auf die Leistung durch (in der Wirtschaft ist es übrigens ganz genau so, nur zeigt es sich dort nicht so unmittelbar). Was hilft? Wieder Anschluss an jene Begeisterung zu finden, aus der wir ursprünglich etwas begonnen haben – die Reset-Taste für den Spaß an der Freude drücken.

 


Mindset-Training mit Felix Gottwald im Hotel Bergblick im Tannheimer Tal - 12. - 15.04.2018 

Das optimale Training für AthletInnen an einem perfekten Ort. Der dreifache Olympiasieger in der Nordischen Kombination, Felix Gottwald, erwartet Sie im ****S-Hotel Bergblick im Tannheimer Tal in Tirol zu einem außergewöhnlichen Trainingsseminar in einzigartiger Lage. 

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tri2b.com: Triathleten gelten gemeinhin als Vieltrainierer. Die große Herausforderung ist es am Wettkampftag dann wirklich auch die Form abrufen zu können. Gibt es einen Tipp, wie das besser gelingen kann?
F.G.: Haha, ja, das stimmt. Viele Triathleten, die in meine Seminare und Coachings kommen, haben mit Triathlon-Training als Ausgleich begonnen. Nicht selten ist dann daraus eine Zusatzbelastung entstanden, die im Hobbybereich mitunter dazu führt, dass sowohl Job als auch die Familie darunter leiden. JEDER Athlet - egal ob Profi oder Hobbysportler - sollte sich ehrlich immer wieder die Frage beantworten: WOFÜR mach ich das Ganze und WOFÜR definitiv NICHT? Wenn das beantwortet ist, geht es nicht primär um Quantität der Ausdauerstunden, es geht um die Qualität. Manchmal habe ich den Eindruck, jeder Triathlet trainiert ein Ironman-Pensum, egal, ob die Langdistanz eine realistische Zielsetzung ist oder nicht. Das Leben bleibt ein Balanceakt und Training ist die Balance zwischen Belastung und Regeneration. Und so wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen hindert der unreflektierte Grundsatz „Mehr ist auf jeden Fall besser als weniger“ viele am Erfolg. JEDER Profisportler - also jene Menschen, die mit ihrem Sport Geld verdienen - verbringen ca. 99% ihrer Zeit mit Training und 1% mit Wettkampf! Wer also im Training einen entsprechenden Qualitätsstandard beibehält, braucht nicht mehr die Idee zu haben, im Wettkampf irgendetwas besonders machen zu müssen – genau an dieser Idee scheitern nämlich die meisten. Das abzurufen, was Tag für Tag entwickelt wurde, reicht völlig aus. Olympia oder WM: Ich habe meine 18 Medaillen nur deshalb gewonnen, weil ich dieses Prinzip beherzigt habe. EINFACH DEIN BESTES GEBEN – Betonung auf einfach – ist deshalb auch als Trainer, Coach und Vortragender mein Motto geblieben. 

 

tri2b.com: Wo liegen häufig die Gründe für ein Scheitern?
F.G: Scheitern ist die Basis für Entwicklung: Spitzensportler „scheitern“, unabhängig von der Erfolgsstatistik, wesentlich öfter, als wir gewinnen – das gilt sogar für Ausnahmeerscheinungen wie Marcel Hirscher. Die Frage ist, wie wir mit diesem ganz normalen Phänomen umgehen. Meine Karriere (und viele andere zeigen): Die Momente, in denen ich wirklich gescheitert bin, waren zeitgleich jene mit den wertvollsten Veränderungsimpulsen. Im Moment, wo du vermeintlich ganz unten bist, bist du dem Erfolg so nah wie noch nie! Ich habe diesen Satz gut einen Monat vor meinem Olympiasieg am eigenen Leib erlebt, den dringend notwendigen Schwenk von Ausreden zur Eigenverantwortung vollzogen und Gold gewonnen, wo es vier Wochen davor noch völlig aussichtslos schien.
 

tri2b.com: Welche Strategien gibt es, bzw. wie kann ein Athlet herausfinden, woran es bei ihm im Kopf hakt?
F.G.: HINHÖREN! Auf die Geschichten, die wir uns erzählen, wenn es gut läuft und jene, die wir uns erzählen, wenn es wiedermal nicht klappt! HINSPÜREN!  Wie fühle ich mich? Was geht da in mir, in meinem Körper gerade ab? Der Körper und unsere Gefühle als die beiden wichtigsten Feedbackinstanzen in uns! Körperliches Training ist eine wunderbare Möglichkeit, sich selbst im Wesenskern besser kennenzulernen – das ist auch mein großer Benefit aus 20 Jahren im Spitzensport. Und während du diesen Weg gehst, kriegst du ständig Feedback auf deine eigene Lern- und Entwicklungskurve: unmittelbar auf Ergebnislisten. Herauszufinden, was für einen selbst stimmt, ist viel einfacher, als die Allermeisten denken: sich dem Thema zu widmen, Zeit zu investieren, sich Werkzeuge anzueignen und dann damit experimentieren, üben, sie zu einem Teil des Lebens werden lassen. Dafür haben meine Kollegin Anna Demel und ich das Mindset-Training TAKE THE LEAD konzipiert, als wirkungsvolles Toolkit, um für sich selbst aufrichtig und wertschätzend die Führung zu übernehmen – Erfolge im Sport sind dann nur eine Konsequenz.

 

tri2b.com: Welchen Raum sollte das Mentaltraining im Training eines ambitionierten Amateur-Athleten einnehmen, z.B. bei einem Triathleten, der sich für den Ironman Hawaii qualifizieren will?
F.G.: Mentale Fitness ist heute wichtiger denn ja – und noch einmal: nicht nur im Sport! Die äußeren Einflüsse haben sich dramatisch verändert, ein ganzes digitales Universum an Ablenkungen ist entstanden und wir alle müssen lernen und trainieren, wie wir darin fokussiert bleiben und überhaupt bestehen können. Jeder, der nicht so gut schläft wie er gern würde, jeder der gerne mehr Gelassenheit hätte, jeder der sich vom Alltagstempo überfordert fühlt - wer immer sich bei diesen Anzeichen angesprochen fühlt, sollte auch wissen, dass im mentalen Bereich etwas zu tun ist. Wir Menschen brauchen Zeiten der Stille, Zeiten, in denen wir uns selbst beobachten. Es braucht wieder mehr Fokus auf unser Sein und nicht immer alle Aufmerksamkeit auf unser Tun und unseren Aktionismus! Warum? Weil die größte Challenge für uns alle ist, mehr von dem zu tun, was nützt und nährt und weniger von dem, was uns hindert und schadet, deshalb. Um also im schnellen Strom unseres Erlebens die Kontrolle zu behalten, brauchen wir mentale Fitness. Und um noch mit einer Illusion aufzuräumen: Wir können Körper und Geist nicht trennen, auch nicht logischen Verstand und intuitive Kompetenzen – alles Schlüsselpositionen in unserem Team und die Crux ist, dass wir für ein optimales Zusammenspiel dieser Kräfte sorgen. Übung macht den Meister: Die einfachsten Sätze bringen das Wesentliche oft verblüffend einfach auf den Punkt.

 

tri2b.com: Kann jeder Athlet gleichermaßen von Mentaltraining profitieren, oder ist dies von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen abhängig. Zum Beispiel eher zurückhaltende Persönlichkeit im Vergleich zu einer sehr selbstbewusst auftretenden Persönlichkeit?
F.G.: Wer selbstbestimmt und eigenverantwortlich seinen Alltag, seinen Wirkungsraum nützt, um sich im mentalen Bereich zu verbessern, wird sich auch verbessern. Diese Gruppe ist immer die, die am allermeisten von Mentaltraining profitiert! Das Mindset-Training haben wir im vergangenen Jahr auch wissenschaftlich untersucht. In Bezug auf die Entwicklung der körperlichen Leistungsfähigkeit und auf die persönliche Entwicklung. Das Überraschende: Jene Athleten mit dem höchsten Leistungsniveau haben sich am meisten gesteigert. Schlussfolgerung – es braucht schon eine gewisse Reife, um das Training entsprechend prozessieren zu können. Und es braucht Commitment.
 

tri2b.com: Profiathleten sagen immer wieder in Interviews Sätze wie - "da musste ich den Kopf ausschalten". Kann man das wirklich?
F.G.: Ist nicht zu empfehlen, die Medizin nennt das: Hirntod. Nein, den Kopf ausschalten kann man nach meinem Empfinden nicht! Gemeint ist: Man kann sich in den Zustand der Präsenz bringen – das analytische Denken geht dabei zurück und man verliert und vergisst sich selbst im Tun. Man denkt nicht an das Ziel oder an die ganze Distanz oder an die absolvierte Wegstrecke, sondern ist mit der Aufmerksamkeit ganz im Moment, bei dem Schritt, der gerade zu machen ist. Diesen Zustand nennen viele „Flow“ oder „High“, oder traditioneller „Selbstvergessenheit“. Wichtig ist, dass man dieses innere Umschalten trainieren kann. Die Vergangenheit gibt es nicht mehr und die Zukunft noch nicht. Meine Trainerkollegin Anna Demel sagt immer: „Im JETZT ist wenig los…“ ;-)
 

tri2b.com: Wie bist du in deiner Karriere auf das Thema Mental-Training aufmerksam geworden?
F.G.: Meine erste Begegnung in diesem Bereich war ein Kurs beim legendären Baldur Preiml, dem ehemaligen Skispringer und Skisprungtrainer, der viele dieser Ideen vor Jahrzehnten in den österreichischen Sport gebracht hat. Bald danach begann ich aus gesundheitlichen Gründen, mich intensiver mit meinem Mindset zu beschäftigen. Qi Gong war für mich damals der Einstieg in jene Materie, die wir weder sehen noch angreifen können, sondern nur erfahren und spüren. Heute sind wir da wesentlich weiter, wissen aus der Neurophysiologie, wie etwa Meditation oder andere mentale Techniken auf unseren Organismus wirken. Über die Wissenschaft ist die Brücke auch für jene entstanden, die Fakten und Zahlen brauchen, weil ihnen die Selbsterfahrung guter Wirkung nicht genügt. Jedenfalls ist das Training menschlicher mentaler Fähigkeiten auch nach meiner Karriere meine große Faszination geblieben, in dem es jeden Tag neue, spannende Dinge, Techniken und Methoden zu entdecken gibt. Und weil das Training des eigenen Mindsets auch 2018 noch nicht common sense oder Teil der Lehr- und Trainingspläne in Schule und Sport ist, habe ich mir zur persönlichen Mission gemacht, den Nutzen davon möglichst vielen Menschen näher zubringen.