Justus Nieschlag: Am Tag X abzuliefern ist im Leistungssport gefragt

Harald Eggebrecht für tri2b.com | 13.07.2021 um 14:33
Zehn Jahre ist es her, da war der Name Justus Nieschlag erstmals ganz oben auf der Ergebnisliste einer internationalen Meisterschaft zu lesen. Der gebürtige Hildesheimer wurde 2011 Junioren-Europameister. Im vergangenen Jahrzehnt hat Nieschlag dann so manche Höhen und Tiefen durchlebt. Langwierige Verletzungen wechselten mit großen Erfolgen, wie dem Sieg beim ITU Weltcup in Madrid, ab. Bei seiner Mission „Tokyo 2021“ ging es am Ende um Sekunden, als der 29-Jährige das entscheidende interne Olympia-Qualifikationsrennen der DTU in Kienbaum Ende Mai für sich entschied. Im Interview erzählt Justus Nieschlag über die finale, schwer planbare Olympia-Vorbereitung, von Saunagängen zur Hitzeakklimatisierung, wie man am Tag X abliefert und welche Frauen in Tokio aufs Olympia-Podium kommen.

tri2b.com: Auf deiner Website steht der Slogan: „Mission Tokyo 2021“. Die Mission ist jetzt auf der Zielgeraden. Wie erging es dir in den Wochen seit der Qualifikation in Kienbaum?
Justus Nieschlag (J.N.): Wir befinden uns nun auf der Zielgeraden und nach Kienbaum war's erstmal ein bisschen chaotisch. Es war ja alles erstmal nur auf diesen Tag ausgerichtet und wie es danach weitergeht, das war eigentlich noch nicht bis ins Detail ausgetüftelt. Dementsprechend hat danach dann die Arbeit angefangen sich zu überlegen, wie sieht jetzt genau die finale Tokio-Vorbereitung aus. Machen wir noch ein Trainingslager, gibt es eine Akklimatisierung vor Ort in Tokio? Das waren alles noch ungeklärte Fragen. Leider wurde unser Vorbereitungscamp in Tokio jetzt gestrichen, dementsprechend wurde noch munter hin und her geplant. Nachdem das alles geregelt war und der Schlachtplan stand, ging es ins Trainingslager nach St. Moritz in die Höhe.

tri2b.com: Du warst in Kienbaum in einer gewissen Favoritenrolle und hast dann am Tag X auch geliefert. Kann man diese Situation, punktgenau in Topform zu sein, jetzt auch auf Tokio übertragen?
J.N.: Ich denke abliefern am Tag X, das ist halt im Leistungssport gefragt. Es hilft wenig, wenn man irgendwie bei irgendwelchen Leistungsüberprüfungen Anfang des Jahres irgendwelche neuen Rekorde aufstellt und dann aber die Leistungen in der Saison nicht mehr bringt. Es ist halt im Leistungssport so, dass es darauf ankommt, punktgenau die möglichst beste Leistung zu zeigen. Das hat bei mir bisher immer ganz gut funktioniert. Von daher bereite ich mich auf die Olympischen Spiele bestmöglich vor und hoffe natürlich, dass ich in Tokio dann auch am Tag X, im Einzel und in der erstmals ausgetragenen Staffel, das auch entsprechend zeigen kann.

tri2b.com: Du hast aktuell kein Rennen über die Olympische Distanz gemacht und warst nur auf den ganz kurzen Wettkampfstrecken im Einsatz. Ist das ein Nachteil, bzw. kann man die Belastung über die längere Olympische Distanz im Training adäquat simulieren?
J.N.: Ich habe mal ein bisschen recherchiert. Meine letzte Olympische Distanz war im Jahr 2019 das World Triathlon Series-Rennen in Leeds (Rang 21, Anmerkung der Redaktion). Das ist schon eine ganze Weile her, aber ich hatte immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen und dann kam auch noch der Corona-Lockdown mit den ganzen Rennabsagen. Deshalb gab es nicht viele Möglichkeiten nochmal eine Olympische Distanz mit entsprechender Konkurrenz zu machen und dann war jetzt erstmal alles auf die Quali ausgerichtet. Es hat deshalb auch keinen Sinn gemacht noch irgendwohin, z.B. nach Yokohama zu fliegen, um nochmal eine Olympische zu machen. Es ging erstmal darum, sich zu qualifizieren. Klar ist es sicher jetzt nicht optimal, so lange keine gemacht zu haben, aber im Großen und Ganzen haben wir ja auch nicht das ganze Jahr lang nur auf die ganz kurzen Distanzen trainiert.

Der entscheidende Moment in Kienbaum: Justus Nieschlag gewinnt die interne Ausscheidung - © PetkoBeier.de

Die Super League lief voll aus dem Training heraus und ansonsten habe ich mich in den Trainingslagern ja ganz normal auf die Triathlonsaison vorbereitet. Für den Kienbaum-Event habe ich dann in den finalen drei Wochen spezifisch trainiert. Das waren genau die drei Wochen, nachdem ich aus dem Höhencamp in der Sierra Nevada runtergekommen bin. Aber bis dahin und auch danach war das ein ganz normales Training. Die Intervalle sind auch jetzt wieder ein bisschen länger geworden.

tri2b.com: In deinem Blog-Eintrag nach den Berliner Finals hast du dich ins Trainingscamp für den letzten Tokio-Schliff verabschiedet. Wie sah die finale Vorbereitung im Detail aus. Wo lagen die Schwerpunkte. Kannst du einen Einblick geben?
J.N.: Es ging wie gesagt nochmal in ein Höhentrainingslager. Diesmal ins Oberengadin nach St. Moritz. Ich war insgesamt drei Wochen in der Höhe und bin jetzt genau drei Wochen vor dem olympischen Einzelrennen wieder runtergekommen. Das ist der Abstand, der bei mir gut funktioniert. Genauso habe ich es auch vor der Quali in Kienbaum gemacht. Drei Wochen Höhentraining und dann drei Wochen davor runter. Jetzt habe ich am Anfang nochmal einen Block mit Grundlagentraining absolviert, da durch Kienbaum und den anderen Wettkämpfen drum herum hohe Intensitäten anstanden. Konkret waren es zwei Wochen Grundlagen und in der letzten Woche sind einfach nochmal vermehrt ein paar Intensitäten eingebaut worden. Im Schwellenbereich oder auch mal leicht darüber.

tri2b.com: Wie groß ist die Gefahr jetzt noch aus Übermut zu überziehen? Wie steuerst du das Verhältnis von Belastung zu Erholung?
J.N.: Ich sehe jetzt keine große Gefahr, dass ich noch irgendwie auf den letzten Metern überzocke. Ich denke da sind wir auch erfahren genug, dass wir das ganz gut aussteuern können. Wir haben zwar jetzt noch einen zusätzlichen leicht ungewissen Faktor mit der Hitzeanpassung drin, dadurch dass wir ja nicht vorher direkt nach Tokio gehen können. Jetzt versuchen wir das über so Geschichten wie Saunagänge zu machen. Das ist nochmal ein zusätzlicher Reiz, da muss man ein bisschen aufpassen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch das gut hinbekommen. Außerdem haben wir mit Whoop ein zusätzliches Tool an der Hand, mit dem wir Informationen über die Herzfrequenzvariabilität, Schlafdaten, sowie die Be- und Entlastungsdaten bekommen. Ansonsten stehe ich natürlich regelmäßig mit Dan (Lorang) im Austausch und wir machen das ja auch schon eine ganze Weile. Von daher sehe ich keine Gefahr, dass wir auf den letzten Metern nicht noch irgendwie überreizen.

Neuer Helfer für eine bessere Trainingssteuerung: Justus Nieschlag setzt das unscheinbare Whoop-Armband mit der dazugehörigen App ein - © Justus Nieschlag/Whoop App

tri2b.com: In den letzten Wochen und Monaten gab es immer wieder Kritik an der Durchführung der Olympischen Spiele, da die Corona-Pandemie noch nicht überwunden ist. Träumt man da auch mal schlecht – z.B. von einer Absage kurz vor dem Startschuss? Wie gut kannst du die Diskussion um Olympia im täglichen Training ausblenden?
J.N.: Die Sorgen, dass Olympia jetzt noch abgesagt wird, sind bei mir nie aufgekommen. Ich war und bin da sehr beruhigt, weil da zu viel dahintersteckt und auch so viel Geld mit im Spiel ist. Mir ist eigentlich schon seit Kienbaum relativ klar, dass Olympia stattfindet, weil einfach eine nochmalige Verschiebung für die Veranstalter gar nicht mehr in Frage kommt. Von daher war ich da super entspannt und habe mich voll auf mein Training und die Vorbereitung konzentriert.

tri2b.com: Gibt´s schon einen Plan für nach Olympia. Wird man dich vielleicht auch wieder auf einer längeren Distanz sehen?
J.N.: Jetzt ist erstmal volle Konzentration auf Olympia. Danach sehen wir dann, wie der Stand der Dinge ist und werden nochmal planen. Ich kann nicht abstreiten, dass es schon eine Motivation wäre in Richtung Saisonende nochmal auf die Mitteldistanz zu gehen. Ich habe bis jetzt zweimal schon den Ausflug gewagt und fand das immer eine coole Sache und es hat richtig Spaß gemacht. Aber das Ganze muss auch mit den noch anstehenden Rennen der World Triathlon Championship Series und im Weltcup abgestimmt werden.

tri2b.com: Ein Tipp zum Abschluss: Wie sieht das Frauen-Podium in Tokio aus?
J.N.: Nicht ganz einfach deine Frage. Ich würde sagen, dass wir da ganz vorne Georgia Taylor-Brown sehen werden. Maya Kingma wird sicher auch aufs Podium laufen und Flora Duffy macht auch eine Medaille.