Ralf Eggert: 25 mm vorne – 28 mm hinten ist das beste Reifensetup für moderne Disc Brake-Aerolaufräder

Harald Eggebrecht für tri2b.com | 03.09.2021 um 10:43
Vor einigen Jahren ist der Schweizer Radkomponenten Hersteller DT Swiss mit einer neuen Aerolaufrad-Kollektion an den Start gegangen, mit dem Ziel mittelfristig dem Platzhirsch Zipp den Kampf anzusagen. Vor wenigen Wochen komplettierten die Schweizer mit ihrem neuen Scheibenrad ihre Aerolaufrad-Range. Wir haben aus diesem Anlass mit dem DT Swiss Road Markting Manager Ralf Eggert über die aktuellen Entwicklungen rund um das Thema Disc Brake, breitere Reifen und Tubeless gesprochen. Der ehemalige Triathlon-Profi war in den Jahren 2000 und 2001 selbst in Roth am Start (Bestzeit: 8:28 Stunden).

tri2b.com: Starten wir gleich mal etwas provokant. Warum machen Scheibenbremsen am Triathlon-Bike Sinn, wenn aktuell viele Radstrecken einer Autobahn gleichen und gefühlt im Rennen nur noch fünfmal gebremst wird?
Ralf Eggert (R.E.): Es ist korrekt, dass ein Teil der Triathlon-Rennen auf relativ einfachen Strecken gefahren werden. Auf Pendelstrecken wäre es sicherlich gerechtfertigt, diese Neuentwicklung im Bereich der TT-Bikes infrage zu stellen. Doch seit der Freigabe von Scheibenbremssystemen durch die UCI im Jahr 2018 – vor nur ca. drei Jahren also – hat sich die Entwicklung von neuen Fahrrädern mit „Disc Brake“ Bremssystemen beschleunigt. Was zuerst bei „Straßenrennrädern“ startete, ist mittlerweile bei TT-/Tri-Bikes auch angekommen. Finden die AthletenInnen keine perfekten Bedingungen im Rennen vor, z.B. Regen, Kälte, anspruchsvolle Kurse mit technischen Abfahrten, so gibt gleichmäßiges und dosiertes Bremsverhalten mehr Sicherheit. Und vom obligatorischen Training im Rennsetup oder zumindest in der Rennposition haben wir noch nicht gesprochen! Doch die reine Betrachtung der Bremsperformance wäre zu einfach, denn auf der Suche nach mehr Geschwindigkeit (ohne mehr zu trainieren = Speed for Free!) ermöglichen neue Felgenformen, die Verfeinerung der Aerodynamik. Diese erreichen wir vor allem mit Carbon-Felgen, die mit dem Wegfall der Felgenbremsflanken für viele RadsportlerInnen zugänglich gemacht wurden.

tri2b.com: Wie ist hier aktuell das Verhältnis zwischen Disc-Wheels und Laufrädern mit Rim-Brakes? Wie verhält es sich in den verschiedenen Segmenten, z.B. zwischen TT-Bikes, Road-Race, Road-Marathon-Rädern?
R.E.: Du forderst mich ziemlich heraus…. Im Bereich der Neuräder im Allgemeinen sind Scheibenbremssysteme stark gewachsen. In den verschiedenen Road Cycling-Kategorien ist das jedoch unterschiedlich ausgeprägt. Wir sehen aber einen Trend zu breiten Reifen in allen Kategorien.

Im Besitz befinden sich noch immer viele Fahrräder mit Felgenbremsen, jedoch ist die Kaufabsicht für neue Räder mit Scheibenbremssystemen deutlich gestiegen. Für Triathleten und Race-Bike-FahrerInnen gibt es dennoch weiterhin tolle Rahmen mit Felgenbremsoption und die DT Swiss bietet für Fans der klassischen Felgenbremssysteme Aero-Laufräder, auch für die Nachrüstung, an. Zuletzt haben wir eine neue ARC Aero-Laufradserie vorgestellt und die existierenden Felgenprofile mit neuen Komponenten überarbeitet. Wir haben also topmoderne Felgenbrems-Aero-Laufräder im Programm.


tri2b.com: Wie wird die Entwicklung in den kommenden Jahren weitergehen? Wird das Laufradangebot, vor allem im Aerobereich, trotzdem irgendwann vollkommen auf Disc ausgerichtet sein?
R.E.: Laufräder für Felgenbremsen werden noch einige Zeit verfügbar sein – besonders im sogenannten Nachrüstmarkt, d.h. also Komponenten und Laufräder, die über den Bike-Handel gekauft werden. Neuentwicklungen von Felgenprofilen für Carbon-Laufräder werden wir wegen der konstruktionsbedingten Einschränkungen der Rahmen und Bremskörper nur noch selten sehen. Aber sicherlich bleiben Rim Brake TT-Räder viel länger sichtbar als in den aktuellen „Trendkategorien“, wo es praktisch heute keine Felgenbremsoptionen mehr aufgrund der Konstruktionen gibt. Langfristig sehen wir mehr Entwicklungsmöglichkeiten und Vorteile bei Disc Brake Systemen – die letzten fünf Jahren haben die db Road Bikes fast schon „revolutioniert“….

tri2b.com: Die Disc Brake und die breiteren Felgenformen eröffnen die Möglichkeit deutlich breitere Reifen zu fahren. Obwohl darüber in letzter Zeit in diversen Magazinen viel über die Vorteile breiterer Reifen immer wieder berichtet wurde – Stichwort: mehr Komfort, besserer Pannenschutz, geringerer Rollwiderstand - ist nach wie vor eine gewisse Skepsis vorhanden. Gerade wenn wir im Triathlon über Aerodynamik reden. Hier haben uns in der Vergangenheit allerlei Aero-Päbste immer wieder eingebläut: „Je geringer die Angriffsfläche für den Wind, desto schneller.“ Wie verhält sich das mit den jetzt empfohlenen breiteren Reifen?
R.E.: Das Thema der breiteren Reifen hatte ich bei den modernen Rennrädern für „Endurance“ oder „Gravel“ aufgegriffen. Die Aerodynamik ist für die Gravel-Fahrerin oder den Gravel-Fahrer auch wichtig, jedoch spielen dort Komfort und Pannensicherheit eine deutlich größere Rolle – ausser es werden echte Gravel-Rennen gefahren.

Als die DT Swiss vor mehr als 4 Jahren die Kooperation mit Swiss Side aufgegleist hat, wurden die Aero-Laufräder auf Basis von Felgenbremssystemen entwickelt. Die Entwicklung der ARC Laufräder der 1. Generation geschah auf Basis von einer Felgeninnenmaulweite von 17 mm und deutlichen Einschränkungen der Rahmenkonstruktionen. Die Felgen mussten neben einer sehr guten Aerodynamik auch sicherheitsrelevante Bremsvorgänge aufnehmen. Und dies schränkte die Wahl der Reifenbreite noch stärker ein.

2017 startete DT Swiss in ein neues Aerolaufrad-Zeitalter - tri2b.com war damals schon dabei - © DT Swiss

Mit dem Wegfall dieser Restriktionen konnten die gesammelten Erfahrungen über die Reduktion des Rollwiderstands bei breiten Reifen in die Entwicklung neuer Laufräder einfließen. Dabei wurde zwar die Frontalfläche leicht vergrößert, doch in der realen Welt kommt der Wind nicht nur von vorn. Als Resultat aus der Forschung & Entwicklung der DT Swiss und Swiss Side veränderte sich die Felgenform, die dafür sorgte, dass sich der Wind entlang der Felge, in verschiedenen realistischen Anströmwinkeln des Windes, „anhängte“, keine Turbulenzen verursachte und so die „gewichtete“ (=theoretische Verteilung von Anströmwinkeln auf Basis gesammelter Werte und Erfahrungen  aus der Realität)  Aerodynamik des Laufrades bestehend aus breiterem Reifen, Felgenform, -höhe, Speichenform und Nabengehäuse verbessert wurde. Unter Berücksichtigung des verbesserten Rollwiderstands bei breiten Reifen - so wird die Aufstandsfläche grösser bzw. breiter, die Deformierung der Reifenkarkasse ist leichter, so dass weniger starke Schläge auf den Lenker und somit Körper wirken. Und ganz wichtig: der Rollwiderstand ist jedoch auch abhängig vom Reifen und dessen Qualität - für unsere aktuellen Aero-Laufräder (Typ: Disc Brake only) geben wir die Empfehlung von 25 mm Reifenbreite vorn aus. Im Hinterbau ist der Reifen dem direkten Windeinfluss nicht so stark ausgesetzt, die Aerodynamik wird weniger durch die Reifenbreite beeinflusst. Ausgehend von einer weiteren Reduktion des Rollwiderstands und des höheren Fahrkomforts empfehlen wir bei den neueren Aero-Laufrädern (db) 28 mm breite Reifen. Für die Felgenbremsversionen liegt die Empfehlung bei 23 mm (vorn) und 25 mm (hinten).

Breitere Reifen widersprechen sich nicht mit einer optimierten Aerodynamik - © DT Swiss


Exkurs: Um eine bestmögliche Reifenabstützung auf der Felge zu ermöglichen, werden die Felgen breiter. Eine Masseinheit ist die sogenannten Felgeninnenmaulweite, die den Abstand zwischen den Felgenhörner an der schmalsten Stelle beschreibt. 23 mm Reifenbreite können gut in „herkömmliche“ Rahmen mit Felgenbremskörpern eingebaut werden, diese Felgen haben eine Innenmaulweite von ca. 17-18 mm. Bei 25 mm Reifenbreite wird die Luft dünner, da die Rahmen und die Bremskörper diese Reifenbreite oft nicht mehr aufnehmen. Bei Rädern aus dem Endurance oder Gravelbereich werden fast ausschließlich Scheibenbremssysteme verbaut, was das Verhältnis klar zu Disc Brake Wheels verschiebt. Was früher Felgeninnenmaulweiten für MTB-Laufräder waren, ist mittlerweile im Roadbereich etabliert. 20 mm Maulweite finden sich in den Felgen unserer neueren Aero-Laufräder, 24 mm im Gravel.


tri2b.com: Ein weiteres viel diskutiertes Thema ist Tubeless. Ich bin selbst jetzt ein Jahr lange auf einem Laufradsatz Tubeless gefahren. Das Feeling war in der Tat top. Vor einem Platten hatte die Dichtmilch dann aber im Ernstfall doch nicht geschützt #riesensauerei. Wie sind hier derzeit die von DT Swiss ausgerüsteten Profis unterwegs. Welche Reifen werden wirklich gefahren?
R.E.: Im Mountainbike-Bereich hat sich Tubeless weitgehend durchgesetzt. Die Vorteile bzgl. zusätzlichem Komfort und dem von Dir erwähnten Pannenschutz sind anerkannt und werden geschätzt. Bei den Road-Laufrädern und -felgen können seit 2016 alle DT Swiss Produkte tubeless aufgebaut werden („tubeless ready“). Der Aufbau von Tubeless Reifen sollte einfach gehen, was nicht immer der Fall war und z.T. ist. Durch die internationale Aufnahme von Industriestandards in Normen (ISO 5775-2 für Fahrradfelgen) passen Reifen und Laufräder mittlerweile sehr gut zusammen und unsere Athleten bestätigen uns die relativ unkomplizierte Installation von Tubeless-Reifen auf den Felgen. Diese Normen sorgen auch für die notwendige Sicherheit der verschiedenen Komponenten in der Abstimmung.


Ist Tubeless unterwegs: Ruben Zepuntke - © tri2b.com

Wer genau was fährt, kann ich dennoch nicht zu 100% sagen, aber Tubeless Systeme setzen sich in der Spitze immer weiter durch. Breitere Reifen lassen sich einfacher auf die Tubeless-Felgen aufziehen, was die Barriere zu dieser Reifentechnologie deutlich reduziert. Wie Tubeless Reifen installiert werden, inkl. Tubeless Milch, ist mittlerweile in vielen Tutorials auf Youtube zu finden– so habe auch ich begonnen. Wer der Tubeless-Thematik offen gegenüber steht, sollte dies im Training testen und nicht erst im Rennen. Da im Rennradbereich höhere Luftdrücke gefahren werden, ist ein größerer Druckverlust bis zum Abdichten des Reifen im Fall eines Defektes beim Fahren dennoch möglich. Und bei einem gröberen Reifenschaden, kann es zu einem Versagen des Tubeless-Systems kommen – was allerdings auch mit Schlauch passieren würde. Dann hilft es, einen Schlauch dabei zu haben. Und schließlich gibt es für Skeptiker auch interessante, moderne Schlauchsysteme. Mit den sogenannten Hakenfelgen - im Vergleich zu hakenlosen oder hookless-Felgen - geben wir die größte Auswahl an Reifen, egal ob Tubeless oder Schlauchsysteme, und schränken diese nicht durch limitierende Reifenfreigaben ein.


tri2b.com: Ihr habt gerade mit der DT Swiss ARC 1100 DICUT Disc eure Aero-Laufrad-Kollektion komplettiert. Im Profibereich war eine Scheibe eigentlich schon immer die erste Wahl. Für welche Agegrouper-Zielgruppe macht eine Scheibe wirklich Sinn?
R.E.: Eine Scheibe macht einen Wahnsinnssound. Allein das Geräusch motiviert, schneller zu fahren. Zusätzlich sehen wir im Windkanal einen Vorteil von 1.8 Watt bei 45 km/h, was einem Zeitgewinn von ca. 30 Sekunden auf 180 km (flacher bis leicht kupiert) entsprechen könnte. Dies unter Berücksichtigung der gewichtigen Windanströmungen: die Frontalanströmung hat in dem Fall eine höhere Wahrscheinlichkeit als stärkere Seitenwinde. Wie auch bei unseren Aero-Laufrädern erzeugen wir durch Felgen- und Laufradformen einen sogenannten Segeleffekt, bei dem der Windwiderstand unter Seitenwindeinfluss verringert wird. Dieser Effekt kann bei Felgenhöhen von 62 bis 80 mm sogar für einen Vortrieb sorgen, d.h. der translationale Widerstand ist negativ. Besonders bei der Scheibe ist der Effekt stärker ausgeprägt und kann die im Windkanal gemessenen Vorteile sogar noch übertreffen. Für ambitionierte SportlerInnen kann deshalb eine Scheibe durchaus eine sinnvolle Anschaffung darstellen, denn die Hawaii-Slots sind in den Rennen nun mal limitiert. Mit Helm und Kleidung kann ich bereits einiges erreichen, doch das Laufradtuning ist sicherlich noch effektiver.


Exkurs: Und keine Angst wegen des Einflusses einer Scheibe auf das Lenkverhalten des Rades: mit dem höheren Gewicht auf dem Hinterbau des Rades bleibt das „Fahrsystem“ stabil. Wichtiger ist die richtige Wahl des Vorderrades, welche, je nach Felgenhöhe, stärkeren Einfluss auf die Lenkung haben kann. Das AERO+ Konzept befasst sich genau damit und versucht, Aerodynamik und Fahrverhalten auszubalancieren.  Wer mehr über Aerodynamik, Segeleffekt, Lenkverhalten und Rollwiderstand erfahren möchte, findet dies auf https://www.dtswiss.com/de/rebornfaster


tri2b.com: Einer der Vorbehalte gegen eine Scheibe, der bei mir hängengeblieben ist, waren mögliche Probleme, die bei einem Reifendefekt auftreten können. Wie wurde das bei eurer Neuentwicklung berücksichtigt?
R.E.: Das ausreichend große Ventilloch wird, anders als viele TriathletenInnen es kennen, mit einem Carbon-Cover (Plättchen) aerodynamisch fest geschlossen. Dieses Cover kann ich im Fall des Defektes mit einer 90° Drehbewegung abnehmen und nach Behebung des Defektes wieder aufsetzen (siehe: >>Youtube-Tutorial ...). Zudem wird ein Ventiladapter (90°) mitgeliefert. Damit kann die Luft nachgepumpt werden.

 

Bei der DT Swiss ARC 1100 DICUT Disc ist die Ventilöffnung mit einem speziellen Cover abgedeckt - © DT Swiss

Dennoch ist eine Scheibe kein „normales“ Laufrad, an dem das Ventil von verschiedenen Seiten zugänglich ist. Auch hier gilt: Übung macht den Meister. Wer CO2-Kartuschen oder sonstige Pannensprays im Rennen mitführt, sollte folgendes bedenken: Schläuche sollten ausreichend kurze Ventile haben, damit die Pumpe oder der Adapter in das Scheibenloch passt. Für CO2-Kartuschen gibt es flexible Schläuche, die auf das Ventil geschraubt werden könnten. Einige Kartuschen-Systeme sind eventuell sehr gross und passen nicht direkt ins Ventilloch. Aber dennoch bleibt ein Scheibenrad ein Laufrad!