Sebastian Kienle: Für Kona bin ich sehr positiv gestimmt

Harald Eggebrecht für tri2b.com | 21.04.2021 um 17:19
Vorletzte Woche tauchte der Name Sebastian Kienle in der Startliste des Ironman 70.3 Texas auf. Über seine Social-Media-Kanäle ließ der 36-Jährige allerdings verlauten, dass er seinen geplanten Saisonstart erst einmal noch verschiebt. Wir haben dies zum Anlass genommen, um mit dem Ironman Hawaii-Sieger von 2014 über das vergangene Corona-Jahr, die bald anstehenden Vaterfreuden, die damit verbundene COVID-19 Impfung und die neuerlichen Verletzungsprobleme zu sprechen. Außerdem gibt Sebi im Interview einen Einblick in die schwierige Phase nach seinem Daytona-DNF und wagt auch einen Ausblick auf die anstehende Triathlon-Saison 2021.

tri2b.com: Du hattest in unserem „Kona at home Interview“ im Oktober 2020 schon prophezeit, dass Corona uns wohl noch deutlich länger beschäftigen wird.  Wie gehst du aktuell mit der Situation um, seitdem klar ist, dass es auch in der Saison 2021 massive Terminverschiebungen und -absagen geben wird?
Sebastian Kienle (S.K.): Wie du schon gesagt hast war für mich schon früh irgendwo absehbar, dass uns die Pandemie leider länger beschäftigen wird. Mit dieser Situation bin ich im Jahr 2020 lange sehr gut klargekommen. Die Motivation für das tägliche Training war trotz der Rennabsagen weiter voll da. Der erste große Rückschlag kam eigentlich dann mit dem Schlüsselbeinbruch im Sommer. Außerdem kamen dann auch wieder Probleme mit meiner Hüfte dazu, was einfach dafür gesorgt hat, dass die Motivation eine erste Delle bekam. Vor allem beim Schwimmtraining, wo ich bis dahin auf einem wirklich sehr guten Weg war. Gleiches gilt fürs Laufen, das bis dahin das erste Mal seit 2018 durchgängig wieder richtig gut war.
Das eigentliche Debakel begann dann aber mit Daytona. Das dortige DNF hat mich mental ins Wanken gebracht. Danach hatte ich ehrlich gesagt mit meiner Motivation richtig zu kämpfen, zumal ja zu diesem Zeitpunkt auch schon absehbar war, dass es auch 2021 erstmal so weitergeht mit den Absagen und Verschiebungen. Es war das erste Mal in meiner Karriere, dass ich über einen längeren Zeitraum solche Motivationsprobleme verspürt habe. Aber jetzt mal positiv gesehen. Auch im Vorjahr gab es die Chance auf ein hochkarätiges Rennen, die ich dann leider vermasselt habe. Deshalb glaube ich weiter fest daran, dass es auch in dieser Saison wieder Chancen für mich geben wird.

tri2b.com: Im Vorjahr gab es mit Rang zwei beim Ironman 70.3 Tallinn leider nur ein einziges zählbares Ergebnis für dich. Die PTO Championship in Daytona verlief dann wie schon erwähnt äußerst unglücklich. Wie groß ist jetzt die Lust, endlich wieder an einer Startlinie zu stehen und wo stehst du formmäßig?
S.K.: Für mich war Daytona wirklich eine riesengroße Katastrophe. Zwei Wochen vor dem Rennen war ich in Topform. Aber zwei Wochen vor dem Raceday bringt eben nichts. Ich habe ja selbst mal den Spruch geprägt - „It's a thin line between fit and fucked“ - und ich habe halt einfach die Linie überschritten und da ein paar große Fehler gemacht. Leider haben sich die anfänglichen Wadenprobleme über den Winter wieder zu Achillessehnenproblemen entwickelt und dementsprechend ist die Form einfach noch nicht so super. Ich habe deshalb auch den Start beim Ironman 70.3 Texas abgesagt und es wird jetzt auch erstmal kein anderes Rennen geben. Im Moment sieht es so aus, dass ich dann bei der Challenge St. Pölten oder vielleicht auch schon bei der Challenge Riccione in die Saison einsteige. Je nachdem was eben dann auch stattfindet, hier muss ich einfach ein bisschen flexibel bleiben. Ich war jetzt dreimal auf Fuerteventura im Trainingslager und dort hat alles relativ gut funktioniert. Die Grundlage ist gelegt, aber die Ausprägung der Rennform ist wegen der erläuterten Probleme einfach noch nicht da.  

tri2b.com: Wie hast du im Training auf den Umstand reagiert, dass in Corona-Zeiten nichts mehr fix planbar ist?
S.K.: Im Training haben wir vor allen Dingen einfach darauf geachtet an den Grundlagen zu arbeiten und natürlich an meinen Schwächen. Leider war das durch den Schlüsselbeinbruch und die Achillessehnenprobleme nicht immer durchgängig möglich. Ich habe mich aber trotzdem im Schwimmen und auch im Laufen deutlich weiterentwickelt. Das Fundament ist gelegt. Für den Turm fehlen aber nach oben einfach noch ein paar Stockwerke. Da arbeiten wir jetzt in den nächsten Wochen dran, in der großen Hoffnung, dass es dann auch die Chance gibt, noch ein paar Rennen zu machen, bevor ich dann Papa werde. (lacht)

tri2b.com: Du hast es gerade erwähnt. Deine Saison wird unabhängig von Corona anders verlaufen, denn deine Frau Tine und du erwarten im Sommer Nachwuchs. Unser Glückwunsch an dieser Stelle an euch beide. Wie geht es euch als werdende Familie und welchen Einfluss hat dies auf dein tägliches Leben als Triathlon-Pro?
S.K.: Im Moment beeinflusst es mein Leben als Profisportler eigentlich noch nicht so groß. Ich glaube das wird sich dann im Juni, Juli ändern, wenn es soweit ist. Aber da zeigt sich eben auch, dass wir einfach ein unheimlich gutes Team sind. Die Eltern meiner Frau, mein Manager und mein Trainer. Ich kann mich auf alle einfach 100%ig verlassen und deswegen sehe ich der Zeit echt mit Freuden entgegen. Mir ist selbstverständlich klar, dass es vielleicht hier und da ein bisschen eine Prioritätsverschiebung geben wird. Ich freue mich sehr darauf und ich denke, die sich verändernde Lebenssituation kann mir sogar einen zusätzlichen Schub geben.

tri2b.com: Du bist aufgrund der Schwangerschaft deiner Frau in der Corona-Impfreihenfolge nach vorne gerückt und warst bereits im März bei der Impfung. Gab es im Anschluss irgendwelche Einschränkungen im Training und bei der Leistungsfähigkeit?
S.K.: Ja das stimmt. Ich bin durch die damit einhergehende Einstufung der ständigen Impfkommission in die Impfgruppe 2 als enge Kontaktpersonen einer schwangeren Person gerückt.  So hatte ich schon sehr früh die Möglichkeit mich impfen zu lassen, übrigens mit AstraZeneca. Wir haben einfach im Training die 2-3 Tage vor der Impfung ein bisschen lockerer gemacht und dann ebenso 2-3 Tage danach. Mein linker Arm hat nach der Impfung leicht geschmerzt und ich habe mich im Anschluss auch zwei Tage einfach ein bisschen müde gefühlt. Sonst hatte ich eigentlich keine weiteren Nebenwirkungen. Ich habe mich auch mit mehreren Sportlern aus Großbritannien unterhalten, darunter auch einige sehr gute Triathleten, die alle mit AstraZeneca geimpft wurden. Da gab es auch sehr unterschiedliche Erfahrungsberichte. Einige hatten schon ordentliche Nebenwirkungen, andere weniger. Vielleicht sollten wir die Sache aber auch nochmal einordnen. Es wird immer von Nebenwirkungen gesprochen, aber es ist ja letztendlich keine Nebenwirkung, sondern es ist genau das was man mit der Impfung hervorrufen will. Es soll eine Reaktion des Immunsystems geben. Deshalb waren meine beschriebenen leichten Beschwerden keine echten Nebenwirkungen, sondern vielmehr die unmittelbare Impfwirkung.

tri2b.com: Magst du einen Ausblick auf den Sommer wagen? Wie würde deine Saison im Idealfall aussehen?
S.K.: Im Idealfall würde ich sehr gerne den Ironman Frankfurt machen. Das ist mit sehr viel Hoffnung und Wunschdenken verbunden. Ich glaube aber trotzdem, dass es im Sommer Chancen auf Rennen geben wird. Ob es die in Deutschland geben wird, ist eine andere Frage. Man sieht es jetzt gerade. Es gab die Rennen in Texas und Florida. Die Rennen in St. George sollen auch stattfinden und im europäischen Raum findet jetzt die Challenge Mogán Gran Canaria statt. Es gibt also Rennen, deshalb bleibe ich ganz entspannt. Unter Umständen ist der spätere Saisoneinstieg gar nicht so schlecht, weil ich bezüglich Kona 2021 eigentlich schon sehr positiv gestimmt bin. In den USA drücken sie bei der Impfung richtig aufs Tempo und auch bei uns geht es jetzt wirklich ebenfalls zügig voran. Das gibt schon ein bisschen Hoffnung, trotz der vielen Unwägbarkeiten, die nach wie vor vorhanden sind. Im Spätsommer und im Herbst wird der weltweite Rennkalender auf jeden Fall noch einiges bieten und ich werde dann auch absolut fit in Rennform an der Startlinie stehen.  

tri2b.com: Der Profisport hat sich mittlerweile ganz gut mit der Corona-Pandemie arrangiert. Daytona und zuletzt Miami haben gezeigt, dass es auch im Triathlon mit reinen Profirennen funktionieren kann. Wie ist deine persönliche Einschätzung?
S.K.: Ja, Profisport funktioniert. Fußball und Radsport kommt jeden Tag im Fernsehen und Biathlon gab´s den ganzen Winter. Lang- und Mitteldistanz-Triathlon ist aber eben sehr eng mit den Amateurathleten verwoben. Das will ich nicht missen und ist mit einer der Gründe, warum ich vom Triathlon leben kann. Aber im Moment ist das der Grund, warum wir verhältnismäßig wenig Rennen haben und auch auf absehbare Zeit wohl kaum Rennen in Deutschland haben werden. Eine reines Profirennen trägt sich im Triathlon eben nicht. Positiv stimmt mich eine kürzlich vorgestellte Studie renommierter Aerosole-Forscher, die deutlich aufzeigte, dass das Ansteckungsrisiko im Freien wirklich extrem gering ist. Und Triathlon ist das Paradebeispiel einer Individual-Freiluftsportart. Ich glaube, wenn man ein gutes Hygienekonzept richtig umsetzt, dann ist vieles möglich. Das heißt möglichst keine Zuschauer beziehungsweise die Zuschauer sehr stark verteilt, Masken getragen und Abstände eingehalten werden, so wie üblicherweise in anderen öffentlichen Bereichen. Dazu Wellenstarts durchführt und entsprechend große Startkorridore einrichtet, die Athleten die Maske bis kurz vor dem Start tragen, außerdem keine Pasta-Party und keine Siegerehrung. So sollten auch große Rennen durchaus möglich sein, ohne dass es wahnsinnige Probleme gibt. Die Wettkampfbesprechung kann man online streamen und Startunterlagen kann man jedem Starter auch vorab zuschicken. Am Schluss ist es aber immer so, dass jemand aus der Politik sich trauen muss den Daumen zu heben. Alternativ müssen wir die Triathlons halt einfach entweder als Gottesdienst oder Demonstration anmelden, weil da gibt es ja bekanntlich keine Probleme.

tri2b.com: Sebastian, vielen Dank für das Interview. Wir hoffen sehr, dass du möglichst bald wieder als Hauptakteur in einem tri2b-Rennbericht vorkommst.