Der Ironman von Peking

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 03.11.2020 um 11:38
Es war irgendwann um Ostern herum, als eine Mail aus China aufpoppte. Dem Land, in dem der erste Ausbruch der Corona-Pandemie publik wurde, die uns im Frühjahr in den ersten (Triathlon)Lockdown stürzte. Der Absender war Jochen Nippel, den man sowas wie einen triathletischen Weltenbummler bezeichnen könnte. Seine Jobs führen ihn in regelmäßigen Abständen ans andere Ende der Welt. Dieses Mal nach China, in die Metropole Peking. Jochen benötigte mal wieder einen Trainingsplan, denn er hatte Großes vor. Die Challenge Anhui im September sollte das große Ziel sein, da fernab der Familie neben dem Job viel Zeit fürs Training zur Verfügung stand. An Ende kam es anders. Jochen organisierte mitten in der 20 Millionen-Stadt seinen ganz persönlichen Ironman, zu dem einmal mehr der Weg das Ziel war.

Dem Triathlon-Virus verfallen ist der 55-jährige Familienvater seit dem ersten Finish beim München Triathlon auf dem Buga-Gelände im Jahr 2005. Dieses Rennen gibt’s schon lange nicht mehr, doch Jochens Triathlon-Liebe ist geblieben. Die Distanzen wurden über die Jahre länger. Mitteldistanz beim Allgäu Triathlon, dann die lange Distanz beim Abu Dhabi Triathlon, wo gerade man wieder ein Auslandsjobaufenthalt stattfand, bis zum ersten Ironman Finish am Frankfurter Römerberg im Jahr 2016 ging die bisherige Triathlon-Reise. Dabei natürlich immer versorgt mit einem tri2b.com-Trainingsplan.

Und jetzt die Challenge Anhui. Jochen war zuversichtlich, dass in China bis in den Herbst Corona kein Thema mehr sein wird und nahm das gezielte Training auf. Schwimmen war auch in Peking im Frühjahr noch nicht in öffentlichen Pools möglich. Dafür schloss sich Jochen einer Radgruppe an, die am Wochenende mit langen Touren dem Millionen-Moloch mit seiner Smogglocke entfloh.

 

Peking is calling: „Die Form kommt – die Renntermine wanken“

 

Alle paar Wochen klingelte dann am späten Montagvormittag das Telefon und die Leitung nach Peking stand. Jochen berichtete von seinen immer länger werdenden Radausfahrten mit der Gruppe in die atemberaubende schöne Bergregion außerhalb Pekings und wie die Beine immer besser wurden. Doch im Gleichschritt, wie wir in Mitteleuropa im Frühsommer die zunächst verschobene Triathlon-Saison nach und nach beerdigen mussten, gab es auch aus China Absagen. Die Challenge Anhui verschwand plötzlich still und leise aus dem Terminkalender. Ein neues Ziel musste her und war auch schnell gefunden. Der Ironman Philippines in Subic Bay sollte es sein. Auf die dort zu erwartenden tropischen Temperaturen konnte man in sich in Peking perfekt vorbereiten, da sich hier in den Sommermonaten das Thermometer immer wieder in Richtung der 40 Gradmarke bewegt. Das Lauftraining in den Pekinger Parks wurde deshalb in die ganz frühen Morgenstunden verlegt. Schwimmen war nun auch endlich wieder in den öffentlichen Bädern möglich, außerdem gabs auch die eine oder andere Freiwasser-Einheit. Zum Beispiel im Ming Tombs Reservoir, wo 2008 die Olympischen Triathlon-Wettbewerbe ausgetragen wurden und Jan Frodeno mit seinen unwiderstehlichen Zielsprint zur Goldmedaille rannte.

Jochen mit seiner Trainingsgruppe bei einem Longride - © Jochen Nippel

 

„Wir machen unseren eigenen Ironman“

 

Jochens Vorbereitung wurde hingegen nun einmal mehr zum Pannen-Marathon. Auch der Ironman auf den Philippinen wurde coronabedingt gecancelt. Top in Form und dann keine Rennen. Die Form bis ins Frühjahr konservieren? Eher nicht… Für das neue Jahr ist die Familienzusammenführung geplant und die Phase des Teilzeit-Bestager-Profis wäre dann erst einmal vorbei.

Somit war sie geboren, die Idee vom Ironman „At home“ mitten in Peking. Aus Jochens Training-Squad ließen sich schnell zwei Mitstreiter anstecken, die sich auch an 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km nonstop versuchen wollten. Zudem wollten drei Athleten parallel eine Olympische Distanz in Angriff nehmen. Ein sehr internationales Feld, vertreten durch Frankreich, Russland, Korea und China, die alle dem Triathlon-Virus verfallen sind. Der Rennleitung war in südafrikanischer Hand.

 

Dicke Luft in Peking …

 

Jetzt wurden Strecken ausgetüftelt, ein wöchentlicher Newsletter hielt die Familie, Fans und Freunde in der Heimat auf dem laufenden und Jochen packte im letzten Trainingsblock nochmal richtig einen drauf. Es war alles angerichtet, inklusive einer Pastaparty. Nur Pekings Luftverschmutzung hätte das Projekt fast noch platzen lassen. „In Deutschland würde man da wohl keinen Sport mehr im Freien machen," kommentierte Jochen die für einen Triathlon eher suboptimalen Rahmenbedingungen.

Raceday in Peking - © Jochen Nippel

Dann ging es los. 3,8 km Schwimmen auf der 50 m Bahn in einem Pekinger Hallenbad. Es wurde mit Neo geschwommen und Jochen legte gleich mal eine 1:08 Stunden vor, nachdem im Sommer die Leistungstests im Becken noch eher ernüchternd ausgefallen waren. Gut 10 Minuten dauerte dann die Transition, bevor es mit dem TT-Bike hinaus aus der Stadt ging. Der Radkurs hatte bestzeittauglich nur 300 Höhenmeter. Allerdings drückten insgesamt 13 Wendepunkte und die eine oder andere Ampel auf die Pace. Trotzdem, bei Halbzeit nach 90 km lag das Stundenmittel bei über 34 km/h.  Auf der zweiten Hälfte wurde es nur einen Tick langsamer, so dass am Ende eine Zeit von 5:22 Stunden auf dem Tacho stand.

 

„Hör doch auf… „

 

Aber wie wird nun der Marathon werden? Acht Runden in dem bekannten Pekinger Chaoyang Park waren dafür vorgesehen. Bei seinem ersten Ironman in Frankfurt hatte Jochen auf dem Mainkai noch Bekanntschaft mit dem „Mann mit dem Hammer“ gemacht. Die Füße wollten damals den Befehlen des Kopfs nicht mehr folgen. Das sollte diesmal besser werden. Jochen hatte dazu im Vorfeld extra an einem Kurs für Mentaltraining teilgenommen. Doch nach der Halbmarathonmarke waren sie plötzlich da, die Selbstzweifel. „Warum mache ich das, hör doch auf, kürz doch ab …“.  Aber die einstudierten Psychotricks funktionierten. Jochen konnte weiter eine solide Pace halten. Die einzigen Stand- und Gehpausen waren Boxenstopps an einem Kiosk zum Wasser kaufen und eine kurzer Uphill über eine Brücke. 4:07 Stunden wurden es, und in Summe ein Sub-Eleven-Finish in 10:54:08 Stunden – rund 50 Minuten schneller als vor vier Jahren in Frankfurt.

 

Entsprechend früh klingelte dann auch am Montag das Telefon mit der Pekinger Vorwahl auf dem Display. Jochen erzählte freudestrahlend von seinem erfolgreichen Solo-Ironman-Projekt und legte gleich noch nach. „Das ganze Training und die Vorbereitung war wieder einmal sensationell. Ich bleib weiter im Rennen," so verabschiedete sich der Ironman von Peking in Richtung der im kleinen Kreis organisierten Awards-Zeremonie. Von wo wohl seine nächste Email kommt …

 

© Jochen Nippel