Mit 30 ist man keine 20 mehr: Sven Weidners schmerzhafter China-Trip zur Kona-Quali

von Sven Weidner für tri2b.com | 11.12.2019 um 09:59
Älter werden hat seine Vor- und Nachteile. Das konnte ich hautnah am eigenen Leib beim Ironman 70.3 Xiamen erleben. Doch fangen wir am besten ganz am Anfang an: Eigentlich war die Saison mit dem Sieg beim Austria eXtreme für mich gelaufen, da ich kein Ziel gefunden habe, dass mich nochmal bis zu 13 Stunden pro Woche auf die Rolle gebracht hätte. Dies änderte sich als ich am wenigsten damit gerechnet habe. Ende August oder vielleicht schon Anfang September saß ich mit meinem Vater und meiner Schwester im jährlichen Familienurlaub auf der Terrasse unseres Bungalows und meine Schwester versuchte mich das 7. Jahr in Folge zu motivieren sie in Shanghai zu besuchen. Auch dieses Mal schien sie mit ihrem Versuch kläglich zu scheitern. Doch dann erwähnte sie, dass ich doch auch einfach den 70.3 Shanghai machen könnte, wenn ich schon da wäre. Woher wusste Schwesterherz von dem Rennen? Meine Neugier war geweckt.

Nach kurzer Internetrecherche war klar, dass neben 50 Slots für Taupo sogar 30 Slots für Hawaii in der Verlosung waren. Nachdem Weidner Senior diese Info verarbeitet hatte, war er sogar bereit das erste Mal in seinem Leben ein Flugzeug zu besteigen, um mich in gewohnter Manier nach vorne zu peitschen. 30 Slots für Hawaii und den alten Mann im Flieger sehen!? Ich war plötzlich mehr als nur interessiert. Aber ganz im Ernst: Von Schwimmform "Tauchblei" im September bis Schwimmform “Kona-Quali-nicht-ausgeschlossen” im Oktober wäre der Weg zu weit gewesen, weshalb ich dann doch dankend abgewunken habe.

 

Auf nach China ...

 

Leider habe ich hier die Rechnung ohne die Hartnäckigkeit der Familie gemacht, da diese einfach den 70.3 Xiamen aus dem Ärmel gezaubert haben. Gleiche Voraussetzungen aber Zeit bis November, um sich nicht total zu blamieren. Dennoch war ich nicht wirklich überzeugt. Wenn man als Sportler nicht wirklich weiter weiß, ist es immer eine gute Option seinen Trainer um Rat zu fragen. Haralds Go kam postwendend und schneller als ich mich versehen habe, hatte ich einen neuen Triathlonverein in Stuttgart und einen Startplatz 9000 km entfernt einen Startplatz in Xiamen.

Das Training verlief eigentlich ereignislos bis auf einen grippalen Infekt und die Tatsache, dass ich regelmäßig 4-mal pro Woche Schwimmen war. Ja 4-mal pro Woche und nicht 4-mal in der gesamten Vorbereitung (ich weiß auch nicht wie das passieren konnte :)). Vielen Dank an dieser Stelle für die sehr engagierten Trainer beim MTV! Als größtes Hindernis entpuppte sich das Visum für China, für das gefühlte 200 Seiten ausgefüllt werden mussten. Darüber hinaus ist der Spaß fast teurer als ein one way­Ticket dorthin…

Die Flüge waren schnell gebucht und so hieß es am 5.11. auf nach China. Ich habe mich bewusst dafür entschieden möglichst lange in Deutschland zu bleiben, um meine gewohnte Trainingsumgebung nutzen zu können. Denn die Straßen in China sind zwar 1000-mal besser als alle Straßen in und um Stuttgart, aber leider toppen sie die Verkehrsdichte auch hier um ein Vielfaches. Zum Glück hatte der Apartmentkomplex meiner Schwester einen professionell eingerichteten Trainingsraum (Ironiemodus aus). Aber in der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen und es ging nur um zwei kurze Einheiten. Am Freitag ging es dann früh morgens mit dem Zug nach Xiamen.1200 km in etwas mehr als 5,5 Stunden zurückzulegen und dabei noch überpünktlich sein...das ist etwas was ich von der DB nicht mal in meinen kühnsten Träumen erwarten würde,  in China aber tägliche Realität.

In Xiamen ging es dann etwas abenteuerlich mit dem Auto vom Bahnhof in das Hotel. Den provisorisch eingebauten Extrasitz quittierte mein Vater cool mit den Worten: “So habe ich mir China vorgestellt.”  Allerdings war das private Taxi so ziemlich das Einzige, was unter deutschen Standards war. Im 5***** Luxushotel (Danke an die Firma Kesseböhmer für die Kostenübernahme) war alles Luxus pur und man hatte den besten Blick auf das Chinesische Meer und die mit tausenden LED’s beklebten Fassaden der Hochhäuser um uns herum. Am Freitag ging es dann auch gleich auf die Expo, um die Startunterlagen abzuholen. Samstag hieß es dann zum Frühstück einmal so richtig den Bauch vollschlagen, auch wenn das einen Tag vor dem Rennen vielleicht nicht so smart ist. Danach ging es dann mit der Familie in den Fitnessraum, wo noch einmal die Laufschuhe geschnürt wurden. Hier traf ich dann die dümmste Entscheidung der letzten Jahre...

 

Schmerz lass nach ...

 

Mit leichten Rückenproblem in den letzten Wochen konnte ich es mir dennoch nicht verkneifen meiner Schwester die richtige Technik auf der Rudermaschine zu zeigen... Keine gute Idee! Während des zweiten Zugs ist es mir sowas von in den Rücken gefahren, dass ich fast von der Maschine gefallen bin. Aber dumm wie man ist, macht man trotzdem noch 15 weitere Züge, um nicht wie der letzte Idiot auszusehen. Keine Ahnung wie ich von der Maschine hoch gekommen bin, aber ich war auf jeden Fall steif wie ein Brett und an Bewegung war dank jeder Menge Schmerz nicht mehr zu denken. Ich habe mich kurz ins Bett gelegt und dann entschieden, dass die Wärme des Pools vielleicht etwas hilft. Naja nicht wirklich kann ich euch sagen. Das waren die wohl schmerzhaftesten 1,2 km im Pool meines ganzen Lebens. Auch der Whirlpool hat danach nicht wirklich helfen können. Doch was jetzt? Ich bin über 9000 km nach China gereist nur um dann ein DNS auf das Tableau zu zaubern?

Die Rettung: Svens Rücken wird für den Sturm auf die Kona-Quali fit gemacht

Da irgendwer von uns einen medizinischen Service auf der Expo gesehen hat, haben wir beschlossen, dass wir gucken, ob dieser etwas ausrichten kann und danach gegebenenfalls das Rad einzuchecken. Ich wurde über eine Stunde vom Sportarzt mit allen erdenklichen Möglichkeiten behandelt. Quanta costa? Kein Scherz…12,50 Euro. Das habe ich in Deutschland schon bezahlt ohne auch nur mein T-Shirt ausgezogen oder gar einen Schritt ins Behandlungszimmer getan zu haben. Mit etwas größerer Bewegungsamplitude konnte ich dann nach ca. 30 min. Gefummel auch endlich meine Radschuhe am Fahrrad befestigen. So hieß es für mich einfach nur ins Bett und auf eine Wunderheilung hoffen. Leider war die Nacht die Hölle für mich, da mir der Arzt gesagt hat, dass ich am besten auf dem Bauch schlafen solle. Das funktioniert für mich kein Stück, wie ich jetzt im Nachhinein festhalten kann :D

 

"Sprengstoff" in der Xenofit-Flasche?

 

Irgendwann gegen 5 Uhr hat mich der Wecker aus der Langeweile geholt und es ging etwas unbeholfen in den Wettkampfanzug. Beim Frühstück hat meine Familie mir gesagt, dass sie auch stolz sind, falls ich nicht an den Start gehe...Wenn man aber einmal im Einteiler steckt, gibt es (zumindest für mich) kein Zurück mehr. Im schlimmsten Fall hätte ich halt mit dem Boot aus dem Meer gezogen werden müssen, habe ich mir eingeredet. Oha Meer...da war ja auch noch was. Ich habe panische Angst vor Wasserpflanzen und allem was unter einem schwimmen kann. Das hat mich auf dem Weg zum Start auch ganz gut von den Rückenschmerzen abgelenkt. Zum Glück haben wir am Vortag einen Australier im Hotel kennengelernt, den wir im Austausch für eine Luftpumpenleihe mit zum Start genommen haben. Als ich ihm sagte, dass ich etwas nervös sei, weil es für mich der erste Wettkampf im offenen Meer ist, entgegnete er abgezockt: “Wir haben aktuell keine Quallensaison und alles was hier gefährlich sein könnte, haben die Chinesen schon laaaaaaange gegessen!”. Jetzt schmerzte mein Rücken vor Lachen, aber wenigstens die Angst war weg. Dann das nächste Problem: In China ist ein Ironman anscheinend vergleichbar mit dem betreten des Rollfelds eines Flughafens. Taschenkontrolle, Metalldetektor und Abtasten sind da inklusive. Darüber hinaus hatte ich mir in einer 0,5l Wasserflasche mein Xenofit für vor dem Start gemischt. Um hier auszuschließen, dass es sich um Sprengstoff handelt, musste ich bei vier Kontrollen einen großen Schluck nehmen, sodass die Flasche deutlich früher leer war als geplant. Doch meine Familie wäre beinahe gar nicht so weit gekommen, denn ohne zufällig mitgenommene “Family&Friends Tickets” hätten sie keine Chance gehabt auch nur in einen 1 km Radius an die Strecke ran zu kommen. Dies wurde im Vorfeld leider auch so gar nicht kommuniziert und erklärt auch wieso vielleicht nur 40 Zuschauer überhaupt an der Strecke standen...Aber das soll mir ja egal sein, da ich nicht für Rother Triathlonfestival-Stimmung nach China gekommen bin.

 

Fische füttern im Chinesischen Meer ...

 

Etwas spät habe ich mich dann um 8 Uhr in die Startaufstellung gestellt und mich zur 35 min Flagge für den Rolling-Start vorgekämpft. Irgendwie wirkten die Leute um mich herum bis auf wenige Ausnahmen verdächtig unfit, dabei habe ich mir allerdings nicht so viel gedacht in diesem Moment. Gegen 8:30 Uhr und etwa 15 min nach Agegroup-Start habe ich mich dann auch in die Fluten geworfen und festgestellt, dass mein Rücken das Schwimmen immer noch nicht wirklich mochte. Darüber hinaus schienen alle um mich herum fast zu stehen, sodass man sich ständig links oder rechts an jemandem vorbei schlängeln musste. Zusätzlich wurde das Schwimmen durch die Sicht von ca. 30 cm und den ordentlichen Wellengang erschwert. Dieser wurde einem aber leider erst so richtig bewusst, als man parallel zur Küstenlinie war und wieder schräg auf sie zu geschwommen ist. Das hat mich im Verbund mit ziemlich salzigem Wasser dazu veranlasst kurz vom Schwimmausstieg noch einmal das Chinesische Meer mit meinem Mageninhalt zu düngen. Wieder an Land habe ich dann ernüchtert festgestellt, dass meine Schwimmzeit mit über 38 min grottig war, vor allem wo ich vorher noch dachte, dass der Kurs zu kurz gesteckt gewesen sei. Ich konnte ja nicht wissen, dass er wohl eher etwas zu lang war und ich unter den ersten 25% von der Schwimmzeit war (ein ziemlich guter Wert für mich). Mit diesem schlechten Gefühl wird die 500m lange Wechselzone zum mentalen Marathon und ich habe auf dem Stuhl im Wechselzelt erst einmal etwas länger in mich hinein hören müssen, ob es noch Sinn macht auf das Rad zu gehen.

Mit Verspätung aus dem Chinesischen Meer

Ich entschied mich dazu es wenigstens zu versuchen, damit ich endlich die zweite Fahrt überhaupt auf meinem neuen Fahrrad abhaken konnte. Eigentlich auch eine super dumme Idee einen Wettkampf direkt mit einem neuen Fahrrad zu bestreiten, aber glücklicherweise hat das super geklappt. Ich habe mich deutlich wohler als bei der ersten Testfahrt in Deutschland gefühlt und vom Rücken war ich zwar immer noch steif, hatte aber weniger Schmerzen als beim Schwimmen. Auf der vermutlich besten Straße auf der ich jemals einen Triathlon gemacht haben werde, konnte ich das neue Arbeitsgerät auch gleich auf ca. 40km/h beschleunigen und konnte diesen Schnitt auch irgendwie bis zum Ende mit Ausnahme von einer Brücke und zwei kleinen Wellen pro Runde halten. Aber bei drei Spuren pro Richtung und keinem einzigen Riss oder Steinchen auf der Straße ist das auch keine ganz große Kunst. Schon alleine deswegen sollte man mal in China zum Triathlon gewesen sein.

Beim Absteigen nach 2:15 Stunden Fahrtzeit kam ich ins Grübeln. War Kona sogar noch in Reichweite? Beim Wechseln habe ich dennoch auf Sicherheit gemacht, um nicht die nächste Blockade beim Anziehen der Laufschuhe zu bekommen. Die ersten hundert Meter lief ich in 3:30 min/km an, ohne Schmerz! Nach dem ersten Blick auf die Uhr hörte ich meinen Vater rufen, dass ich etwas mehr 10 min hinter der Spitze meiner AK bin. Schon ein ganz schönes Brett habe ich mir gedacht, aber ein zweiter Platz reicht sehr wahrscheinlich auch habe ich mir immer wieder gesagt. Die Laufstrecke war relativ witzlos 5,5 km entlang der Promenade Richtung Süden und wieder zurück. Das fiese an der Strecke ist der fehlende Schatten und das ständige leichte Auf und Ab. Da wünscht man sich einfach etwas Abwechslung, um aus dieser Monotonie herausgerissen zu werden. Aber alle mussten ja mit den gleichen Umständen kämpfen. Klingt komisch aber positiv motiviert haben mich besonders die Verpflegungsstellen auf der Strecke. Ich habe selten so gut organisierte Aid-Stations gesehen. Jeder wusste was er zu tun hat und niemand ist einfach blind auf die Strecke gelaufen, um einen runter gefallenen Schwamm aufzuheben. Es ist da wirklich entspannt, wenn man stressfrei durchlaufen kann. Am Ende der Runde habe ich dann wieder mein Team gesehen und Vatern rief mir zu, dass ich noch immer 10 min Rückstand habe...

 

Scheiße nochmal, lauf Junge, lauf ...

 

Okay eigentlich hat er gerufen, dass ich über 10 min auf den vormals Führenden meiner AK gut gemacht habe, aber naja im Wettkampfmodus funktioniert die Wahrnehmung nicht mehr so gut. Es ist dann schon wie ein Schlag in die Magengrube, wenn man sich da mit einem 3:40er Schnitt über die Laufstrecke quält und die Anderen sich keine Blöße geben. So habe ich dann auch etwas Tempo auf dem Weg zum Wendepunkt verloren. Beim Turnaround konnte ich mich noch einmal motivieren das Tempo auf unter 3:40 min/km zu drücken, damit ich mir im Nachhinein nicht vorwerfen konnte, nicht alles versucht zu haben. Als ich dann nach ewigen 5,5 km an der Wechselzone angelangt war, rief Jürgi plötzlich, dass ich bei der letzten Zwischenzeit nur noch 10 Sekunden hinter dem ersten meiner AK war. Dann habe ich nur noch irgendwas wie “Scheiße nochmal, lauf Junge, lauf ...” im Ohr und ich war links auf die letzten 500 m Richtung Ziel abgebogen. Mit seinem Ausruf bin ich dann aber auch wie gegen eine Mauer gelaufen. Ich wollte schneller, habe aber sofort die Warnung meiner Waden vernommen, dass ein Schlussspurt vielleicht für die anderen Muskeln okay sind, aber die Herren Soleus und Gastrocnemius nicht gedenken noch ne Schippe drauf zu packen. Also weiter in 3:40er Pace Richtung Ziel, mit gefühlt viel zu vielen Kurven. Im Zielkanal gab es dann wieder die typischen Felsbrocken, die einen Zieleinlauf mehr feiern als die Geburt des eigenen Kindes. Trotz Slalomlauf konnte ich noch 50 Sekunden auf dem letzten Segment gut machen und meine AK gewinnen.

 Svens Aufholjagd im Halbmarathon

 

Kona, ich komme ...

 

Im Ziel hatte ich dann aber nur einen Gedanken: Wo ist die Massage? So habe ich beinahe vergessen meine Medaille mitzunehmen. Die nette Helferin hat sie mir aber hinterher gebracht. In der Massagezone habe ich den Arzt getroffen, der meinen Rücken so halbwegs wieder hin bekommen hat. Mit der Umarmung und der Danksagung hat er wohl nicht gerechnet, verdient hatte er sie aber auf jeden Fall. Meine Masseuse hat mir dann auch gleich einen Heiratsantrag gemacht, auch wenn das vermutlich nicht ihre Absicht war. Da das Buffet im Zielbereich streng portioniert in Tüten gereicht wurde, sind wir schnell zum Hotel zurück. Dort startete das große Warten auf die Awards Ceremony am Abend. Der Ballsaal war ziemlich imposant und das Buffet deutlich besser als im Ziel. Allerdings ging für den deutschen Geschmack das Bier deutlich zu schnell aus :) Noch mehr enttäuscht hat dann die Siegerehrung. Während es bei jedem Dorftriathlon ganz vernünftige Auszeichnungen gibt, hat man bei Ironman gedacht, dass sich die Idioten, die 300 Euro für nen Wettkampf bezahlen auch mit einem angemaltem Stück Blech zufrieden geben. Somit war der Coin für die Kona-Quali die eigentliche Auszeichnung, auch wenn diese umgehend mit 1000 Euro bezahlt werden musste…

Zurück in Deutschland hieß es dann erstmal den Rücken wieder hinbekommen, was bis heute noch nicht ganz abgeschlossen ist. Bis Kona nächstes Jahr sollte das aber kein Problem sein laut meiner Ärztin. Wobei ich besonders darauf achten werde nicht wieder irgendwelche dummen Übungen zu machen, da man mit 30 Jahren wohl weniger resistent gegen solche Sachen ist als mit 20 :)