Bike-Dress Code: Smart-Tight gewinnt im Triathlon

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 21.12.2016 um 22:09
Am Ende können auch bei einer Triathlon-Langdistanz wenige Sekunden über Sieg und Niederlage, über Erfolg oder Enttäuschung, entscheiden. Wer schon mal eine Kona-Quali um 30 Sekunden verpasst hat - mir ist dies schon mal passiert - der wird bei zukünftigen Renneinsätzen alle nur möglichen Zeitfresser vermeiden wollen. Zeitlich ist man auf dem Rad beim einem Ironman am längsten unterwegs, dementsprechend bringt hier eine Optimierung auch einen größeren Zeitgewinn, bzw. es kann Energie für den am Ende entscheidenden Marathon gespart werden. Die aerodynamische Optimierung der Sitzposition und des Rades, ebenso des Helms sind selbst im ambitionierten Amateur-Triathlonsport mittlerweile Usus. Immer öfters fällt nun der Blick auf die Bekleidung. Die Profis haben es auch hier vorgemacht. Die Hawaii-Siege der drei vergangenen Jahre von Sebastian Kienle und Jan Frodeno wurden in aerodynamisch optimierten Trisuits mit kurzen Ärmeln gefeiert.

 Im Sommer hatten wir bereits Triathlon-Textileinteiler im Praxistest vorgestellt, die wir anschließend bei den Swiss Side Windtunnel Days 2016 im GST Windkanal in Immenstaad am Bodensee auf ihre Aeroeigenschaften hin austesten konnten.

Unser Testfeld:
Die Bioracer Modelle Speedwear Concept RR Suit (ein reinrassiger Zeitfahranzug) und Tri Suit Team, der Fusion Speed Suit Einteiler und neu hinzu gekommen, der 2XU Compression Full Zip Sleeved Trisuit.    

Unser Setup:
Rad: Cube Aerium SL; Laufräder Swiss Side Hadron Ultimate 800+; Helm: Scott Split.

Die simulierte Testgeschwindigkeit betrug 45 km/h. Gemessen wurde bei 0° und 10° Yaw, welche in den Ergebnissen mit 77% und 23% gewichtet wurden.  

Die Ergebnisse:

  • Fusion Speed Suit - 285 Watt
  • Bioracer Speedwear Concept RR Suit - 276 Watt
  • Bioracer Tri Suit Team Men - 275 Watt
  • 2XU Compression Full Zip Sleeved Trisuit  - 280 Watt

 


 Die Ergebnisse der Testserie - © Swiss Side 

 

Der Fusion Speed Suit Einteiler passte an den Schultern und Oberarmen nicht perfekt und wies deutlich sichtbare Falten auf. Dies ist gerade im vorderen Bereich des Fahrers, wo der Wind direkt anströmt, sehr ungünstig für die Aerodynamik. Der Bioracer Speedwear Concept RR Suit  mit Ärmeln und einem aerooptimierten Stoff saß perfekt am Oberkörper- und Schulterbereich, allerdings nicht ganz ideal am Bauch. Im Vergleich zum Fusion-Einteiler reduziert sich die zu erbringende Leistung  um gut 9 Watt. Der 2XU Compression Full Zip Sleeved Trisuit  saß ebenfalls im Bauchbereich nicht optimal und wies dort deutliche Faltenbildung auf.  Mit 280 Watt lag der 2XU-Trisuit genau zwischen dem Fusion Speed Suit und dem Bioracer-Zeitfahranzug.

Minimal besser  (ein knappes Watt) als die Bioracer TT-Variante war sogar der Bioracer Tri Suit Team ohne Arm. Dieses Ergebnis ist vor allem auf die optimale Passform zurück zuführen. Der Anzug zeigte in der Aeroposition keinerlei Faltenwurf.  

Hätte der Bioracer-Zeitfahranzug mit Arm auch im Bauch eine perfekte Passform gehabt, dann würde dies den Widerstand nochmals um etwa 5 Watt reduzieren. Diverse Windkanaltest haben in der Vergangenheit gezeigt, dass Anzüge mit kurzem Arm (bzw. langem Arm, wie sie im Radsport im Zeitfahren zum Einsatz kommen) aerodynamisch strömungsgünstiger sind, als die nackte Haut des Fahrers.

Die Bandbreite zwischen einem nicht gut sitzendem Trisuit und einem perfekt sitzenden und hinsichtlich des Material optimierten Anzugs kann somit bis zu 15 Watt betragen. Zum Vergleich: Der Unterschied zwischen einem Standardlaufrad mit flachem Felgenprofil und speziellen Aerolaufrädern mit hohen Felgen (80 mm) liegt je nach Modell in ähnlichen  Bereichen.   

 

Darstellung der Streuung: Beim Fusion TT Suit (blaue und rote Linie) war die Streuung der Messungen größer. Auf die errechneten Mittelwerte hat dies aber keinen Einfluss - © Swiss Side

 

Fazit: Perfekte Passform wichtiger als spezielles Textilmaterial

 

Das wichtigste Aero-Kriterium der Bekleidung ist die Passform, das Material steht erst an zweiter Stelle. Ein perfekt sitzender Trisuit hat ein ähnliches Watt-Einsparungspotential wie ein gutes Aerolaufrad. Wohlgemerkt im Vergleich zu einem durchaus schon enganliegenden Trisuit. Im Vergleich zu einer richtigen "Flatter-Variante" (z.B. Radtrikot im Standard-Cut) ist der Unterschied noch deutlich größer. Hochgerechnet auf die 180 km Ironman-Distanz sprechen wir von 7 Minuten (45 km/h = Profitempo) bis zu 9 min. (35 km/h  = leistungsstarke Agegrouper)  möglichem Zeitvorteil.

Triathlon wird allerdings nicht im Windkanal gemacht. Die perfekte Aeroposition wird niemand 180 Kilometer durchfahren können - Verpflegungsstellen, Anstiege,  Abfahrten und Kurven  - es gibt viele Gründe in der Praxis, die die Laborwerte beeinflussen und am errechneten Einsparungspotential knabbern. Bei der Bekleidung kommt hinzu, dass damit im Anschluss auch noch gelaufen werden muss. Ein extrem eng sitzender Trisuit, mit besten Aerowerten, kann im Marathon bei großer Hitze unter Umständen unangenehm werden und die Laufleistung negativ beeinflussen. Im Fall der hier getesteten Anzüge traf dies auf den super eng sitzenden Bioracer Tri Suit Team zu.  Auch mit offenem  Brustreißverschluss war der Suit nicht wirklich bequem in der Laufhaltung.  Die Alternative: Komplett und schnell umziehen in der T2.

Hier hilft nur selbst ausprobieren. Der eine Athlet fühlt sich in superenger Bekleidung wohl, ein anderer empfindet es hingegen als unangenehm.  Das Einsparungspotential ist definitiv vorhanden und die eingangs erwähnten 30 Sekunden im Kampf um die Kona-Quali sind allemal drin. Sofern die direkte Konkurrenz nicht auch aufrüstet.