Klein gegen Groß: Welche Aerolaufrad-Felgenhöhe hat die Nase vorne?

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 07.07.2018 um 23:34
Dass beim Radfahren der Luftwiderstand der größte Gegner ist, ist hinlänglich bekannt. Ebenso, dass Laufräder einen mit entscheidenden Anteil an der aerodynamischen Materialoptimierung haben. Felgen mit höherem Aeroprofil jenseits von 40-50 mm Bauhöhe können ca. 9-12 Wattersparnis gegenüber klassischen Kastenfelgen bringen, was sich auf der Triathlon-Distanz schlechthin, der 180 km langen Ironman-Raddistanz, auf an die 10 Minuten Zeitunterschied summieren kann. Deshalb sind selbst schon auf kleinen Wald- und Wiesentriathlons Hochprofil-Aerolaufräder mittlerweile klar in der Überzahl. Deutlich unterschiedlicher zeigt sich die Wahl der Bauhöhen. Grob von 40 mm bis 100 mm reicht die Spannweite der Hersteller von Aerolaufrädern. Die Hersteller geben auch hier einen, meist in Simulationen und Windkanaltests errechneten Zeitvorteil bzw. Leistungseinsparungsvorteil an, der allerdings mit im Schnitt nur 3-5 Watt Unterschied aber deutlich geringer ausfällt. Wir sind der Frage nachgegangen, ob diese Laborwerte für Aerofelgen mit mittlerem und hohen Profil auch in einem Praxis-Feldtest messbar und reproduzierbar sind.

Wir haben dazu die 48 mm und 80 mm hohen DT Swiss ARC 1100 DICUT Aerolaufräder (für Felgenbremsen) untersucht. Als Reifen wurden Pirelli P Zero in 25 mm mit einem Continental Schlauch aufgezogen.  Gefahren wurde mit einem Scott Addict Roadbike (Rennlenker bzw. Aerolenker).

 

Hintergrund:

Flache Aerofelgen
 ++++ leichter durch das geringere Felgenvolumen, weniger anfällig gegen böigen Seitenwind, agileres Lenkverhalten
 -  - - - geringerer Segeleffekt

=> Optimale Eignung für bergige Strecken mit sehr steilen Anstiegen, vielen Rhythmuswechsel (Kurzdistanz-Triathlon mit Windschatten Freigabe), vielen Antritten aus niedrigem Tempo (90 Grad-Wenden)

Hohe Aerofelgen
++++ sehr guter Segeleffekt, stabiles Lenkverhalten
- - - - schwerer, anfällig bei starkem, böigen Seitenwind, träges Beschleunigungsverhalten

Unser Test-Aufbau:

Vorgedanken:  Aus diversen Windkanal- und Radbahn-Tests zeigt sich sehr deutlich, dass auf den so simulierten flachen Kursen bei gleichbleibendem Tempo höhere Felgenprofile einen Vorteil bringen. Da die meisten Triathlonstrecken aber eben nicht nur flach sind, wollten wir den Aerotest auf einer kupierten Strecken absolvieren.   Als Vergleich wurde der Test auch noch auf einer flachen (je nach Richtung leicht steigenden/fallenden) Zeitfahrstrecke  durchgeführt.

Kupierter Rundkurs: Länge 11,7 km, 135 Höhenmeter, eine richtige Abfahrt (60 Hm), ein richtiger Anstieg (60 Hm).

 

Zeitfahrstrecke: Länge 8,5 km, 44 Höhenmeter, je nach Fahrtrichtung leicht steigend/fallend

Die Zielvorgabe: Die Strecke sollte mit möglichst konstanter Leistung gefahren werden. Steuerung über Wattmessung (Rotor Inpower Powermeter/Aufzeichnung mit Garmin Edge 810).

 Damit wurde gemessen: Rotor 2INPower Powermeter

Wiederholbarkeit: Es wurde immer im direkten Wechsel der Laufräder der Testparcour absolviert.  So waren möglichst identische Windbedingungen garantiert. Die Fahrten fanden mit identischer Griff- und Sitzposition statt. Auf dem Rundkurs wurde jeweils an der Abfahrt an fix definierten Punkten eine Abfahrtshaltung eingenommen, im Anstieg an fix definierten Punkten von der Unterlenker- bzw. Aeroposition in die Oberlenker-Haltung gewechselt.

 

Die Ergebnisse:

 

Rundkurs:

Testfahrt 1 über 1 Runde 11,7 km; Windbedingungen: leichter Westwind. Mit der Wattzielvorgabe 220 Durchschnittswatt ergab sich für die 80 mm DT Swiss ARC 1100 DICUT Laufräder  eine Leistungseinsparung von 2 Watt (- 8,2 sec. Fahrzeit) , bzw. von 8 Watt (+2,55 sec. Fahrzeit)

Testfahrt 2 über 2 Runden  des 11,7 km Kurses =  23,4 km; Windbedingungen: nahezu windstill).  Mit der Wattzielvorgabe 220 Watt ergab sich für die 80 mm DT Swiss ARC 1100 DICUT Laufräder eine Leistungseinsparung von 0 Watt (- 5,3 sec. Fahrzeit)

Zeitfahrstrecke:

Testfahrt 1 a) 8,5 km leicht ansteigend; Windbedingungen: böiger Seitenwind und Rückenwind. Mit der Wattzielvorgabe 230 Watt ergab sich für die 80 mm DT Swiss ARC 1100 DICUT  Laufräder eine Leistungseinsparung von  -7 Watt (-4,63 sec. Fahrzeit)

Testfahrt 1 b) 8,5 leicht fallend: (Windbedingungen: böiger Seitenwind und Gegenwind. Mit der Wattzielvorgabe 230 Watt ergab sich für die 80 mm DT Swiss ARC 1100 DICUT  Laufräder eine Leistungseinsparung von -3 Watt (-30,55 sec.)

Testfahrt 2 a) 8,5 km leicht ansteigend; Windbedingungen: leichter Wind. Mit der Wattzielvorgabe 240 Watt ergab sich für die 80 mm DT Swiss ARC 1100 DICUT Laufräder eine Leistungseinsparung von Laufräder eine Leistungseinsparung von - 1 Watt (-21,27 sec.)

Testfahrt 2 b) 8,5 km leicht fallend; Windbedingungen: leichter Wind bzw. nahezu windstill. Mit der Wattzielvorgabe 240 Watt ergab sich für die 80 mm DT Swiss ARC 1100 DICUT Laufräder eine Leistungseinsparung von -5 Watt (+12,3 sec.)

 Die Ergebnisse im Detail: grün = 80 mm Felge besser - rot = 48 mm Felge

 

Ergebnis-Interpretation:

 

Die Ergebnisse zeigen grundsätzlich keinen ganz eindeutigen Trend. Dreimal konnte ein Leistungsvorteil für die hohe 80 mm Felge ermittelt werden, zweimal lag der Leistungsvorteil beim flacheren 48 mm Felgenprofil. Sieht man sich die Ergebnisse der Testfahrten unter Miteinbeziehung der vorherrschenden Windbedingungen an, dann werden die ermittelten Messwerte aber deutlich aussagekräftiger. Die gemessenen Leistungsvorteile für die hohe 80 mm Felge wurden jeweils bei Wind (insbesondere Seitenwindbedingungen) beobachtet. Der vielzitierte Segeleffekt ließ sich also auch in Zahlen messen.

Wie klein die Unterschiede allerdings sind, zeigt sich insbesondere bei der Zeitfahrstrecke/Testfahrt 2 b) . Die Testfahrt wurde an einem Hochsommertag  in der letzten Stunde vor Sonnenuntergang durchgeführt. Der leichte Ostwind verschwand bis zur letzten Testfahrt mit der 48 mm Felge nahezu komplett. Mit dem Ergebnis, dass eine schnellere Zeit mit weniger Leistung möglich war.  Das Ergebnis deckt sich daher mit diversen Windkanalergebnissen, die für eine direkte Anströmung von Vorne (nur Fahrtwind) nahezu deckungsgleiche Leistungswerte für flachere und hohe Aerofelgen ausgeben. Bei seitlicher Anströmung (Seitenwind-Einfluß) gehen die Leistungslinien der Felgen dann deutlich sichtbar auseinander. Hohe Profile können hier ihren Leistungsvorteil deutlich ausspielen.  

 

Fazit:

 

 Die weit verbreitete Meinung, dass die ganz hohen Felgen-Profile nur auf Flachstrecken ihre Stärken ausspielen können, konnte unser Praxisversuch schon mal entkräften.  Bestärkt wird dieser Eindruck durch eine Hochalpenetappe über 180 km (leicht ausgeweitete Runde des Dreiländer-Giro mit Reschenpass, Stilfser Joch und Ofenpass, 3.800 Hm). Normalerweise würde man für so einen Tag die leichtesten Felgen ans Rad montieren. Wir waren aber mit den DT Swiss ARC 1100 DICUT Laufrädern in der 80 mm Version unterwegs, die im Satz 1.700 g auf die Waage bringen (250 g mehr als die 48 mm-Variante). Und siehe da: Die Auffahrtszeit auf das Stilfserjoch war mit 2:02:48 Std. nur 12 Sekunden langsamer als im Vorjahr mit der 48 mm  Variante (natürlich sehr sehr subjektiv, aber der Autor fuhr die Runde auch schon mal mit den Kraxel-Laufrädern schlecht hin, Lightweight-Standard, und die Uhr blieb auch bei knapp über 2 Stunden Auffahrtszeit stehen. Die Abfahren waren mit den 80 mm-Felgen trotzdem allesamt vernünftig steuerbar und in den flachen Abschnitten der Tour purzelten einige persönliche Bestzeiten in den mehr als reichlich vorhandenen Strava-Segmenten.

 Mit den 80 mm DT Swiss ARC 1100 DICUT Laufrädern am Stilfser Joch unterwegs.

 

Hohe Felgenprofile meist die beste Wahl - Fahrverhalten kann der Knackpunkt sein

 

Hohe Felgen machen also so lange Sinn, wenn es nicht nur (sehr steil) bergauf geht und mit einer konstanten Tretleistung gefahren wird. In den klassischen Radrennen-Situationen, mit Attacken am Berg, ist das träge Beschleunigungsverhalten der hohen Felgen dann definitiv ein echter Nachteil. Bezogen auf den Triathlon bedeutete das aber: Möglichst hoch ist die erste Wahl.  Allerdings muss natürlich das Fahrverhalten der Laufräder und das persönliche Fahrkönnen bei der Zusammenstellung des Setups mit einbezogen werden. Den hier getesteten DT Swiss Laufrädern können wir ein absolut berechenbares Fahrverhalten bescheinigen. Der Schweizer Hersteller hat bei der Entwicklung der Aero-Laufräder genau hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt. Selbst bei stärkerer Seitenwind-Anströmung war auch die 80 mm-Variante mit ganz wenigen Ausnahmen sehr sicher steuerbar. Der Autor verfügt allerdings auch über fast 30 Jahre Rennraderfahrung . Neueinsteiger und weniger erfahrende Triathleten sollten sich hier erst ran tasten, oder einfach auf die flachere Aero-Variante setzen. Das gilt insbesondere auch für sehr leichte Fahrerinnen. Oder man wählt einfach den Mittelweg mit einem flacheren Felgenprofil am Vorderrad und einem ganz hohem am Hinterrad, um die Seitenwind- und Lenkproblematik zu entschärfen. Außerdem gibt es ja auch noch mittelgroß. DT Swiss hat hier die 62 mm-Variante im Regal hängen, viele der Mitbewerber sind vergleichbar ausgestellt.