Radentwicklung: Der lange Weg zum Cervélo P5X Triathlonbike

von tri2b.com | 18.11.2016 um 11:37
"Personal Best" - unter diesen Slogan hat Cervélo seine Werbekampagne für das neue P5X gestellt. Dieser Slogan, der nun das neue Triathlon-Flagschiff der kanadischen Edelradmarke bewerben soll, ist kein reiner Werbe-Claim, vielmehr soll damit möglichst einfach erklärt werden: Wir haben versucht mit dem P5X ein ultimatives Triathlonrad zu entwickeln, dass den persönlichen Ansprüchen und den individuellen Voraussetzungen - die vielfältiger nicht sein könnten - so nah wie möglich kommt.

In Toronto ist man dafür einen komplett anderen Weg gegangen als bei den Neuentwicklungen der Vergangenheit. Man hat sich von Anfang an vom einengenden Regelwerk der UCI verabschiedet, hat zuerst die Triathlon-Regelwerke studiert, Händler, Athleten aller Leistungsklassen und Experten befragt und viele bekannte Triathlon-Wettkampfstrecken unter die Lupe genommen. Dies geschah bereits im Frühjahr und Sommer 2013. Dort wurden auch insgesamt 14.500 Bilder von Athleten mit ihren Rädern im Wettkamfeinsatz geschossen und daraus 2.800 Bike-Setups katalogisiert.  Auffallend war, dass oftmals Highend-Zeitfahrmaschinen durch die Mitführung der Wettkampfernährung und sonstigen Zubehörs. überspitzt formuliert, fast schon an Trekkingräder auf Urlaubstour erinnerten. Klar, dass bei so einem Setup die ursprünglich im Windkanal festgestellten guten Aerowerte hinfällig sind.

 

Triathleten sind Individualisten - besonders bei der Mitführung von Verpflegung und Ersatzmaterial

 

Allein 688 verschiedene Setups für der Mitführung der Verpflegung und des Ersatzmaterials konnten dabei ausgemacht werden. Das vielfach als Ideallösung dargestellte Setup - mit einer Trinkflasche am Lenker, einer im Rahmendreieck, eine Bento-Box für Gels und Riegel am Oberrohr und ein Repair-Kit Tasche am Sattel - machte nur 3,8 Prozent aus.  Spätestens da war den Cervélo-Ingenieuren um David Killing und Stuart Munro klar, ein spezielles Triathlonbike muss möglichst viele verschiedene Setupmöglichkeiten zulassen und Ersatzmaterial, wie Schläuche, Miniwerkzeug, Minipumpen oder CO²-Kartuschen sollten möglichst innerhalb der möglichen Rahmenform verstaut werden können.

Schrittweise, durch den Einsatz von Computer-Simulationen (CFD = Computational Fluid Dynamics), Windkanal- und Praxistests, näherte man sich der endgültigen Rahmenform an. Diese bietet letztendlich genügend Freiheitsgrade, sein persönlich bestes Setup für Rennen über verschiedene Distanzen und das tägliche Training, das letztendlich den Großteil der Einsatzzeit des Rades ausmacht, zu finden. Beim ganzen Entwicklungsprozess war das Thema Aerodynamik immer im Hinterkopf, insgesamt 180 Stunden wurden bis zur Fertigstellung des serienreifen P5X im Windkanal in San Diego verbracht. Gebaut wird der P5X-Rahmen in den USA von  der Firma HED, die schon früh in das Entwicklungsprojekt mit involviert war.

 

Cockpit-Einstellung leicht gemacht

 

Die Gabel- und Lenkereinheit kommt von der in Odgen, Utah ansässigen Firma Enve. Auch hier hatte die möglichst leichte individuelle Anpassung die höchste Priorität. Herausgekommen ist ein Cockpit, dass ohne tiefergehende Schrauberkenntnisse mit dem Inbusschlüssel angepasst werden kann. "Es ist so z.B. möglich, zum Saisoneinstieg nach der Winterpause mit einer höheren Lenkerposition zu fahren und dann im Saisonverlauf mit steigender Form  sich schrittweise der gewünschten Wettkampfsitzposition anzunähern. Ebenso ist es möglich zwischen einer aggressiven Mitteldistanz-Lenkereinstellung und einer aufrechteren Langdistanz-Lenkereinstellung in minutenschnelle zu wechseln. Alles ohne das aufwendiges Wechseln von Spacern," erklärt der anerkannte Bikefitter Mat Steinmetz, der u.a. die Sitzpositionen der Hawaii-Sieger Craig Alexander, Mirinda Carfrae und Frederik van Lierde optimiert hat.    

Der Zeitfahraufsatz kann mit wenigen Handgriffen verstellt und millimetergenau justiert werden. © rauschendorfer.de

Sehr früh war auch klar, dass Cervélos neues Triathlonrad von Scheibenbremsen verzögert wird. Bei den Kanadiern ist man sich dem Siegeszug der Scheibe sehr sicher, die mittelfristig wohl die Felgenbremse an Straßenrennrädern und Triathlonrädern ablösen wird. Bei einem zukunftsweisendes Triathlonbike musste deshalb fast schon zwangsläufig auf diese Technologie gesetzt werden. Der Einsatz der mechanisch angesteuerten TRP-Bremsen dürfte dabei wohl nur eine Zwischenlösung sein.

 

Einfach auf Reisen schicken

 

Ein  nicht minder wichtiger Punkt war das Rad möglichst einfach auf Reisen schicken zu können. Triathleten fliegen und fahren rund um die Welt zum Training und zu Wettkämpfen. Ein sperriger Triathlonlenker hat dabei so manchem schon den letzten Nerv gekostet, wenn der Radkoffer oder Radkarton auch nach dem fünften Versuch immer noch nicht richtig zuging. Das P5X kann in einer Viertelstunde mit einem 4er und 5er Inbusschlüssel reisefertig zerlegt werden. Mit entsprechend Übung geht´s sogar noch etwas schneller. Optional bietet Cervélo dazu gleich ein passendes Bikecase an, in dem alles, inklusive Zubehör, passgenau verstaut werden kann.

 

Kein Leichtgewicht, aber fühlbar leicht und komfortabel im Handling

 

Doch was kann das P5X nun in nackten Zahlen liefern? Laut internen Windkanaltests liegt die Neuentwicklung in punkto Aerodynamik sogar etwas vor dem P5 und auch vor namhaften TT-Rädern der Konkurrenz. Spannend wird´s, ob unabhängige Tests dies bestätigen. Eine satte Steigerung um 25 Prozent gegenüber dem P5 weist die Lenkkopfsteifigkeit auf. Bei der Tretlagersteifigkeit liegt man auf dem Niveau des klassischen P5.  Dann die spannende Frage nach dem Gewicht. Hexen kann man auch in Toronto nicht, die vielen Verstellmöglichkeiten müssen dauerhaft stabil sein, was entsprechend massiveren Materialeinsatz nötig macht. "13 Prozent schwerer als ein P5 ist es, wenn beide für den Wettkampfeinsatz voll beladen sind", erklärt Cervélos Global-Marketingmanager Antoine Ballon. Ein konkretes Gewicht will er auf Nachfrage aber nicht preisgeben. Wer das P5X selbst schon hochgehoben hat, der wird auch sofort bestätigen, Leichtbau fühlt sich anders an. Wer es auch schon selbst gefahren ist, der wird aber ebenso sofort bestätigen, dass sich das Rad definitiv nicht schwer anfüllt, leicht beschleunigen lässt und auch einem Zeitfahrrad angemessen sehr gut klettert.  Cervélo selbst liefert auch gleich die passende Gleichung dazu: Speed = Comfort + Power + Aerodynamik. Die Variable Gewicht taucht hier nicht auf, berechtigterweise, denn erst bei extrem bergigen Kursen gewinnt die Gewichtskomponente zunehmend an Einfluss und die Aerodynamik tritt dafür in den Hintergrund.

Laut einem internen Cervélo-Windkanaltest ist das P5X dem P5 im voll beladenem Wettkampf-Setup aerodynamisch sogar leicht überlegen. ©Cervélo 

Dies können wir  so auch nach unseren zweiten Praxisfahrtests in Andalusien bestätigen, bei dem wir das P5X im welligen und kurvigen Terrain testen konnten. "Es fühlt sich schnell an", dieses Zitat von Caroline Steffen, die zu den frühen P5X-Testpiloten gehörte, hat definitiv Gültigkeit. Es macht Spaß und fällt gewissermaßen leicht die Kette so weit wie möglich nach rechts wandern zu lassen, einzig allein unsere Power ist der Hindernisgrund für noch mehr Speed. Die Variable Comfort erklärt Bikefitter Steinmetz mit der Fähigkeit, eine vernünftige Aeroposition über die Wettkampfzeitdauer möglichst dauerhaft einnehmen zu können. Schläge von Straßenunebenheiten werden jedenfalls nahezu vollständig geschluckt, ohne ein spürbares Nachfedern des freien Oberrohrs.  

Cervélo P5X Transition-Zone vor der Tapas-Bar - Praxistest in Andalusien ©tri2b.com

 

Schmerzhafter Preis für den Otto-Normal-Triathleten

 

Am Ende stellt sich natürlich die Frage, ist dieses definitiv bis ins letzte Detail durchdachte Triathlonrad 14.999,- EUR wert. Ein Großteil der 14.500 für die P5X-Projekt eingangs fotografierten Athleten wird wahrscheinlich sagen, "für mich nicht." Cervélo will zeigen was möglich ist und wohin die Entwicklung in Zukunft im Triathlon wohl gehen wird. Bestmögliche Komponenten wie eine elektronische SRAM Red eTap-Schaltung oder Enve-Laufräder sind da fast schon Pflicht und haben seinen Preis. Nach dem weltweiten Launch am 4. Oktober 2016 rollten jedenfalls gleich mehrere P5X über die Verkaufstheken. Die Neuentwicklung aus Toronto wird sicher in den nächsten Jahren ihren Beitrag leisten, dass Cervélo in Kona weiterhin die zahlenmäßig dominierende Radmarke (2016: 577 Bikes) bleibt, trotz des für den Otto-Normal-Triathleten schmerzhaft hohen Preises. Außerdem: Das "normale" P5 SIX gibt es weiterhin und wurde für 2017 auch in einer neuen Farbvariante vorgestellt.