Sebastian Kienle: Der Radtechnik-Freak „fires and forgets“

von Stefan Drexl für tri2b.com | 30.01.2011 um 00:00
Noch nie ist ein Triathlet die 180 Radkilometer bei der Challenge in Roth schneller gefahren als Sebastian Kienle. Wir haben mit ihm über seine Leidenschaft für Räder und die aktuellen Entwicklungen der Radtechnik gesprochen. Mit Begeisterung erzählt der 26-jährige Karlsruher über Sitzposition, „Fire and Forget“ und Latex-Milch in Reifen. Der Zweite der Challenge Roth 2010 weiß worauf es bei seinem Material ankommt und ist stets auf Optimierung aus.

tri2b.com: Im Juli hast Du mit einer beeindruckenden Leistung bei der Challenge in Roth dein Debüt auf der Langdistanz gefeiert. Den Grundstein dafür hast Du auf dem Rad gelegt und die bisherige Bestzeit geradezu pulverisiert. Neben der Tagesform ist gerade in der zweiten Disziplin auch das Material sehr entscheidend. Mit welcher Marke bist Du derzeit unterwegs?
Sebastian Kienle (S.K.): Ich fuhr zuletzt Cucuma. In der Saison 2011 werde ich auf Scott unterwegs sein.

tri2b.com: Fährst Du ausschließlich eine Zeitfahrmaschine oder auch einen klassischen Rennradrahmen?
S.K.: Ich fahre beides, je nach Bedarf!

tri2b.com: Je nach Bedarf? Trainierst Du auch auf deinem Zeitfahrrad?
S.K.: Hauptsächlich fahre ich natürlich mit meinem Rennrad, aber mindestens 10% meines Radtrainings sitze ich auch meinem Wettkampfrad.

tri2b.com: Und im Wettkampf fährst Du dann ausschließlich mit deinem Zeitfahrrad?
S.K.: Hauptsächlich schon. Mein Mechaniker Marco, dem ich hier auch sehr herzliche für seine tolle Arbeit danke, stellt mein Rad immer entsprechend den Bedingungen und dem Bedarf ein. Wenn es bergig wird, wie bei der 70.3 EM in Wiesbaden, dann fällt meine Entscheidung schon auch mal auf das Roadrace Bike. Dann aber mit Scheibe.

tri2b.com: Bergig und mit Scheibe?
S.K.: Ich fahre immer eine Scheibe, solange es irgendwie geht, die ist fast so leicht wie ein 404 Zipp. Das funktioniert sehr gut und bei höheren Geschwindigkeiten habe ich damit klar einen Vorteil, sobald es rollt.

tri2b.com: Du sagst, dass dein Mechaniker dir dein Rad für den Wettkampf stets entsprechend einstellt. Nach welchen Kriterien geht ihr da vor? Hast Du vorab eine genaue Analyse deiner Sitzposition gemacht?
S.K.: Also ich habe noch nie eine „richtige“ Sitzpositionsanalyse gemacht. Natürlich nehmen wir die Körpermaße, wie die Bein- und Armlänge, und beachten auch erst einmal die Grundregeln einer optimalen Sitzposition. Der Schwerpunkt liegt jedoch ganz klar auf einer optimalen Kraftübertragung und der Aerodynamik. Entscheidend ist dann aber letztendlich mein Gefühl, selbst wenn dabei der Rücken noch etwas murrt. Ich denke, dass sich der Körper dem unterordnen sollte und man durch entsprechendes Training die Voraussetzungen für die optimale Sitzposition schaffen kann. Womit ich konkret ein Training der Rumpfmuskulatur meine. Man kann damit sehr viel erreichen und muss nicht immer gleich am Rad schrauben.

tri2b.com: Das heißt die Biomechanik ordnest du der Aerodynamik und deinem Gefühl eher unter, solange dies Vorteile in der Geschwindigkeit bringt?
S.K.: Na, es geht ja um Leistungssport und die höchste Endgeschwindigkeit, da wird die Sitzposition immer ein Kompromiss zwischen Aerodynamik und Biomechanik sein. Letztendlich muss jeder selbst wissen, wo er seinen Schwerpunkt setzt, aber wenn der Rücken nach einer weile schmerzt, sollte er es vielleicht erst einmal mit dem entsprechenden Training versuchen und seine Rumpfmuskulatur an die Belastung hinführen.

tri2b.com: Wenn dein Schwerpunkt auf Aerodynamik und Gefühl liegt, hast Du deine Sitzposition dann auch schon einmal in einem Windkanal untersucht?
S.K.: Nein. Zum einen gibt es nicht so viele Möglichkeiten einen Windkanal zu nutzen und zum anderen verlasse ich mich dann letztendlich doch auf mein Gefühl. Selbst wenn man in punkto Aerodynamik noch ein wenig verändern könnte, ist für mich die optimale Kraftübertragung wichtiger.

tri2b.com: Unter deinen Kollegen giltst Du in Sachen Material als wahrer Technikfreak, woher kommt diese Leidenschaft für Rad und Material?
S.K.: Ich denke, dass es doch ganz normal ist. Wenn man soviel Zeit und Kilometer auf seinem Trainingsgerät verbringt, dann möchte ich einfach sicher gehen, dass auch immer alles bestens funktioniert und wo ich noch etwas optimieren kann. So wie man das mit seinem Training ja auch stets versucht. Einerseits bekomme ich zwar mein Material größtenteils gestellt. Andererseits habe ich einfach schon immer darauf geachtet, das beste Material zu den besten Konditionen zu bekommen, da ich nach wie vor vieles selbst kaufen muss. Durch ein geringeres Gewicht und eine verbesserte Funktion des Materials spart man sich oft Kraft und mögliche Defekte.

tri2b.com: Ist Shimanos neue Gruppe Di2 so eine Verbesserung?
S.K.: Ich muss zugeben, dass ich erst ziemlich skeptisch war, weil sie doch etwas schwerer ist als die herkömmliche Variante mit Seilzug. Aber gerade darin liegen die Vorteile: mit einem Seilzug kann man nur einen Schalthebel und den am Lenkerende montieren, die immer enger werdenden Radien in den Zeitfahrrahmen erschweren die Montage zusätzlich. Jetzt kann man, dank der Elektronik, mehrere Auslöser montieren und dort schalten, wo man seinen Lenker gerade greift. Hinzu kommt der Zeitvorteil, der sich daraus ergibt, man spart sich durchaus einige Sekunden und auf 180 km addiert sich das. Neben dem Komfort ist das aber auch ein deutlicher Zugewinn an Sicherheit.

tri2b.com: So habe ich das noch gar nicht gesehen. Wie sieht es denn mit der Zuverlässigkeit der Stromversorgung aus? Ist schon mal der Saft ausgegangen oder was ist, wenn's regnet?
S.K.: Nein, der Akku hält ca. 4000 km und ein kleines Licht zeigt rechtzeitig, wann es Zeit zum Laden ist. Ich habe vorsichtshalber immer einen Ersatzakku dabei. Auch bei Regenfahrten gab es bisher keine Probleme. Ich finde das System gerade am Zeitfahrrad unschlagbar und gerade das „Fire and Forget“ begeistert mich?

tri2b.com: Was meinst Du mit „Fire and Forget“?
S.K.: Schalten und erledigt. Es bedarf keinerlei Nachjustierung, die Schaltung erledigt den Rest. Dadurch schalte ich jetzt sogar etwas öfter.

tri2b.com: Ein weiteres elektronisches Bauteil mit großem Vorteil ist die Leistungsmessung durch SRM-Systeme. Verwendest Du ein SRM-System und welche Erfahrungen hast Du bisher gemacht?
S.K.: Zum Ende der Saison habe ich erstmals ein SRM-System verwendet und sehe darin große Vorteile in der Trainingssteuerung. Bei mir sehe ich jedoch die Gefahr mich zu mehr Intensität verleiten zu lassen und somit eher übermotiviert zu sein. Ich würde das Training dann wahrscheinlich weniger steuern, sondern stets versuchen immer besser zu sein. Im Wettkampf würde ich es ohnehin nicht verwenden.

tri2b.com: Warum das nicht?
S.K.: Wenn ich vorab festlege, wie es im Wettkampf laufen soll, ich also innerhalb vorab festgelegter Werte bleibe, wie will ich denn dann an meine Grenzen gehen? Mich würde es eher verunsichern und da verlasse ich mich, wie so oft, lieber auf mein Gefühl.

tri2b.com: Du probierst gerne mal etwas Neues aus und versuchst stets Training und Material zu optimieren. So bist Du auch seit einiger Zeit Testfahrer für einen Reifenhersteller. Was ist da deine Erfahrung und wohin geht die Entwicklung?
S.K.: Beim Xterra habe ich die neuen Tubeless-Reifen von Conti fahren. Reifen und Felge bilden eine luftdichte Einheit und man spart sich den Schlauch. Die Reifen sind zwar etwas schwerer, aber deutlich sicherer hinsichtlich einer Panne. Sollte doch mal ein Platten passieren härtet eine Latexmilch, die vor dem Aufpumpen in den Reifen gefüllt wird, an der undichten Stelle aus. Außerdem ist wegen eines geringeren Reifendrucks der Fahrkomfort höher und das Profil kann sich dem Untergrund besser anpassen. Eine tolle Idee.

tri2b.com: Reifen, denen die Luft nicht mehr ausgeht, das wäre doch ideal für Triathlon?
S.K.: Tja, für die dünne Rennradbereifung funktioniert das leider nicht optimal. Der Luftdruck wäre zu hoch und im Falle einer Panne hätte die Latex-Milch nicht genügend Zeit, das Loch so abzudichten.

tri2b.com: Was verwendest Du dann für die Strasse?
S.K.: Ich nehme gerne Drahtreifen, auch wegen der Pannensicherheit. Mit Schlauchreifen kann man natürlich höhere Carbonfelgen verwenden, aber ein Drahtreifen hat durchaus seine Vorteile, er rollt vielleicht doch ein wenig besser. Die Wahl der Laufräder passe ich an die jeweiligen Verhältnisse an, generell fahre ich bei jeder Witterung Carbonfelgen, wie auch in Wiesbaden. Natürlich erfordert das mehr Gefühl und ein besseres Timing beim Bremsen. Man muss halt wissen was man macht