Scott „klassisch“ mit gelbem Logo und dezent schwarzer Lackierung, so kam das Addict RC Pro aus dem Karton. „Ist das überhaupt das versprochene Testrad, das versprach doch laut Katalog einen deutlichen Farbübergang ins dunkle Lila?“ Ins rechte Licht gerückt, kommt der Helligkeitsflop-Effekt sofort zur Geltung und das RC Pro erinnert an Gabel und Steuerrohr an einen getunten Golf GTI. Beim zweiten Blick stellte sich dann sofort die Frage, wo sind all die Kabel hin?
Keine Kabel mehr – dafür interessante Farbeffekte: Das Scott Addict RC Pro 2020 – © tri2b.com
Der Addict RC Pro Rahmen – Integration total
Integration total ist das Motto beim neuen Scott Addict RC Pro Rahmen-Kit. Erstmals sind alle Zugführungen der Bremsen und Schaltung voll integriert. Möglich ist dies durch eine komplett neu konzipierte Vorbau-Einheit. Die Scott-Ingenieure schafften dort genügend Platz, damit die Zugführungen ohne Performance-Verlust verlegt werden können. Auffallend ist auch die Rohrform – vorne abgerundet, hinten abgeschnitten – die eher an ein Aerobike als an einen Kletterboliden erinnert. Scott hat die gesamte Rahmenform des Addict RC auch aerodynamisch optimiert. Hinsichtlich der Tretlagersteifigkeit verspricht Scott eine um 14,5 % verbesserte Steifigkeit zur Vorversion. Beim Gewicht liegt das Rahmenset bei sehr leichten 1.190 Gramm (Rahmen 850 g/Gabel 340 g) und bietet dadurch das Potenzial trotz Scheibenbremsen gewichtsmäßig ganz weit vorne mitzuspielen.
Unser Test-Setup
Unser Addict RC Pro-Testbike (Größe L/56 cm) sind wir in der von Scott angebotenen Originalkonfiguration gefahren. Als Gruppe ist hier die komplette Shimano Dura-Ace in der mechanischen Version montiert. Gerollt wird in dieser Ausführung auf den hauseigenen Syncros Capital 1.0 35 Laufrädern inklusive Schwalbes One V-Guard Reifen in der 28 mm-Version.
Auf Test-Tour mit dem Scott Addict RC Pro – © tri2b.com
Unser Test:
Wir sind das Scott Addict Pro RC in der Offseason vor allem beim lockeren Kilometersammeln gefahren. Meistens waren wir dabei im ruhigen Grundlagentempo unterwegs. Allerdings nicht ohne das Addict auch auf sein RC Race-Qualitäten hin anzutesten. Egal ob harter Antritt, schnelle Kurvenfahrten, oder steile Rampen. Das Addict RC Pro überzeugte durch absolute Fahrstabilität und Agilität. Im winterlichen Schmuddelwetter, mit teils schmierigen Straßenverhältnissen spielten auch die Scheibenbremsen ihre Vorteile konsequent aus. Egal ob auf trockenen oder nassen Straßenabschnitten. Der Bremsdruckpunkt und die Bremsleistung blieb von den äußeren Einflüssen absolut unbeeinflusst und vermittelt somit ein Gefühl von mehr Sicherheit. Dass unter Nässe dabei aufkommende Aufheulen der Bremsescheiben sollte ertragbar sein, zumal auch klassische Felgenbremsen ordentlich Lärm machen können. Ein positiver Nebeneffekt: Eine Klingel, Bremshebelklappern oder der Warnruf „Vorsicht bitte“ bleibt bei solchen Bedingungen überflüssig.
Die Rohrformen erinnern an ein Aerorad: Das 2020er Addict RC Pro wurde auch für den Fight gegen den Luftwiderstand optimiert – © tri2b.com
Eine spannende Frage war natürlich auch, wie sich die Totalintegration auf das Schaltverhalten der mechanischen Dura-Ace auswirkt. „Out of the Box“ rasselte die Schaltung noch leicht bei den Gangwechseln. Die Feinjustierung muss hier direkt am Schaltwerk und Umwerfer vorgenommen werden. Nach kleinen Anpassungen am oberen und unteren Anschlag und leichtem Nachjustieren an der Schaltseil-Spannung kletterte die Kette dann bei allen Testfahren perfekt und superleicht in alle Richtungen. „Bewegungseinschränkungen“ aufgrund der voll integrierten Zugführungen waren definitiv nicht feststellbar. Allenfalls in Ruhe auf dem Montageständer wird bei starken Lenkbewegungen das aufwendige Innenleben hörbar. Ein Grund warum Triathleten gerne mal vom Tri- aufs Roadbike wechseln, dürfte vor allem der Wunsch nach einer entspannten Sitzposition und mehr Komfort sein. Klar, das RC Pro ist von der Geometrie ein reinrassiges Racebike und die Sitzposition ist definitiv sportlich. Triathleten, die stundenlang in Aerohaltung auf dem Trilenker lümmeln, sollten damit aber allemal klar kommen. Der futuristisch in V-Form designte Syncros Creston iC SL Lenker vermittelte in der entspannten Oberlenkerposition durch die breite Auflagefläche viel Komfort. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die 28 mm breiten Schwalbe One V-Guard Reifen. Die breiten Pneus sind zwar sicher nicht die aerodynamisch beste Lösung, hinsichtlich Dämpfungskomfort sind sie aber definitiv top. Kleinere Bodenunebenheiten werden einfach glattgebügelt. Was für eine Aha-Erlebnis, wenn man das Rennradfahren seinerzeit auf 18 mm Reifen gelernt hat.
Unser Testfazit: Modernster Style mit besten Roadbike-Eigenschaften
Scott ist mit seinem neuen Addict RC Pro definitiv ein Eyecatcher gelungen, der vor allem die Minimalisten und Ordnungsliebenden ganz besonders ansprechen dürfte. Das gesamte Rad kommt durch die durchdachte Integration extrem aufgeräumt daher – wie ein modernes Designer-Wohnzimmer direkt nach dem großen Wochenputz. Der Fahreindruck war, wie erwähnt, in allen Situationen top, was für ein Rennrad auf Profiniveau natürlich auch erwartet werden darf. Besonders gut gefallen hat uns der auffallend gute Komfort und die spürbare Agilität des Addict RC Pro. 7,5 kg brachte unser Testrad mit montierten Look Keo Carbon Pedalen und Flaschenhalter auf die Waage und spielt somit gewichtsmäßig in der Disc-Roadbike-Championsleague mit.
V-Stil: Der speziell entwickelte Syncros Creston iC SL Lenker liegt bestens in den Händen – © tri2b.com
Der Lobhudelei steht mit 6.999.- EUR allerdings auch ein recht ordentlicher Preis gegenüber. Kritiker dürften bei dieser Kalkulation den Finger heben und auf die fehlende elektronische Schaltung verweisen, was allerdings dem Gewicht des RC Pro zugute kommt. Scott bietet daher sein Addict RC in insgesamt sieben Ausstattungsvarianten an, um möglichst vielen Ansprüchen gerecht zu werden. Los geht´s mit dem RC 30 (3.499.- EUR) mit mechanischer Shimano Ultegra, das andere Ende der Fahnenstange ist das RC Ultimate, das mit der SRAM RED eTap AXS Dics 24 aufgebaut ist (11.999.- EUR). Elektrifiziert shiften kann man aber bereits ab 4.799.- EUR mit dem RC 20 und SRAM Force eTap AXS. Und wer lieber auf Shimano steht: Das RC 15 ist mit Ultegra DI2 ausgestattet und liegt bei 5.599.- EUR. Den ganz besonderen Flop-Farbeffekt gibt´s allerdings nur beim Addict RC Pro.