Immunsystem und Infekte: Ausnahmezustand Trainingslager

von Dr. med Frank Stifft für tri2b.com | 28.11.2004 um 00:00
Auch der Eisenmann ist keine Maschine. Ihm sind physische und psychische Grenzen gesetzt, die das Unterfangen „Trainingslager“ ganz schön ins Schleudern bringen können. Doch jeder Sportler hofft, den Trainingsblock ohne Verletzungen und ohne Krankheit zu überstehen, auf dass den großen Plänen Taten folgen können. Ein Überblick über die typischen Trainingslager-Krankheiten – und Tipps für deren Behandlung.

Triathleten neigen zu Extremen: Halsweh und Husten, Kopf- oder Knochenschmerzen bringen die einen nicht aus dem (Trainings-)Rhythmus, andere stürzen bei den ersten Krankheitszeichen gleich in eine manifeste Sinnkrise. Dabei muss zur Beantwortung der kniffligen Frage „Training ja oder nein oder weiß nicht?“ in den meisten Fällen kein Arzt eingeflogen werden, wenn man ein paar wichtige Unterscheidungsmerkmale und Grundregeln kennt. Daher zunächst ein paar Grundbegriffe der Infektabwehr, die das Verständnis für die Abläufe bei Viren- und Bakterieninfektionen erleichtern:

Die Immunabwehr
Täglich ist unser Körper Tausenden von Angriffen durch Viren und Bakterien unserer Umwelt ausgesetzt. Trotzdem erkranken wir nicht ständig. Der Organismus hat sich über Jahrmillionen gegen Krankheitserreger zu schützen gelernt und bedient sich dafür im Wesentlichen zweier Schutzwälle: der unspezifischen Abwehr, die uns mit in die Wiege gelegt wurde und einer spezifischen Abwehr, die sich unser Körper in einem schweren Lernprozess erarbeitet.

Unspezifische Abwehr
Die unspezifische Abwehr verfügt über mechanische, chemische sowie zelluläre „Waffen“. Einfache mechanische Barrieren wie Haut und Haar sind überlebenswichtige Systeme. Auch die Schleimhäute im Nasenrachenraum und den Atemwegen sowie im Magen-Darmtrakt können Eindringlinge abwehren. Die Schleimhäute der Atemwege haben dafür eine besonders elegante Methode, wenn kleinste Flimmerhaare eingeatmete Partikel, eingebettet in Schleim, mit ihrem ständigen Schlag zurück Richtung Ausgang befördern. Ein kleines Hüsteln oder Schnäuzen und der Fall ist erledigt.

Das

Frank Stifft, Stationsarzt für Innere
Medizin am Universitätsklinikum
Maastricht (NL), bestritt eine langjährige
Triathlonkarriere mit dem Höhepunkt des
Deutschen Juniorentitels im Jahr 1990.
Dann kamen Studium und Familie -
Sport ist nur noch sporadisch drin, aber
sein Herz schlägt immer noch für den
Triathlon.

„Hüsteln“ ist Teil des ausgeklügelten Abwehrsystems. Unser Nervensystem hat sich nämlich eine Anzahl von Reflexen ausgedacht, die Krankmacher oder schädliche Einflüsse von uns fernhalten. Auch das Niesen, das Zukneifen der Augen bei „Fremdkörperkontakt“ mit anschließendem Tränenfluss und sogar das schnelle Wegdrehen des Kopfes sind eingebaute Sicherheitsreflexe. Tränen enthalten zudem Bakterien tötende Enzyme.

All diese Abwehrmechanismen sind aber unspezifisch und stellen sozusagen nur die Türsteher dar, die unerwünschte Gäste nicht einlassen. Werden sie ausgetrickst, und Krankheitserreger finden den Weg in die Blutbahn oder ins Gewebe (z.B. bei Schürf- oder Schnittwunden) hat unser Immunsystem auch dort Wachen postiert, die Eindringlinge unschädlich machen können: die Garde der unspezifischen zellulären Immunabwehr. Zu dieser gehören bestimmte Typen der weißen Blutkörperchen (Leukozyten), die körperfremde Eindringlinge auffressen, sofern sie sie erkennen. Dabei helfen ihnen bestimmte Bluteiweiße des so genannten Komplementsystems, die sich wie Kletten an die Keime heften und sie markieren.

Von bestimmten weißen Blutkörperchen, den so genannten Granulozyten Stoffe freigesetzt, die eine Entzündungsreaktion hervorrufen: Blutgefäße erweitern sich und werden durchlässig, so dass die Durchblutung des erkrankten Gewebes stimuliert wird. Schmerzmediatoren reizen die Nervenendigungen. Durch die Botenstoffe werden noch mehr weiße Blutkörperchen an den Tatort gelockt. All das macht sich als pochendem Schmerz, Rötung und Schwellung bemerkbar, oder bei einer Grippe mit Schnupfen, Husten, Muskelschmerzen und Fieber.

Spezifische Immunabwehr
Ein anderer Typ von weißen Blutkörperchen, die T-Lymphozyten, sind jeder für sich auf einen ganz bestimmten Erreger geprägt. Sie fressen ihn entweder auf (zytotoxische T-Zellen) oder produzieren (B-Lymphozyt) Antikörper die einen bestimmten Erreger eliminieren. Die Produktionsstelle dieser geprägten Lymphozyten sind die Lymphdrüsen oder Lymphknoten, die sich bei schwereren Erkältungen und Infektionen oft schmerzhaft bemerkbar machen. Die Prägung der Lymphozyten ist ein „Lernprozess“, dessen Ergebnis nennt man Immunität.


Typische „Triathleten“-Krankheiten
Viele Krankheiten stehen in einem Zusammenhang und haben gemeinsame Merkmale. Dieses gilt besonders bei Erkrankungen der Atemwege.

Schnupfen
Die wohl häufigste und harmloseste „Trainingsbremse“ ist der Schnupfen. Er wird durch Viren verursacht, die sich an der Nasenschleimhaut festheften und in die Schleimhautzellen eindringen. Der Körper reagiert mit einem Anschwellen der Nasenschleimhaut, die überdurchschnittlich viel Schleim produziert, um die infizierten Zellen quasi wegzuspülen. Die Schleimhaut ist irritiert, was uns ständig niesen lässt.

Was kann man gegen Schnupfen tun? Es gibt kein Medikament, das die Schnupfviren bekämpft. Die lästigen Beschwerden lassen sich aber durch Nasensprays (beispielsweise Otrivin®) gelindert werden, nach denen man wenigstens einige Stunden lang einigermaßen frei atmen kann. Auch Kochsalzlösungen können dazu beitragen, die Nase freizuhalten, allerdings helfen sie nicht ganz so gut. Man kann sich aber auch mit einer geschnittenen Zwiebel auf der Nachtkonsole helfen – die ätherischen Öle wirken Schnupfen lindernd.

Akute Bronchitis
Eigentlich ist die akute Bronchitis nichts anderes als der Schnupfen, nur dass sich das Virus nicht auf die Nasenschleimhaut beschränkt, sondern weiter bis in die tiefer gelegenen Atemwege, die Bronchien, gelangt. Fieber oder andere Symptome, die das Allgemeinbefinden deutlich vermindern können, wie Gliederschmerzen und Atemnot, sind in der Regel bei eine Bronchitis nicht vorhanden. Dann wäre allerdings ein Arztbesuch notwendig, um eine Lungenentzündung ausschließen zu lassen.

Da es sich häufig um ein Virus handelt, ist ursächlich auch bei der Bronchitis wenig zu machen: Antibiotika, wie sie leider noch viel zu häufig bei Bronchitiden verordnet werden, tun den Viren nichts und verkürzen die Krankheitsdauer auch nicht. Eine Bronchitis sollte samt ihrer Beschwerden von allein nach höchstens zwei Wochen auskuriert sein. Eine ausreichende Trinkmenge (damit der Schleim nicht zu zäh wird) ist bei der Behandlung fast die wichtigste Maßnahme. Auch Dampfbäder mit dem alt hergebrachten Handtuch über dem Kopf und einem Topf heißen Wassers darunter können Abhilfe schaffen. Hustenlöser wie ACC akut oder Mukosolvan können dabei leider nicht halten, was sie versprechen. Die Verordnung solcher Medikamente als Hustenlöser bei akuter Bronchitis wird zum Beispiel bei uns in den Niederlanden gar nicht mehr von den Krankenkassen erstattet.

Grippe
Gesellen sich zum Schnupfen und Husten noch Fieber, allgemeine Schwäche, Kopf- und Gliederschmerzen, könnte es sich um eine Virusgrippe handeln. Oft beginnen die Beschwerden abrupt. Einmal im Jahr ist wohl jeder von uns dran und meistens fliegt dann eine wahre Grippewelle durchs Land, die ihren Ursprung in fernöstlichen Ländern findet und sich langsam bis in unsere Breitengrade vorschiebt. Eine Impfung – für ältere und gebrechliche Menschen ein Muss - wird den gesunden und kräftigen Triathleten nicht geraten.

Die Impfung ist kein Garant dafür, dass man nicht an einer Grippe erkranken kann; gerade durch die Impfung erkrankt so mancher, eine bekannte Komplikation jeder Impfung (so ganz nach dem Motto “Pech gehabt”). Außerdem schützt der Impfstoff nur gegen eine Variante des Influenzavirus. Sollte sich ein ähnliches, jedoch etwas anderes Virus ausgebreitet haben, ist der Impfschutz für den ansonsten Gesunden verschwendetes Geld, und das Virus haut uns trotzdem um. Auskurieren ist wichtig, eine Paracetamol- oder Aspirin-Tablette wirkt aber bisweilen schon Wunder: das Fieber sinkt, Kopf- und Gliederschmerzen verschwinden vorübergehend. Das Fieber bringt unsere Immunabwehrmaschinerie auf Hochtouren, während Wachstum und Vermehrung mancher Krankheitserreger durch die erhöhte Körpertemperatur gehemmt wird.

Rachen-/Mandelentzündung
Entzündungen des Hals-Rachenraumes machen sich bereits für einige Tage mit leichten Halsschmerzen und angeschwollenen Lymphdrüsen im Hals bemerkbar. Bei Berührung können die recht schmerzhaft. Beim Blick in den Hals fällt schnell die Rötung auf. Schmerzbekämpfung ist auch hier Therapieziel Nummer eins (Paracetamol, bei unempfindlichem Magen auch Ibuprofen. Lutschtabletten zur Desinfektion – einige sind auch mit einem betäubenden Lokalanästhetikum versehen – sind auch sehr populäre Mittel bei Beschwerden im Halsbereich. Aber auch einfache Lakritzbonbons leisten schon gute Dienste. Nur die Dauer der Krankheit wird damit nicht beeinflusst. Denn auch hier gilt: in 95% der Fälle ist ein Virus verantwortlich für die Rachenentzündung (Pharyngitis).

Anders sieht die Geschichte bei einer Mandelentzündung (Tonsillitis) oder Angina)aus. Dabei ist der Hals nicht nur gerötet, sondern man sieht – falls sie nicht entfernt wurden – hinter dem ersten Gaumenbogen die vergrößerten, manchmal mit eitrigen Flecken versehenen Mandeln. Eine Mandelentzündung (Achtung: Trainingspause! Siehe auch Merkblatt) muss mit Antibiotika, in diesem Falle vorzugsweise Penicillin, behandelt werden. Eine Mandelentzündung geht meist mit schwerem Krankheitsgefühl und hohem Fieber einher. Bei diesen Symptomen also immer Hals kontrollieren (lassen).

Durchfall
Auch unterhalb des Zwerchfells kann es zu Problemen kommen. Klassisch ist der Durchfall, der meist akut auftritt, weil der Darm versucht, sich von Krankheitserregern zu befreien. Da dies eine Schutzreaktion darstellt, sollte ein Durchfall nur in besonderen Situationen, und wenn es wirklich nicht anders geht, durch Mittelchen wie Immodium unerdrückt werden. Meist bleibt es auch nicht beim Durchfall, sondern es gesellen sich Übelkeit und Erbrechen, Fieber und Bauchschmerzen dazu.

Bei ansonsten Gesunden ist der Durchfall meist auf einen Infekt des Magen-Darmtraktes zurückzuführen. Viren, Bakterien aber auch Parasiten (Protozoen) können durch Schmierinfektionen, verunreinigtes Trinkwasser oder Lebensmittel in unseren Körper gelangen.
Der Durchfall als solcher wird dabei häufig nicht durch den Erreger selbst, sondern durch die von ihm produzierten Gifte (Toxine) ausgelöst. Die Toxine stimulieren die Darmzelle zur übermäßigen Flüssigkeitsausscheidung. Die wichtigste Maßnahme in solchen „Durchfällen“ ist der Ersatz der verlorenen Flüssigkeits- und Elektrolytmenge. Das althergebrachte Rezept Cola & Salzstangen ist gar nicht so schlecht. Mit Zutaten aus Küche und Apotheke lässt sich schnell auch ein "Durchfallgetränk" zusammenbrauen, das von der Zusammenstellung her der verlorenen Flüssigkeit entspricht: Auf einen Liter Wasser kommen 2,5 Gramm Speisesoda, 1,5 Gramm Kaliumchlorid, 3,5 Gramm Kochsalz und 20 Gramm Traubenzucker (oder 40 Gramm Zucker, falls kein Traubenzucker vorhanden). Apotheken verkaufen auch fertige „orale Rehydratationslösungen“, die genau diese Zutaten enthalten.

Bei der alltäglichen Durchfalltherapie sollten Durchfallhemmer wie gesagt nur in Not eingesetzt werden (wenn der Durchfal einige Stunden vor dem Rückflug einsetzt). Antibiotika sind hier fehl am Platze. Hält der Durchfall länger als eine Woche an, sollte eine Stuhlprobe ärztlich untersucht werden.

Harnwegsinfekt
An einer Blasenentzündung dürfen eigentlich nur junge, gesunde, nicht schwangere Frauen erkranken, da die weibliche Harnröhre wesentlich kürzer (etwa 4 gegenüber 35 Zentimetern bei Männern) ist und somit die Erreger schneller in die Blase gelangen. Beim Verdacht auf eine Blasenentzündung ist eine Urinuntersuchung unerlässlich und sollte mit geeigneten Antibiotika behandelt werden. Sollte ein männlicher Sportler erkranken, ist eine urologische Analyse (zum Beispiel Abflusshindernisse) zur Ursachenklärung und Therapie nötig.


Antibiotika oder nicht?
Antibiotika werden noch viel zu häufig verschrieben. Das kann zu Resistenzproblemen (beim nächsten Mal wirken die Substanzen nicht mehr) führen. In manchen Fällen sind Antibiotika sogar kontraindiziert, so beispielsweise beim Pfeifferschen Drüsenfieber, bei dem sich im Falle von Antibiotikaeinnahme nach einigen Tagen ein juckender Hautausschlag bemerkbar macht.

Die große Mehrheit der gängigen Trainingslagererkrankungen sind viralen Ursprungs und können nur durch Symptomlinderung therapiert werden. Antibiotika sollte nur beim Nachweis einer bakteriellen Infektion gegeben werden. Es ist nicht einfach, zwischen einer viralen und bakteriellen Erkrankung zu unterscheiden. Es gibt aber grobe Anhaltspunkte für eine Beteiligung von Bakterien:

- Hohes Fieber (≥40°C) eher bei bakteriellen Infekten
- Fieber länger als drei Tage (Arztbesuch empfohlen)
- Eitrige Infektionszeichen (Bronchien, Nebenhöhlen, Hals)

Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies lediglich grobe Orientierungshilfen sind und ein Arztbesuch zur Klärung empfohlen wird. Ein Training ist mit Infektionen, die das ganze Körpersystem betreffen – egal ob Virus oder Bakterien verursacht – wegen der schwerwiegenden möglichen Komplikationen wie Herzkrankheiten, Nierenschädigungen etc. verboten (siehe auch Merkblatt Infektionen in diesem Themen-Special). In einem solchen Fall sollten Sportler sich eher für die warme Dusche und das Bett entscheiden als für das mögliche Aus einer Sportkarriere!