Trainingslager-Basiswissen: Ein Ausflug in die Trainingsmethodik

von Sport Ruscher für tri2b.com | 20.02.2006 um 00:00
Oft schon ab Mitte Februar zieht es die Triathleten aus Mittel- und Nordeuropa alljährlich in den Süden. Die riesigen Athleten-Schwärme, die in der Toskana, in Nordspanien, auf den Kanarischen Inseln und vor allem auf Mallorca einfallen, erinnern an die Scharen der Zugvögel. Während die ihren ureigenen Trieben folgen, steht bei der Planung eines Trainingslagers allerdings eine zunehmend fundierte Trainingswissenschaft im Hintergrund. Deshalb sollten Sie ein paar wichtige Prinzipien beachten.

Einordnung in den Jahreszyklus
Um eine größtmögliche Trainingswirkung zu erzielen, ist es wichtig, dass Sie das Trainingslager von Anfang an in Ihren Jahresaufbau einplanen. Der Saisonaufbau startet üblicherweise mit der ersten Vorbereitungsphase im Monat November oder Dezember. Diese Phase geht bis etwa Ende Januar, die Schwerpunkte liegen im Allgemeinen Ausdauertraining und vermehrt in unspezifische Trainingsformen, wie zum Beispiel Skilanglauf oder Mountainbiking. Die erste Trainingsphase ist außerdem der ideale Zeitraum für ein gezieltes Technik- und Motoriktraining in den Triathlondisziplinen.

Ab Februar schließt sich Teil zwei der Vorbereitung an. In dieser Phase schulen Sie die speziellen Leistungsvoraussetzungen. Je nach individuellem Leistungsstand sollten Sie Ihre Schwerpunkte in den Einzeldisziplinen setzen. Während im kühlen und unbeständigen mitteleuropäischen Wettermix dieser Jahreszeit ein verstärktes Schwimm- und Lauftraining sehr gut zu organisieren ist, ergeben sich für ein umfangreiches Radtraining witterungsbedingte Probleme. Ein gewisser „Kilometer-Grundstock“ auf dem Rad ist aber unverzichtbar, damit Sie in der ab Mai folgenden dritten, sehr intensiven Trainingsphase Ihre Form weiter aufbauen können und nicht zu früh in eine Leistungsstagnation geraten.

Wärme und Ruhe im Süden
Hinzu kommt, dass Radtraining im Vergleich zum Schwimmen und Laufen ungleich mehr Zeit in Anspruch nimmt. Mit einem Trainingsaufenthalt in südlichen Gefilden können Sie gleich „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“. Besseres Wetter und ein freies Zeitbudget machen ein umfangreiches und intensives Training eher möglich und führen außerdem zu einer größeren Belastbarkeit für hohe Trainingsumfänge. Aus diesen Gründen bietet sich ein Trainingslageraufenthalt am ehesten zum Ende der zweiten Vorbereitungsperiode an. Je nach Saisonaufbau und Urlaubsplanung sind März und April die klassischen Monate für einen Trainingsschwerpunkt unter südlicher Sonne.

Ausflug in die Trainingslehre
Steht der Zeitpunkt des Trainingslagers fest, geht es um die Trainingsinhalte. Welche physiologischen Größen sind im Triathlon leistungsbestimmend und können durch Training verändert werden? Die Leistung im Triathlon als Verbindung der klassischen Ausdauersportarten Schwimmen, Radfahren und Laufen wird sehr zentral durch die Fähigkeiten im Langzeitausdauerbereich bestimmt. Je nach Wettkampfstrecke und Belastungsdauer beeinflussen unterschiedliche physiologische Faktoren die Leistung:

Die Formen der Langzeitausdauer (nach F. Zintl, 1997)

Langzeitausdauer I (LZA I, 10-35 min.)
  ·  Höhe der aerobe Kapazität (maximale Sauerstoffaufnahme, VO² max.)
  ·  Höhe der individuellen anaeroben Schwelle (IANS)
  ·  Säuretoleranz gegenüber mittleren Laktatwerten (bis ca. 10 mmol/l)

Langzeitausdauer II (LZA II, 35 – 90 min.)
  ·  Höhe der aerobe Kapazität (maximale Sauerstoffaufnahme, VO² max.)
  ·  Höhe der individuellen anaeroben Schwelle (IANS)
  ·  Aerobe Glykogenverwertung, Größe der Glykogenspeicher
  ·  Fähigkeit der Fettverbrennung

Langzeitausdauer III (LZA III, 90 min. – 6 Std. und länger)
  ·  Höhe der individuellen anaeroben Schwelle (IANS)
  ·  Fettverbrennung
  ·  Größe der Glykogenspeicher
  ·  Fähigkeit der Glukoneogenese (der Körper stellt bei hohen Intensitäten selbst Zucker aus Aminosäuren, Laktat und Glycerol her)
  ·  Thermoregulation und Elektrolyt- und Wasserhaushalt
  ·  Kohlehydratzufuhr von außen

Langzeitausdauer bestimmt die Leistung
Bei der Einordnung des Triathlon nach diesen Kriterien wird neben der Gesamtwettkampfdauer aufgrund der unterschiedlichen Belastungsanforderungen in den Einzeldisziplinen auch deren anteilige Zeitdauer herangezogen. Hier wird sehr schnell der Unterschied zwischen der Kurz- und Langdistanz deutlich. Der Kurztriathlon (1,5 km/ 40 km / 10 km) umfasst eine Gesamtwettkampfzeit von 1:45 bis 3,5 Stunden und in den Einzeldisziplinen herrscht die LZA I und LZA II vor. Im Langtriathlon (3,8 km / 180 km/ 42,2 km) ist die Wettkampfzeit, ausgehend von der Weltspitze, 8 Stunden und länger. Deshalb wird die Leistung fast vollständig von der LZA III bestimmt.
Daraus abgeleitet wird deutlich, dass neben der maximalen Sauerstoffaufnahme die Leistung an der individuellen anaeroben Schwelle, sowohl auf der Kurzdistanz als auch auf der Langstrecke, eine entscheidende Rolle einnimmt. Ebenso leistungsbestimmend ist die Größe der Glykogenspeicher und die Fähigkeit der Fettverbrennung in höheren Intensitäten. Ausgehend von der Kurzstrecke, bei der die Höhe der maximalen Sauerstoffaufnahme einen zentrale Funktion einnimmt, wird auf längeren Wettkampfdistanzen (Mittel- und Langstrecke) die Schwellenleistung an der individuellen anaeroben Schwelle (Aussage über die Dauerleistungsfähigkeit) und die Fähigkeit des Fettstoffwechsels immer leistungsbestimmender.

Trainingsmethoden im Triathlon
Zur Verbesserung dieser Leistungsparameter können Sie folgende Trainingsmethoden einsetzen.
- Intensive Dauermethode: Verbesserung der VO² max., Anhebung der IANS, Glykogenspeichervergrößerung
- Extensive Dauermethode: Verbesserung des Fettstoffwechsels
- Variable Dauermethode: Umstellung in der aeroben Energiebereitstellung
- Extensive und intensive Intervallmethode: Verbesserung der VO² max., Laktatkompensation, Sportherzentwicklung
- Wettkampfspezifische Einzelbelastung über Unterdistanzen: Gewöhnung an die Wettkampfbelastung

Im Frühjahrstrainingslager kommt zum Aufbau der Grundlagenausdauer den verschiedenen Ausprägungen der Dauermethode die zentrale Bedeutung zu. Durch die zeitlichen Freiräume ist es möglich, hier einen Schwerpunkt zu legen. Klassischerweise absolvieren Triathleten zu diesem Zeitpunkt die höchsten Wochenumfänge des gesamten Trainingsjahres, eine Verdoppelung der Heimtrainingsumfänge ist bei einem hohen Anteil des Radtrainings möglich. Anders sieht es mit der Intensität aus: Anaerobe Spitzen benötigen entsprechende Regenerationszeit und stehen im Gegensatz zu hohen Grundlagenumfängen. Intervalltrainingsformen und wettkampfspezifische Einzelbelastungen sind trainingsmethodisch nur dann sinnvoll, wenn ein stabiles Grundlagenniveau, zum Beispiel durch ein schon vorab absolviertes Trainingslager, vorhanden ist.

Hohe Umfänge variabel gestalten
Die Inhalte im Trainingslager sind also umfangorientiert ausgerichtet, durch den Einsatz der unterschiedlichen Dauermethoden können Sie aber sehr wohl abwechslungsreich trainieren. Bei der Rhythmisierung sollten Sie unbedingt darauf achten, zwei bis drei Tage mit ansteigender Belastung zu trainieren, bevor Sie am Entlastungstag den Umfang auf unter 50 % der Höchstbelastung zurückfahren. Diesen Rhythmus führen Sie über den kompletten Zeitraum des Trainingsaufenthalts fort.

Nicht die Länge ist entscheidend
Zum Schluss noch ein paar Worte über die richtige Länge eines Trainingslagers: Bedingt durch die Pauschalangebote der Reiseveranstalter werden für den Aufenthalt im Trainingsrevier meist eine oder zwei Wochen veranschlagt. Eine Woche hat den Vorteil, dass Sie sicher nicht in ein Übertraining gelangen, allerdings kann schlechtes Wetter das Trainingslager buchstäblich komplett ins Wasser fallen lassen. Bei zwei Wochen kann man das Wettergebaren mit mehr Ruhe verfolgen, allerdings sind 14 Tage schon eine lange Zeit und bedürfen unbedingt einer disziplinierten Einhaltung der Ruhephasen. Noch längere Trainingsaufenthalte sind nur für sehr erfahrene Athletinnen und Athleten mit vielen Trainingsjahren sinnvoll. Gerade Athleten, die zum ersten Mal ein Trainingslager planen, müssen penibel auf ihre Regenerationszeiten achten. Meist fehlt noch die Erfahrung über die Verarbeitung hoher Belastungsreize, und die Gefahr über das Ziel hinauszuschießen und sich zu überlasten, ist sehr groß.

Die Ernte einfahren
Ist der Trainingsaufenthalt erfolgreich absolviert, dann dürfen Sie zuhause erst einmal die Beine hochlegen. Als Faustformel benötigt der Körper zur Herstellung des Ausgangsniveaus ungefähr die Zeit des Trainingslagers. Erst dann beginnt die Phase der Superkompensation, in der sich eine erhöhte Leistungsfähigkeit über dem Ausgangsniveau einstellt. Ungefähr vier Wochen nach dem Trainingslager sind alle Anpassungsprozesse abgeschlossen und der Körper ist endlich wieder bereit für höhere Belastungsreize.

Literaturnachweis:
Zintl F. (1997) . Ausdauertraining: Grundlagen, Methoden, Trainingssteuerung [4. Aufl.]. München: BLV-Sportwissen.