Deutsche Meisterschaften Langdistanz: Mit dem Babyjogger zum Titel

von Jens Richter für tri2b.com für tri2b.com | 12.08.2002 um 22:00
Die neuen deutschen Titelträger auf der Langstrecke wussten in Kulmbach ihre Chancen überzeugend zu nutzen. Und Heike Funk machte nur einen großen Fehler ...

Zur Müdigkeit hätte Siegi Ferstl bei seinem vierten langen Kanten der Saison wahrlich jeden Grund gehabt. Doch am Abend vor dem Rennen wirkte der viermalige Champ von Kulmbach locker und selbstbewusst. Die Beine seien gut, er wolle es versuchen, hörte man sagen. Dass dies allein nicht reichen sollte, wenn dabei die Finger nicht wollten, das dürfte auch er kaum geahnt haben. Auf der kleinen Nudelparty im Biergarten der Mönchshof-Brauerei genossen rund 260 Einzelstarter und 150 Staffel-Spezialisten am Vorabend der siebten Deutschen Meisterschaft des ATS Kulmbach die warme Sonne. Vereinzelte Gerüchte über Unwetterwarnungen wurden schnell weggewischt und der randvolle Trebgaster Badesee war fast zu warm für den Neopren. Andrey Yastrebov schwimmt ökonomisch Kurz nach dem Startschuss löste sich eine siebenköpfige Gruppe vom Feld und viele erklärte Favoriten waren dabei: Ferstl hatte den Zug genauso erwischt wie Heike Funk, die fünf Monate nach der Geburt des dritten Kindes ihren Trainingsrückstand von Klagenfurt fast aufgeholt hatte. Sicher, Andreas Benstein, Uwe Grädler und Norbert Huber lagen zunächst noch im Verfolgerfeld, aber sie alle gelten ja als starke Radfahrer und Kulmbachs Dreieinhalb-Runden-Kurs ist wohl etwas anspruchsvoller, als beispielsweise die 180 Kilometer von Roth. Und um den Tagessieg, wenn auch nicht den nationalen Titel, war Andrey Yastrebov aus der Ukraine auf Platz zwei hinter dem Ingolstädter Wolfgang Schlicht aussichtsreich und kräftesparend im Wasserschatten unterwegs. Ferstl und der Staufener Robert Trappmann waren am Ausstieg die nächsten, dahinter schon Heike Funk. „Die längste Radtour meines Lebens“ Wie wichtig diesmal ein schneller Wechsel sein würde, bekamen Trappmann, Benstein und sieben weitere Verfolger dann zu spüren: Statt der druckvoll beginnenden Heike Funk auf die Radstrecke zu folgen, wäre wohl eher der Sichtkontakt zu Ferstl und Yastrebov auf den ersten Kilometern hilfreich gewesen. Denn die Führende des Frauenrennens hatte vermutlich seit ihrem letzten Kulmbach-Start neun Jahre zuvor ein wenig den Streckenverlauf vergessen und bog nach sechs Kilometern links ab. Sieben Männer folgten im „visuellen Schlepptau“, bis ein Pressefahrzeug die Verirrten nach gut fünf Kilometern wieder einsammelte. Zurück auf der Strecke, war Heike Funk nun ungeplant auf der längsten Radtour ihres Lebens und mit dem 17-Minuten-Lapsus wurde das Klassement an der Spitze neu gemischt. Gute Beine, doch die Finger waren klamm Von den Irrungen der Mitfavoriten konnte Norbert Huber's Freundin nach 35 Radkilometern noch nicht wissen, als sie dem Amberger Zwischenrang sieben vermeldete. Der hatte nämlich fast eine ganze Schwimmstunde genommen - das war für den erst im Mai von einer schweren Knieverletzung Genesenen kein Grund zu großen Hoffnungen. Doch nun lief es, der Raddruck stimmte und als etwa 15 Kilometer später Siegi Ferstl mit klammen Fingern am Reifenwechsel scheiterte und endgültig ausfiel, wurde Huber offensiv. K 3-Training mit MTB und Anhänger Claudia Hille staunte nicht schlecht, als nach zwanzig Kilometern plötzlich Heike Funk von hinten aufkam. Doch die erklärte sich schnell und war danach nicht zu halten. Hille hatte sich vorher ausgerechnet, dass sie bis zum zweiten Wechsel einen Rückstand von 30 Minuten in Kauf nehmen könnte. Allerdings galt das auch nur für eine Topform der Duathlon-Spezialistin und Sechsten des Ironman France. Die hatte sie derzeit noch nicht wieder – leere Eisenspeicher waren erst kürzlich festgestellt worden. Am Ende sollte Funk die Radstrecke trotz selbstverschuldeten Handicaps mit einem Split von 5:35 Stunden beenden - 27 Minuten vor Hille. Da hatte sich das Mountainbike mit Baby-Anhänger wohl einmal als effektive Trainingsmethode bewiesen. Andrey war nicht zu halten Der Mann aus der Ukraine hatte bereits in Klagenfurt gezeigt, dass er als kompletter Triathlet gelten darf. Dort hatte er aber noch für die gemeinsame Jagd mit dem Freund und Landsmann Viktor Zyemtsev, dem späteren Sieger, „Gelb“ gesehen und war später sogar disqualifiziert worden. In Kulmbach lag er nun allein in Führung und war mit der zweitbesten Radzeit des Tages auch nicht mehr abzufangen. Mit Huber (4:55) und Yastrebov (4:58) blieben aber auf dem Rad nur zwei Männer ein wenig unter der Fünf-Stunden-Marke, denn Dauerregen hatte die vielen engen Ortsdurchfahrten glitschig und die Muskeln kalt gemacht. Und mit dem immer mehr zunehmenden Wind in der letzten Runde wurde der Kurs dann wahrhaft meisterschaftswürdig. Zum Beginn des Marathon waren es Yastrebov und Huber, dann in Lauerposition Uwe Grädler, André Bour und Martin Wintersteiner, die noch für den Sieg in Frage zu kommen schienen. „Ich wusste, dass im Laufen was geht.“ Vor allem der DM-Neunte von Immenstadt, Martin Wintersteiner, strotzte gleich zu Beginn vor Zuversicht und Kampfgeist. Im Allgäu hatte er den Laufpart in 1:15 Stunden absolviert und wusste nun: „Da geht heute was! Das merke ich immer schon nach 200 Metern und die fünf Minuten Rückstand zu Huber hatte ich nach 17 Kilometern bereits aufgeholt.“ Wintersteiner lief trotz eines „Durchhängers“ in der zweiten Runde Tagesbestzeit – einen beeindruckenden 2:47er-Marathon. Bis auf drei Minuten kam er noch an Yastrebov heran, der seinerseits 2:56 Stunden benötigte. Und Norbert Huber, der erst seit drei Monaten wieder das Laufen trainiert hatte, rettete seinen Vizerang noch knapp vor André Bour aus Kaiserslautern. Der sicherte dafür mit seinem Team den Mannschaftstitel vor Weiden und Paderborn. Hille’s Konter brachte nichts „Als ich mit 27 Minuten Rückstand loslief, habe ich sofort Tempo gemacht: 45 Minuten für die ersten zehn Kilometer. Aber ich habe damit zur Heike nur zwei Minuten aufgeholt, da wusste ich, dass es heute nur um Platz zwei ging“, gab sich die erfahrene Athletin aus Kleinostheim geschlagen. In der Tat war Heike Funk zügig unterwegs. Damit hatte sie selbst auch gar nicht gerechnet, doch in der letzten der drei Runden litt sie sichtlich. Mit 3:38 Stunden für den Marathon lief sie dennoch eine ihrer stärksten Zeiten und bewies damit, dass bei viel Erfahrung und einer guten Basis drei Monate intensiven Trainings perfekt funktionieren können – scheinbar auch mit dem Babyjogger. DM in Kulmbach auch im nächsten Jahr Für Aufsehen sorgte im Staffelwettbewerb die Läuferin der „CIS Amberg Damen“ mit einem furiosen 2:49er-Marathon. Das war jedenfalls auch etwas für’s Auge, fanden gut 1000 Zuschauer an der Lauf-Pendelstrecke. Bis auf Platz 12 schafften es die Damen damit, den Titel holte in 8:27:23 Stunden die Mannschaft LTC I (Kurth/Barth/Schnittge). Kulmbach bot wieder einmal eine reife Organisation. Doch die Titelkämpfe über die lange Distanz könnten in Zukunft auch gut in der Quelle Challenge aufgehen, wie es ja schon im letzten Jahr angekündigt wurde. Sportlich würde das auch durchaus Sinn machen, solange durch den Wettstreit zwischen den Bewerbern die Szene nicht um eine Traditionsveranstaltung ärmer wird. Immerhin, von DTU-Vizepräsident Peter Kernbach bekam der ATS Kulmbach um Organisator Wolfgang Pirl auch für die kommenden drei Jahre eine Deutsche Meisterschaft zugesichert – über die Mitteldistanz. Aber noch sind die Gespräche im Gange ...
Zaehler