Warschauer Windschatten-Orgie: Wie die Lust auf Triathlon verloren ging

von Sven Weidner für tri2b.com | 24.06.2022 um 16:50
Wo soll man am besten mit einem Rennbericht von einem Ironman 70.3-Rennen starten? Zeit? War okay. Platzierung? War eher nicht okay. Organisation? Mit Licht und Schatten. Das klingt jetzt, als ob die nächsten Absätze (wie viele es auch immer werden mögen) nicht sonderlich spannend werden. Man mag fast sagen, dass es eines Vorbereitungswettkampfs würdig ist

Doch fangen wir von vorne an. Warum der Ironman 70.3 Warschau? Diese Saison ist der typische Triathlon-Klassiker. Irgendetwas hat eigentlich das ganze Jahr über gezwickt, sodass ich die Anmeldung für den 70.3 Luxembourg immer weiter nach hinten verschoben habe. Eigentlich wollte ich neben einem guten Rennen in Roth noch die 70.3 WM in St. George nutzen, um Freunde in den USA zu besuchen. Tja wie das so ist im Leben, wer zu spät kommt und so weiter … . Dementsprechend war die Anmeldung für Luxembourg geschlossen als ich mich durchringen wollte. Da kam direkt die Frage nach dem „Was jetzt?“ auf. Zunächst habe ich überlegt nach Lauingen zu gehen. Die Chance auf den schwäbischen Meistertitel klang schon etwas verlockend oder sollte es doch der Wasserstadt Triathlon in Hannover vor der Haustür der Eltern werden? Irgendwie hatten beide Optionen nicht die Anziehung, dass ich mich zur Anmeldung durchringen konnte. Also ging es auf die Suche nach Ironman-Optionen. Dabei bin ich dann auf Warschau gestoßen. Schlankes Startgeld für Ironman-Verhältnisse (280 € in Summe), interessante Stadt, aber leider auch eine halbe Weltreise entfernt. Also habe ich mich auf die Suche gemacht, um etwas mehr über das Rennen zu erfahren. Die Zeiten aus 2021 sprachen, wie das Streckenprofil, für einen relativ schnellen Kurs. Rennberichte waren leider eher Mangelware. Ich habe nur einen einzigen wirklich Guten gefunden und dieser hätte schon Warnung genug sein müssen. O-Ton schönes Rennen, aber leider gleicht das Radfahren eher einem Teamzeitfahren der 2000er Tour de France Jahre.

Die Stadt Warschau ist eine Reise wert

Naja also weiter im Text…Die Anreise nach Warschau ist ein Traum. Die Straßen sind super leer und in top Zustand. In Warschau habe ich mich dann auch direkt verliebt. Die Kontraste von alt und vielleicht etwas runter gekommen zu hochmoderner Stadt mit amerikanischem Flair sind wirklich krass, aber wirklich charmant. Preislich (Essen, Wohnen, Tanken,…) ist Polen sowieso ein Traum für den deutschen Urlauber. Die Anmeldung im Ironman-Village verlief auch deutlich geschmeidiger als letztes Jahr in Zell am See. Da die T1 etwa 30 km nördlich von Warschau ist, wollte ich mich noch informieren, wie man am besten anreist. Ihr kennt das wahrscheinlich auch, dass nichts nerviger beim Check-In und am Rennmorgen ist, als ein Verkehrsinfarkt von 100ten Triathleten, die es eilig haben. Nachdem sich ungefähr 8 Italiener vorgedrängelt haben am Infopoint, war ich dann auch nicht schlauer, nachdem ich fertig war. Es gibt einen Sonderzug aber ob die Begleitung mitfahren darf? Who knows? Naja egal, irgendwie klappt es ja immer. Am nächsten Tag hieß es dann einchecken. T2 war komplett unproblematisch. Bei T1 zeigte sich dann das klassische Kraut und Rüben-Szenario und die Polizei hatte vor den Wildparkern schon weit vor meiner Ankunft kapituliert. Das konnte am Rennmorgen ja was werden, habe ich mir da gedacht. Da kam mir der Gedanke, dass wir Athleten ja einen FreeNow (das europäische Uber) Voucher haben, sodass die Fahrt nur ca. 10 € aus der Stadt zum Start kostet. Also direkt das Taxi für den nächsten Morgen vorbestellt.

Nach einer überraschend ruhigen Nacht war es dann so weit...Raceday! Ratzfatz fertig gemacht und dann runter auf den Parkplatz, wo wir abgeholt werden sollten. Nachdem unser Taxi 10 min überfällig war, wurde ich langsam nervös. Doch bevor ich wirklich ins Grübeln kam, ist auch schon die Stornierung unserer Fahrt eingetrudelt. Vielen Dank FreeNow für richtig…NICHTS! Tja nach kurzer Schockstarre haben wir dann eine Fahrt beim amerikanischen Platzhirsch gebucht, der dann auch umgehend kam. In der Wechselzone wurde dann schnell das Trinksystem gefüllt und die Reifen aufgepumpt. Da ich mir nicht sicher war, habe ich bei einer Offiziellen gefragt, was denn eigentlich mit den Wechselbeuteln passieren soll. Zurück auf den Ständer oder gibt es eine Box. Nach Rücksprache mit einer Kollegin meinte sie, dass die Beutel zurück gehängt werden müssen. Also war das auch geklärt und es gibt runter zum See. Da wir gut in der Zeit lagen, habe ich dann noch ein kleines Nickerchen gemacht. 30 min vor unserem Start ging es dann in den Neo und zum Einschwimmen. Wie immer war ich als menschliches Tauchblei richtig glücklich im Neo zu stecken :D

Prerace-Nickerchen: Da war noch alles in Ordnung ...    - © tri2b.com

 

Erfolgserlebnis im Wasser

 

Das Einschwimmen war dann auch ganz okay. In der Startaufstellung habe ich dann direkt wieder den klassischen Fehler gemacht und mich entsprechend meiner realistischen Schwimmzeit aufgestellt. Beim Blick um mich herum, hätte es auch Klick machen können, dass ich vielleicht doch hätte etwas weiter vorne sein sollen. Sei es drum, lieber überschwimmen als überschwommen werden. Nach dem Startschuss habe ich mal wieder eiskalt ausgenutzt, dass der See superflach war und habe wirklich bis zum letzten Moment gewartet, um mit dem Schwimmen zu starten. Das lief allerdings richtig gut, sodass ich eigentlich nur überholt habe. Da hat es sich doch gelohnt mal 1 Jahr regelmäßig zu trainieren. 32:01 klingt jetzt nicht überragend schnell, aber die Zeitmatte war auch etwa 50 m hinter dem Wasserausstieg. Damit war das schon deutlich besser als erwartet. Die Wechselzone war dann schon der erste Teil des Halbmarathons. Nachdem ich meinen Beutel dann zurück gehängt habe, musste ich feststellen, dass es doch Abwurfkisten gab. Also zurück und Beutel holen. Direkt wieder 20 sec verloren …

Windschattendesaster in Perfektion

Die ersten Meter auf dem Rad waren dann etwas holprig, sodass etliche Leute ihre Trinkflaschen verloren haben. Zum Glück blieb mir das erspart. Jetzt sollten mich relativ flache 90 km auf dem Rad erwarten. Dementsprechend ging es für mich in die Aeroposition und die Kette durfte schön nach rechts. So habe ich auch gleich angefangen einen Athleten nach dem anderen einzusammeln. So darf es doch gerne weitergehen, habe ich mir zu diesem Zeitpunkt gedacht. Dann kam allerdings die Ernüchterung…Die Strecke in Warschau zeichnet sich durch 2 lange Wendepunktstrecken auf dem Weg in die Stadt aus. Als ich auf die erste Wendeschleife eingebogen bin, hat es nicht lange gedauert, bis mir die ersten Tour de France Teams entgegen gekommen sind. Allerdings waren diese nicht wie in den 2000ern 9 Mann stark, sondern hatten Größen von 20 Athleten und mehr. Der erste moralische Tiefschlag. Wie soll ich da ranfahren? Egal habe ich mir noch gesagt, die werde ich dann alle im Penalty-Zelt in T2 sehen. Also hieß es weiter Vollgas. Langsam wurden die Konkurrenten auch besser und haben sich immer wieder versucht bei mir an das Hinterrad zu hängen. Das wurde dann mit regelmäßig mit einem kurzen Zwischenspurt quittiert.

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So konnte ich dann relativ ruhig in Richtung zweiter Wende einbiegen. Was mich dann erwartet hat, war aber (sorry) eine riesige Shit Show. Aus den 20er Gruppen sind teils 40er Gruppen geworden, die in 3er Reihe gefahren sind. Das nenne ich mal belgischer Kreisel deluxe. Da hätte selbst Lance Armstrong mit EPO bis zur Unterlippe Schweißperlen auf der Stirn bekommen. Allerdings hilft rumheulen ja nicht so viel, weshalb ich mich versucht habe auf mein Rennen zu konzentrieren. Das hat bis Kilometer 65-70 auch ganz okay geklappt, bis ich die erste richtig große Gruppe (ca. 25 Athleten) überholen wollte. Als ich noch 200 m hinter der Gruppe war, ist ein Kampfrichter auf diese aufgerollt und ich habe schon innerlich geschmunzelt und mich über den Kartenregen gefreut. Als ich dann das Ende der Gruppe erreicht habe und direkt nach links ausgeschert bin, habe ich direkt Blickkontakt zum Schiri aufgenommen. Nach endlos wirkenden 15-20 sec hat er dann seine Pfeife in den Mund genommen. Ich dachte, jetzt geht es los. Einen Pfiff habe ich allerdings nicht gehört auch nicht als ich schon lange an der Gruppe vorbei war. Aber 1,2 m zum Vordermann kann man auch mal großzügig als 12 m auslegen. Ist ja das Komma um nur eine Stelle verschoben …Mental war das irgendwie der Backbreaker. Ich hatte einfach gerade überhaupt keine Lust mehr auf Triathlon. Nachdem ich noch ein paar kleinere Gruppen überholt hatte, ging es dann in T2 (ja ich stand echt weit hinten beim Schwimmen). In der Wechselzone noch ein kurzer Tratsch mit einem anderen Deutschen, der nur meinte, dass die Athleten nichts für das Drafting auf der Strecke können, weil sie ja so flach und eng wäre…oder liegt es einfach nur daran, dass alle blind wie ein Maulwurf sind und den Abstand nach vorne nicht abschätzen können? Wir werden es nie erfahren…

 

Schnell und doch irgendwie langsam

 

Halbmarathonstart…Eigentlich sollte ich jetzt richtig aufdrehen können. Aber denkste :D Irgendwie war das ein klassischer Rohrkrepierer. Die ersten Kilometer waren zwar gut unter 4min/km, aber vom Gefühl her wusste ich, dass es auch noch einige geben wird, die deutlich langsamer sein werden. Wenn man eh schon angepisst ist, ist das eine super Ausgangsposition für 21 km. Nachdem die ersten 10 km noch einigermaßen okay waren, wurde es in der zweiten Hälfte echt zäh. Nicht nur Hitze und Strecke haben mir zu schaffen gemacht, nein jetzt meldete sich auch noch mein Magen. Bei jedem Schritt war es so, als ob mir jemand unangenehm in den Bauch sticht. Nach kurzer Überlegung ist mir dann aufgefallen, dass ich viel zu viele Kohlenhydrate in der 2. Stunde beim Radfahren eingeworfen hatte. Auch im hohen Triathlon-Alter ist man nicht vor Anfängerfehlern gefeit :D Mit kurzen Gehpausen in den Verpflegungsstellen konnte ich das Problem aber einigermaßen in den Griff bekommen. Doch ehrlich gesagt, habe ich mich selten so sehr nach dem letzten Rennkilometer gesehnt. Dieser war dann glücklicherweise größtenteils abfallend, sodass man für das obligatorische Zielfoto wenigstens etwas Speed aufnehmen konnte. Nach überqueren der Ziellinie stand für mich eine 4:17 Stunden auf der Uhr. Meine erste Reaktion war eine geballte Faust. Trotz 5-7 min Rückstand zum Rennplan im Halbmarathon eine super Zeit. Als meine Freundin mir meine Platzierung genannt hat (56. Overall und 8. AK) wurde aus der Faust eine runterfallende Kinnlade. Waren nur Sub9-Langdistanzathleten am Start? Was war da los? Nach 2 alkoholfreien Bieren musste ich dann feststellen, dass das halbe Feld ein 44er Schnitt gefahren ist…Kein Wunder,wenn die Refs ja gar nichts pfeifen…

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Keine Lust mehr auf Ironman-Rennen …

 

Am Abend war dann die WM-Slotvergabe und mit meiner Position habe ich mir zwar keine großen Chancen ausgerechnet, aber man kann ja mal schauen. Als ich dann die obligatorischen 2 Stunden dort saß und auf die AK30 gewartet hatte, kam eine Frage in mir auf. Willst du dir sowas noch einmal antun? Passend zu der Frage habe ich erst heute einen Artikel in der Frankfurter Rundschau gelesen in der Kurt Denk (hat den IM nach Frankfurt geholt) zu Protokoll gibt, dass Ironman auf dem besten Wege ist den Laden an die Wand zu fahren und nur Hawaii die Marke am Leben hält. Das trifft es eigentlich für mich auf den Punkt. Wer von uns kennt denn nicht die Bilder vom Ironman Mallorca, wo 100er Felder über die Strecke bügeln. So macht das einfach keinen Spaß mehr, wenn man den Sport ehrlich betreiben möchte. Hoffentlich fühlt sich der ein oder andere Leser auch ertappt und hinterfragt sich einmal, ob die PB sportlich wirklich einen Wert hat, wenn sie so erreicht wurde. Ich für meinen Teil bin wohl, wie in der Einleitung erwähnt, durch mit dem Thema Ironman. So muss ich auch wenigstens keine 30 min Dauerwerbesendung mehr sehen, wie bei der WK-Besprechung letztes Jahr in Zell…Von dem immer schlechter werdenden Service möchte ich erst gar nicht anfangen. Aus dem Grund wird man mich wohl wieder, wie in den letzten Jahren, mehr auf kleineren Veranstaltungen treffen …