Ironman Hawaii 2010: Seite an Seite durch die Hitze der Lavafelder

von Stefan Drexl für tri2b.com | 20.10.2010 um 00:00
Es hat 42 Grad im Energy Lab und der Asphalt kocht. Im Flimmern erkennt man zwei Triathleten die Straße hinauflaufen. Längst sind sich beide am Wendepunkt begegnet und haben mit einem kurzen Blick ins Gesicht des Anderen erkannt, was auf den letzten heißen Kilometern durch die Lavafelder noch möglich ist und was nicht. Konsequent verkleinert sich der Vorsprung des Führenden und es scheint, als könne der auch nichts entgegnen. Bei Kilometer 35 dann der Kontakt. Was sich zwischen Andreas Raelert und Chris McCormack jetzt abspielt, spiegelt die Besonderheit dieses Triathlons und dieses Ortes. Seite an Seite geht es den ganzen Weg vom Honokohau Harbor bis zur Palani Road.

Ein bisschen erinnerte der Marathon des Ironman Hawaii 2010 an die legendäre Schlacht von 1989 zwischen Mark Allen und Dave Scott, möchte man denken. Doch jeder Ironman auf Hawaii schreibt jedes Jahr aufs neue seine eigene Geschichte, die mal mehr, mal weniger spektakulär, aber stets einzigartig ist. Andreas Raelert fand das aufreibende Finale des diesjährigen Rennens zwischen ihm und dem Australier Chris McCormack eher weniger unterhaltsam. Es war für ihn am Ende eine Phase des Leidens und McCormack klar der bessere. „Ich war froh, am Schluss überhaupt noch ins Ziel gekommen zu sein“, sagte Raelert und wurde an diesem Tag nicht mehr gesehen. Selbst die Pressekonferenz hat er ausfallen lassen und wer ihn kennt, der weiß, dass er sich dann richtig verausgabt haben muss. Kurz vor der Ecke Palani Road und Kuakini Highway war es vorbei mit der Zweisamkeit, und mit dem ersten Versuch des Australiers weg zu ziehen, kam zu den Schmerzen der Kopf hinzu. Was jedoch bis zu diesem Zeitpunkt zu sehen war, hatte jenen sportlichen Charakter, der den Ironman Hawaii und den Aloha-Spirit ausmachen. Es hat dem Rennen die Dimension verliehen, die es verdient. Es war ein anderer McCormack, als der, den wir von zahlreichen verbalen Attacken kennen, der seine Gegner auch mit Worten zu provozieren und zu demotivieren versucht.

McCormack ein würdiger Lava-Champion


Der Australier hat diesmal ganz allein seiner Leistung vertraut und dabei den richtigen Ton getroffen. Als der Deutsche endlich zu ihm aufgeschlossen hat, war McCormack sogar froh, wie er hinterher erzählte. Ellenbogen an Ellenbogen sind die beiden entlang des Queen K Highways gelaufen, umringt von einer Medienschar. Dann die prägende Szene dieses Rennen, die dem Ironman Hawaii 2010 seinen Stempel aufgedrückt hat. Der 37-jährige Australier dreht sich zu dem Deutschen und meint, “egal wie das hier und heute ausgeht, du bist auf alle Fälle ein Champion.“ Raelert reicht ihm die Hand und bedankt sich. Und das ganze immer noch bei einem Tempo weit unter 4 Minuten pro Kilometer.

Reaching the Limits

Die Palani Road hinunter wurden die Schritte von Chris McCormack dann länger, doch ein sichtlich erschöpfter Andreas Raelert war bei Fuß und hielt dagegen. So einfach ist ein Raelert nicht abzuhängen und so hielt der Deutsche den Kontakt. Was aber dann folgte, kann nur verstehen, wer selbst schon einmal am absoluten Limit und Rande der Erschöpfung gelaufen ist. Nur noch 1,5 Kilometer vor dem Ziel war bei Andreas Raelert der Tank leer und der Körper derart überhitzt, dass er an der letzten Verpflegungsstelle alles Wasser und Cola nahm was er bekommen konnte. Natürlich nutzte der Australier die Gunst der Stunde und suchte die Flucht nach vorne. Andreas Raelert erreichte mit großen Schwierigkeiten das Ziel und verlor sogar noch über eine Minute auf der letzten Meile. Das wäre sogar beinahe noch knapp geworden, denn an Position drei laufend ist Marino Vanhoenacker immer näher an das Spitzenduo heran gekommen. Der Belgier hatte sich vorgenommen, seiner zu Hause gebliebenen Tochter ein Geschenk aus Hawaii mit zu bringen.

Vanhoenacker war derart motiviert, dass er Sekunde für Sekunde den Führenden abnahm. Zwischenzeitlich hatte man sogar den Eindruck gewonnen, die beiden würden in trauter Zweisamkeit vergessen, dass sie nicht alleine unterwegs nach Kona sind. Auf 57 Sekunden war Marino heran gelaufen, doch es sollte am Ende für Andreas Raelert reichen. Er hat hier in Kailua Kona nicht den ersten Platz verloren sondern den zweiten gewonnen und an diesem Tag wohl sein bisher großartigstes Rennen abgeliefert und ein weiteres Zeichen gesetzt. Nach Platz drei im Vorjahr jetzt der zweite Platz, wir sind aufs nächste Jahr gespannt.Chris McCormack war an dem Tag in Kailua-Kona einfach nicht zu schlagen, den Grundstein für seinen Erfolg hat er jedoch bereits Tage zuvor gelegt.

Dass man seinen Landsmann Craig Alexander nur dann bezwingen kann, wenn man ihn auf dem Rad „kaputt“ fährt, für diese Taktik hat er die besten Radfahrer des Rennens zu begeistern versucht. Dass die Deutschen da natürlich ganz entscheidend sind, unter anderem Andreas Raelert, weiß er zu schätzen. „Die können ja alle wie Wahnsinnig fahren und haben einen enormen Druck auf dem Rad“, erkennt der Australier deren Leistungen an. Auf gar keinen Fall darf man zusammen mit Alexander vom Rad steigen, dafür läuft der einfach zu gut.Sprints hatte er zusammen mit Terrenzo Bozzone entlang des Alii Drive bis zum Banyan Tree trainiert. „Nur zum Spaß“, wie er meinte, „man kann ja nie wissen“. Doch bereits im Vorfeld schien ihm klar zu sein, dass die Spitze immer dichter zusammen rückt und es zukünftig durchaus zu knappen Entscheidungen kommen wird.

Wo ist Chrissie?

Die war bei der weiblichen Konkurrenz ja nun nicht zu erwarten, zumindest was den ersten Platz betrifft, war eigentlich allen die Dominanz der britischen Triathlon-Königin klar. Zum vierten Mal in Folge wollte Chrissie Wellington die Krone der Ironqueen in Kailua-Kona und strahlte bei den Schwimmeinheiten der Vortage große Vorfreude aus. Selbstbewusst teilte sie in einem Interview an der Pier mit, dass sie nur hier herkommen, um neben einer schönen Zeit wieder Weltmeisterin zu werden, aber nicht einfach nur ein weiteres, ein viertes Mal. Sie möchte ihre Leistung der Vorjahre erneut verbessern, diesen Anspruch hat sie an sich selbst, alles andere würde keinen Spaß machen.

Als ich dann um 5:30 Uhr im Pressezentrum von Kailua-Kona meinen Rechner anmache, traute ich meinen Augen nicht, was als Eilmeldung über den Ticker lief. „Chrissie Wellington verzichtet auf den Start beim Ironman Hawaii 2010“, hieß es da. Die Begründung folgte kurz und knapp, „sie fühle sich heute nicht so, als könnte ihre Leistung für eine Titelverteidigung reichen.“ Einen Raunen ging durch den Saal und zahlreiche Spekulationen machten die Runde. Es hätte keinen Sinn gemacht, sich daran zu beteiligen, denn der Start des Ironman Hawaii 2010 stand um 6:30 Uhr bevor und der würde auch ohne der Britin erfolgen. Entscheidender war vielmehr, dass das Rennen der Damen nun einen ganz anderen Stellenwert bekam und die Karten neu zu mischen waren.

Wo ist Sandra?

Wer hätte jetzt eine Chance auf den Sieg, durch den Verzicht der Titelverteidigerin? Da stand natürlich ein Name ganz oben, Sandra Wallenhorst, die Ironman Europameisterin 2010. Die hatte sich aber gleich zu Beginn des Radrennens verfahren, fast nicht vorstellbar, aber damit waren alle Chancen vertan, denn was folgte war die Disqualifikation. Blieben nur noch Mirinda Carfrae, Julie Dibens und Virginia Berasategui. Letztere war schon zur Pressekonferenz nicht erschienen, die zweit genannte trat zum ersten Mal an, die Australierin Carfrae dagegen, sie kannte das Pflaster und war im Vorjahr bereits Zweite.So brachte das Rennen auch die nun zu erwartende Spannung und wechselnde Spitzenreiter. Ganz nach dem Geschmack aller Betrachter und ein ungewohntes Bild, was die vergangenen Jahre betrifft. Am Ende zahlte sich dann auch hier die Erfahrung aus und Mirinda Carfrae konnte sich die Krone des Ironman Hawaii 2010 aufsetzen. Sie hat dann im Ziel ihre Kolleginnen auf den Plätzen zwei und drei Empfangen und sich in Kailua-Kona einen langen Traum erfüllt.

Der Ironman Hawaii 2010 ist damit Geschichte und hat wieder einmal seinem Mythos aller Ehren gemacht. Dass sich vieles verändert hat, haben wir oft diskutiert, dass die 3,8 km, die 180 km und der Marathon unter diesen Bedingungen aber nach wie vor erst einmal geschwommen, gefahren und gelaufen werden müssen, bevor ein Sieger und eine Siegerin feststehen ist gleich geblieben. Die Härte und die Unberechenbarkeit dieses Triathlon sind nach wie vor Einzigartig und Bestätigen jedes Jahr aufs neue die Faszination dieser Sportart. Wir sehen uns 2011.