Das erstaunliche Zusammenspiel der Netzwerke der Bakterien oder das zweischneidige Schwert der Antibiotika - Teil 2

von Dr. Susann Kräftner für tri2b.com | 27.09.2015 um 21:12

3. Bakterien sind nicht gut oder schlecht an sich, noch ist es Hygiene – das Umfeld ist von Bedeutung


Also zurück zur Klasse der Antibiotika, die sich gleichsam in die biochemischen Signalwege der Bakterien einmischen. Um die vielen Probleme zu verstehen, mit denen wir es heute aufgrund unseres leichtsinnigen Gebrauchs von Antibiotika zu tun haben, sollten wir eine grobe Vorstellung davon haben, wie Bakterien funktionieren und so seit Milliarden von Jahren auf diesem Planeten überleben konnten. Menschen und Bakterien koexistieren seit Menschen Gedenken in einer Symbiose. Unser Darm beherbergt mehr Bakterien (bis heute sind mehr als 500 Spezies identifiziert) als unser Körper Zellen hat. Alle unsere Schleimhäute, werden von Bakterien besiedelt, die eine integrale Rolle dabei spielen, unseren Körper im Gleichgewicht zu halten. Ein jeder von uns besitzt sein eigenes mikrobielles Ökosystem. Das heißt, dass die E.coli in meinem Darm für mich nicht krankheitserregend sind, aber bei Ihnen sehr wohl eine Krankheit verursachen könnten.

Bakterien stehen am Anfang komplexerer Lebensformen, die letztlich durch Zellfusionen entstanden sind. Und Bakterien spielen eine wichtige Rolle für unser Wohlbefinden, unser Organismus braucht sie. Aktuelle Untersuchungen haben in menschlichen Zellen Rezeptoren gefunden, die in Teilen identisch mit Bakterien-sind oder aber ganze Bakterien widerspiegeln. Diese Rezeptorenfamilie macht einen essenziellen Bestandteil unseres angeborenen Immunsystems aus und ist in der Lage, bakterielle Komponenten zu identifizieren. Man weiß heutzutage, dass unser Immunsystem Muster an Rezeptoren auf Immunzellen abbildet, die in der Lage sind, alle bekannten Bakterienspezies wahrzunehmen. Dies war nur ein kurzer Umriss der positiven Aspekte von Bakterien. Es folgen die Negativen, wenn Bakterien sich gegen uns wenden.

Bakterien wurden nahezu zu einem Synonym für gefährlich und schmutzig. Das ist nicht verwunderlich, wenn man in der Geschichte zurückgeht, als noch tausende Menschen oftmals auch schon sehr jung an bakteriellen Infektionen gestorben sind. Wir haben uns schon in der Sicherheit gewähnt, dass wir dieses Problem nach der Entdeckung der Antibiotika gelöst hätten. Aber jeder weiß, dass das nicht der Fall ist. Wenn wir nicht aufpassen, könnten wir sogar in die Prä-Antibiotika Ära zurückfallen.

 

 

Der Tanz auf dem zweischneidigen Schwert

 

Hygiene war einer der größten Schritte auf dem Weg zu einer erfolgreichen westlichen Medizin. Aber genau diese Hygiene wendet sich heute gegen uns. Die mikrobielle Ökosysteme im Boden und in der Luft sind aus dem Gleichgewicht geraten. Die Balance zwischen den vielen Arten und Stämmen von Bakterien, die einander gegenseitig kontrollieren läuft mehr und mehr aus dem Ruder. Wie die Welt der Pflanzen so drängen wir auch die Welt der Bakterien aus der Vielfalt in die Monokultur. Die Folge ist die Entstehung resistenter Bakterienstämme, ein weiteres könnte das vermehrte Auftreten von Allergien und Autoimmunkrankheiten sein (ein anderes Thema, ein anderer Artikel!).

 

Das Reich der Bakterien ist ein engmaschig verwobenes kommunizierendes Netzwerk

 

Die Bakterien und das Prinzip ihrer Organisation sind für viele der Probleme verantwortlich, die wir durch die Antibiotika haben. Wir hätten die Bedrohung schon viel früher erkennen können. Doch erst in den letzten Jahren erkannten wir, dass der horizontale Gen-Austausch unter Bakterien eine ihrer universellen Eigenschaften, eine Eigenschaft, die seit Jahrtausenden von mikrobiellen Evolutionen besteht. Wie schon erwähnt, belegt der Nachweis von bakteriellen Genmaterial im Zellkern des Menschen und anderer Lebewesen die große Bedeutung des horizontalen Gentransfers für die Entwicklung des Genoms einerseits und der Organisation der Bakterien untereinander auf der anderen Seite.

 

4. Sind Antibiotika und Resistenz ein untrennbares Paar?

 

Die Art und Weise, wie Bakterien miteinander kommunizieren, wie sie Genmaterial untereinander auszutauschen und die Tatsache, dass sie selbst Antibiotika produzieren und Antibiotika-Gene exprimieren, zeigt, dass die Resistenz ein integraler Bestandteil des Problems im Umgang mit Bakterien und Antibiotika ist.
Offensichtlich ist also die Resistenz schon immer da gewesen. Vielleicht ist sie eine entscheidende Eigenschaft für das Überleben von Bakterien. Die Geschwindigkeit, mit der Resistenzen gegen Antibiotika entstehen, ist die Kehrseite einer der wertvollsten Entdeckungen der Menschheit.

Penicillin wurde 1928 von Alexander Fleming entdeckt und bereits 1940, einige Jahre vor der Einführung von Penicillin als Therapeutikum, wurde die bakterielle Penicillinase identifiziert. Schon zu dem Zeitpunkt, als das Antibiotikum zum ersten Mal weitreichend eingesetzt wurde, kam es zur Bildung resistenter Keime, die den Wirkstoff Penicillin inaktivierten. Dieses Phänomen trat eine riesige Untersuchungswelle los, die sich zum Ziel setzte, andere Verbindungen zu finden, die von Penicillinasen nicht abgebaut werden konnten. Erst jetzt, nachdem wir wissen, was wir heute wissen, erkennen und schätzen wir den Wert der Identifizierung einer bakteriellen Penicillinase, bevor wir das Antibiotikum einsetzen. Kürzliche Untersuchungen bestätigen, dass eine große Zahl an Antibiotika-resistenten Genen Komponenten natürlicher mikrobieller Populationen sind.

 

Lassen Sie uns einen näheren Blick auf diese kleinen Kreaturen werfen

 

Bakterien sind Lebewesen. Sie besitzen ihr eigenes Genom und ihren eigenen Stoffwechsel, der eine große Zahl an Molekülen - von denen wir nur wenig wissen - produziert und freisetzt. Bakterien verfügen über Pumpsysteme, die einer intrazellulären Anhäufung von Molekülen vorbeugen, die sie töten oder lähmen könnten. Die Koexistenz von Synthese- und Resistenzfunktionen in ein und demselben Bakterium wurde in jüngsten Studien bestätigt. Es erscheint logisch, dass die Resistenz ein Schutzmechanismus ist, ein Element des Bakteriums, das es für sein chemisches Gleichgewicht benötigt.

 

Bakterielle Monokulturen im Labor oder Bakterien in der Wildnis zu beobachten, ist etwas völlig anderes

 

Erst vor kurzem haben Wissenschaftlicher angefangen, Erreger in ihrer natürlichen Umgebung zu studieren. Und es passierte, was üblicherweise auftritt, wenn man das Labor verlässt und einen flüchtigen Blick auf die Natur wirft: man ändert seine Denkweise und dann arbeitet man an seiner Hypothese. Und so erging es auch den Wissenschaftlern, die Bakterien in der Wildnis beobachteten.
Sie sahen eine große Zahl bioaktiver Moleküle, die von den Bakterien produziert wurden. Daran knüpften sich viele offene Fragen, deren Antworten noch  nicht gefunden sind. Die Eigenschaft der antibiotischen Aktivität war nur eine der biologischen Charakteristika der vielen kleinen bioaktiven Moleküle. Sie weisen eine umfangreiche Multifunktionalität auf und sind sehr wahrscheinlich an die Signalübermittlung von Zelle zu Zelle innerhalb des Bakteriums beteiligt, aber auch an der zwischen den verschiedenen Bakterien-Netzwerken und  und der zwischen anderen Organismen (Pilze, Pflanzen, Insekten und sogar menschlicher und tierischer Wirte). Die Forscher schlugen einen neuen Weg ein, indem sie die Interaktionen innerhalb komplexer bakterieller Gemeinschaften (Mikrobiome) in unterschiedlichen Umgebungen untersuchten. Sie erkannten, dass viele Krankheiten als Folge von Infektionen mit einem Bakteriengemisch auftreten. Was diese Forschungsergebnisse für uns bedeuten könnten, wird sich erst zeigen müssen.

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