Kurzmeldung


Pfeiffer'sches Drüsenfieber: Auszeit - Ein Virus führt Regie

von Jens Richter für tri2b.com | 20.03.2004 um 22:10
Das Virus des Pfeiffer’schen Drüsenfiebers (Infektiöse Mononukleose) hat eine ausgesprochene Schwäche für junge Sportler. Fast jeder Mensch trägt den Erreger in sich.

Benjamin Sonntag lag perfekt im Plan. Der beste Wintertriathlet der vergangenen Saison hatte sein Grundlagentraining im späten April 2002 aufgenommen, als die „Sommerkollegen“ ihrer Wettkampfform bereits den letzten Schliff gaben. 

Ein Gefühl wie im Übertraining 
Doch während Sonntag’s Trainingspartner aus Medebach, Westfeld und Willingen mit jeder Trainingseinheit, jedem Rennen kraftvoller und tempohärter wurden, ging dem ehrgeizigen Sauerländer immer schneller die Luft aus. Überzockt? Er war selbst kurz davor, das zu glauben. Der Grund war ein anderer: hinter den Kulissen seines Immunsystems gab sich ein Virus namens Epstein-Barr (EBV) redliche Mühe, die Trainingsplanung des Kaderathleten an sich zu reißen. 

Großzügig verteilt 
Über 95 Prozent aller Dreißigjährigen, so sagen es die einschlägigen Lehrbücher, haben das Pfeiffer’sche Drüsenfieber (Infektiöse Mononukleose) bereits hinter sich, unbemerkt oder als unangenehme mehrwöchige Erkrankung. Das Virus wird als so genannte direkte Tröpfcheninfektion mit dem Speichel weitergegeben. 

Das erklärt seine große Verbreitung und auch die typischen Altersgruppen der Neuinfizierten: Kleinkinder im Kindergarten nehmen es mit der Zweckbestimmung vieler Gegenstände noch nicht so genau und darum vieles in den Mund. Später wird dann großzügig geteilt. 

Jugendliche zwischen 15 und 20 sind die zweite, besonders stark betroffene Gruppe. Nun, da gibt es nicht viel zu erklären. Außer diesem einen Hinweis: Die Krankheit wird umgangssprachlich auch „Kissing Disease“, „Kusskrankheit“ genannt. 

Der Infekt schlaucht 
Bei Kleinkindern verläuft der Infekt fast immer symptomlos, doch später führen Ansteckungen nach 10- bis 50-tägiger Inkubationszeit (so nennen Mediziner die Periode zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit) typischerweise zu einer „Halsentzündung“ mit Schwellung der Lymphknoten und zu kräftigem Fieber. 

Wenn sich die befallenen Abwehrzellen (B-Lymphozyten) dann in der Blutbahn verselbständigen und vermehren, beginnt das Immunsystem mit Gegenmaßnahmen, der Vernichtung der virenbeladenen Lymphozyten (Virozyten). Der ganze Kampf dauert üblicherweise zwei bis drei Wochen, schlaucht das gesamte blutbildende System und die Abwehr aber erheblich. Danach ist man für den Rest des Lebens immun. Im Normalfall – doch der kennt große Ausnahmen, wie das Beispiel Benjamin Sonntag zeigt. 

Manchmal monatelange Müdigkeit 
Erstens kann die Erkrankung auch ein weiteres Mal ausbrechen, wenn das Immunsystem hoch strapaziert wird oder erkrankt. Oft lauern nämlich Restpopulationen des Virus in den B-Lymphozyten auf ihre zweite Chance. Zweitens ist das Spektrum denkbarer Symptome groß: Müdigkeit und Abgeschlagenheit treten oft, kräftige und teilweise schmerzhafte Schwellungen des „lymphatischen Systems“ (Lymphknoten, Mandeln, Milz) bei über 50 Prozent der Erkrankten auf, so die Lehrmeinung. 

Manchmal kommt es zusammen mit der Mandelentzündung zu einer Blutung in die Mundschleimhaut am Gaumen (3 Prozent), manchmal zu einer Leberentzündung (11 Prozent) mit Gelbsucht (5 Prozent der Fälle). Schnupfen und Bindehautentzündungen des Auges können ebenfalls auf die Krankheit hinweisen (es muss nicht immer Heuschnupfen oder eine Chlorallergie dahinter stecken). Ungewollter Gewichtsverlust und Blutarmut (Anämie) sind nicht typisch Pfeiffer’-Fieber, sondern typisch für viele länger andauernde Virusinfektionen. 

Verschärft zuwarten bis zur Entwarnung aus dem Labor 
Tarnung, Vielfalt und Verwirrspiel sind die eine Seite der Infektiösen Mononukleose, doch wenn die Diagnose einmal feststeht, wird’s arg langweilig. Ob das Krankheitsgefühl nun jeden Tag da ist oder nicht – solange die Ärzte eine aktive Infektion nachweisen können, lautet das Diktat: Trainingspause, Ruhe, geregelter Tagesablauf und viel Schlaf. Wochenlang und konsequent. 

Sonst kann man nämlich wenig tun, nur die Symptome lindern (Medikamente oder Wickeln gegen Schmerzen und Fieber) und eventuelle bakterielle „Opportunisteninfektionen“ mit Antibiotika (Vorsicht: der Wirkstoff Ampicillin verursacht dann häufig Hautausschläge) bekämpfen. 

Man kann aber jede Menge falsch machen: Die gefürchtetste Komplikation bei Sportlern ist ein Riss der geschwollenen, hart gespannten Milzkapsel während sportlicher Anstrengung. Die dann auftretende Massenblutung in die freie Bauchhöhle wäre nur durch eine Not-Operation (Entfernung der Milz) zu beherrschen. 

Eine zu frühe Wiederaufnahme des Trainings kann aber auch schweren Organinfektionen Vorschub geben: Leberschäden, schwere Hirnhautentzündungen und lebensgefährliche Herzmuskelentzündungen werden mit dem Pfeiffer’schen Drüsenfieber in Verbindung gebracht und haben schon verheißungsvolle Sportlerkarrieren enden lassen. Bei hartnäckigen Prozessen kann eine zeitlich begrenzte Kortisontherapie vom Arzt versucht werden. (Einstieg mit hoher Dosis, dann stufenweise Reduktion). Derzeit forschen Mediziner außerdem am Einsatz von bestimmten Eiweißen (Interferonen) zur Bekämpfung des Virus. 

Ein Athlet zum Vorzeigen 
Benjamin Sonntag hat mit dem Pfeiffer’schen Drüsenfieber inzwischen seine Erfahrungen gemacht. Er ist ein echter „Vorzeige-Athlet“ geworden: Sein Beispiel zeigt einen Großteil des Repertoires des Epstein-Barr-Virus, aber auch, welche Erfolge eine Saison bringen kann, deren Vorbereitung durch die „Kissing Disease“ so gründlich aus dem Takt geriet. 

Sonntag hat nach langen Wochen der Ungeduld und Unsicherheit alles gewonnen, was es im Wintertriathlon zu gewinnen gibt. Offen bleibt nur noch die Frage, wo sich der damals 20-Jährige angesteckt haben mag ...