Kurzmeldung


Sportmedizin: Was ist erlaubt, was verboten? (Doping - Teil 1)

von Dr. med. Harald Funk für tri2b.com | 25.10.2004 um 22:06
Mit dem hochaktuellen Thema "Doping im Triathlon" setzt tri2b.com seine Reihe zur Sportmedizin fort. Darin gibt der Sportarzt und "Triathlonprofi" Dr. Harald Funk einen Überblick über die pharmakologischen Hintergründe, die (oft falschen) Erwartungen dopender Sportler an die eingesetzten Substanzen, die großen Risiken ihrer Anwendung, aber auch die moralischen und juristischen Aspekte des Dopings. Wie relevant das Thema ist, zeigt der jetzt publik gewordene, positive Dopingtest des belgischen Hawaii-Fünften Rutger Beke, der des EPO-Missbrauchs überführt wurde.

In den vergangenen Jahren mag die Öffentlichkeit und vielleicht auch mancher Dopingfahnder den Triathlon als Insel der Glückseligen betrachtet haben. Dopingfälle wurden kaum öffentlich, während der im Leistungsprofil ähnliche Profiradsport regelmäßig von veritablen Skandalen um die unerlaubte Leistungssteigerung mit Medikamenten heimgesucht wurde. Doch der Eindruck, dass Doping im Triathlon keine Rolle spielt, wurde in den vergangenen Wochen mit dem Bekanntwerden von vier Dopingfällen deutscher Athleten jäh widerlegt. Während bei einer in der A-Probe positiv getesteten Athletin das Ergebnis der B-Probe noch nicht bekannt gegeben wurde, berichtete dieses Magazin die anderen drei Fälle (Thomas Braun, André Bour und Katja Schumacher) bereits ausführlich. 

Wann ist es Doping? 
Noch in den 70er Jahren herrschte in den meisten Sportverbänden die Meinung vor: Erlaubt ist, was nicht verboten ist, oder was den Sportlern nicht nachgewiesen werden kann. Viele Sportler, Trainer und zum Teil leider auch deren betreuende Mediziner sowohl im damaligen Ostblock als auch im Westen waren fortwährend auf der Suche nach neuen „ergogenen“ Substanzen, also von außen zugeführten Mitteln, die dazu geeignet waren, die Leistung der Athleten zu verbessern. Erfolgreiche Sportler waren ein wichtiges Propaganda-Instrument der Politik, Doping geschah nicht selten mit Wissen und Billigung des Staates. Zwangsläufig führte das zu einem höchst fragwürdigen Wettrüsten zwischen Sportlern und Dopingbekämpfern. 

Der Autor Dr. med. Harald Funk,
Stationsarzt in einer orthopädischen 
Fachklinik am Chiemsee, ist seit mehr
als 10 Jahren mit Ehefrau Heike im
Triathlonsport aktiv und konnte sich
dabei wiederholt bei gut besetzten
Rennen auf vorderen Rängen
platzieren (u. a. IM Lanzarote 1996
Rang 4, QCR 2003 Rang 9).

Die moderne Definition von Doping, so wie sie auch in der kürzlich neu überarbeiteten Antidoping-Ordnung der DTU formuliert wurde, ist deutlich umfassender. Da heißt es:: 
"Doping liegt vor, wenn (…) Substanzen mit verbotenen Wirkstoffen oder verbotene Methoden oder Techniken angewandt werden oder ihre Anwendung zugelassen wird. Dies gilt unabhängig davon, ob eine verbotene Substanz, Technik oder Methode Wirksamkeit entfaltet hat.“ 

Auch Unbekannte auf der Liste 
Oberflächlich betrachtet darf man auch nach der aktuellen (juristischen, nicht moralischen!) Dopingdefinition alles einnehmen, was nicht explizit verboten ist. Wenn man aber die Liste verbotener Substanzen und Methoden, einzusehen z. B. bei derNationalen Anti Doping Agentur (NADA), unter die Lupe nimmt, wird man feststellen, dass auch Substanzen (und Methoden), die eine ähnliche Wirkung, wie die dort namentlich aufgeführten Substanzen entfalten, automatisch „mitverboten“ sind. In dem letztjährigen Dopingskandal um die von einem kalifornischen Nahrungsergänzungshersteller (Balco) extra für Dopingzwecke entwickelte Designerdroge THG kam diese Regel zur Anwendung. Genauso im Fall der Sprinterin Kelly White, die nach ihrem Sieg bei der Weltmeisterschaft auf das neu auf den Markt gekommene Medikament Modafinil positiv getestet wurde, ein Aufputschmittel, das noch auf keiner Dopingliste verzeichnet war. In beiden Fällen kam es zu klaren Verurteilungen, da die gefundenen Substanzen dem Wesen nach zu den entsprechenden, auf der Dopingliste verzeichneten und beschriebenen, Hauptgruppen zuzurechnen sind, ohne dass sie dort explizit aufgeführt waren. 

Grenzwerte und Quotienten 
Etwas kompliziert wird die Dopingliste dadurch, dass manche zum Doping geeignete Substanzen wie z.B. Testosteron, Nandrolon, Wachstumshormone oder Erythropoietin (kurz EPO) auch in gewissen, individuell unterschiedlichen Mengen vom menschlichen Körper selbst produziert werden. Für einen juristisch haltbaren Dopingnachweis mussten die Fachleute deshalb für diese Stoffe bestimmte Grenzwerte oder Quotienten definieren, um das Normale und somit Erlaubte vom Illegalen zu trennen. 

Um jetzt nicht vor lauter Details bezüglich der in der Antidopingliste festgelegten Testosteron/Epitestosteron-Quotienten, zulässigen Hämatokrit-Werte oder Nandrolon-Urinkonzentrationen den Überblick über das große Ganze zu verlieren, zunächst mal ein kurzer Ausflug zu den entwicklungsgeschichtlichen Grundlagen sportlicher Betätigung. Aus diesen lassen sich durchaus wichtige Rückschlüsse zum Thema Sport im Allgemeinen, im Speziellen aber auch zum Thema Doping ableiten: 

Jagd und Flucht 
Evolutionsgeschichtlich ist Sport wohl nichts anderes als die spielerische Imitation von Jagd und Flucht. Der Mensch hat sich im Rahmen der Evolution über mehrere hunderttausend Jahre entwickelt, wobei es sich als zweckmäßig erwiesen hat, dass der Mensch sich in weitaus stärkerem Maß als sämtliche uns bekannten Tierarten an unterschiedliche Lebensbedingungen anpassen kann. Wer sich als frühgeschichtlicher Homo sapiens in einer Gegend niedergelassen hatte (z.B. der Steppe) wo er auf der Jagd täglich etliche Kilometer in ansehnlichem Tempo zurückzulegen hatte, tat sich damit nach einer gewissen Anpassungszeit leichter und konnte seinen Aktionsradius zunehmend steigern (= die biologische Begründung der Wirksamkeit von Training). Wer am erfolgreichsten auf der Jagd oder auch beim Sammeln essbarer Pflanzen war, konnte das eigene Überleben und das der Nachkommen besser sichern und damit bevorzugt die eigenen Gene weitervererben. 

Noch wichtiger waren Faktoren wie Laufgeschwindigkeit und Ermüdungsresistenz (=Ausdauer) auf der Flucht (beispielsweise vor einem wilden Tier wie einem Säbelzahntiger) In einer solchen Extremsituation kommt der über kurze Strecken erreichten maximalen Leistungsfähigkeit eine noch wichtigere, das Überleben bestimmende Rolle zu. Größer als beispielsweise auf der täglichen Suche nach Pflanzen oder der Jagd nach tierischer Beute, wo man nach einer geringem Jagdglück in der Regel eine zweite Chance hatte. Für Extremsituationen im Kampf ums Überleben oder auf der Flucht vor einem übermächtigen Gegner hat die Natur den Menschen mit einer Leistungsreserve ausgestattet, die nur in außergewöhnlichen, lebensbedrohlichen Stresssituationen mobilisiert werden kann, nicht aber bei der „normalen“ Alltagstätigkeit. 

Sicherungskasten 
Der biologische Sinn dieser eingebauten Sicherung liegt auf der Hand: Wenn der Urmensch nach erfolgreicher Jagd müde nach Hause lief, sollte er gleichwohl bei einem dabei plötzlich und unerwartet erfolgenden Angriff durch ein wildes Tier oder auch durch Mitglieder eines anderen feindlich gesinnten Urmenschstamm noch in der Lage sein, sich zu wehren oder zumindest so schnell wegzulaufen, dass er noch eine Überlebenschance besaß. In einer solchen Situation war unser Urmensch in der Lage, sich buchstäblich bis zum Umfallen (=Niederlage) oder bis zum Sieg oder der erfolgreichen Flucht „auszubelasten“. In einer solchen Extrem-Situation war es natürlich auch völlig unerheblich, ob die individuelle Lebenserwartung durch die „übermenschliche“ Anstrengung um zehn Jahre verkürzt wurde oder irgendwelche „gesundheitlichen Spätfolgen“ zu befürchten waren. 

Was hat dieser Exkurs in die Stammesgeschichte jetzt mit Doping zu tun? Viele im Sport verbreitete Dopingsubstanzen zielen darauf ab, die oben beschriebene, „autonome Überlebensreserve“ anzugreifen für eine sportliche Höchstleistung. Sie befähigen den dopenden Sportler, sich in einer „Alltagssituation“ – und eine solche ist der sportliche Wettkampf – in einer Weise zu verausgaben, wie es sonst nur in Todesgefahr möglich ist. Mit allen zu erwartenden Risiken: Überlastung des Herzkreislaufsystems (mündet im Extremfall in Herzversagen), Gefäßverschlüsse (z.B. bei zu hohem Hämatokrit-Wert bei EPO-Mißbrauch), Überlastung des Immunsystems (für viele klassische Dopingmittel, v.a. Steroide, ist eine statistische Häufung von Krebserkrankungen bekannt), Überlastung des orthopädischen Bewegungsapparats (Sehnenschäden, Gelenkarthrose). 


Die beiden kommenden Teile dieser Serie (jeweils am Sonntag und Mittwoch) werden sich im Detail mit den verschiedenen Substanzklassen beschäftigen und ihre pharmokologischen Wirkungen und Nebenwirkungen beschreiben. Die "verbotenen Methoden" und die Verbreitung des Dopings im Triathlon machen den Abschluss.