Schwimmen: Das Schultergelenk ist der Schwachpunkt

von Stefan Drexl für tri2b.com | 28.03.2012 um 16:17
Schwimmen ist gesund und eigentlich schonend für Gelenke, Knochen und Muskulatur. Je länger und wärmer die Tage wieder werden und je näher die Triathlonsaison rückt, umso mehr Athleten sieht man in den Bädern ihre Bahnen ziehen. Oft mit einer vor langer Zeit erworbenen Schwimmtechnik, Hauptsache die Muskeln schmerzen ordentlich nach vollbrachter Trainingseinheit. Je härter, umso besser. Immer wieder treten daher Verletzungen beim Schwimmen auf, die unabhängig von anatomischen Prägungen, meist ein deutliches Zeichen von Überbelastungen sind.
Der Unterschied des Schwimmers zur Landratte

Im Gegensatz zu Laufen und Radfahren muss sich der Schwimmer mit verschiedenen Besonderheiten im Wasser auseinandersetzen. Schwimmen erfordert den Einsatz des gesamten Körpers, dessen Muskel‐Skelett‐System koordiniert funktionieren muss, um die Bewegungen korrekt auszuführen und die maximale Bewegungseffizienz im Wasser erreichen zu können. Das wird deutlich, betrachtet man den Körper als Gliederkette. Bewegt sich ein Teil, so beeinflusst dies auch alle weiteren Körperteile. Die erzeugte Kraft der Arme wird über den Rumpf auf die Beine übertragen. Ist ein Glied (Körperteil) zu schwach, kommt es zu Kraftverlust, die Bewegungen des Körpers sind nicht mehr koordiniert und das Verletzungsrisiko nimmt zu.

Eine weitere Besonderheit des Schwimmens ist es, eine eigene
Stützbasis schaffen zu müssen. Schwimmer können sich nicht von einer stabilen Oberfläche abdrücken. Um die Bewegungen der unteren und oberen Körperteile effizient verknüpfen zu können, ist daher ein kräftiger und stabiler Rumpf erforderlich. Er bildet das Fundament an dem die Extremitäten mit Gelenken, Knochen und Muskeln befestigt sind und an dem die Kräfte wirken. Ist der Rumpf zu schwach, geht Kraft verloren und die Wasserlage verschlechtert sich dramatisch. Um ein besserer und schnellerer Schwimmer zu werden, ist das Training im Wasser natürlich die wirksamste Methode.

Da beim Schwimmen die Muskeln einerseits für die Fortbewegung (dynamisch) und andererseits für die Stabilisierung (statisch) des Körpers dienen, ist ein ergänzendes und gut geplantes Trockentraining (Rumpfkrafttraining) unerlässlich; um die Technik und Leistung zu verbessern, vor allem aber um das Verletzungsrisiko durch Überlastung und Dysbalancen zu vermeiden.

Eine Überlastungsschädigung kann jeden treffen

Verletzungen durch Überlastung betrifft nicht nur Hochleistungsschwimmer, die mehr als 5 Stunden pro Tag im Wasser sind und jährlich über 2500 Kilometer schwimmen. Das Verletzungsrisiko ist hier aufgrund einer sehr sauberen Technik und der dadurch minimierten unphysiologischen Belastung eher gering. Viel eher sind Freizeitschwimmer und ambitionierte Schwimmer, wie Triathleten, von Überlastungen betroffen. Sie steigern meist in sehr kurzer Zeit Umfang und Intensität des Trainings übermäßig, so dass sich das Muskel‐Skelett‐System nicht schnell genug anpassen kann. Es kommt zur Überlastung und zu degenerativen Schädigungen.

Am häufigsten von Überlastungen betroffen sind Schulter, Kniegelenke und die Wirbelsäule. Die Muskulatur der oberen Extremitäten ist bei der Kraultechnik für den Hauptantrieb verantwortlich und besonders gefährdet ist hierbei die Schulter als das zentrale Gelenk und ihre umgebende Muskulatur. Der Vorteil des Schultergelenks mit seinem enormen Bewegungsraum, dank der fehlenden knöchernen Gelenksführung, macht es besonders empfindlich für hohe und falsche Bewegungen. Durch die Rotation während des Vorschwungs beim Kraularmzug werden die Sehnen und Muskeln der Rotatorenmanschette dauernd und stark belastet. Kommt es zu einer Überreizung mit einhergehenden Schmerzen, spricht man von einer „Schwimmerschulter“.

Diagnose: Die Schwimmerschulter, ein Sammelsurium


Den großen Aktionsradius der gesamten oberen Extremität verdanken wir der komplexen Anatomie unserer Schulter. Besonders im Sport kommt uns diese Bewegungsfreiheit sehr zunutze, was sich allerdings bei Fehl‐ und Überlastungen für das Schultergelenk nicht immer positiv auswirkt. Es kommt zu Schulterverletzungen wie der Schulterluxation oder der sogenannten „Schwimmerschulter“. Durch wiederholte Überkopfbelastungen können spezifische intra‐ und periartikulären Weichteilschäden auftreten, die durch repetitive oder fehlerhafte Überlastungen zu starken Beschwerden für den Athleten führen können. Die Symptomatik ist jedoch komplex und so ist die Diagnose „Schwimmerschulter“ viel mehr ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von verschiedenen Problemen im Bereich der Schulter, wie den Muskeln und Sehnen der Rotatorenmanschette, sowie von diversen Bändern, dem Schleimbeutel und den Knochen des Schultergelenkes.

Die Rotatorenmanschette, oder auch Schulterschützergruppe genannt, besteht aus Obergräten‐ und Untergrätenmuskel, Kleinem Rundmuskel und Unterschulterblattmuskel. Die Hauptfunktion dieser Muskelgruppe ist Drehbewegungen am Schultergelenk auszuführen, der Beitrag für den Vortrieb im Schwimmen ist jedoch gering. Ihre entscheidende Rolle haben sie in der Rückholphase des Armes während des Kraularmzugs mit der Stabilisierung des Schultergelenks, die „Manschetten“‐Funktion. Die Schulter ist ein Kugelgelenk und die Muskeln der Rotatorenmanschette dienen als dynamische Stabilisatoren. Sie schaffen die stabilisierenden Gegenkräfte, um das Schultergelenk ähnlich eines Golfballs (Oberarmkopf ) auf dem Tee (Schultergelenkspfanne) zusammen zu halten. Ergeben sich nun muskuläre Dysbalancen der Rotatorenmanschette, wird der stabilisierende Mechanismus gestört und das Verletzungsrisiko steigt. Daher gilt beim Schultergelenk stets Mobilität vor Stabilität.

Ursachen der Schwimmerschulter

Der typische Bewegungsablauf des Kraularmzugs ist maßgeblich verantwortlich für das Entstehen von muskulären Dysbalancen. Für einen effizienten Vortrieb gilt es, den Arm möglichst weit durchs Wasser nach hinten zu drücken und nach dem Aushub neben dem Oberschenkel über Wasser weit nach vorne zu schwingen. Am Ende der Streckphase wird der Arm maximal abduziert und nach außen rotiert, beim Zurückführen (Adduktion) in die Zugphase nach innen gedreht (Innenrotation), um möglichst günstig zum Wasserfassen eintauchen zu können.

Für diese Bewegung werden hauptsächlich der Innenrotations‐ und der Brustmuskel beansprucht. Ihre Gegenspieler, die Außenrotatoren am Rücken ‐ und Schulterblatt werden kaum beansprucht. Trainiert man ergänzend mit Paddles die Kraftausdauer, so wird die bereits kräftige Brustmuskulatur weiter gestärkt und ein Ungleichgewicht der Muskelkräfte begünstigt. Mit der Kräftigung kommt es auch zu einer zunehmenden Verkürzung der Innenrotatoren. Die Mechanik des Schultergelenks gerät aus den Fugen, Oberarmkopf und Schultergelenkspfanne laufen nicht mehr zentriert und es kommt vermehrt zu einem Druck gegen das Schulterdach, wodurch der Schleimbeutel und die Supraspinatussehne gereizt werden. Die schmerzhafte Diagnose: Impingementsyndrom.

Prävention statt Rehabilitation

Es ist daher zu empfehlen, mit Wiederbeginn des Schwimmtrainings die Umfänge nur langsam zu steigern und erst nach einigen Wochen die Intensität zu erhöhen. Um muskuläre Dysbalancen von Beginn an zu vermeiden, ist eine gezielte Kräftigung der Rückenmuskulatur und der Außenrotatoren hilfreich und Dehnungsübungen des gesamten Schultergürtels. Aber richtig, denn zu viel ist ungesund: Nur die Muskeln dehnen und nicht die Bänder und die Gelenkkapsel. Viele der etablierten Stretchingübungen dehnen die Gelenkkapsel zu stark, was wiederum die Stabilität des Schultergelenkes verschlechtert. Vor allem der Brustmuskel neigt zur Verkürzung und führt zur typischen, schlechten Haltung vieler Schwimmer.

Paddles sollten grundsätzlich dosiert und maximal zu 20 Prozent des gesamten Trainingsumfanges eingesetzt werden, vor allem aber sollten sie nicht zu groß sein. Verspürt man erste schmerzende Symptome, sollte die Trainingsintensität reduziert und Paddleschwimmen eingestellt werden. Auf keinen Fall darf der Schmerz ignoriert werden. Nach einer kurzen Pause mit Dehnübungen des Schultergürtels kann man versuchen, noch einmal locker und mit Technikübungen weiter zu schwimmen. Verschwindet der Schmerz jedoch nicht, sollte das Training umgehend abgebrochen werden. Machen Sie eine Pause und suchen gegebenenfalls auch einen Sportarzt auf. Nutzen Sie die Pause für ausgleichende und ergänzende Dehn‐ und Kräftigungsübungen, bevor Sie wieder mit dem Schwimmtraining beginnen. Umfang und Intensität des Trainings sollten dann wiederum nur langsam gesteigert werden.