Chelsea Sodaro: Das Rennen ist wie eine Feier, in der ich mich für die harte Arbeit belohne

Harald Eggebrecht für tri2b.com | 15.06.2023 um 17:02
Mit Chelsea Sodaro kommt die amtierende Ironman Hawaii-Siegerin zum DATEV Challenge Roth powered by hep. Die 34-jährige US-Amerikanerin hat ursprünglich einen Lauf-Background und kam erst im Alter von 27 Jahren zum Triathlon-Sport. Der Einstieg gelang ihr über die Kurzdistanz, u.a. mit einem Weltcup-Sieg in Huatulco, bevor es zunächst auf die Mitteldistanz ging. Spätestens nach ihrem vierten Platz bei der Ironman 70.3 WM 2019 in Nizza war klar, dass Chelsea Sodaros Weg noch lange nicht vorbei ist. Während der Corona-Pandemie wurde sie im Frühjahr 2021 Mutter einer Tochter. 2022 feierte sie dann beim Ironman Hamburg als Zweite ihre Langdistanz-Premiere, bevor sie sich im Oktober zur Queen of Kona kürte. Wir haben mit Chelsea Sodaro während ihres Trainingsaufenthalts in St. Moritz ein Chat-Interview geführt und über ihr Training, die Mutterrolle, das Material-Setup und den bevorstehenden Start in Roth gesprochen.

tri2b.com: Vielen Dank, dass du dir mitten in deinem Trainingscamp in St. Moritz Zeit für dieses Interview nimmst. Auf Instagram hat man gesehen, dass du dort auch mit dem Schweizer Jan van Berkel auf dem Rad unterwegs warst. War er dein Fremdenführer?
Chelsea Sodaro (C.S.): Dass ich mit Jan van Berkel unterwegs war, hat vor allem damit zu tun, dass wir beide von Dan Plews gechoacht werden. Ich bin das erste Mal in St. Moritz und ich muss ehrlich sagen es ist ein Privileg hier in dieser Umgebung trainieren zu dürfen. Als ich vor meiner Triathlon-Karriere als Langstreckenläuferin immer die Bilder von anderen Athletinnen und Athleten gesehen habe, wie sie sich beim Bahntraining in St. Moritz auf ihre Auftritte in der europäischen Sommersaison und die großen Diamond League Wettbewerbe vorbereitet haben, da habe ich dies auf meine Bucket-List gesetzt. Ich wollte unbedingt mal hierher zum Training und nun konnte ich mir diesen Traum in diesem Frühsommer endlich erfüllen.

tri2b.com: Als Triathletin bist du allerdings nicht nur auf der Leichtathletik-Bahn in St. Moritz-Bad unterwegs. Es heißt vor allem auch Radkilometer sammeln, viele davon mit reichlich Höhenmetern gespickt?‘
C.S.: Ja das stimmt. Gestern sind wir zum Beispiel drei Pässe gefahren und haben dabei um die 4000 Höhenmeter gesammelt. Allein die Topografie zwingt einen dazu entsprechend intensiv zu fahren und so einen hohen Trainingsreiz zu setzen.

tri2b.com: Bist du bei diesen Pässetouren mit dem Triathlonrad oder mit dem Roadbike unterwegs? Schließlich sind es ja nur noch vier Wochen bis zu deinem Start bei der Challenge Roth.
C.S.: Ich habe hier in St. Moritz sowohl mein Canyon Speedmax und Canyon Aerod Roadbike dabei. Die spezifischen Einheiten fahre ich auf der Triathlon-Maschine. Die langen Pässetouren, wo es um die Ausdauer geht, fahre ich aber mit dem Straßenrad, weil das einfach angenehmer von der Haltung und vom Radhandling ist.

Chelsea Sodaro beim Radtraining während des Höhenaufenthalts in St. Moritz

 

tri2b.com: Lass uns doch ein bisschen über dein Höhentraining sprechen. Als ehemalige Langstreckenläuferin hast du wahrscheinlich schon einige Erfahrungen gesammelt?
C.S.: Zu meiner Zeit als Läuferin habe ich öfters in der Höhe trainiert. Die Trainingsorte waren damals Boulder und der Lake Tahoe mit einer Höhenlage von 1.600 – 1.800 m, ich war aber auch in Flagstaff und später dann in Park City, mit einer Höhenlage von knapp über 2.000 Metern. Später habe ich dann in Reno in Nevada gelebt, was zwar nur gut 1.300 m hoch liegt, aber man hat dort vor der Haustür richtig hohe Pässe. Ich habe in meiner bisherigen Karriere also schon regelmäßig in der Höhe trainiert, aber eben noch nie in St. Moritz.

tri2b.com: Das bedeutet, dass bei dir Höhentraining gut anschlägt?
C.S.: Auf jeden Fall. Aber das Höhentraining hat meiner Ansicht nach zwei Aspekte. Auf der einen Seite ist natürlich die physiologische Anpassung, dass sich der Sauerstofftransport im Blut verbessert. Aber da ist auch noch eine psychische Komponente dabei. Es ist ja nicht immer Postkartenwetter und da wird einem auch mental einiges abverlangt, um bei diesen Bedingungen in der Höhe zu bestehen.

Für mich ist es zudem ein Vorteil weg von daheim in der Camp-Umgebung zu sein. Im Alltag daheim ist es oft sehr stressig, da ich es nicht lassen kann einfach viele Aufgaben zu übernehmen. Wenn ich dann im Camp bin, dann fühle ich mich wirklich zur Erholung gezwungen. Meine Familie ist dabei, und es wird mir dann sehr viel von der Alltagsarbeit abgenommen. Und während ich daheim oft allein trainiere, bin ich im Camp meist jeden Tag mit anderen Trainingspartnern und -partnerinnen unterwegs. Diese „Performance-Umgebung“ finde ich sehr motivierend.

tri2b.com: Du sprichst deine Familie an. Kannst du einen Einblick geben, wie du es schaffst dein Training auf Triathlon-Weltklasseniveau und deine Aufgabe als Mutter einer kleinen Tochter zu vereinen. Und hast du vielleicht einen Tipp parat für alle Mütter da draußen, die nach der Geburt eines Kindes wieder mit dem Triathlon beginnen wollen?
C.S.: Es gibt da natürlich einen entscheidenden Unterschied. Im Vergleich zu Hobby-Triathletinnen muss ich nicht noch einer anderen Arbeit nachgehen. Es ist mein Job das Training zu absolvieren. Das Training ist wie bei anderen der Bürojob. Trotzdem gibt es immer wieder herausfordernde Situationen, wenn sie schlecht schläft oder krank ist. Dann laufen die Tage anders und wir müssen auch im Training Anpassungen vornehmen. Eine schwierige Sache, da ich schon sehr perfektionistisch veranlagt bin. Ich mag Routinen, ich mag Dinge, wenn sie klar strukturiert sind. Aber das ist jetzt nicht mehr so wie früher möglich. Manchmal ist es daher für mich sehr frustrierend, wenn die Dinge nicht so laufen wie ich es mir vorgestellt habe. Aber ich denke genau das kann auch ein Vorteil sein, wenn man lernt damit umzugehen. Auf ein Rennszenario übertragen bedeutet dies: Ich erwarte nicht, dass alles perfekt läuft und reagiere dann einfach auf die Situation, wenn ich z.B. die Eigenverpflegung verliere.

Als Mutter lernt man, dass ein 8-9 Stunden Tag immer anders läuft als gedacht. Man muss lernen das Beste aus einer Situation zu machen. Mit dieser Mehrfachbelastung ist es schon ein großer Sieg, wenn man es an die Startlinie schafft und Familie, Training und Arbeit unter einen Hut bringt. Deshalb legte ich immer Wert darauf, mir das bewusst zu machen, welche Arbeit ich in mein Training reingesteckt habe und welche Opfer meine Familie und mein Umfeld erbringen musste. Das Rennen ist dann sozusagen wie eine Feier für all diese harte Arbeit.

Als ich im Vorjahr in Hamburg meinen ersten Ironman absolviert habe, war ich gerade ein Jahr Mutter und ich habe mich da wirklich selbst überrascht. Das Rennen lief nicht perfekt und meine Oberschenkel machten auf den letzten 15-20 km so richtig zu. Ich dachte mir dann, wenn du ein bisschen mehr Training in den Beinen hast, dann könnte es was werden. Kona war dann einfach eine dieser magischen Leistungen mit der ich mich belohnen konnte.

tri2b.com: Zurück zum Training. Hast du für Roth dein Training im Vergleich zum Vorjahr verändert?
C.S.: Die spezifische Roth-Vorbereitung sieht sehr ähnlich wie vor Kona 2022 aus. Meine spezielle Ironman-Vorbereitung erstreckt sich über fünf Wochen, bzw. sechs Wochen, wenn man vom Raceday aus gesehen rechnet. Das funktioniert für mich sehr gut, da ich keine Athletin bin, die die ganz großen Trainingsumfänge braucht. Mir reichen solche Blöcke, um meine Form richtig auszuprägen. Ich bin definitiv keine Athletin, die hier über 16-20 Wochen spezifisch auf ein großes Rennen hinarbeitet.

tri2b.com: Wann gehst du von der Höhe runter. Da gibt es ja sehr unterschiedliche Ansätze?
C.S: Ich werde wohl zweieinhalb bis drei Wochen vor dem Rother Raceday auf eine normale Höhe runtergehen. Erst werde ich in der Region um Zürich sein, bevor ich nach Roth anreise.

tri2b.com: Bevor du in die Höhe nach St. Moritz gegangen bist, warst du mit deinem Laufradausrüster DT Swiss im GST-Windkanal in Immenstaad am Bodensee. Wie ausgereizt bist du in Sachen Aerooptimierung?
C.S.: Es war jetzt das zweite Mal, dass ich mit DT Swiss und Swiss Side dort im Windkanal war. Bereits im Vorjahr war die dort vorgenommene Optimierung eine Art Gamechanger für mich. Unser Sport hat sich hier so weiterentwickelt, dass derjenige den Anschluss verpasst, der seine Ausrüstung nicht im Windkanal optimiert. Aus meiner Sicht ist ein optimiertes Aerosetup der Einstiegspunkt, wenn man auf höchstem Niveau konkurrenzfähig sein möchte. Die letztjährigen Optimierungen hatten sicher einen Anteil an meinen starken Leistungen beim PTO-Rennen in Edmonton und dann in Kona. Ich habe zudem daheim in den USA mit Ivan O´Gorman einen der besten Bikefitter, der in den Prozess mit meinem Wechsel zu Canyon eingebunden war. Ich bin durch und durch eine Athletin und es ist einfach eine tolle Sache, dass ich mich hier mit dem Team um Jean-Paul Ballard auf absolute Experten verlassen kann, die mein Material optimieren. So kann ich mich vollkommen auf meinen Teil, das Training, konzentrieren.

Ist das Chelsea Sodaros Rad-Setup für Roth? - © DT Swiss AG

tri2b.com: Und wo wurde diesmal optimiert? C.S.: Wir haben auch diesmal wieder was gefunden. Einzelheiten werden aber nicht verraten :-). Durch meinen Weggang vom BMC Triathlon-Team haben sich alle meine Ausrüster, mit Ausnahme von DT Swiss, geändert. Deshalb war ein richtiger Prozess alles neu einzustellen und aufeinander abzustimmen, damit ich mich auf dem Rad wohl fühle. Nach den Windkanal-Tests kann ich sagen, dass wir alles richtig gemacht haben und ich damit von der Aerodynamik schneller bin als jemals zuvor.

tri2b.com: Du gewinnst die Rennen vor allem durch deine herausragenden Lauffähigkeiten. Besteht bei der Aerooptimierung, wenn es die Sitzhaltung betrifft, nicht die Gefahr zwar eine Minute schneller Rad zufahren, man dafür aber beim Laufen dann nicht mehr das volle Potenzial abrufen kann und in Summe sogar Zeit verliert?
C.S.: Ich sage es mal so, es ist kein Nullsummenspiel, wo man das gegeneinander aufrechnet. Ich glaube es wird manchmal übersehen, dass es nicht nur darum geht in jeder Disziplin möglichst schnell unterwegs zu sein. Es geht vielmehr darum, dass sich das Tempo leichter anfühlt, bzw. eine gewisse Geschwindigkeit mit weniger Leistung erreicht wird und ich mit größeren Energiereserven auf die Laufstrecke gehen kann. Das Laufen wird aufgrund meines Backgrounds immer meine große Stärke bleiben.

Auch diesmal gab es Aerooptimierungen: Swiss Side-Aeroexperte Jean-Paul Ballard erklärt Chelsea Sodaro die Ergebnisse der Windkanaltests - © DT Swiss AG

tri2b.com: Kommen wir zu deinem Start in Roth. Du kommst zum ersten Mal ins Frankenland. Welche Erwartungen hast du?
C.S.: Soweit ich weiß, ist man kein echter Triathlet, wenn man nicht irgendwann in Roth gefinisht hat. Ich fühle mich daher sehr glücklich, dass ich schon so früh in meiner Langdistanz-Karriere die Chance habe hier zu starten. Ich liebe die großen Rennen und ich liebe die Zuschauer. Ich bin Amerikanerin und wir haben all die großen Sportevents in der NFL, NBA und MLB, wo zu den Spielen Massen an Zuschauern strömen. Im Triathlon ist in den USA das Zuschauerinteresse leider eher überschaubar. Auch aus diesem Grund komme ich nach Roth. Aus sportlicher Sicht gesehen kann ich das meiste aus mir herausholen, wenn ich gegen die beste Konkurrenz antrete. Mit Daniela, Anne und Laura, um nur einige zu nennen, sind fast alle Top-Girls in Roth. Ich werde mich ins Getümmel stürzen und dann schauen, wo ich am Ende stehe.

tri2b.com: Du bist aber kein klassischer Roth-Rookie, sondern du kommst als amtierende Ironman Hawaii-Siegerin ins Frankenland. Viele Kameras werden auf dich gerichtet sein. Wie gehst du mit dieser Situation und Erwartungshaltung um?
C.S.: Ich merke natürlich, dass sich mit dem Sieg in Kona was verändert hat. Die Leute achten mehr auf das, was ich tue und zeigen auch eine gewisse Erwartungshaltung. Aber unter Druck setze ich mich vor allem selbst, wobei daher auch die eigentliche Motivation und Herausforderung kommt. Mein Antrieb kommt aus meinem Innersten. Ich will für mich herausfinden, wie gut ich sein kann. Manchmal gelingt es mir ganz gut mit dieser selbst gemachten Drucksituation umzugehen, und manchmal eben nicht so gut. Wie ich schon anfangs erzählt habe, ist es eine große Herausforderung eine professionelle Rennsaison zu bestreiten, wenn man Mutter von einem Kleinkind ist.

Zweite Langdistanz und schon Ironman Hawaii-Siegerin: Chelsea Sodaro ist die Queen of Kona 2022 - © PetkoBeier.de

tri2b.com: Mit Anne Haug und Laura Philipp sind in Roth die deutschen Aushängeschilder in Sachen Langdistanz-Triathlon am Start. Für sie ist es ein Heimspiel und die Erwartungshaltung der Fans ebenfalls riesengroß. Du kannst also vielleicht doch etwas untertauchen?
C.S.: Ja darauf hoffe ich etwas. Vielleicht kann ich etwas unter dem Radar fliegen. Und ehrlich gesagt fühle ich mich ja immer noch wie eine Außenseiterin, da ich erst zwei Langdistanzen bestritten habe. Ich muss noch viel lernen und ich kratze gerade mal an der Oberfläche dessen, was ich vielleicht irgendwann noch erreichen kann. Anne und Laura haben viel mehr Erfahrung auf der Langdistanz und entsprechend werden viele auch ihnen die Favoritinnenrolle zuschieben.

tri2b.com: Chelsea vielen Dank für das Interview. Wir wünschen dir eine gute und vor allem verletzungsfreie finale Vorbereitung für Roth.