Kommentar zum tragischen Todesfall beim Ironman Hamburg
Dazu eines vorweg. Ich musste schon als ganz junger Triathlet bei einem „Wald-und-Wiesen-Triathlon“ mit gerade mal gut 200 Teilnehmern einen tödlich verlaufenden Unfall auf der Radstrecke miterleben. Ein Ereignis, dass bei mir über viele Jahre in diversen Triathlon-Wettbewerben immer wieder hochgekommen ist, wenn irgendwo an der Strecke ein Martinshorn zu hören war. Der damalige Vorfall ist 30 Jahre her und über die Jahre, sowohl als Athlet und als tri2b-Chef, musste ich lernen es zu akzeptieren, dass schwere Unfälle, auch mit tödlichem Ausgang, zum Triathlon-Sport leider dazu gehören.
Vor diesem „worst case“ ist leider kein Veranstalter gefeit. Allgäu Triathlon, Challenge Mallorca Challenge Roth, Ironman Frankfurt, Kulmbach Triathlon, Schlosstriathlon Moritzburg … - alle diese Rennen hatten schon Unfälle und medizinische Notfälle mit Todesfolge zu beklagen und diese Liste würde sich leider noch deutlich in die Länge ziehen lassen.
Was gestern in Hamburg aber komplett anders war: Der schreckliche Unfall wurde uns live auf dem Smartphone präsentiert und zudem ließen nicht nur die Livebilder die berechtigte Vermutung aufkommen, dass Streckenführung, Teilnehmeranzahl und Anzahl der zugelassenen Begleitmotorräder ein derartiges Unfallszenario deutlich begünstigten.
Die wohl am heißesten diskutierte Frage: Hätte der Ironman Hamburg abgebrochen werden müssen?
Nimmt man ähnliche Unfälle bzw. medizinische Notfälle bei anderen Triathlon- oder Sportgroßveranstaltungen (Marathon, Radmarathon) als Maßstab, dann ist die Fortführung der Veranstaltung vertretbar gewesen, wenn nicht sogar angeraten, um ein noch größeres Chaos in der Akutsituation zu vermeiden und die Rettungsmaßnahmen nicht noch zusätzlich zu gefährden.
Vor allem von den Altersklassen-Athleten, die von dem Unfall nur indirekt durch die Schiebeumleitung über den Deich etwas mitbekommen haben, wären sicher viele tief enttäuscht gewesen, wenn es plötzlich - „Stop, das wars für heute“ - geheißen hätte, nach einer so langen entbehrungsreichen Vorbereitung.
Etwas anders sieht es bei den Profiathleten aus. Deren Rennverlauf auf dem Rad war auch ohne den Unfall, wo alle Profiathleten hinter der siebenköpfigen Spitzengruppe ausgebremst wurden, sportlich verzerrt. Durch die enge Streckenführung erfuhr die von den Medienmotorrädern belagerte Spitzengruppe ein massives Moto-Pacing. Eine Einordnung der von den Toppros um Sieger Denis Chevrot abgelieferten Zeiten, die von den reinen Zahlen auf absolutem Rekordniveau lagen, erübrigt sich deshalb.
Oder hätten die Athleten der Spitzengruppe um Jan Frodeno, die den Unfall direkt mitbekommen haben, sowieso sofort stoppen müssen und ihre Hilfeleistung anbieten? Diesen Vorwurf gab es u.a. in den Kommentaren zu Jan Frodenos Instagram-Post nach dem Rennen. Dazu ist zu sagen, dass Rennunfälle leider dazugehören und es von den voll auf das Rennen konzentrierten Athleten in Sekundenbruchteilen schwer einzuschätzen war, ob es nur schlimm ausgesehen hat, oder wirklich um Leib und Leben geht. Zumal die komplett unter Adrenalineinfluss stehenden Athleten auch nicht wirklich helfend hätten eingreifen können. Unser Fotograf Petko Beier fuhr selbst mit seinem Motorradfahrer von hinten kurz nach dem Unfall auf die Unfallstelle auf und kann bestätigen, dass innerhalb kürzester Zeit ein massives Aufgebot an professionellen Rettungs- und Hilfskräften vor Ort im Einsatz war. Gleichzeitig war in all dem bitteren Chaos sehr verantwortungsvolles angelerntes Handeln und Zusammenspiel der Rettungs- und Sicherungskräfte, sowie auch der Kampfrichter vor Ort zu erkennen. Entscheidungen der Rettungskräfte wie die Landung des Hubschraubers waren alternativlos und wurden sofort und zielführend umgesetzt. Dafür war es sogar hilfreich, dass die ankommenden Sportler über den Umweg des Deiches direkt weitergeleitet wurden.
Die glatte Sechs für die Ironman-Kommunikation
Eine glatte Sechs verdient allerdings die „Nicht“-Kommunikation des Unfalls von Ironman. Dass Greg Welch und Co. in der Livereportage einfach so weitermachten und vom schönen Hamburg erzählten, als aufgrund des Unfalls keine Livebilder mehr von der Radstrecke kamen, kann in der Tat als pietätlos angesehen werden. Dass dazwischen dann auch noch diverse Werbespots der Ironman-Sponsoren liefen, war einmal mehr Wasser auf die Mühlen der Ironman-Kritiker, die das rote M-Dot Logo wohl eher als geldgieriges Dollar-Zeichen interpretieren. Das mangelhafte Agieren kann auch keine Zeitverschiebung zum Ironman-Hauptsitz in Florida und notwendige Abstimmung rechtfertigen.
Was uns aber selbst als Triathlon-Medium und Menschen, die als Sozius dem Handeln des Fahrers ausgeliefert sind noch viel mehr beschäftigt ist die Tatsache, dass nach unserem aktuellen Informationsstand für den Unfall sehr wahrscheinlich ein (Fehl)Verhalten bzw. eine Fehleinschätzung des tödlich verunglückten Begleitmotorradfahrers verantwortlich war: Ein nicht nachvollziehbares Fahren auf der völlig falschen Straßenseite im Gegenverkehr.
Dass Situationen falsch eingeschätzt werden, ist menschlich und passiert tagtäglich. Allerdings haben gestern in Hamburg die Rahmenbedingungen ein solches Fehlverhalten bzw. eine Fehleinschätzung extrem begünstigt.
Die Streckenführung, die größtenteils als Wendepunktstrecke angelegt war, wies gleich mehrmals extreme Engstellen inkl. Baustellen auf, die gefährliche Situation mit einem Überfahren der Mittellinie nahezu heraufbeschworen. Allerdings war die Unfallstelle keine dieser extremen Engstellen. Eigentlich hätte es woanders krachen müssen.
Die Anzahl der zugelassenen Motorräder war definitiv zu hoch, bzw. es fehlten seitens des Veranstalters konkrete Einschränkungen, Vorgaben und Regulatoren, dass z.B. in den Gegenverkehrsabschnitten kein Fotografieren vom fahrenden Motorrad aus erlaubt ist oder Ableitungen und Umfahrungen an besonders gefährlichen Streckenabschnitten vorbereitet waren.
Die oftmals mangelnde Erfahrung von Motorradfahrern und der als Sozius mitfahrenden Kameraleuten, Fotografen und Kampfrichtern ist ebenfalls ein Thema, das angesprochen werden muss. Auch wenn es sich bei dem verunfallten Motorradfahrer und seinem Sozius um erfahrende Triathlon-Rennbegleiter gehandelt hat, ist hier ein Grundproblem vorhanden, dass auch andere Veranstaltungen betrifft. Immer wieder kommt es zu extrem gefährlichen Situationen, weil Fahrer und Sozius ungenügende Streckenkenntnis haben bzw. die unglaubliche Dynamik eines Triathlon-Profirennens falsch einschätzen. Dies dürfte auch mit der Grund sein, dass im Vorjahr bei der Frauen-EM mit gleicher Streckenführung noch alles „gutging“, da die Dichte in der Frauenspitze deutlich geringer war und somit die Lücken und gefahrlose Überholbereiche für die Begleitmotoräder noch deutlich größer waren. Petko Beier, der seine Erfahrungen aus fast zwei Jahrzehnten Triathlon-Fotografie mitbringt, hatte genau aus diesem Grund gestern schon weit vor dem Unfall ca. bei km 45 für sich entschieden, die Arbeit bei den Profi-Sportlern einzustellen und in der zweiten Runde vom Moto zu steigen, um diesen Gefahren für Sportler und ihn selbst aus dem Weg zu gehen. Zu dem Zeitpunkt waren noch nicht einmal die nachfolgenden Sportler im Gegenverkehr unterwegs.
Es braucht eine differenzierte Lösung in der Motorrad-Frage
Für die nun aufkommende Diskussion würden wir uns wünschen, dass die Problematik nicht einfach mit der Holzhammer-Methode - „keine Medienmotoräder auf der Radstrecke – gelöst wird, sondern ein intensiver Austausch stattfindet und differenziertere Lösungen gefunden werden, die trotzdem die für uns heilige Präambel der Medienberichterstattung „die Sicherheit der Athletinnen und Athleten steht an erster Stelle“ erfüllt.
Harald Eggebrecht & Petko Beier