Leistungsdiagnostik: Die Grundlage für wattgesteuertes Training

von Philipp Görgen für tri2b.com | 19.06.2012 um 00:00
Um ein SRM oder anderes System zur Leistungsmessung richtig nutzen zu können, muß man eine Leistungsdiagnostik durchführen. Darüber haben wir mit Sportwissenschaftler Bastian Nuhn von SPORT-LAPS gesprochen.

tri2b.com: Bastian, kannst Du uns erklären, was notwendig ist, um auf ein sinnvolles, leistungsgesteuertes Training umzustellen, wenn man zum Beispiel bislang mit Hilfe des Pulswertes trainiert hat?
Bastian Nuhn (B.N.): Um wirklich korrekt trainieren zu können, muß man die individuellen Trainingsbereiche eines Athleten zum einen "Kennen" und zum anderen "Ansteuern" können. Das "Kennen" erreiche ich über eine Leistungsdiagnostik, das "Ansteuern" über ein Wattmess-System wie zum Beispiel ein SRM oder ein Cycle Ops. Der Puls ist dabei zunächst einmal irrelevant. Gesamttrainingstechnisch gesehen, spielt der Puls natürlich trotzdem weiterhin eine wichtige Rolle. Für die Gesamtentwicklung und die Beurteilung des Trainings- und Leistungszustandes über eine gewisse Periode ist er nach wie vor ein Kriterium.

tri2b.com: Worauf sollte ich achten, wenn ich eine Leistungsdiagnostik durchführe?
B.N.: Wichtig ist die Anlage des Testes und der Bezug zu den Stoffwechselvorgängen im Körper. Er muß die Frage beantworten, was sein Ergebnis inhaltlich bedeutet. Also warum endet z.B. ein GA1 Bereich anhand einer Laktatkurve an einer bestimmten Stelle, was ist dieser Bereich stoffwechseltechnisch?
Über viele Jahrzehnte hat sich hier eine nicht hinterfragte Akzeptanz eingestellt ohne einmal zu fragen, wieso, weshalb, warum? Deshalb muß man zunächst einmal die Begrifflichkeiten klären...

tri2b.com: ...die da wären?
B.N.: Was sich zum Beispiel landläufig herausgebildet hat, ist der Begriff Grundlage. Nur welche Grundlage und wozu? Meist wird dies verstanden als langes und lockeres Training das zur Grundlage, also einer gewissen Ausdauerfähigkeit führt.

Allerdings könnte man auch hingehen und fragen, warum verstehe ich unter Grundlage nicht die Grundlage zur Erzielung einer bestimmten Geschwindigkeit? Also die Basis eine maximale hohe Grundgeschwindigkeit zu erzielen? Dies wäre auch eine Grundlage, nämlich eine um lange schnell fahren zu können.

Ein gutes Stichwort ist auch der Begriff Entwicklungsbereich. Man erzielt schnell Verunsicherung wenn man die Frage stellt, was das überhaupt ist? Wo entwickelt sich etwas? Entwickelt sich im angeblichen GA1 Bereich nichts? Oder auch "wettkampfspezifische Ausdauer", die eine maximale Belastung darstellen soll. Für einen Langdistanz Triathleten ist eine maximale Belastung sicher keinesfalls wettkampfausdauerspezifisch. Schaut man genauer hin, stellt man also schnell fest, daß die Begrifflichkeiten hier einfach sehr oft haken.

tri2b.com: Wie kann man diese Problematik lösen?
B.N.: Wir gehen bei unserer Analyse eine Ebene tiefer. Das heißt es wird nicht nur ein "ist" Stand erhoben, sondern Ursachen und Hintergründe der eigentlichen Leistungsfähigkeit. So ermittelt man eine Vielzahl von Stellschrauben fürs Training, um so präzise sagen zu können welche Faktoren der Leistungsfähigkeit wie ausgeprägt sind.

Dazu gehen von tatsächlichen Stoffwechselsituationen aus, erheben vor dem Test das Gewicht und die Körperzusammensetzung, sowie den Energieverbrauch in Ruhe.

tri2b.com: Was steckt hinter dem Begriff "tatsächliche Stoffwechselsituationen"?
B.N.: In dem Fall geht es darum, den Stoffwechsel physiologisch zu betrachten. Darüber kann man dann zum Beispiel sagen, der Fettstoffwechsel ist nicht hinreichend trainiert. Mit anderen Worten der Kohlenhydratanteil an der Energiebereitstellung ist zum Zeitpunkt X zu hoch, um ihn so und so lange halten zu können.

Das funktioniert indem man die energiebereitstellenenden Systeme getrennt analysiert. In vielen herkömmlichen Stufentests hat man ständig irgendwelche Mischstoffwechselsituationen, in denen alle relevanten Systeme gleichzeitig ablaufen. Wir analysieren daher den anaeroben und aeroben Stoffwechsel strikt getrennt.

tri2b.com: Wie gehst Du bei der anaeroben Leistungsfähigkeit vor?
B.N.: Um die reine maximale anaerobe Leistungsfähigkeit zu ermitteln, verwende ich ein Sprint Testverfahren. Der Athlet sprintet dazu auf dem Ergometer 15 Sekunden mit maximaler Kraft. Dabei wird der aerobe Stoffwechsel komplett ausgeschaltet. Das ist das ein in der Leistungsdiagnostik relativ neues, aber wesentliches Element. Ausgewertet wird das Ergebnis mit Hilfe eines Stoffwechselsimulationsverfahrens, welches durch mich auf das Anforderungsprofil der Sportart Triathlon weiterentwickelt wurde.

tri2b.com: Und die aerobe Leistungsfähigkeit?
B.N.: Die aerobe Leistungsfähigkeit ermittele ich klassisch über die sogenannte maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit (VO2max). Das Testverfahren an sich ist nicht neu. Allerdings gibt es mehrere verschiedene Ansätze der Durchführung. Meiner Meinung nach sollte man hier sehr vorsichtig sein, welches Testprotokoll tatsächlich zum Erreichen der VO2max führt. Bei vielen herkömmlichen Test sind nämlich die Stufen zu lang, zum Beispiel 3 Minuten.

Das Ergebnis ist dann nicht die VO2max, sondern ein maximaler Sauerstoffaufnahmewert in diesem Test. Die Ursache hierfür ist einfach: die maximalen Werte werden nicht erreicht, weil die limitierenden Faktoren in einem (zu) langen Test viel zu groß sind als das ich die notwendigen Intensitäten erreichen würde, in denen die VO2max tatsächlich ausgereizt ist.

Deshalb nutze ich einen Rampentest von ca. 6-8 Minuten Dauer, je nach Leistungsfähigkeit des Athleten. Beispielsweise beginnt man mit einer Eingangsleistung von 175 Watt und geht in 25 Watt Stufen nach oben.
Die Stufen sind hier nur 30 Sekunden lang ohne Pause. Man wartet nur kurz ab, bis die Sauerstoffaufnahme sich der neuen Belastung angepasst hat.

Dadurch wird erreicht, daß der Säuregrad, der ansonsten bei einer längeren anaeroben Belastung entsteht, hier kein leistungslimitierender Faktor ist. Ausschließlich das Überschreiten der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit oder die fehlende Fähigkeit des Athleten, die geforderte Leistung der nächsten Stufe zu erbringen, gilt als Abbruchkriterium.

tri2b.com: Welche Ergebnisse liefert diese Art der Diagnostik?
B.N.: Über diese Diagnostik lassen sich eigentlich alle Stoffwechselsituationen für beliebige Belastungen vorausberechnen. Die anaerobe Schwelle ist sehr präzise zu bestimmen, nämlich auf ca. 2% genau. Bisher waren hier oft Abweichungen von über 10% Standard.

Aber auch alle anderen Belastungsbereiche, werden sichtbar zum Beispiel der Bereich in dem ich mich maximal schnell erholen kann nach einer Überbelastung. Es ergeben sich also sehr viele Stellschrauben, die für ein wirklich gezieltes Training unerlässlich sind, besonders wenn man wenig Zeit hat und mit jedem Training, ein optimales Ergebnis erzielen möchte. Aufgrund der differenzierteren Ergebnisse habe ich zudem auch die klassischen Trainingsbereiche weiter entwickelt.

Um all das wirklich nutzen zu können, empfiehlt sich die Nutzung eines Watt Messsystems schon sehr. Betrachtet man alle vermeintlich leistungssteigernden Spielereien, wie teure Laufräder, Aerohelme, etc. liegen im Bereich des leistungsgesteuerten Trainings mit Abstand die größten Potentiale verborgen. Im Gegensatz zu einer Scheibe sind sie halt optisch unauffällig.

tri2b.com: Bastian, wir danken Dir für dieses Gespräch!