Neues UCI-Aeroverbot: Welche Auswirkungen hat das auf die Leistung und die Rennverläufe

von tri2b.com | 17.02.2021 um 11:19
Der Weltradsportverband (UCI) hat für die kommende Saison (gültig ab 1. April 2021) die sogenannte Super Tuck-Abfahrtsposition und die imitierte Zeitfahrposition auf dem Rennlenker verboten und dabei viel Kritik und Spott aus der Radprofi-Szene einstecken müssen. Für Triathlon-Wettbewerbe hat diese Regeländerung aktuell keine Auswirkung, trotzdem wollen wir die interessanten Berechnungen der Swiss Side-Aeroexperten über die möglichen Auswirkungen der UCI-Regeländerungen vorstellen.

 

Was bringt die Super Tuck Position auf dem Oberrohr?

 

Vergleich Abfahrtsunterlenker- und Super Tuck-Position - © nevisroad

Auf einer schnellen Bergabfahrt kann es etwas grenzwertig sein, sich auf das Oberrohr des Rennrades zu setzen, aber es ist messbar schneller. Ein Rennradfahrer, der seine Fähigkeiten nutzen möchte, um sich von einer Gruppe oder einem Konkurrenten abzusetzen, kann den Super Tuck als wirkungsvolles Mittel dafür einsetzen. Deshalb ist er in der modernen Renntaktik zum Standard geworden. Aber wie viel schneller ist er wirklich? Welcher Vorteil lässt sich daraus ziehen? Um das in konkrete Zahlen zu gießen, zeigen wir den Vorteil anhand der folgenden drei Metriken:

  1. Unterschied des Luftwiderstands, gemessen im Windkanal.
  2. Differenz in der Endgeschwindigkeit zwischen den Positionen auf einer geraden 8-%-Abfahrt.
  3. Zeitunterschied zwischen den Positionen auf einem typischen 10-km-Segment einer Grand-Tour-Abfahrt.

Ergebnisse – Luftwiderstand (CdA) und Leistung (W):

 © Swiss Side

 

Wie oben ersichtlich wird, beträgt der Unterschied im Luftwiderstand bei einer realistischen Abfahrtsgeschwindigkeit von rund 70 km/h satte 135 W.

Auf einer 8-prozentigen Abfahrt kalkulieren wir damit, dass die Super-Tuck-Position auf dem Oberrohr eine um 5 km/h schnellere Höchstgeschwindigkeit bringt und 30 Sekunden schneller ist pro 10 km Abfahrt.

Das bedeutet, dass der Fahrer theoretisch einen 30-sekündigen Vorsprung gegenüber einem Fahrer oder einer Gruppe, die auf dem Sattel abfährt, allein dadurch herausholen kann, dass er die Super-Tuck-Position einnimmt. Wenn diese Position nicht mehr erlaubt ist, fällt diese Taktik weg.

 

Was bringt die imitierte Zeitfahrposition auf dem Rennlenker?

 

Vergleich normale Roadpositionen und Aero-Position - © nevisroad

Im Flachen haben viele Fahrer festgestellt, dass sie jede Menge Kraft sparen können, wenn sie ihre Arme in Zeitfahrposition bringen, d. h. die Unterarme auf die Mitte des Oberlenkers legen. Natürlich gibt es an ihren Rennrädern keinen Zeitfahraufsatz wie bei unserem Windkanaltest, aber das Ergebnis ist das gleiche. – Es lässt sich ein großer Aerovorteil herausholen. Deshalb begeben sich Fahrer, die ausreißen oder das Peloton anführen, für gewöhnlich in diese Position. Aber wie viel bringt sie tatsächlich? Was bewirkt ein Verbot? Um das mit konkreten Zahlen zu unterlegen, haben wir den Vorteil mittels der folgenden drei Metriken aufgezeigt:

  1. Unterschied des Luftwiderstands, gemessen im Windkanal.
  2. Größe der Lücke, die ein Fahrer beim Ausreißversuch auf einer 10 km langen Strecke reißen kann, wenn er an den Unterlenker greift (halbgebeugte Arme) oder in Zeitfahrposition geht
  3. Der resultierende Zeitunterschied des Ausreißversuchs, den ein Fahrer auf einer 10 km langen Strecke erreichen kann, wenn er an den Unterlenker greift (halbgebeugte Arme) oder in Zeitfahrposition geht.

Ergebnisse – Luftwiderstand (CdA) und Leistung (W): Position im Flachen:

© Swiss Side

 

Wie aus der Tabelle oben ersichtlich, läge bei einem Einzelfahrer oder einer Gruppe, die bei einer realistischen Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h einen Ausreißversuch startet, der Unterschied in puncto Luftwiderstand im Vergleich der beiden Positionen, die sie am wahrscheinlichsten einnehmen würden – Unterlenker mit halbgebeugten Armen oder Zeitfahrposition – zwischen 24 und 41 Watt.

Wenn ein (oder mehrere) Fahrer die Zeitfahrposition nicht mehr einnehmen darf, kostet ihn das im Vergleich zur Unterlenkerhaltung auf einer 10-km-Strecke bei typischer Leistung um die 13 Sekunden oder 180 m. Das heißt, die Lücke, die er oder sie reißen könnten, würde sich um diese Werte verringern, nur dadurch, dass der Luftwiderstand höher wird. Für die taktische Renngestaltung ist das beträchtlich. Hier wird jedoch angenommen, dass der Führende der Verfolgergruppe nicht in Zeitfahrposition fährt. Vorausgesetzt, dass jeder in gleicher Position fährt, also sowohl der Führende der Ausreißergruppe als auch der der Verfolger, gäbe es keinen Unterschied. In der Realität ist die Verfolgergruppe aber nie so diszipliniert wie der oder die Ausreißer, und der Führende der Verfolgergruppe fährt nicht immer in bester Aeroposition.

 

Diskussion: Geringeres Tempo, mehr Sicherheit  - aber fehlende Spannungsmomente

 

Im Hinblick auf die Aerodynamik ist die Wirkung klar, quantifizierbar und unbestreitbar. Ein Verbot des Super Tuck auf Abfahrten wird den Luftwiderstand erhöhen und das Tempo drosseln. Im Flachen wird das Verbot der Zeitfahrposition einen ähnlichen Effekt haben und die Möglichkeiten dessen mindern, was einzelne Fahrer oder Gruppen bei einem Ausreißversuch in Bezug auf Vorsprung und gewonnene Zeit auf die Verfolger erreichen können. Taktisch gesehen gibt es schlicht weniger Werkzeuge, die Fahrer und Teams nutzen können, um ihre Attacken planen und ausführen zu können. Sicherlich gibt es in jeder dieser Positionen ein gewisses Risiko, da die Kontrolle über das Rad geringer ist. Man könnte argumentieren, dass es im Profiradsport nicht nur um die körperlichen Fähigkeiten der Fahrer geht, sondern auch um ihr Fahrtechnikkönnen und wie sie ihr Fahrrad beherrschen. Das ist sicherlich der Fall in Mountainbike- und Cyclocrossrennen, warum also nicht auch auf der Straße? Außerdem ergibt sich ein großer Teil der Spannung in Straßenradrennen aus den Taktiken und Ausreißversuchen. Fällt das weg, werden die Rennen weniger spannend und damit weniger unterhaltsam. Eines stimmt jedenfalls.