Richard McAinsh: Die Philosophie der aerodynamischen Evolution (Teil 1)

von Stefan Drexl für tri2b.com | 21.01.2011 um 00:00
Seit 2007 ist Richard McAinsh der neue Technical Director bei 3T, dem italienischen Hersteller hochwertiger Lenker und Komponenten für Rennräder. Er ist damit verantwortlich für die meisten innovativen Produkte der legendären Marke. Bevor der Statikingenieur zu 3T kam, war er Leiter des Verbundbaustoff- und Konstruktions-Teams bei Ferrari F1 und brachte folglich eine Menge Erfahrung aus der Entwicklung und dem Design von Fahrzeugteilen mit. Das Know How des Briten über Verbundwerkstoffe in Verbindung mit hoch entwickelter 3D CAD Software resultierte in dem derzeit dünnsten, leichtesten und schnellsten Zeitfahrlenker auf dem Markt.

tri2b.com: Richard, konntest du denn so einfach dein gesamtes Wissen und deine Erfahrungen aus der Entwicklung von Formel1 Bauteilen auf Rennrad-Komponenten übertragen oder war es doch eine größere Herausforderung als du erwartet hast?
Richard McAinish (R.M.): Als ich erstmals mit René Wiertz, dem Geschäftsführer von 3T, darüber gesprochen habe, Rennrad-Komponenten aus Verbundwerkstoffen zu bauen, dachte ich tatsächlich, „hey, ich hab das in der Formel 1 gemacht, das kann doch nicht so schwer sein?“. Aber es hat sich herausgestellt, dass es deutlich schwerer ist, als ich dachte. Die größte technische Einschränkung in der Formel 1 ist, mit Beginn einer neuen Entwicklung, die Zeit. Es bleiben immer nur wenige Tage, etwas zwischen den Rennen zu entwickeln, zu bauen und ein Fahrzeugteil zu testen, ob das ein neues aerodynamisches Teil ist, ein Redesign oder ein Teil, das am Fahrzeug bisher nicht so funktioniert hat. In der Rennradindustrie sind es ohne Zweifel die Kosten, die uns in der Entwicklung einschränken.

tri2b.com: Was ist die größte Herausforderung in der Entwicklung und im Bau von Rennrad-Komponenten, besonders von Vorbauten und Aerolenkern?
R.M.: Das ist die Sicherheit! Es gibt keine einzige Komponente am Rennrad, die wir herstellen, die nicht ebenso wichtig für die Sicherheit ist, wie ein Teil an einem Formel-1-Wagen. Wenn nicht sogar wichtiger; während ein Unfall eines Rennwagens eher wegen der Geschwindigkeit und der damit verbundenen Energie heftig ist, ist der Fahrer sehr gut geschützt und kann in den meisten Fällen wieder gesund aussteigen. Ein Rennradfahrer wird von nichts mehr als einem dünnen Trikot geschützt, wodurch jeder technische Defekt unweigerlich zu gewissen Verletzungen führen würde. Wir müssen daher die Gewichtsersparnis und andere leistungssteigernden Eigenschaften unserer Komponenten in eine Null-Toleranz gegenüber einem Defekt tauschen. In der Formel 1 haben wir gelegentlich ein höheres Risiko akzeptiert, um so mehr Leistung herauszubekommen. Bei 3T durchlaufen sämtliche Komponenten, unabhängig von ihrem Niveau (Pro, Team oder LTD), die selben, strengen Testkriterien. Wir machen auch keine Ausnahmen zu Gunsten der Geschwindigkeit im LTD-Bereich, nur um die Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Wir können zwar wesentlich leichter konstruieren als viele unserer Mitbewerber, aber wir denken, dass es nicht richtig wäre somit Beschränkungen des Körpergewichts für die Fahrer unserer Teile festzulegen.

tri2b.com: Ein Auto wird durch Benzin und Motorkraft angetrieben, ein Rad allein durch Muskelkraft. Spielt denn dieser große Unterschied eine entscheidende Rolle in der Entwicklung von Rennrad-Komponenten, gerade im Hinblick auf Gewicht und Aerodynamik?
R.M.: Der Luftwiderstand eines Formel-1-Wagens ist größer als bei einem Kleintransporter; die Aerodynamik ist daher gänzlich darauf ausgelegt, die Luft um den Wagen zu leiten, um den Anpressdruck und infolgedessen die Bodenhaftung der Reifen zu steigern. Auf dem Rad ist der Mensch die Leistungsquelle, somit hat das Gewicht einen deutlich größeren Anteil bei diesem Vergleich. Es ist daher wichtig, unsere Komponenten so leicht wie möglich zu halten. Bezüglich der Aerodynamik auf dem Rad möchten wir, dass die Luft so wenig wie möglich verwirbelt - während sie sich aussen herum bewegt, kostet das Kraft und diese Kraft muss der Fahrer aufbringen. Der Schwerpunkt liegt also darauf, so gut wie möglich diesen Widerstand zu verringern, indem man die Komponenten beinahe unsichtbar für die Luft macht. Die Luft ist eigentlich ziemlich dumm, daher schaffen wir einfach nur klare Linien, die sie nicht verwirbeln!

tri2b.com: Der Focus deiner Arbeit liegt auf Aerolenkern. Wenn du mit der Entwicklung eines neuen Produkts beginnst, fängst du ganz von vorne an oder entwickelst du auf Basis eines der 3T Top-Lenker weiter?
R.M.: Ich denke, das alte Sprichwort, dass wir stets von einer zur nächsten Saison hatten, als wir Formel-1-Autos entwickelten, gilt auch für Aerolenker: es ist eher eine Philosophie der Evolution, als der Revolution. Manchmal gibt es Dinge, die die Entwicklung in eine andere Richtung lenken. Wie beispielsweise die Erweiterung der 3:1-Regel um die Aerolenker (das mindeste Dicken- und Breitenverhältnis von Bauteilen) der UCI. Sie hat den Trend zu sehr dünnen Aerolenkern, zumindest für Wettkämpfe der UCI unterbunden. Der Ventus von 3T zum Beispiel war zu diesem Zeitpunkt das führende Modell. Dadurch waren wir gezwungen, sehr schnell unsere Aerolenker zu überarbeiten. Ich glaube der „Mistral“ entsprach innerhalb eines Monats der 3:1-Regel. Seit dem haben wir geforscht, wie wir die Leistung wieder zurückholen können, die wir aufgrund der neuen Bestimmung verloren haben. In der Formel 1 wurde die 3:1-Regel vor vielen Jahren eingeführt, damit Teile der Aufhängung nicht für den Anpressdruck des Fahrzeugs genutzt werden konnten. Sie ermöglichten ähnlich geringe Luftwiderstände, wie wir sie uns auch für das Design von Aerolenkern erhofften. Ich denke, die UCI war ein wenig bequem und hat dabei die unterschiedliche Nutzung der Luft zwischen den beiden Sportarten nicht ganz verstanden! Wir benötigen jetzt mehr Zeit in der Entwicklung, um den Luftwiderstand in den 3:1-Bereichen wieder zu verringern, mit dem Brezza II sind wir aber nahe daran, so dass die Aerodynamik fast den sehr dünnen Bereichen des Ventus entspricht. Damit meine ich, dass ich es eher vorziehen würde, ohne diese Einschränkungen für dünne Bereiche zu arbeiten. Glücklicherweise gibt es da im Triathlon etwas mehr Akzeptanz, wodurch die Aerolenker für Zeitfahrrennen und für Triathlon zukünftig voneinander abweichen werden.

tri2b.com: Worauf ist denn bei der Entwicklung und Konstruktion eines Aerolenkers besonders zu achten?
R.M.: Erst einmal ist es entscheidend für welchen Bereich wir den Aerolenker entwickeln wollen. Wenn es für Triathlon ist, so wissen wir, dass wir experementierfreudiger sein können, wie wenn man sich der 3:1-Regelung der UCI unterwerfen muss. Sobald diese Entscheidung getroffen wurde, ist der nächste Schritt die Geometrie. Der Lenker ist ein kritischer Kontaktpunkt für den Athleten; wir müssen ihn in die beste Position bekommen und wir brauchen ausreichend Spielraum, um den gesamten Größenbereichen und Einstellungsphilosophien gerecht zu werden. Dabei arbeiten wir mit den Radteams der Pro Tour, dem Bike Boutique Triathlon-Team und zahlreichen einzelnen Athleten zusammen. Wir berücksichtigen diese gesamten Vorschläge und ihre Einstellungen, bevor wir am CAD-System so richtig loslegen.

Geringer Luftwiderstand hat dabei oberste Priorität! Wir müssen den Anforderungen an Passform, Justierbarkeit, Festigkeit und Sicherheit gerecht werden, um dann ein Paket des geringsten Luftwiderstands zu schnürren.