Aerodynamik am Triathlonrad: Cervélos sind für schnellere Rennen gebaut

von tri2b.com | 30.09.2014 um 00:00
Der Ironman Hawaii ist in der Triathlon-Langdistanz-Szene das wichtigste Rennen des Jahres und dementsprechend wird Wert gelegt auf optimal angepasstes Material. Das gilt vor allem für die Setups der Triathlon-Zeitfahrmaschinen, will man doch möglichst wenige Watt im Kampf gegen die oft unbarmherzig blasenden Mumuku-Winde verlieren. Welche Anstrengungen dafür unternommen werden hat uns Damon Rinard erzählt, der beim kanadischen Radhersteller Cervélo aktuell als Ingenieur in der Marketingabteilung arbeitet. Außerdem wagt der Kanadier auch einen Blick in die Zukunft der Aerodynamik am Triathlonrad.

tri2b.com: Ist es möglich den Ironman Hawaii ohne ein optimiertes und angepasstes Zeitfahrrad zu gewinnen?
Damon Rinard (D.R.): Natürlich. Es gibt konkrete Beispiele in der Vergangenheit für Siege auf suboptimalen Triathlonrädern. Unterschiede in der menschlichen Leistung während des Schwimmens, Radfahrens und Laufens können die Vorteile eines optimierten Aero-Bikes überwiegen. Aber ein gutes Aero-Bike kann einem Athleten helfen, eine erhebliche Menge an Energie zu sparen im Vergleich zu anderen Athleten. So, dass sie schneller fahren oder frischer bleiben für den Lauf. Dies könnte auf jeden Fall den Unterschied zwischen Sieg und dem zweiten Platz ausmachen.

tri2b.com: Der Ironman Hawaii mit seinen tückische unberechenbaren Winden, dem Mumuku, stellt besondere Anforderungen an die Aerodynamik eines Fahrrads. Ist es überhaupt möglich, die Ergebnisse aus dem Windkanal auf die lokale Situation von Big Island zu übertragen?
D.R.: Ja, aber sicher. Es sind kräftigere Seitenwinde und damit mehr Fahrzeit bei höherem yaw-Winkel (Hintergrund: de.wikipedia.org) bei der Ironman-Weltmeisterschaft gegenüber anderen Triathlons zu sehen. Wichtig ist es, die Windwiderstandsdaten mit der passenden Auswahl an yaw-Winkeln zu erheben. Cervélo-Räder liefern noch gute Leistung bei den yaw-Winkeln, die man auf Hawaii antrifft. Da die Winde auf der Insel so stark sind, wird der Windkanal ein besonders gutes Vorhersagewerkzeug, da Leistungsmesser-Feldtests noch nicht in der Lage sind, zuverlässige, genaue Messwerte bei starkem Seitenwind zu erheben.
Man will die Luftwiderstandszahlen aus dem Windkanal auf der Grundlage einer vorhergesagten yaw-Winkelverteilung für die Radstrecke gewichten. Diese vorhergesagte yaw-Winkel-Verteilung ist abhängig vom Streckenverlauf, den Windverhältnissen, sowie der Fahrradgeschwindigkeit (je schneller man fährt, desto schmaler die yaw-Winkel-Verteilung). Diese Elemente erlauben eine Schätzung der zu erwartenden aerodynamischen Leistung für dieses Rennen. Es gibt eine Reihe von neu auftauchenden Websites (wie bestbikesplit.com), die genau diese Berechnung durchführen und so Ihre Leistung am Renntag vorhersagen.

tri2b.com: Bekommen Athleten wie Frederik van Lierde von euch einen Vorschlag für die Kona Bike-Setup, oder ist dies die alleinige Aufgabe des Athleten? Wie können wir uns die Zusammenarbeit hier vorstellen?
D.R.: Am Ende ist jeder Athlet für sein eigenes Material und dessen Einstellungen verantwortlich. Selbstverständlich bieten wir Beratung und technische Informationen, so dass die Athleten umfassend informiert sind für ihre Wahl des Setups. Das heißt, es ist wichtig zu erkennen, dass die Labormesswerte nur ein Teil des Entscheidungsprozesses sind. Manchmal ist die zweitbeste technologische Option besser im Einsatz, da sie zum Beispiel praktischer ist. Ein Beispiel dafür ist eine Aero-Trinkflasche oder eine runde Flasche zu verwenden. Es gibt Kompromisse bei der Leistung und auch bei der Nutzbarkeit.



Damon Rinard

Damon Rinard arbeitet seit dem Jahr 2009 bei der im kanadischen Toronto ansässigen Firma Cervélo. Er war dort zuerst als Forschungs- und Entwicklungsingenieur tätig, bzw. Renningenieur für das Cervélo Testteam. Seine Arbeiten konzentrierten sich auf die Optimierung der Aerodynamik und dessen anwendungsfreundliche Umsetzung. Zuvor war Rinard u.a. in der Luftfahrtindustrie und für die Radhersteller Kestrel und Trek tätig.
Aktuell ist er als Senior Cycling Technologist bei Cervélo tätig und steht u.a. für die technischen Fragen der Endkunden und Händler zur Verfügung.
http://www.cervelo.com




tri2b.com: Der Radstreckenrekord in Kona ist bei 4:18:23 Stunden, aus dem Jahr 2006 von Normann Stadler. Welche Zeiten sind theoretisch denkbar in der Zukunft?
D.R.: Ganz einfach - es hängt von drei Dingen ab: dem Fahrer, dem Wetter und dem Fahrrad. Normann hatte eine beeindruckend starke Fahrt in diesem Jahr 2006. Er als guter Fahrer und außergewöhnlich gute Bedingungen. Da bleibt nun das Fahrrad. Im Vergleich zu seinem Rad von 2006 verspricht unser Cervélo P5-Six bereits einen Vorteil. Unter der Annahme gleicher Fahrer und gleichen Wetters ergeben sich mindestens mehrere 100 Sekunden Verbesserung nur allein durch Austausch des Rahmens, weitere mehrere hundert Sekunden durch die Wahl von zusätzlichen Aero-Komponenten (Lenker, etc.), und weitere mehrere hundert Sekunden durch einen aerodynamischeren Helm, Kleidung, etc. Das ist der Stand heute.
Die Zeiten für die Zukunft sind schwer vorherzusagen, da wir noch nichts wissen über alle neuen Technologien zum Fahrrad, die wir in ferner Zukunft erfinden werden. Aber es ist wichtig zu beachten, dass es nicht immer nur um die Verringerung der Radzeit geht, sondern den Athleten zu ermöglichen, ihre Energie zu sparen und bequem zu fahren, so dass sie fitter in den Lauf starten: gut versorgt, weniger müde, und mit mehr Energie in ihren Tanks. Wir entwickeln Cervélos für schnellere Rennen, nicht nur für schnellere Fahrrad-Splits.

tri2b.com: Wo ist das größte Potenzial, wenn es um weitere Verbesserungen der Aerodynamik-Werte geht?
D.R.: Es ist kein Geheimnis, der Fahrer ist die größte Komponente des Gesamtwiderstands im System von Fahrrad und Athlet. So sind offensichtlich Fahrerposition, Helm und Kleidung besonders wichtig. Wenn wir in der Lage wärem, das Rad praktisch unsichtbar für den Wind zu machen, dann würde immer noch eine riesige Menge Widerstand durch den Körper des Fahrers bleiben. Die Herausforderung ist es, nicht nur den Luftwiderstand des Bikes zu reduzieren, sondern auch den Luftstrom so zu beeinflussen, um damit auch den Widerstand des Fahrers zu verbessern.
So wie mit dem P5, könnte dies bedeuten, dass man eine Erhöhung des Luftwiderstandes für das Fahrrad akzeptiert (wenn ohne Fahrer getestet), um den Luftwiderstand weiter zu reduzieren, wenn der Fahrer anwesend ist. Wir kennen die speziellen sensiblen Aero-Bereiche, um unsere Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen darauf zu konzentrieren. Aber diese Details sind patentrechtlich geschützt.

tri2b.com: Eine hypothetische Frage: Was wäre möglich, wenn es keine restriktiven UCI-Regeln für Zeitfahrmaschinen mehr gäbe?
D.R.: Die UCI-Regeln beschränken die Rahmen-Designs auf eine Gruppe aus virtueller Boxen und begrenzt das Seitenverhältnis der Abschnitte, die wir verwenden können. Ohne diese Einschränkungen könnten Rahmenformen viel radikaler sein. Zum Beispiel: Haben Sie mal einen Blick auf das erste Bike von Cervélo-Gründer Phil White und Gerard Vroomen geworfen? Eine nicht-UCI-konforme Zeitfahrmaschine, das so genannte Baracchi. (mehr zum Cervélo Barachi im Youtube Clip... )

tri2b.com: Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Scheibenbremsen im Straßenrennsport eingesetzt werden. Mit welchen Herausforderungen wird dann die Aerodynamik konfrontiert sein?
D.R.: Die einzigen öffentlichen Windkanaldaten, die wir kennen, zeigen für Scheibenbremsen einen erhöhten Luftwiderstand im Vergleich zu Felgenbremsen. Jedoch könnte ein stärker integrierter Ansatz, bei dem die Scheibenbremsen von Anfang an in die Gestaltung im Hinblick auf Aerodynamik integriert werden, im Luftwiderstand neutral werden, vielleicht sogar schneller. Aber ein solches Bike ist noch nicht auf dem Markt.
Der Wechsel von Felgenbremsen zu Scheibenbremsen bereinigt die Gabelkrone und bringt die Bremse näher an den Boden. Der Bremssattel und die Scheibe haben jedoch eine ganz andere Form als eine Felgenbremse, sodass der aerodynamische Kompromiss nicht einfach ist. Rahmen-Designer haben für Räder mit Scheibenbremse erneut zu prüfen, wie die Luft um das Bike mit diesen neuen Elementen fließt und entsprechend den Rahmen und Gabel zu optimieren.

tri2b.com: Cervélo ist meistgefahrene Fahrrad-Marke in Kona beim Ironman Hawaii. Kennen Sie auch die Zahlen der großen europäischen Rennen, wie z.B. beim Ironman Frankfurt oder der Challenge Roth?
D.R.: Wir haben Fahrräder bei einer Reihe von großen Triathlon-Events auf der ganzen Welt gezählt und wir freuen uns, Cervélo weiterhin als die häufigste Tri-Bike Marke zu sehen. Wobei wir diese Daten nicht öffentlich machen.

tri2b.com: Auf der Cervélo Website können Benutzer technische Fragen an Sie stellen. Was ist die am häufigsten gestellte Frage?
D.R.: Das ist ganz einfach: "Welche Fahrrad-Rahmen-Größe?" Natürlich sollte dies das Ergebnis einer Anpassung beim Cervélo-Händler sein. Wir haben eine umfangreiche Dokumentation der Athleten-Fahrpositionen gemacht und haben alle unsere Modelle so entwickelt, dass ein Größenbereich entsteht mit linearem Stack & Reach, um jedem Fahrer die beste Passform möglich zu machen. In der Tat, Cervélos passen so gut, dass den meisten Menschen zwei unterschiedliche Cervélo-Größen passen, manchmal sogar drei. So gibt es eine gute Chance, dass jeder ein Cervélo finden kann, das passt. Die Wahl sollte dann in Absprache mit dem Händler vorgenommen werden.

Mitarbeit: Fragen - Harald Eggebrecht, Übersetzung - Anton Thomma